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9. KAPITEL

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„Was für eine Alternative haben wir?“

Norwegen

„Hoffentlich ist Jo gegen Sturmschäden versichert“, sagte Susanne.

„Ja. Hoffentlich.“ Edda ging zum Kühlschrank und holte eine Flasche heraus. „Möchtest du auch?“

„Wodka?“

„Flüssiger Müdemacher.“

„Gib her.“

Edda kam mit der Flasche und zwei Gläsern an den Tisch und setzte sich. Das Licht der Lampe an der Decke warf ihren unsteten, mattgelben Schatten an die Wand. Sie schenkte etwas von dem Alkohol in die beiden Gläser und schob eins zu Susanne hinüber. „Auf Jo.“

„Auf Jo.“ Susanne hob ihr Glas an, trank aber nicht. „Das war vorhin ganz schön unheimlich. Das alles ist ganz schön unheimlich. Zuerst Claas Mok und seine Geschichte um Sofie Dale, die Kraniche und den Zaren. Dann Jos heimliche Recherchen und sein Herzinfarkt. Dann dieser Sturm und das Fenster, das zerbricht …“

„Das war nur das Wetter“, entgegnete Edda. „Mehr nicht.“

„Klar. Was auch sonst?“ Susanne hob das Glas an und nippte. Ein Schwall sengender Hitze erfüllte ihre Nase und ein regelrechter Flammenstrom floss durch ihre Kehle. Sie stellte das Glas wieder ab. „Da sitzen wir, mitten in der Nacht, und machen uns vor Angst in die Höschen.“

„Du machst dir vielleicht ins Höschen“, bemerkte Edda trocken. „Ich nicht.“

„Ja, du bist eine Heldin vor dem Herrn, Edda Holmen.“

„Ich weiß.“

Sie schwiegen ein paar Sekunden.

„Kann ich dich was fragen?“, sagte Susanne dann.

Edda hob den Kopf. „Klar.“

„Hast du überhaupt keine Angst?“

„Doch. Ich habe sogar vor sehr vielem Angst. Aber am allermeisten Angst habe ich um Jo.“ Edda zog etwas aus ihrer Hosentasche. „Hier“, sagte sie. „Das trage ich immer bei mir.“ Es war ein Herz aus Stoff. In die Mitte waren die Initialen E. H. eingestickt. „Das hat Jo für mich gemacht, als ich noch ganz klein war.“

„Wirklich?“ Susanne betrachtete das Herz genauer.

„Er ist ziemlich ungeschickt, was das Nähen betrifft, wie du dir denken kannst.“ Edda grinste. „Aber er war furchtbar stolz, als er es zu Ende gefertigt hatte.“

Die Initialen waren tatsächlich nicht besonders geschickt genäht, trotzdem besaß das Herz Charme, vermutlich, weil es eine so besondere Bedeutung hatte.

„So jemanden hatte ich nie“, sagte Susanne. „Meine Eltern hätten so etwas nie für mich gemacht.“

„Meine auch nicht“, gab Edda zurück. „Und ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Aber ich bin mir sicher, wenn es Jo wieder besser geht, bekommst du auch so eins von ihm.“

Susanne schob das Herz wieder zu Edda hinüber. „Ich bin nicht seine Lieblingsnichte.“

„Aber du bist eine gute Freundin.“ Edda griff nach ihrem Arm. „Du bist ein großartiger Mensch, genauso wie du bist. Völlig egal, was dein dämlicher Vater sagt.“

Wieder schwiegen sie und es schien eine kleine Ewigkeit zu vergehen.

„Worüber denkst du nach?“, fragte Edda dann.

Susanne neigte grübelnd den Kopf. „Ich versuche herauszufinden, wie mein Leben so werden konnte. Wie ich von der harmlosen Punkerin bis zu dem Punkt kam, an dem ich jetzt bin. Was ist da schiefgelaufen?“

„Das hast du dir nicht ausgesucht, Susanne. Für deine Eltern kannst du nichts, die kann man sich halt mal nicht aussuchen. Und dann bist du in eine Geschichte geraten, die sich niemand in seiner blühendsten Fantasie so hätte ausmalen können. Aber hey, du schlägst dich wirklich tapfer, ehrenwert, wie eine wahre Kämpferin.“

Susanne seufzte leise. „Ich fühle mich aber grässlich. Ich habe dich und Jo in diese Geschichte hineingezogen, das hätte ich niemals tun dürfen. Wenn ich nicht gewesen wäre … Es tut mir wirklich leid.“

„Solche Gedanken sind Zeitverschwendung. Du hast Hilfe gebraucht und wir haben sie dir gerne gegeben. Davon abgesehen, hast du uns in nichts hineingezogen. Wir haben uns freiwillig bereit erklärt, dir zu helfen, als du Hilfe brauchtest.“

„Ich habe trotzdem Schuldgefühle.“ Susanne trank noch einen Schluck Wodka und verzog das Gesicht. „Weil die Wahrheit ist, Edda: Völlig egal, für wie schlau wir uns auch halten, egal, wie weit wir vorausplanen, wir halten die Fäden nicht in der Hand. Das machen die Kraniche. Das macht der Zaren. Er entscheidet über unser Schicksal. Weil er immer einen Schritt schneller ist.“

Nach kurzem Nachdenken sagte Edda: „Du hast da noch jemanden vergessen.“

„Wirklich? Wen?“

„Ihn.“ Edda deutete in Richtung Decke. „Meine Mutter ist der Meinung, dass man immer in die Richtung geht, in die Gott einen führt.“

„Ja? Und welche Richtung ist das jetzt gerade?“

„Das weiß ich leider auch nicht. Aber was für eine Alternative haben wir? Wollen wir es lassen und uns still verhalten? Nicht nachfragen und nicht nachbohren? Die Kraniche Kraniche sein lassen und den Zaren Zaren?“

Susanne brauchte darauf nicht zu antworten, denn die Antwort war klar: Das war keine Alternative.

Kranichtod - Ein Fall für Julia Wagner: Band 5

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