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K A P I T E L 10

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Die Kleine hatte ihn bis zur Weißglut gereizt. Niemand lachte ihn ungestraft aus. Er hatte gehofft, nach dem ätzenden Treffen mit diesem frühreifen Flittchen Jenny, mit Freyja gemütlich zusammenzusitzen und quatschen zu können. Und dann lachte diese dumme Kuh ihn einfach aus. Der Wolf in ihm hatte in diesem Augenblick endgültig die Oberhand gewonnen. Die Bestie wollte in diesem Moment nur eins, sie zerfleischen und fressen. Sie hatte sich schon bei der Verlockung im Hochhaus zurückgehalten. Es war nicht leicht für Michael gewesen, aber diese kleine Hexe hatte das Fass einfach zum Überlaufen gebracht.

Es war helllichter Tag, aber die Bestie konnte die Kraft des vollen Mondes sehr deutlich spüren. Jede Faser von ihm war erfüllt von Energie, und er brauchte ein Ventil, weil er glaubte, überzuschäumen. Sie riecht fantastisch. Sein Opfer hatte Angst, das stachelte seinen Jagdtrieb an. Er witterte ihr frisches Blut und leckte sich über die Schnauze. Irritiert stellte er fest, dass es keine Schnauze war. Es waren seine warmen, weichen Lippen. Er hatte das Gefühl, sich gewandelt zu haben, und doch war es seine menschliche Gestalt, die über dem verängstigten Mädchen hockte. Es fühlt sich gut an, so eine Macht über sie zu besitzen.

Er spürte ihren Körper unter sich an seinen gepresst. Sie war ihm hilflos ausgeliefert. Ihr Duft ist atemberaubend. Erneut inhalierte er ihn tief und hätte am liebsten ein lautes Heulen von sich gegeben. Freyja wirkte auf ihn wie eine Droge, und er wünschte sich in diesem Moment, mehr von ihr zu bekommen.

*

Er knurrte immer noch. Ich zitterte wie Espenlaub. Wahrscheinlich gefiel gerade das der Bestie in ihm. Er verharrte auf mir sitzend, schnupperte an mir. Ich wusste, dass ich keine Chance gegen ihn hatte, und erwartete mein Ende. Er ließ sich verdammt viel Zeit, und kostete meine Angst richtig aus.

»Warum hext du dich nicht einfach frei?«, erklang nach ein paar Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, zynisch seine grollende Stimme.

Kapitulierend gab ich zu: »Ich kann es nicht.«

Nun lachte er. Gepaart mit diesem Knurren klang es noch unheimlicher. »Eine Hexe, die nicht hexen kann.«

Damit waren wir anscheinend quitt, denn er amüsierte sich prächtig über diese Tatsache. Kichernd rutschte er von mir herunter, erhob sich, und half mir anschließend auf die Beine.

Ich starrte ihn ungläubig an. Wie kann ein Mensch von jetzt auf gleich so eine Wandlung durchleben? Er wirkt gar nicht mehr bedrohlich. Halt, verbesserte ich mich. Er ist kein Mensch, und damit hatte ich meine Antwort. Sein Blick hatte sich geändert. Ich konnte ihn nicht deuten. Aber er war nicht feindselig. Wir standen dicht beieinander. Sehr dicht sogar.

Ich wollte mehr über den Fluch, der ihn befallen hatte, erfahren. Denn das musste es sein. Ein Fluch, der ihn zu dieser Verwandlung zwang. Halb Mensch, halb Wolf. Ein Werwolf. Ich hatte davon gehört. Es waren armselige Geschöpfe, die ebenfalls von einem Werwolf gebissen worden waren. Nur Silberkugeln konnten sie töten. Bei Vollmond streiften sie umher, jagten und töteten alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Aber er hatte mich gestern Nacht nicht getötet. Er hätte es gekonnt. Ich war ihm körperlich unterlegen und hatte auch kein Silber bei mir. Dieses Wissen vertrieb die Angst, und Neugierde breitete sich in mir aus.

Abermals schnupperte er an mir. Es kitzelte an meiner Wange. Langsam verstand ich, warum er das machte. Seinem Blick standhaltend, hielt ich still. Michel legte seinen Kopf schief. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht wusste, was er von mir halten sollte.

»Ich bin nie in Magie unterrichtet worden«, begann ich meine Erklärung.

