Читать книгу Die Gilde der Rose - Talira Tal - Страница 13
K A P I T E L 8
ОглавлениеMitten in der Nacht weckte mich irgendetwas. War es ein Geräusch? Ein Lichtschein? Benommen öffnete ich die Augen. Der Schreck fuhr mir durch die Glieder, als ich die riesige Gestalt im Türrahmen sah. Das Wesen war dichtbehaart. Ich spürte, wie ich zitterte, und verkroch mich bis zur Nasenspitze unter meiner Decke. Was immer da in meinem Zimmer aufrecht stand, sah einem Wolf sehr ähnlich. Das kalte Licht des Vollmondes, welches durch die Hintertür der Wohnkammer hereinfiel, schien das Wesen von hinten komplett zu erleuchten. Am liebsten hätte ich die Decke ganz über meinen Kopf gezogen, aber dann würde ich nichts mehr sehen, und das wäre noch schlimmer. Die Kälte, die sich immer weiter in mir ausbreitete, betäubte meine Hände und Füße.
Das Wesen stieß ein markerschütterndes Heulen aus. Es klang wie das Heulen eines Wolfes. Sein Kopf drehte sich in meine Richtung, und die gelben Augen funkelten mich bedrohlich an. Oh, Himmel! Es kam auf mich zu. Ich erkannte deutlich seine scharfen Krallen, die es anstelle normaler Fingernägel trug. Warum kann ich nicht fliehen? Wo ist Michel? Warum kann ich nicht mal die Augen schließen? Warum nicht schreien? Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. »Bitte, lass es schnell zu Ende sein«, betete ich zu der höheren Macht und erwartete das Schlimmste. Nur noch zwei Schritte trennten dieses Ungetüm von mir. Was wird es gleich mit mir anstellen? Die schweren Schritte ließen den Boden erbeben, und endlich kam wie eine Erlösung ein hilfloses »Michel« über meine trockenen Lippen.
Das Wesen verharrte, richtete seine spitzen Ohren auf, als höre es auf irgendetwas. Es warf seinen Kopf in den Nacken, gab ein weiteres Heulen von sich. Wie bei einem Igel die Stacheln stellten sich bei mir sämtliche Härchen auf. Ich starb fast vor Angst.
Dann war es mir, als hätte jemand ein schwarzes Tuch über meinen Verstand ausgebreitet.
*
Erst am nächsten Tag erwachte ich zum frühen Nachmittag. Es wirkte alles wieder friedlich. Das heulende Ungetüm war verschwunden, und nichts erinnerte mehr an meine Erlebnisse der vergangenen Nacht. War es nur ein böser Traum? Michel hatte in der Wohnstube direkt nebenan genächtigt. Er konnte das Heulen unmöglich überhört haben.
Ich schwang die Beine aus dem Bett, wollte zu Michel. Wie geht es ihm? Hatte ihm dieses Monster etwas getan? Wo steckt er denn nur? Meine Beine waren weich wie Butter und knickten sofort weg. Rasch bettete ich mich wieder und hielt stattdessen Ausschau nach Blitz und Donner. Meine magischen Freunde glänzten durch Abwesenheit. Hoffentlich hat dieses Untier sie nicht gefressen. Ich musste Michel unbedingt sprechen. Es war nichts von ihm zu hören. Kein Geräusch. Zum Glück auch kein Röcheln. Warum sieht er nicht nach mir, wenn es ihm gut geht? Merkwürdig! Eine ganze Weile lag ich einfach so da und zermarterte mir den Kopf auf der Suche nach Antworten auf die Flut meiner Fragen.
*
Sein Handy hatte ihn geweckt. Jenny hatte ihm eine SMS geschickt: >Hey Dreamboy. Du wolltest dich doch melden. Ich vermisse dich und deine Küsse. Hast du Zeit?<
Michael stöhnte genervt auf. Er hatte keine Lust, die Tussi zu sehen, geschweige denn mit ihr zu sprechen. Er fuhr sich durch sein ohnehin strubbeliges Haar und warf einen Blick in sein Schlafzimmer, auf seinen Gast. Freyja schlief tief und fest. Es war 10.38 Uhr. Hunger hatte er keinen. Seufzend tippte er Jenny eine SMS zurück: >Ja, in 20 Minuten bin ich bei dir.< Auf weitere Einzelheiten, dass es zu keinen weiteren Zärtlichkeiten kommen würde, ging er bei seiner Kurznachricht nicht ein. Er würde es ihr begreiflich machen müssen. Michael duschte und zog sich eine Jeans und ein schlichtes T-Shirt an. Bevor er seine Bude verließ, sah er noch einmal nach Freyja. Sie sah echt süß aus, wie sie da so friedlich schlief. Eine verrückte Geschichte, die sie ihm da gestern erzählt hatte. Aber sie war trotzdem glaubhaft. Es ergibt nun alles einen Sinn. Sie ist also eine Hexe. Sachen gibt es. Aber darüber würde er sich später Gedanken machen. Nun musste er die Sache mit Jenny klären.
Er lief die paar Kilometer. Die Bewegung tat ihm gut und half ihm, seine Gedanken zu ordnen. Jenny wohnte mit ihrer Familie in einem Hochhaus. Die Mutter öffnete ihm im Bademantel die Tür. Aus dem Wohnzimmer beschallte eine Talkshow die ganze Wohnung.
