Читать книгу Die Gilde der Rose - Talira Tal - Страница 7
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Essendia anno 1616
-Stift Rellinghausen-
Es stank nach Schimmel und Fäulnis. Ich fror erbärmlich. Hier gab es keine Decke, die mich wärmen konnte. Ich kauerte in einer Ecke meines zwei mal zwei Klafter großen Gefängnisses. Die Kammer war niedrig, aber mit meiner Körpergröße von 5,3 Fuß konnte ich problemlos in ihr stehen. Mittlerweile war ich dafür zu schwach. Der Boden der Zelle war mit gammeligem Stroh ausgelegt. Außer meiner Näpfe für Essen und Trinken enthielt mein Gefängnis nichts.
An der Wand klebte getrocknetes Blut, Überreste von den Menschen, die vor mir hier inhaftiert waren. Möglicherweise ebenfalls zu Unrecht beschuldigt, weil andere Dorfbewohner falsch Zeugnis ablegten. Vielleicht waren sie aber auch Diebe und Mörder.
Ich hatte meine Beine an meinen Körper gezogen, sie mit meinem Rock bedeckt. Zwei Ratten saßen unweit von mir und ließen sich meine Henkersmahlzeit schmecken. Mein Leib bestand nur noch aus Haut und Knochen, die unter der dicken Schmutzschicht von Lehm und anderem Dreck verborgen blieben. Der Schandkittel, den ich anziehen musste, und meine Haare trugen mittlerweile die gleiche Farbe. Wie lange hatte ich mich nicht mehr gewaschen? Ich dachte über die Frage nach und war froh, dass sie mich von Hunger und Kälte ablenkte. Vier Tage und drei Nächte harrte ich bereits im Gefängnisturm meiner Heimatstadt aus.
Morgen wäre mein achtzehnter Geburtstag. Ich bezweifelte arg, dass ich den noch erleben würde. Wenn ich mich erhob, drehte sich alles. So saß ich die ganze Zeit in meiner Ecke, beobachtete die Ratten und schlief viel.
Seit die Schergen des Dorfbüttels mich hier nach dem Verhör des Stadtrichters, dem Himmel sei Dank ohne qualvolle Folter, einsperrten, verweigerte ich den Fraß strikt. Gut, das abgestandene Wasser trank ich, denn Durst war schlimmer als Hunger. Der Richter hatte mich zum Tode verurteilt. Ich wartete auf meinen Henker. Wie viel Zeit steht mir noch zur Verfügung?
Ich versuchte meine blau gefrorenen Zehen zu bewegen, spürte den scharfen Schmerz durch meine starren Gliedmaße fahren. Vielleicht erfror ich ja auch vor meiner Hinrichtung. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Was für ein makabres Wortspiel, aber wer wusste schon, was mir auf meinem kurzen, noch verbleibenden Lebensweg alles einfiel?
Mit einem lauten Quietschen öffnete sich die Tür zu meinem Gefängnis und riss mich aus meinen Todesahnungen. Oh, nein! Der größte Hurensohn von Essendia trat ein. Ihm verdankte ich meine momentane Misere. Helge Schappner. Gute zwei Köpfe überragte mich dieser Fiesling. Deshalb musste er sich auch in meinem Gefängnis bücken. Wie immer grinste er mich mit diesem widerlichen zahnlosen Mund an, trat auf mich zu, packte schmerzhaft meinen Arm.
»Wohlan, mein süßes Täubchen. Mich deucht, dass morgen deine Stund‘ geschlagen hat. Ei, schau nur diese Pracht da draußen!«
Es knackte verdächtig, als er meinen halb verhungerten Körper nach oben riss. Ich stöhnte leise auf, biss mir aber sofort auf die Lippen, um ihm die Freude meiner Pein nicht zu gönnen. Helge zerrte mich vor das kleine Fenster. Von dieser Position aus konnte man direkt auf den Platz vor dem Gefängnisturm sehen.
