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3. KAPITEL

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Keine gewöhnliche Leiche

Hannover

19:25 Uhr

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich Frieda Behnkes Augen an die Düsternis gewöhnt hatten. Sie hatte nur eine leichte Strickjacke übergezogen, was sie jetzt bereute. Frierend und bibbernd eilte sie auf das Nachbarhaus zu. Den selbst gebackenen Christstollen hielt sie fest in den Händen.

Beim Nachbarhaus angekommen, drückte sie auf den Klingelknopf und wartete.

Niemand öffnete.

Frieda klingelte erneut, und wieder tat sich nichts im Inneren des Hauses. Da aber das Licht im Wohnzimmer brannte, musste jemand da sein.

„Hallo?“, rief Frieda, laut genug, um im Inneren gehört zu werden.

Als sie daraufhin wieder keine Antwort bekam, überlegte sie kurz, dann ließ sie von der Haustür ab und ging zum Wohnzimmerfester. Auf einer vereisten Stelle rutschte sie aus und knickte sich den Knöchel um. Der Schmerz fuhr ihr bis in die Hüfte. Sie drohte zu fallen, konnte sich aber mit einer Hand am Fensterbrett festhalten.

Noch einmal sagte sie laut: „Hallo? Frau Strickner? Ich bin es, Frieda Behnke. Ihre Nachbarin.“

Wieder keine Antwort.

Frieda hob den Kopf und blickte durch die Scheibe ins Wohnzimmer. Zuerst sah sie nur eine Hand. Bleich und krallenartig. Dann sah sie den Rest und stieß einen Schrei aus. Sie wich zurück und drohte erneut zu fallen. Sie suchte nach ihrem Gleichgewicht, fand es, rannte zurück zu ihrem eigenen Haus und rief dort so schnell sie konnte die Polizei.

Eine halbe Stunde später stand Hauptkommissar Michael Tech ganz still da, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben, während um ihn herum das Klicken von Kameras zu hören war, das Klingeln eines Handys und gedämpfte Gespräche. Dazu Männer in weißen Overalls, die sich systematisch durchs ganze Haus arbeiteten. Irgendwo fluchte jemand leise.

Tech hatte Halsschmerzen und seine Augen tränten unablässig. Er sollte eigentlich zu Hause im Bett liegen. Schon seit Tagen quälte er sich mit einer Grippe herum, die er nicht auskurieren konnte, weil immer irgendetwas dazwischenkam. Weil die Arbeit nicht abreißen wollte, nicht einmal an Weihnachten.

Und jetzt das.

Er betrachtete die Leiche, die noch nicht von der Stelle bewegt worden war. Sie würde noch eine ganze Weile so liegen bleiben, bis sie von allen Seiten fotografiert worden war und bis der Arzt sie untersucht hatte.

Tech wandte den Blick ab und betrachtete das Bücherregal, das gesprenkelt war mit einer dunklen Substanz. Es sah aus wie Kaffee. Dafür sprachen auch die Überreste von etwas, das aussah wie eine zerschmetterte Kaffeetasse. Die Scherben lagen überall auf dem Boden herum.

„Guten Abend“, sagte Doktor Eduard Gläser, der gerade das Wohnzimmer betreten hatte. „Tut mir leid, aber es war mir bei dem schlechten Wetter leider nicht möglich, schneller hier zu sein, Herr Kommissar. Entschuldigen Sie. Herr Hauptkommissar muss ich ja nun sagen.“

Tech zog es vor, nicht darauf zu antworten. Er ahnte, dass dies ein schicksalhafter Moment war. Dass hiermit seine Stunde gekommen war, doch er wollte nicht darüber nachdenken, noch nicht, denn er wusste, wenn er es tat, dann würde die Last auf seinen Schultern unerträglich werden.

Gläser ging auf die Leiche zu und blieb neben ihr stehen. „Ich kann es immer noch nicht glauben.“

„Ich auch nicht“, sagte Tech.

„Wer sollte denn so etwas tun? Wer sollte ausgerechnet sie umbringen?“

„Wir werden es herausfinden.“

Der Arzt kniete neben der Leiche nieder und kratzte sich am Kopf. Er war aufgewühlter, als er zugeben wollte. Seine Wangen zeigten eine intensive Röte. „Verdammt schade.“

Das war es wirklich. Denn die Tote auf dem Boden war nicht irgendeine Frau. Hier war keine gewöhnliche Bürgerin umgebracht worden. Hierbei handelte es sich um Frau Doktor Hannelore Strickner. Sie lag auf dem Rücken, ihre Augen starrten an die Decke, ihr blondiertes Haar lag um ihren Kopf herum gefächert und der Boden um diesen Kopf herum war voller Blut.

Gläser riss sich zusammen und begann mit seiner Arbeit. „Erschossen“, sagte er. „Eine Kugel in den Hinterkopf. Blitzsauberer Schuss. Hat keine zwei Sekunden in Anspruch genommen. Das lässt mich nicht an einen Kontrollverlust aus unerwiderter Liebe denken. Sieht eher nach einer kaltblütigen Exekution aus.“

„Also ein Profi“, sagte Tech.

