Читать книгу Die Gilde der Rose - Talira Tal - Страница 8

K A P I T E L 3

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Ich hörte Stimmen und Schritte, wusste, dass mein Ende gekommen war. Ich ließ beide Eier in meine Kitteltasche gleiten und sah mich kurz darauf Helge und vier anderen Wachleuten gegenüber.

»Die Läuterung ist nah. Komm, Hexe!« Sie rissen mich hoch, banden meine Hände hinter dem Rücken zusammen und legten mir ein Halsband mit einer Leine um den Hals. Helge selbst zerrte mich an dem Strick über den Platz, den jetzt eine johlende, gaffende Meute bevölkerte. Ich spürte die verachtenden Blicke der hier Versammelten. Worte wie »Satansweib“ und „Schande für unseren Ort« waren noch das Harmloseste, was auf mich einprasselte.

Helge zog mich den Scheiterhaufen hoch, Holzsplitter bohrten sich in meine Fußsohlen. Mein verhasster Peiniger löste die Leine und meine Handfessel, um sie sofort hinter dem Pfahl zusammenzubinden. Ich hatte noch Glück im Unglück, dass er mich nicht in die dafür vorhergesehenen Eisenmanschetten kettete. Die ganze Zeit schwieg ich beharrlich. Natürlich hätte ich ihn und seine Mitstreiter gerne verflucht, aber ich hatte es nie gelernt. War der Traum mit meiner Großmutter Wirklichkeit? In diesem Moment konnte ich nicht mehr daran glauben. Wahrscheinlich waren es Trugbilder meines eigenen Geistes, um mir die Angst vorm Sterben zu nehmen. Auch den Eiern in meinem Kittel schenkte ich keine weitere Beachtung. Ich glaubte an eine höhere Macht, die alles lenkte, und diese Sünde würde sicherlich ihre Bestrafung finden, das spürte ich.

Der Dorfbüttel hielt noch eine Rede über meine Untaten, die ich nie im Leben begangen hatte. Der Henker stand neben ihm, starrte zu mir hinauf. Ich kannte diese Augen. Ich hatte seiner Frau und seinem Kind das Leben gerettet. Ich fühlte mich so verraten. Sie, die ganzen Dorfbewohner, die hier versammelt waren, taten immer alle so gut zu mir. Alles war erstunken und erlogen. Ich schämte mich für sie, für ihre Masken, die sie so offen zur Schau trugen. Masken der Frömmigkeit und der Keuschheit. Ein Schauder lief mir bei diesen Gedanken den Rücken hinab. Wie kann man nur so verlogen sein?

Der Priester fragte mich: »Freyja Rose, möchtest du unseren allmächtigen Vater um Vergebung deiner Sünden bitten? Willst du um Gnade flehen, damit dir wenigstens das Fegefeuer erspart bleibt und deine Seele ihren Frieden finden wird?«

Trotzig schüttelte ich den Kopf. Die höhere Macht wird es schon richten. Dann zündeten Helge und der Henker gleichzeitig den Scheiterhaufen an. Das trockene Reisig brannte wie Zunder, und die Hitze der auflodernden Holzscheite fraß sich schnell zu mir hinauf.

Ich schloss die Augen, wollte die gierige Meute nicht mehr ansehen. Sie alle wollen meinen Tod. Auch die Müllerin, die ich von einer schweren Krankheit geheilt hatte. Auch sie war hier und verlangte mein grausames Ableben. Ich spürte die Hitze und bereitete mich auf die Schmerzen vor. Beißender Rauch stieg in Säulen nach oben, nahm mir die Luft zum Atmen. Ich hustete mir fast die Lunge aus dem Leib. Meine Augen brannten und tränten. Die Rauchschwaden wurden immer dichter, nahmen mir die Sicht auf den lauernden Pöbel.

Ein Flattern neben meinem Gesicht ließ mich meinen auf die Brust gesunkenen Kopf anheben. Es waren meine beiden gefiederten Freunde, Blitz und Donner. »Freyja, du musst fliehen!«, zwitscherten sie mir munter entgegen.

Was für ein sinnvoller Vorschlag in Anbetracht meiner momentanen Situation. Aber ich war froh, dass sie das Feuer in meinem Haus überlebt hatten. »Kunststück, ich bin gefesselt, und die Flammen berühren gleich meine Füße.«

»Halte durch, wir helfen dir.« Sie verschwanden aus meinem Blickfeld, und noch ehe die Flammen mein Fleisch verschlingen konnten, ließ der Druck an meinen Handgelenken nach. Meine Hände waren wieder frei.