Der Anblick, der sich mir bot, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Um den Schandpfahl, der in der Mitte des Platzes stand, errichteten sie einen Scheiterhaufen. Die Arbeiter beendeten ihr Werk, blickten hämisch grinsend in unsere Richtung. Der Pfahl ragte mahnend wie ein Zeigefinger in die Höhe. Ich schloss die Augen, um die Erinnerungen, die ich damit verband, nicht an die Oberfläche zu lassen.
»Schau nur!«, fauchte Helge mich an.
Ich öffnete meine Lider erneut, blickte auf den menschenleeren Platz. Die Männer waren fort. Es dämmerte. Ich war mir nicht sicher, ob der Morgen hereinbrach oder der Abend den Tag ablöste. Der viele Schlaf raubte mein Zeitgefühl.
Helges fauliger Atem, der meinen Nacken streifte, zog mir widerlich in die Nase. Er riss mich aus meinen Überlegungen. Sie wollen mich verbrennen. Ich sollte so sterben wie meine geliebte Großmutter. Ihr Bild tauchte vor meinem inneren Auge auf: Ihre gütigen Augen, umrahmt von unzähligen Fältchen. Der gleiche Mund mit den geschwungenen Lippen, den ich auch den meinen nennen durfte. Ihre verblassten Sommersprossen. Das schlohweiße Haar, das wallend ihren Rücken hinabfiel. Viele Erinnerungen besaß ich leider nicht mehr an sie. Großmutter Katharina starb auf dem Scheiterhaufen, als ich drei oder vier Jahre alt war. Damals floh ich mit Mutter aus Dortmund, unserer alten Heimatstadt, an diesen Ort. An die Flucht erinnerte ich mich nur schemenhaft. Aber seitdem lebten wir hier, in Essendia. Unser kleines Häuschen stand in der Nähe eines der Dorftore am Waldrand.
Meine Großmutter und meine Mutter hatten viel von Pflanzenheilkunde verstanden, deshalb glich unser Garten einem duftenden, farbenfrohen Paradies. Mama hatte mir allerlei beigebracht. Aber wir waren doch keine Hexen.
»Am siebten Tag von heute an werde ich die holde Sabina Schuster freien. Sie erhörte mein Werben, und fehlt es ihr auch an deinem Liebreiz, so ist doch ihre Aussteuer erklecklich hoch. Sabina ist ein braves Weib und wird meiner schon gehorchen.«
In meinen Gedanken versunken hatte ich Helge vergessen. Natürlich stand er noch bei mir. Ich konnte seine diabolische Freude über meine jetzige Lage spüren. Ich wäre ihm keine brave, folgsame Ehefrau geworden. Männer interessierten mich nicht. Es gab keine in meinem Leben. Ich wusste nicht, wer mein Vater war, meine Mutter Axara hüllte sich über seinen Verbleib in Schweigen. Wir pflegten nur sporadisch Kontakt mit Männern. Es hatte mir nie gefehlt.
Die Erinnerungen an Mama lösten in meiner Brust ein starkes Brennen aus. Sie verschwand vor zwei Jahren von jetzt auf gleich spurlos. Ich suchte im ganzen Dorf nach Hinweisen, fand aber keine Spur von ihr. Seitdem lebte ich alleine in unserem Häuschen.
»Schau, Freyja Rose!« Seine schwielige Hand hielt nun mein Kinn mit festem Griff. Er zwang mich, in Richtung des Dorftores zu blicken.
Schwarze Rauchwolken stiegen vereinzelt in den Himmel. Nein! Es darf einfach nicht sein. Doch ich wusste, was es bedeutete, als die Rauchschwaden sich mehrten. Sie brannten mein Häuschen nieder. Mein Zuhause. Ich klammerte mich an die Kette aus Pferdehaar und Ton, die um meinen Hals baumelte. Es war das einzige Andenken, das ich von meiner Mutter besaß.
