Читать книгу Die Gilde der Rose - Talira Tal - Страница 14
K A P I T E L 9
ОглавлениеAls der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde, schreckte ich hoch. Wenige Augenblicke später, trat Michel mit einem vollen Beutel in mein Schlafgemach und lächelte mir zu. »Na, du Langschläferin. Ich hab Pizza mitgebracht. Du hast bestimmt einen Mordskohldampf.«
Ich beobachtete ihn, als er die Tasche auspackte. »Kohldampf?«
»Hunger. Wer so lange schläft wie du, muss einfach Hunger haben.« Mein Magen zollte ihm, ehe ich es konnte, eine Antwort. Er knurrte laut zur Bestätigung.
Erneut versuchte ich, das Lager zu verlassen, gab aber auf, als ich merkte, dass meine Beine sich immer noch wie Brei anfühlten. Ich setzte mich im Bett aufrecht hin. »Mir ist schwindelig«, erklärte ich meinem Retter.
Fragend schossen seine Augenbrauen in die Höhe. »Das kommt sicherlich vom Hunger. Iss erst mal etwas.« Michel brachte mir einen Teller mit wohlduftenden Teilchen. »Lass es dir schmecken.«
»Du dir auch.« Zaghaft probierte ich von dem heißen Gebäck. »Mhm, das ist richtig lecker.« Meine Laune besserte sich schlagartig.
Er ließ sich neben mir auf seinem Bett nieder, und während wir beide unsere Pizzen verzehrten, fragte ich Michel nach dem nächtlichen Besucher. Für einen vagen Moment, schien sich seine Augenfarbe zu verändern. Ich bereute schon, ihm diese Frage gestellt zu haben. Wahrscheinlich wollte er nicht mit mir darüber sprechen. Ich hatte einen Fehler begangen. Sein Blick war ernst, als er mir antwortete: »Nun gut. Da ich ja weiß, dass du eine Hexe bist, sollst du auch erfahren, was ich bin ...«
Es folgte eine Pause. Ich verschluckte mich fast an meiner Pizza. Meine Aufregung schaukelte sich ins Unermessliche. Er nannte mich tatsächlich eine Hexe. Gut, ich hatte ihm von meinen merkwürdigen Traum, den ich im Gefängnis hatte, erzählt. In ihm hatte mir meine Großmutter verkündet, dass ich eine Hexe bin. Aber was davon entspricht der Wahrheit?
»Freyja, du hast heute Nacht ein gigantisches Untier gesehen, habe ich recht?«
Ich erinnerte mich an das Wesen und schluckte. Wieder wurde mir angst und bange, wenn ich nur daran dachte. »Ja.«
»Das war ich.« Ich hatte mit vielem gerechnet, aber diese Antwort verblüffte mich doch vollkommen. Was für einen Bären wollte er mir aufbinden? Ich konnte mich nicht zurückhalten, und lachte schallend los. Michels Augenbrauen zogen sich erneut hoch. Seine attraktive Miene verfinsterte sich zunehmend, ein leises Knurren drang aus seiner Kehle.
Ich verstummte augenblicklich. So vieles wurde mir mit einem Mal klar. Meine Ahnung vom ersten Moment an. Seine Ähnlichkeit mit einem Tier, seine Art, sich zu bewegen, mich abzuschnuppern. Er hat die Wahrheit gesagt! Das war die Antwort auf mein ängstliches Gefühl. Fassungslos starrte ich ihn an. »Du?«
»Ja, und ich finde es ziemlich scheiße von dir, mich deshalb auszulachen.« Wütend feuerte er die leere Pizzaschachtel zur Seite. Fast war es mir, als würden mich die Blicke der nun gelben Augen durchbohren. »Ich hätte dich auch fressen können. Du hattest heute Nacht so große Angst und hast wunderbar gerochen«, grollte es weiter aus ihm heraus.
Da war sie wieder. Die Panik der vergangenen Nacht!
»Du musst fliehen, Freyja!«, zwitscherten Blitz und Donner aufgebracht. Wo kommen die denn auf einmal her? Es blieb keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Ich muss weg! Sie hatten wie immer recht!
Ich rollte mich quer über das Bett, blieb am Rahmen hängen und spürte einen ekligen Schmerz durch meine Kniescheibe rasen. Ich unterdrückte einen Aufschrei. Da, vor mir war das geöffnete Fenster. Das werde ich schaffen! Reiß dich zusammen, Freyja! Ein Sprung und ich bin draußen. Dann werde ich weiter sehen. Ich hatte mir zulange Gedanken gemacht. Es krachte, als mein Verfolger auf mir landete. Der Dielenboden schien mir ins Gesicht zu fallen - und wieder Schmerzen. Ich schmeckte Blut. Meine Lippe war aufgeschlagen. Er hockte auf mir, fixierte meine Hände. Verdammt, was tut das weh! Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu jammern. Das machte die Situation nicht besser, denn die aufgeplatzte Lippe, in die ich jetzt auch noch biss, ließ mich aufkeuchen. Aber das war augenscheinlich mein kleinstes Problem. Sicherlich tötet er mich jetzt. Es war suspekt, dass wir uns nun in der gleichen Situation wiederfanden, in der er mich vor dem LKW gerettet hatte. Nun standen die Dinge anders. Er wollte mich fressen, weil ich ihn verärgert hatte. Ich stöhnte vor Schmerzen, schmeckte mehr Blut.