Inzwischen hatten sich die beiden kleinen Vögel auf meinen Schultern niedergelassen. Blitz rechts, Donner links, und ich bezweifelte, von diesem brennenden Haufen hinab kommen zu können. Wahrscheinlich werde ich gleich ersticken. »Und was nun? Ich kann leider nicht fliegen wie ihr«, brachte ich mit krächzender Stimme hervor.

»Nimm eines unserer Eier und stecke es in den Mund. Beeile dich, Freyja!«

Das mussten sie mir nicht zweimal sagen. Ich durfte keine Zeit mehr verlieren, denn die Flammen schlugen nun schon gegen meine Füße, ließen mich schmerzgequält aufschreien. Hastig griff ich in meinen Kittel, fühlte eines der Eier und ließ es in meinem Mund verschwinden. Ich biss zu, als das Feuer stärker nach meinen Füßen griff.

In diesem Moment wusste ich nicht, was mehr schmerzte. Eine nie gekannte Schärfe durchflutete meinen Mund, löste eine Explosion in mir aus. Ich schrie noch lauter, und dann drehte sich auf einmal alles um mich herum. Immer schneller wurde die Rotation. Ich wagte nicht, meine Augen zu öffnen, und klammerte mich an mich selbst.

Als das wilde Drehen endete, öffnete ich meine Lider, blickte geradewegs einem laut brüllenden Unwesen mit zwei großen leuchtenden Augen entgegen. Was ist das? Ich erstarrte, denn das Untier bewegte sich pfeilschnell auf mich zu.

*

»Scheiße!« Der gekickte Stein holperte über den Bürgersteig. Sein schlechtes Gewissen saß ihm regelrecht im Nacken. Sie war doch so süß gewesen, wie sie sich ihm hingegeben hatte. Unschuldig, wie eine gerade erblühende Blume. Die Kleine hatte ihm vertraut. Er schnaubte verächtlich. Warum musste sie danach auch direkt von einer engen Beziehung quasseln? Es war nicht so, dass er die Frauen reihenweise abschleppte. Er war selbst auf der Suche nach einer vernünftigen Beziehung. Michael Graf glaubte felsenfest an die große Liebe. Frustriert schob er die Hände in die Taschen seiner Jeansjacke. Es hieß doch nicht, dass man gleich ein Paar war, wenn man einmal miteinander schlief. Okay, die Kleine war noch Jungfrau gewesen und hatte sich mehr erhofft. Michael schloss die Augen. Er hatte ihr das nicht antun wollen. Die Kleine hatte so cool gewirkt, ihn zu sich gelockt und ihn dann nach allen Regeln der Kunst verführt. Oh ja, das hatte Jenny wirklich drauf! Kein Wort davon, dass sie noch Jungfrau war. Aber das war sie gewesen, und das hatte sie ihm hinterher brühwarm unter die Nase gerieben. »Scheiße« , knurrte er erneut. Das Flittchen hatte es drauf angelegt. Sie hatte mit falschen Karten gespielt.

Wo kommt die denn auf einmal her? Vor ihm auf der engen Straße stand urplötzlich ein Mädchen. Ihr Gestank zog ihm auch bei der Entfernung in die Nase. Sie umschlang ihren klapperdürren Körper, der in einem komischen Kleid steckte. Ihre Augen waren geschlossen. Ein kleiner LKW raste die Straße hinauf in ihre Richtung. Das fremde Mädchen machte nicht den Anschein, dem Fahrzeug Platz machen zu wollen. Das Fahrzeug würde sie plattwalzen wie eine Flunder. Will sie das etwa? Oh, nein! Nicht noch eine Tussi mit Liebeskummer.

Der LKW hupte, wurde aber nicht langsamer. Michael hatte keine Wahl. Er musste reagieren.

*

»Runter von der Straße!«, hörte ich eine knurrende Stimme.

Wo sind Blitz und Donner?

Hart prallte ein Körper gegen mich. Kurz danach fühlte ich steinigen Boden unter mir. Das Ungetüm raste mit lautem Gebrüll an mir vorbei. So etwas hatte ich noch nie gesehen. War das der Dämon, von dem Großmutter Katharina gesprochen hatte? Würde er mich erneut angreifen?