»Am morgigen Tage wirst du des Herren Sonne zum letzten Male aufgehen sehen. Die Flamme wird deinen sündigen Leib läutern, genau wie den von deiner Kate. Törichtes Weib, die Schuld daran trägst du allein.«
Meine Miene war starr, um nichts in der Welt würde ich ihm meine Emotionen preisgeben. Sollte der widerliche Kerl doch von mir denken, was er wollte. Das Schicksal schien es zu wünschen, dass ich an meinem achtzehnten Geburtstag meine geliebte Großmutter und vielleicht auch meine Mutter wiedersah.
Es tat weh, das immer dichter werdende Rauchmeer zu beobachten und mir vorzustellen, wie die Flammen alles, was mir wichtig war und was ich liebte, verzehrten.
»Deinen Gestank will ich nicht weiter ertragen. Sonst wäre ich einem Schäferstündchen nicht abgeneigt. Aber so entgeht dir die Freud‘ an meiner Manneskraft. Du erinnerst mich an ein Schwein, das sich wohl im Modder suhlte.«
Dem Himmel sei Dank, so bleibt mir diese Pein wenigstens erspart.
Helge schleuderte mich in meine Ecke zurück, spuckte vor mir auf den Boden und verließ wütend meine Zelle.
Sofort kauerte ich mich zusammen. Erst als ich mir sicher war, dass er den Gefängnisturm verlassen hatte, ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Ob mein Kater sich hatte retten können? Bestimmt war er rechtzeitig vor den Schergen geflüchtet. Er war doch so ein kluges Tier. Ich wollte es mir nicht ausmalen, wie er den Flammen zum Opfer fiel. Und was ist mit Blitz und Donner? Ihr Käfig hing in der Küche. Seit ich mich erinnern konnte, lebten sie bei uns. Über der Trauer des Verlustes meines Häuschens und meiner treuen Tiere fiel ich in einen tiefen Schlaf.
*
Ein lautes: »Hexe, Hexe!« hallte von unten zu meiner Zelle hinauf und weckte mich.
- Klack, klack - Steinchen flogen durch die Gitterstäbe in mein Gefängnis. Die Kinder des Ortes sangen: »Hexe, Hexe, du wirst brennen!«
Na, jedenfalls werde ich dann nicht mehr frieren, dachte ich voller Hohn und zog den Rock weiter über meine Füße, die von einer neugierigen Ratte beschnüffelt wurden.
Der Schlaf erlöste mich abermals von der Angst und der Trauer. Ich träumte etwas Wundervolles. Ich stand an meiner Kate. Alles war mir vertraut. Der süßliche Duft meiner vielen Rosen stieg in meine Nase. Rosen, diese Blumenart rankte in den unterschiedlichsten Farben um mein Häuschen. Es passte zu unserem Namen, Rose. Ich brach eine Blume ab, inhalierte mit geschlossenen Lidern ihren vertrauten Duft.
Ein Windhauch, der meine langen, rotblonden Haare tanzen ließ, weckte mich aus meiner Versunkenheit. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Irritiert blinzelte ich, aber die Person, die da zwei Schritte von mir entfernt stand, verschwand nicht. Meine geliebte Großmutter lächelte mir gütig entgegen. Sie sah genauso aus wie in meinen Erinnerungen.
»Großmutter Katharina. Bist du ...« Ich trat einen Schritt auf sie zu, doch Großmutter hob die Hand, um mich aufzuhalten. Sie nickte stattdessen. Stehe ich einem Geist gegenüber? Kann sie deshalb nicht sprechen?
Endlich öffnete sie den Mund. Die Erinnerung an ihre Stimme kehrte zurück. »Ja, holdes Kind. Freyja, ich würde dich gerne in meine Arme schließen, doch ist es mir nimmer vergönnt. Nur meine unsterbliche Seele darf zu dieser Zeit bei dir verweilen.«
»Warum?« Ich verstand es nicht. Sie stand doch vor mir. Weswegen sollte ich sie nicht umarmen können? Sie sagte, es wäre nur ihre Seele, aber sie sah so leibhaftig aus. Dennoch hörte ich auf die Worte meiner weisen Großmutter. Das milde Lächeln, welches mir so vertraut war, wich nicht aus ihrem Gesicht.