*
Zufrieden trat Zeratostus aus dem Wohnwagen seiner Hexe. Er spürte die verbitterten Blicke der alten Zigeunerin auf sich. So alt, wie sie aussah, war sie eigentlich noch nicht. Sie wirkte nur sehr alt. Früher, als sie noch knackig war, war sie seine Geliebte gewesen. Als sie immer runzeliger wurde, hatte er nach adäquatem Ersatz gesucht. Sein letztes Spielzeug, wie er seine Weiber auch nannte, kam unter mysteriösen Umständen ums Leben. Zeratostus hatte schon damals die Zigeunerin verdächtigt, bei dem Todesfall nachgeholfen zu haben. Aber er hatte es ihr nicht beweisen können. So etwas sollte ihm nicht noch einmal passieren. Deshalb hatte er als Sicherheitsmaßnahme Axara mit einem unsichtbaren Band an sich gekettet. Ein Band, das er, wie er wollte, dehnen konnte, sie aber an der Flucht hinderte. Wenn ihr Gefahr drohen würde, wüsste er das sofort und konnte schnell zur Stelle sein.
»Guten Morgen«, begrüßte er die Zigeunerin mit einem süffisanten Lächeln.
»Morgen.« Ihre Stimme klang kratzig, und er wünschte, er hätte sie nicht aufgefordert, etwas zu sagen.
Sein Blick glitt musternd über ihre Gestalt. Im Gegensatz zu früher war sie figürlich aus dem Leim gegangen. Das Sonnenlicht brach sich in ihren klimpernden, goldenen Ohrringen. Ihre Augen verrieten, wie abgrundtief böse sie war. Und dieser Umstand weckte wieder die tiefe Zuneigung, die er für sie empfand. Er trat auf sie zu, strich ihr sacht das wellige, schwarze Haar aus dem wettergegerbten Gesicht. Seine Stirn drückte sich gegen die ihre. »Ach, Garjetta...« Die Zigeunerin konnte ihr Glück kaum fassen. Ihre spinnenartigen, goldberingten Finger griffen nach dem Dämon.
Er löste sich. Sein Blick hatte wieder die gewohnte Härte. »Wir müssen zwei Höllenhunde schicken. Ich will wissen, wo sich das kleine Ding aufhält. Axaras Tochter Freyja ist ebenfalls in dieser Zeit gelandet, und sie sucht uns, Garjetta. Ich möchte ihr zuvorkommen und ihr einen heißen Empfang bescheren.« Seinen abrupten Stimmungswechsel wollte sie nicht wahrhaben. Es war doch fast wie früher, als sie seine Hauptfrau war. Dass er keine Gelegenheit bei schönen Weibsbildern ausließ, war ihr immer bewusst gewesen. Aber sie war damals die wichtigste für ihn. Sie hatte doch so sehr die Hoffnung gehegt, dass seine Lippen sie küssen würden. Wie lange hatte er das schon nicht mehr gemacht? Sie gab sich doch jede erdenkliche Mühe, ihn glücklich zu machen. Er liebte sie noch. Da war doch noch dieses Feuer. Gerade eben hatte sie es doch noch gespürt. Es war noch da, und wenn sie eine Gelegenheit bekam, würde sie die Schlampe, die da im Wohnwagen immer nur auf ihn wartete, vernichten. Sie würde ihr Herz essen, so wie sie es bei der einen Mätresse auch getan hatte. Aber sein magisches Band war ihr im Weg. Er bewachte sie besser, als es seine Höllenhunde jemals könnten. Außerdem gab es noch andere Mittel und Wege, um an ihr Ziel zu kommen. Aber wie lange würde es dauern, bis Axara Rose auch unansehnlich werden würde? Sie wusste, dass die hübsche Hexe nicht ihr größtes Problem war. Da war jetzt auch noch ihre Tochter, die sich hier ganz in der Nähe aufhielt. Er war bereits auf der Suche nach dem blutjungen Ding. Die Fäuste der Alten ballten sich, sodass ihre rotlackierten Fingernägel in ihr Fleisch stachen und ihr Blut zu Boden tropfte. Sie musste diese Hexe erwischen, bevor es die Höllenhunde taten, oder noch besser wäre es, wenn die Viecher sie fanden und direkt auslöschen würden. Wenn alle Weibsbilder vernichtet waren, würde sie Zeratostus endlich wieder für sich alleine haben.