Michel zog die Nase kraus, kratzte sich an seinem Kopf. Langsam wurde mir diese Gestik vertraut. »Du riechst gut«, antwortete er mir, als hätte ich ihm eine Frage gestellt.

Ich verstand, dass wir beide ganz andere Sprachen benutzten. Und hier ging es nicht um die Muttersprache. Nein, hier ging es um unsere Gestik, Mimik und was wohl am Allerwichtigsten war, das nicht gesagte Wort. Ein sehr schwieriger Fall, der bestimmt noch öfter zu Missverständnissen führte. Hoffentlich frisst er mich dann nicht wirklich. Ich lächelte scheu, richtete den Blick gen Boden. Er sollte wenigstens glauben, dass ich mich unterordnete. Das hatte ich bei Hunden auch immer so gemacht, wenn sie mich bedrohten.

Um meine Gestik noch zu unterstreichen, spielte ich scheinbar hilflos mit einer meiner langen Haarsträhnen.

Michel entspannte sich langsam. »Ich denke, wir müssen beide noch jede Menge voneinander lernen.«

Ich nickte zustimmend. »Ja, das denke ich auch.«

»Hast du noch Hunger?«

Ich schüttelte meinen Kopf. Der Appetit war mir vor lauter Aufregung vergangen. Blitz und Donner hatten sich wieder beruhigt, schnäbelnd saßen sie auf einem Bücherregal.

Nachdem Michel sich ein Bier und mir ein Wasser, in welchem kleine Luftbläschen tanzten, geholt hatte, machten wir es uns wieder auf seinem Bett bequem. Wir tranken schweigend, beobachteten uns eine ganze Weile, dann unterbrach Michel die Stille: »Ich bin ein Werwolf.«

Also doch! Mit so einer direkten Antwort auf meine unausgesprochene Frage hatte ich nicht gerechnet. Ich erinnerte mich an die Geschichten, die ich über Werwölfe gehört hatte. »Wann bist du von einem gebissen worden?«

Michel lachte auf, zeigte mir dabei seine ebenmäßigen, weißen Zähne. »Ich bin nie gebissen worden. Ich wurde so geboren. Gabriel, mit dem ich mir diese Bude teile, ist mein Drillingsbruder. Er ist zu einem Clantreffen einer anderen Familie. Er soll dort seine zukünftige Braut kennenlernen.«

Ich versuchte, die eben gehörten Informationen zu verstehen. »Zukünftig? Dann wurden sie sich also versprochen?«

Michel nickte. »Ja, Gabriel und Shanti sind einander versprochen. Es hätte auch mich treffen können. Gabriel, Min und ich sind Drillinge. Wir sind aus einem Wurf.«

Ich versuchte, mir Gabriel und Min vorzustellen. Drei Männer, die gleich aussahen und sich bei Vollmond in blutrünstige Bestien verwandelten. Die aber auch alles füreinander taten. Ich hatte mir immer Geschwister gewünscht. »Es muss toll sein, eine so große Familie zu haben.«

Michel grinste und verwuschelte wieder sein Haar. »Meistens ist es toll. Aber dann gibt es eben auch so dämliche Traditionen wie das Verheiraten. Das Leben wird für Werwölfe immer schwieriger. Und es macht die Sache nicht leichter, wenn die einzelnen Clans sich auch noch Revierkämpfe liefern. Leider gibt es aber auch davon genug. Sie streben die Weltherrschaft an.« Michel tippte sich gegen die Stirn. »Jedenfalls hat einer dieser Clans uns den Krieg erklärt, weil sich mein Vater nicht unterordnen will. Deshalb hat er Shantis Vater um Hilfe gebeten und die Fusion angestrebt. Yasemin wollte er auch mit einem Typen eines anderen Clans verheiraten. Aber meine Schwester wollte es absolut nicht. Sie ist weggelaufen.«

»Min ist eine Frau?«

»Ja, eigentlich heißt sie Yasemin. Aber wir haben sie immer nur Min genannt. Wahrscheinlich weil wir den Namen als Kinder nicht aussprechen konnten. Ich würde alles machen, damit sie zu uns zurückkommt. Erst war unser Vater sehr erbost und tobte. Mittlerweile will auch er Yasemin einfach nur noch zurück.«

Sein trauriger Blick verriet mir, wie er seine Schwester vermisste. Gerne hätte ich ihn in den Arm genommen, ihn getröstet. Aber ich traute mich nicht, nippte von meinem Wasser und genoss das Kribbeln auf der Zunge.