„Würde ich denken, ja. Ein Jäger könnte das hier aber durchaus auch bewerkstelligen.“ Gläser widmete sich wieder der Leiche. „Die Kugel sitzt noch im Schädel. Ich kann kein Austrittsloch entdecken.“

„Aus welcher Entfernung wurde geschossen, was meinen Sie?

„Nach den Rückständen an der Einschussstelle zu schließen: einen Meter, höchstens.“

„Und wann?“

„Das dürfte noch nicht so lange her sein. Etwa drei bis vier Stunden.“

„Also zwischen 17: 00 Uhr und 18:00Uhr.“

„Ja.“

Tech nickte, sah sich noch einmal im Raum um und hegte nicht den leisesten Zweifel daran, dass ihn das hier für die nächste Zeit rund um die Uhr auf Trab halten würde. Er durfte nicht vergessen, morgen früh seine Mutter anzurufen, um ihr mitzuteilen, dass er zum Weihnachtsfest vermutlich nicht kommen würde. Das würde wieder Diskussionen geben …

„Der Blutmenge um den Kopf herum nach zu urteilen, scheint sie genau an dieser Stelle hier umgebracht worden zu sein“, durchbrach Gläsers Stimme seine Gedanken.

Tech konzentrierte sich wieder auf ihn. „Vermutlich stand sie hier und hielt eine Tasse Kaffee in den Händen, als sie erschossen wurde.“ Ein Foto, das auf einem Regal stand, stach ihm ins Auge. Es zeigte Frau Doktor Strickner mit einem Mann, der ein etwas vorstehendes Auge und dünnes dunkelblondes Haar hatte. Die beiden hatten die Arme umeinander gelegt. „Wer ist das?“, fragte er.

Gläser hob den Kopf und folgte seinem Blick mit den Augen. „Das dürfte ihr verstorbener Mann sein.“

„Ich wusste gar nicht, dass sie Witwe war.“

„Das wussten nur wenige. Sie hat nicht viel über sich selbst gesprochen.“

Das hatte sie wirklich nicht.

„Was wissen Sie sonst noch über sie?“, fragte Tech.

„Das, was die meisten wissen.“ Gläser war schon wieder mit der Leiche beschäftigt. „So gut wie nichts. Sie war eine gute Rechtsmedizinerin, eine verdammt gute sogar. Eine Ärztin, wie sie im Buche steht. Damit hört mein Wissen über sie aber auch schon auf. Wir waren Kollegen, keine guten Freunde. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Frau Doktor Strickner überhaupt Freunde hatte.“

„Ich mir auch nicht“, murmelte Tech.

Wiederholt blitzte das Blitzlicht des Polizeifotografen auf.

Ein paar Minuten später richtete Gläser sich auf. „Ich bin hier fertig. Was ich jetzt schon sagen konnte, habe ich Ihnen gesagt. Für alles Weitere müssen wir die Obduktion abwarten.“

„Wir brauchen das Ergebnis schnell, Herr Doktor“, sagte Tech. „Wirklich schnell.“

„Ich verspreche Ihnen, ich mache so schnell ich kann.“

„Und wie schnell ist das genau?“

Gläser holte tief Luft. „Bis morgen früh um 11:00 Uhr dürfte ich es geschafft haben.“

Tech nickte zufrieden. „In Ordnung. Ich komme zu Ihnen.“

„Das ist nicht nötig. Sie müssen sich den Weg nicht machen. Sie können anrufen oder ich rufe bei Ihnen an.“

„Danke, aber ich möchte kommen.“

„Wie Sie wollen.“ Gläser packte seine Tasche zusammen und ging zur Tür. Dort blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. „Sie war eine großartige Ärztin. Wirklich großartig. Diesen Tod hat sie nicht verdient.“

„Nein“, sagte Tech. „Das hat sie nicht. Niemand hat das.“

Kaum war der Arzt gegangen, eilten zwei Männer herbei, die eine Bahre mit sich trugen. Auf ein Zeichen von Tech hin, hoben sie den toten Körper hoch, legten ihn darauf, deckten ihn mit einem Tuch zu und gingen mit ihm davon.

Die Polizisten an der Tür beobachteten mit Erleichterung, wie die grausige Last davongetragen wurde.

Tech holte sein Handy aus der Jackentasche, schaltete das Diktiergerät ein und begann nach einem Blick auf die Uhr ins Mikrofon: „Es ist 20:48 Uhr. Der 23. Dezember. Ich stehe im Haus von Frau Doktor Hannelore Strickner. Sie wurde erschossen, lag auf dem Boden auf dem Rücken.“ Er ließ das Mikrofon sinken und drehte sich zu einem Mann von der Spurensicherung um, der gerade an ihm vorbeiging und angespannt auf einem Kaugummi kaute. „Gibt es Einbruchsspuren?“, wollte er wissen.