»Lasse dir sagen, dies ist eine magische Stund‘. In eben diesen Minuten vor 18 Sommern erblicktest du das Licht der Welt. Einzig für diese Stund‘ darf ich dem Reich der Verblichenen den Rücken kehren. Sei gewiss, mein Blick ruht immer auf dir. Nun darf ich zu dir sprechen, dir Kunde bringen über den Verbleib deiner Mutter.«
Ich hielt den Atem an. Ein Schauder vertrieb die Wärme, die mich eben noch liebkoste. »Mama. Wo verweilt sie? Was ist ihr widerfahren?«
Sie legte einen Finger auf ihre Lippen. »Lass mich berichten, Freyja, ehe die Zeit verronnen ist.«
Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich verstand. Großmutter fuhr fort: »Wir, die Weiber des Geschlechts Rose, entstammen einer uralten magischen Blutlinie. Wir haben nie wider die Regeln gelebt, haben unser Können nur rechtens benutzt. Zum Missfallen der dunklen Seite. Im Verbund waren wir zu stark, sodass sie uns nichts anhaben konnten. Als mein Körper hingerichtet wurde, floh deine Mutter mit dir, jedoch lehrte sie dich nicht die Magie. Alles nur zu deinem Schutz.«
Ich dachte über das Gehörte nach, spürte, wie sich das Zittern meines Leibes verstärkte. Ich schwieg weiter, in der Hoffnung, mehr über Mamas Verschwinden zu erfahren. Tief in mir hatte ich es schon immer gefühlt. Es war einfach da gewesen, und ich hatte es mir nie erklären können. Dieses mächtige Gefühl, dass ich eigentlich etwas konnte und es doch nicht durfte. Das war es also, meine magischen Fähigkeiten. Ich war tatsächlich eine Hexe!
»Der mächtige Zeratostus, ein Dämon, nahm deine Mutter hinfort in eine andere Welt. Sie hofft dort auf deine Hilfe, Freyja.«
»Aber wie kann das mir möglich sein?« Ich hielt es nicht mehr aus, brach mein Schweigen. Wie sollte ich diesen Dämon finden?
»Du findest den We ...« Während sie sprach, löste sich die Erscheinung meiner Großmutter in Luft auf, hinterließ nichts als wärmende Sonnenstrahlen.
Was wollte sie mir noch sagen? Doch ich kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, etwas kitzelte mich in meinem Gesicht. Ich schlug die Augen auf und starrte erschrocken in zwei stecknadelkopfgroße Äuglein. Eine meiner Zellengenossinnen wollte sich wohl erkundigen, ob ich mittlerweile als Futter dienen konnte. Doch sie erschrak genauso wie ich und suchte bei ihrem Gefährten Schutz. Was für ein merkwürdiger Traum, besann ich mich.
Die Sonne schickte ihre Strahlen bereits in meine dreckige Kammer, und an der Stelle, wo ein breiter Lichtschein den strohbedeckten Boden küsste, befanden sich zwei goldene Eier.
Ich konnte es nicht glauben, riss meine Augen auf. Rieb sie mir immer wieder. Die Eier blieben an ihrer Stelle, verschwanden nicht, also mussten sie Wirklichkeit sein. Auf allen Vieren krabbelte ich zu ihnen, nahm sie behutsam in die Hand. Sie waren kleiner als Hühnereier. Ich erinnerte mich unwillkürlich an den sehnlichsten Wunsch meiner Mutter, dass Blitz und Donner Eier legen sollten. Sie wären mit Gold nicht aufzuwiegen, versicherte sie mir oft. Doch der erhoffte Nachwuchs blieb aus. Jetzt lagen vor mir zwei Eier, die eine ähnliche Farbe wie das Gefieder meiner Vögel aufwiesen. Konnte das ein Zufall sein?