»Es gibt noch jede Menge junger Weibchen in anderen Clans. Hoffentlich geht der Kelch an mir vorüber. Ich weiß nicht, ob ich im Notfall auch abhaue oder mich meiner Familie beugen werde. Es ist eine schwere Entscheidung.«

Er wollte sich also nicht verheiraten lassen. Seine Einstellung gefiel mir. »Wie alt bist du?«

»Fünfundzwanzig. Also im richtigen Alter, um eine eigene Familie zu gründen. Wie alt bist du eigentlich?«

»Ich wurde vor ein paar Tagen 18.« Ich erinnerte mich an diesen Tag in der stinkenden Gefängniskammer. Ich hatte meine Verurteilung tatsächlich überlebt. Es ist ein Wunder!

»Na, dann. Happy Birthday nachträglich zur Volljährigkeit.« Er prostete mir zu, und ich erwiderte diese Geste.

Was bedeutet das Wort? »Das klingt so, als ob es ein besonderes Ereignis wäre, diese Volljährigkeit.«

Michel grinste und fuhr sich wieder durch sein dichtes Haar. »Sicher ist die Volljährigkeit etwas Besonderes. Du darfst dann viel mehr, ohne deine Eltern fragen zu müssen. Du musst dann aber auch mehr Verantwortung übernehmen.«

»Noch mehr?«, fragte ich erschrocken. Aber diese Zeit scheint merkwürdige Regeln in der Gesellschaft zu brauchen. Ich wollte nicht über mich reden. Vielmehr wollte ich, dass er von sich erzählte. »Dein Bruder Gabriel hat Shanti noch nie vorher gesehen?«

»Nein. Er tut mir leid. Aber sie soll sehr hübsch sein. Sie hat sogar weißes Fell, das ist etwas sehr seltenes, und viele Männer sind scharf drauf, so ein Weibchen zu bekommen. Trotzdem, mir würde es ganz und gar nicht schmecken, eine Frau, die ich nicht gewählt habe, heiraten zu müssen. Aussehen ist ja nicht alles. Der Charakter muss auch stimmen. Wölfe bleiben meistens mit einem Gefährten ihr ganzes Leben zusammen.«

Vielleicht hat er ja schon jemanden, schoss mir die Idee in den Kopf. Vielleicht wehrt er sich deshalb so vehement gegen eine Verheiratung. Ich beschloss, der Sache nachzugehen. »Hast du denn eine Gefährtin?«

Michel drehte die Flasche gedankenverloren in seinen Händen. Mir war die leichte Rötung seiner Wangen nicht entgangen. »Nein. Ich dachte, ich hätte sie gefunden. Aber wir waren doch zu unterschiedlich. Sie klammerte zu sehr, wollte ihre Zeit nur noch mit mir verbringen. Ich glaubte zu ersticken und zog mich zurück. Na, ja. Sie kann sehr jähzornig sein. Immer öfter rastete sie aus, und eines Tages verletzte sie mich sogar.« Er blickte auf seinen muskulösen Unterarm. Ich sah zwei schwache rote Punkte. Nichts großes, einfach nur zwei kleine Male. »Ich beendete darauf hin die Sache ganz schnell. Mittlerweile hat sie sich wieder beruhigt, und wir sind nur gute Freunde.«

Ich dachte über seine Worte nach. Wie meint er das denn?

»Und du?« Seine Frage traf mich unerwartet. Ich hatte noch nach Antworten gesucht.

»Und ich?«

»Ja, hast du keinen Typen?«

Ich schüttelte den Kopf, strich mir verlegen durch das störrische Haar. »Nein.«

»Aber warum hat so ein hübsches Mädchen wie du keinen Mann?«

Er bezeichnet mich als hübsch? Ich spürte, wie das Blut in meine Wangen schoss. Das sind aber andere Worte als die, die er zu seinem Bruder gesagt hatte. »Ich? Ich bin doch ein Zausel«, wiederholte ich seine eigenen Worte. »Ich habe mich noch nie für Männer interessiert«, gab ich wahrheitsgemäß zu.