»Guten Morgen. Ich möchte zu Jenny.«
Die Frau fuhr sich laut gähnend durch das unfrisierte Haar. »Kröte, Besuch für dich.«
Sie roch nach Alkohol und Schweiß. Gut, dass er nicht gefrühstückt hatte, sonst wäre ihm das Essen jetzt wieder hochgekommen.
»Soll durchkommen«, rief Jenny aus ihrem Zimmer.
»Du kennst sicherlich den Weg?«
»Ja, danke. Ich finde mich zurecht.« Michael huschte zu ihrem Zimmer, dass ihm noch von der gemeinsamen Nacht sehr bekannt war. Er war froh, der ungepflegten Frau nicht mehr gegenüber stehen zu müssen.
»Komm rein, die Tür ist auf.«
Michael holte tief Luft, drückte die Klinke und hätte das Zimmer beim Betreten am liebsten sofort wieder verlassen. Vor ihm räkelte sich Jenny in aufregenden Dessous auf ihrem Bett und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Die Kleine ist verdammt heiß. Er befürchtete, sich nicht zurückhalten zu können. Sie machte es ihm aber auch wirklich schwer.
Michael trat ein, schloss geräuschlos die Tür hinter sich und ließ sich auf einem Sitzsack nieder.
Jenny war vom Bett aufgesprungen, fiel ihm um den Hals und ließ sich wie selbstverständlich auf seinem Schoß nieder.
Verdammt, riecht sie verführerisch.
Sie küsste ihn einfach, und spürte, dass er sich ihr nicht entziehen konnte. »Sollen wir nicht lieber auf mein Bett? Da ist es gemütlicher.« Sie erhob sich und ergriff seine Hand.
Sein Kopf schien wie leergefegt. Von was spricht sie? Ich muss mit ihr reden! Michael löste sich von ihr, trat ans Fenster und riss dieses sperrangelweit auf. Von hier oben hatte man eine traumhafte Sicht über ganz Essen. Die frische Luft tat ihm gut und half ihm, seine Gedanken zu sortieren. Er wusste wieder, warum er hierher gekommen war. »Jenny«, begann er.
»Ich mag jetzt nicht labern«, kam es zickig von der Blonden.
»Wir müssen aber reden.«
»Okay.« Schmollend hockte sie auf ihrem Bett, knetete ein rosa Plüschtier durch.
»Ich habe über uns nachgedacht, und ich bin der Meinung, dass ich nicht der Richtige für dich bin. Du hast einen Besseren verdient.« So ist es doch am Einfachsten. Er hatte geschickt den schwarzen Peter an sich genommen und glaubte, so ohne weitere Blessuren aus der Nummer herauszukommen.
Nur war Jenny nicht der gleichen Ansicht. Sie machte ihm einen gewaltigen Strich durch seinen Plan und schnaubte dabei verächtlich. »Ich glaube, ich kann sehr gut entscheiden, wer der Richtige für mich ist. Du warst der erste Mann in meinem Leben und du sollst auch der letzte sein!«
Ihre Stimme klang schrill, und er empfand sie eindeutig als zu laut. Es war ihm peinlich, dass ihre Mutter dieses Gespräch mitbekam. »Brüll bitte nicht so herum.« Noch einmal holte er tief Atem, bevor er weitersprach. »Eben, ich war der erste. Auf dich warten noch viele andere Jungs. Ich werde ganz sicherlich nicht der letzte sein.«
»Das kannst du mir nicht antun.« Ihre Kulleraugen füllten sich mit Tränen. Oh, wie er solche Situationen hasste.
»Jenny, das hat doch keinen Sinn.« Ich muss hier raus. Er ertrug ihren Anblick nicht mehr. Ich bin doch wirklich ein Schwein. Am liebsten hätte er sich in diesem Augenblick aus dem Fenster geworfen, so mies fühlte er sich.
»Gib uns doch noch eine Chance, Michael. Ich liebe dich doch.«
Das war alles zu viel für ihn. Warum hatte er sich überhaupt auf das Mädchen eingelassen? Doofer Alkohol! Ich muss das Gespräch jetzt und hier beenden! »Ich kann nicht Jenny. Ich wohne mit einem Mädchen zusammen.«
Ihre Traurigkeit kippte augenblicklich in Wut um. Sie warf das rosa Stofftier nach ihm. Mit einer eleganten Bewegung bückte er sich und sah zu, wie das Spielzeug durch das offene Fenster nach draußen fiel. Wütend griff Jenny nach einer Flasche, hielt diese hoch. »Du mieser Penner. Hau ja ab!« Das musste sie ihm nicht zweimal sagen. Ehe sie noch die Flasche werfen konnte, verließ er ihr Zimmer und die muffige Wohnung.
Sein schlechtes Gewissen tobte wie ein brüllender Orkan. Trotzdem sagte er sich, wie gut es war, dass er sich nicht noch einmal auf sie eingelassen hatte. Es hätte die ganze Angelegenheit sicherlich nicht einfacher gemacht. Er war froh, Jenny nicht mehr angucken zu müssen und freute sich auf Freyja, die bei ihm zu Hause sicherlich schon auf ihn wartete. Aus einer Pizzeria, die auf dem Weg lag, holte er zwei Pizzen. Es war schon Mittag. Sicherlich hatte sein Gast aus der Vergangenheit großen Hunger.