Ich spürte eine Nase an meinem verfilztem Haar und ein weiteres leises Knurren. Es war ein Mann, der auf mir lag. Er rollte von meinem geschundenen Körper herunter und sah mich fragend an. »Ist alles in Ordnung bei dir?« Seine Stimme hatte einen warmen Klang. Nun konnte ich mir meinen Retter endlich genauer ansehen. Als Erstes fiel mir auf, dass er recht merkwürdig gekleidet war. Er trug eine eigenartige Kopfbedeckung, und auch sonst war seine Kleidung ungewöhnlich.

»Hast du dich verletzt?« Seine Zunge leckte über seine vollen Lippen, als hätte er eine besonders leckere Mahlzeit vor sich. Mein Blick wanderte zu seinen dunklen Augen. Sie lagen im Schatten seiner Kopfbedeckung und schienen schwarz wie Pech zu sein. Das Weiße war komplett verdrängt, und sie zuckten verdächtig.

»Sag doch etwas!« Er sprach mit mir, das wurde mir nun bewusst. Ich schluckte, musste erneut kräftig husten. Was war geschehen, wo bin ich nur?

»Dir ist sicherlich kalt in diesem Kleidchen, warte, ich gebe dir meine Jacke. Wo kommst du denn her?«

Viel interessanter war für mich die Frage, wo er eigentlich herkam? Ich ließ es mir gefallen, dass er mir seine Jacke umlegte. Immer noch brachte ich kein Wort heraus. Die ganze verrückte Situation hatte mich sprachlos gemacht.

»Wo wohnst du?«, versuchte es mein Retter weiter.

Ich sah mich um. Dort stand der Gefängnisturm, in dem ich die letzten paar Tage zwangsläufig verweilt hatte. Ängstlich hielt ich nach den Schergen Ausschau. Aber es war niemand hier. Der komplette Scheiterhaufen, auf dem ich gerade noch meinem Tod entgegenblickte, war verschwunden. Ebenso die gaffende, feixende Menschenmenge. Sie alle waren fort. Aber der Turm war noch da. Wilder Efeu umrankte ihn, und er wirkte irgendwie kleiner. Was hatte der Mann mich gerade gefragt? Wo ich wohnte? Ich blickte in Richtung des Dorftores. Dort standen riesige Kästen mit Fenstern. Sie erinnerten mich an Häuser. Ich sah in meiner Erinnerung den aufsteigenden Qualm und hörte Helges zynische Worte. »Abgebrannt«, sagte ich trocken.

Seine Miene nahm einen mitleidigen Gesichtsausdruck an. »Das tut mir leid. Hast du sonst wen, zu dem du kannst?«

»Meine Mutter, aber ich weiß nicht, wo sie weilt.« Ja, deshalb war ich hier. Großmutter war mir also tatsächlich in diesem wunderlichen Traum erschienen. Hier musste meine Mutter irgendwo gefangen gehalten werden.

Ein melodisches Tirilieren ließ mich erleichtert feststellen, dass Blitz und Donner mir gefolgt waren. Zum Glück war ich nicht allein.

Der Fremde zog seine Kopfbedeckung ab. Schwarzes, strubbeliges Haar kam zum Vorschein. Er verwuschelte es noch mehr und kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Ich wusste nicht, dass hier in der Nähe ein mittelalterliches Spektakulum ist, oder hast du an einem Live-Rollenspiel teilgenommen?«

Ich verstand kein Wort, das verriet ihm wohl mein Ausdruck, denn er setzte noch eine Frage nach: »Oder kommst du aus einer Klinik?« An seinem Zögern spürte ich, dass ihm diese Erkundigung unangenehm war.

»Was bedeutet dieses Wort? Klinik?« Damit schien ich mein Gegenüber völlig zu überfordern, denn das Zucken seiner Augen übertrug sich auf seine Lippen. Abermals erklang dieses leise Knurren. »Man nennt mich Freyja.« Vielleicht gelang es mir, ihn zu beruhigen. Der Mann war mir nicht ganz geheuer, auch wenn er mich gerettet hatte. Er erinnerte mich an ein Tier. Aber an welches bloß?