Michel verschluckte sich an seinem Bier, musterte mich dann von Kopf bis Fuß. »Echt? Bist du lesbisch?«

»Was soll ich sein?«

»Na, ob du auf Frauen stehst?«

»Stehen?« Er verwirrte mich schon wieder. Am liebsten wäre ich fortgelaufen.

Michel seufzte. »Ich meine, ob du dich körperlich zu Frauen hingezogen fühlst?«

Von was spricht er denn da? Ich musste mich verhört haben. Aber es gab ja so viele Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. »Ist so etwas denn möglich?«

»Also nein!« Er wirkte erleichtert, oder bildete ich mir das nur ein?

Eine Antwort auf meine Frage erhielt ich dennoch nicht. Ich verstand ihn wieder einmal nicht.

»Hast du denn mal jemanden geküsst?«

»Ja, meine Oma und meine Mutter. Aber ich glaube, das meinst du jetzt nicht, oder?«

Seine Augen leuchteten. »So kommen wir der Sache schon näher. Hast du keinen Vater? Du hast ihn nie erwähnt.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn nie kennengelernt. Meine Mutter hat kein Wort über ihn verloren. Er gehörte einfach nicht dazu, deshalb habe ich auch nie nach ihm gefragt.«

»Hast du auch Geschwister?«

Wieder schüttelte ich den Kopf. »Nein, leider nicht. Ich hatte nur eine Großmutter, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, als ich ungefähr vier Jahre alt war.«

»Das tut mir leid.« Seine Stimme klang aufrichtig.

»Mir auch!« Ich dachte an Oma Katharina und spürte einen Kloß in meinem Hals.

Michel hatte sich erhoben, sich zu mir gebeugt und meine störrische Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen. Sein Gesicht war dicht vor meinem, sodass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. »Ich glaube, dass dir das wirklich alles passiert ist. Deine Oma ist dir wirklich im Traum erschienen, um dich aufzufordern, deine Mutter zu suchen. Und du bist sicherlich nicht durch Zufall in dieser Zeit gelandet. Sie wird hier irgendwo sein. Wir finden deine Mutter, und wir werden sie auch befreien. Wo willst du anfangen, nach ihr zu suchen?«

Seine Frage überraschte mich, war ich doch beinahe in den dunklen Seelenspiegeln, die nun so viel Wärme ausstrahlten, versunken. »Ich habe keine Idee«, erklärte ich wahrheitsgemäß. »Ich hege aber die große Hoffnung, dass Blitz und Donner mir dienlich sein können.«

»Ach, die beiden Vögel.« Er blickte zu den immer noch schnäbelnden Paar.

Der schmunzelnde Ausdruck stand ihm richtig gut. Als wären sie gestört worden, beendeten sie ihre Liebelei, blickten zu uns herab und flogen ohne ein Wort aus dem Fenster.

»Wo wollen sie denn hin?«

»Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe doch, dass sie meine Mutter suchen.«

»Freyja!«, wechselte er mit einem Mal das Thema. »... dass ich im Moment so gereizt bin, hängt mit dem Vollmond zusammen. Da reicht manchmal ein dummes Wort oder ein Blick, den ich falsch deute, und ich raste aus.«

Ich hatte Probleme, ihm zu folgen. Wie kommt er von Vögeln auf Vollmond? Meine Finger spielten, wie ich es oft tat, mit meiner Kette.

»Ich werde dir nichts tun.«

Ich schwieg, weil mir nichts einfiel, was ich dazu sagen könnte. Wahrscheinlich muss ich mich an seine Gedankensprünge erst noch gewöhnen. Ob es wirklich der Wahrheit entsprach? Konnte er seinen mordlüsternen Trieb überhaupt steuern? Warum töten Werwölfe dann so viele Menschen und Tiere? Ich nahm ihm seine Worte nicht ganz ab, nickte ihm aber beschwichtigend zu. »Ich weiß, Michel. Ich will dich gar nicht reizen. Aber ich verstehe so vieles nicht.«

Er lächelte nun wieder, sichtlich erleichtert über meine Reaktion. »Ich heiße Mich.... Ach, es ist auch egal. Ich bringe dir gerne alles bei, was du wissen musst.«

Das glaubte ich ihm zur Abwechslung. Ich war froh darüber, dass er mir helfen wollte. Außerdem hörte ich ihm gerne zu, wenn er so ruhig mit mir sprach. Seine Stimme klang wie Samt, und ich hätte ihr ewig lauschen können.

Die Gilde der Rose

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