Mein Plan schien zu funktionieren, er lächelte kurz. Das Lächeln schlug aber sofort in eine ungläubige Grimasse um. »Freyja? Kein Mensch heißt Freyja. Das ist der Name einer Göttin, soviel ich weiß.«

Eine Gänsehaut huschte über meinen Körper. Mein Retter wirkte auf mich bedrohlich, und ich hoffte, nicht vom Regen in die Traufe gekommen zu sein. »Doch, man nennt mich Freyja. Freyja Rose. Mit wem habe ich denn die Ehre?« Ich beschloss, mein ungutes Gefühl zu beobachten, aber nicht an die Oberfläche zu lassen.

Er stülpte seine Oberlippe über die Unterlippe, bevor er mir endlich eine Antwort gab. »Michael Graf.«

Ich nickte ihm höflich zu, damit war diese Sache schon einmal geklärt.

»Du hast also kein Zuhause?«

»Nein, ich sagte es Euch doch. Es versank im Feuer.« Ich verbiss mir die Ergänzung, dass ich mich währenddessen in Arrest befunden hatte. Das hätte ihn nur noch mehr verwirrt.

»Dann kannst du erst mal mit zu mir. Ich teile mir eine winzige Bude mit meinem Bruder Gabriel. Aber er ist zurzeit im Ausland, zu einem Treffen mit einem Cl ...« Michel brach ab, als hätte er zu viel gesagt. Statt weiterzureden, half er mir auf meine wackeligen Beine. Es fühlte sich an, als bestünden sie aus Pudding. Außerdem schmerzte mein Fuß, den die Flammen malträtiert hatten. Ich musste mich an ihm festhalten. Er reagierte sofort und legte mir seinen kräftigen Arm um die Taille. »Möchtest du nicht doch lieber in ein Krankenhaus?«

Ich schüttelte den Kopf und brachte nur ein klägliches »Hunger« heraus. Zum Glück wohnte mein Retter nicht weit entfernt. Wir gingen um eine Ecke. Im nächsten Haus wohnte er auch schon. ‘Bude‘ nannte er es. Auch hier sah vieles anders aus, als ich es kannte. Ich muss mich in einem magischen Land befinden, in der Dimension des Dämonen Zeratostus.

Blitz und Donner flogen durch das leicht geöffnete Fenster in die ‘Bude‘. Ich fühlte mich schon wohler, irgendwie sicherer in diesen vier Wänden und natürlich auch, weil meine beiden Freunde bei mir waren.

Der Graf hatte mich auf einer breiten, weichen Sitzgelegenheit abgesetzt. Dann brach die Angst wieder über mich herein. Sie lähmte mich regelrecht. Hier ist nichts so, wie ich es kenne. Alles sieht anders aus. Ich richtete meinen Blick auf ein Regal an der Wand, in dem Bücher standen. Das war mir ein bisschen vertraut. Ganz oben stand eine Pflanze in einem bunten Topf. Sie war total vertrocknet. Er kann nicht gut mit Pflanzen umgehen. Ich dachte an meine vielen Rosen und vermisste meinen blühenden Garten. Richtige Glasscheiben waren in den Rahmen eingefasst. Läufer lagen auf dem Dielenboden. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Graf wirklich sehr wohlhabend sein musste. Auf dem Boden standen allerhand Kästen verschiedener Größen, von denen ein leises Summen kam. Es verwirrte mich, und die Angst kehrte zurück. Dieses Mal stärker als zuvor. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Hier waren seltsame Geräusche, die ich nicht einordnen konnte. Ich schloss die Augen und hoffte, wieder ruhiger zu werden. Mein Herz schlug wie verrückt, und meine Hände zitterten.

»Freyja, ist alles in Ordnung? Ich hole dir schnell etwas zu essen.«

Vorsichtig öffnete ich die Augen und beobachtete, wie er eine Menge von Lebensmitteln heranschleppte und vor mir auf einem kleinen Tisch ausbreitete. Vieles war mir fremd und suspekt. So etwas soll man essen können? Aber ich wollte auch nicht wählerisch sein, ergriff ein glitzerndes Teil und biss herzhaft hinein. Der Schmerz durchflutete mich, ich glaubte ohnmächtig zu werden. Was ist das für ein teuflisches Spiel?

»Freyja!«, hörte ich den Grafen noch. »Nicht, das ist eine Konservendose!« Aber dann gingen bei mir die Lichter aus, und ich versank in unendlicher Dunkelheit.

Die Gilde der Rose

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