„Nein, überhaupt keine“, antwortete der Kollege. „Die Tür ist heil, die Gläser aller Fenster ebenfalls. Auch an den Rahmen sind keine Spuren zu finden. So wie es aussieht, hat sie ihren Mörder freiwillig ins Haus gelassen.“

„Raubüberfall?“

Der Kaugummi wanderte von der linken auf die rechte Seite. „Hm, nein, sieht nicht so aus, als wurde etwas gestohlen.“

„Wurde das Tatwerkzeug, die Pistole, schon gefunden?“

„Nein. Noch nicht. Vermutlich hat der Mörder sie mitgebracht und wieder mitgenommen.“

Ein blonder Kollege von der Streife kam von draußen herein, ging auf Tech zu und sagte: „Wir haben den Vorgarten durchsucht, aber wie soll man bei dem vielen Schnee etwas finden? Die anderen sind gerade an der Auffahrt beschäftigt.“

„Danke“, sagte Tech. „Suchen Sie bitte weiter.“

Der Streifenbeamte nickte und verschwand wieder.

Tech sprach erneut in sein Diktiergerät: „Das Opfer wurde mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet, das Tatwerkzeug befindet sich offenbar nicht am Tatort.“ Er drehte sich einmal um die eigene Achse. „Der Raum ist sauber, keine Spuren eines Kampfes. Lediglich am Bücherregal sind dunkle Spritzer zu sehen, die wahrscheinlich von Kaffee stammen. Scherben einer kaputten Kaffeetasse liegen auf dem Boden. Vermutlich wurde das Opfer von hinten überrascht. Nirgendwo am Haus sind Spuren eines Einbruchs zu finden. Die Fenster sind unversehrt, ebenso die Eingangstür. Der Mörder scheint freiwillig hereingelassen worden zu sein.“ Er ließ das Diktiergerät wieder sinken und fragte laut in den Raum: „Wer hat sie gefunden?“

„Eine Nachbarin“, antwortete jemand. „Sie wollte einen Christstollen vorbeibringen. Als ihr niemand öffnete, obwohl Licht brannte, hatte sie ein komisches Gefühl und einen Blick durchs Wohnzimmerfenster geworfen. Sie hat gleich die Polizei gerufen.“

„Hat sie jemanden gesehen?“

„Nein.“

Tech seufzte leise. Das wäre auch zu einfach gewesen. „Wo ist die Frau jetzt?“, fragte er weiter.

„Wieder in ihrem Haus. Es wäre zu kalt gewesen, sie die ganze Zeit in einem der Polizeiwagen warten zu lassen.“

„In Ordnung.“ Tech bekam einen Hustenanfall und schob sich ein Mentholbonbon in den Mund. Dann machte er sich auf den Weg zur Nachbarin.

Mit dem sicheren Gefühl, in einen Albtraum geraten zu sein, stand Frieda Behnke an ihrem Küchenfenster und betrachtete das rot-weiße Absperrband, das die Polizei rund um das Nachbarhaus gespannt hatte. Sie konnte immer noch nicht glauben, was sie gesehen hatte, und ganz bestimmt würde sie es auch nie wieder vergessen. Ganz bestimmt würde sie … Frieda verharrte, richtete sich etwas auf, griff nach ihrer Brille und hielt die Gläser vor die Augen. Auf der anderen Straßenseite, hinter einem der Bäume, stand jemand. Vom Gesicht war nichts zu erkennen, aber die Gestalt trug eine auffällig hellgelbe Jacke.

Frieda spürte, wie ihr das Blut aus dem Kopf in die Füße schoss.

War das etwa der Mörder?

Im nächsten Moment drehte die Gestalt sich um und verschwand in der Dunkelheit. In derselben Sekunde, in der es an der Tür klingelte.

Die Polizei! Das war bestimmt die Polizei!

Frieda eilte durch den Flur, öffnete die Tür jedoch nur einen Spalt. „Michael Tech“, sagte der Mann, der davorstand. „Kriminalpolizei.“

„Ich glaube, ich habe ihn gerade gesehen“, sagte Frieda atemlos.

„Wen?“

„Den Mörder. Er stand auf der anderen Straßenseite und ich glaube, er hat Frau Strickners Haus beobachtet. Dann hat er sich umgedreht und ist weggelaufen.“

Tech zögerte keinen Moment. „Wohin ist er gelaufen?“

Frieda streckte den Arm in die Richtung, in die er verschwunden war, aus. „Er trägt eine helle gelbe Jacke.“

Sofort setzte Tech sich in Bewegung und rannte los. Um ein Haar wäre er ausgerutscht, fand aber noch rechtzeitig das Gleichgewicht wieder.

Na warte, dachte er, dich krieg ich.

Und er gab sich wirklich Mühe. Er rannte so schnell er konnte, aber er war leider kein Läufer. Er war noch nie in seinem ganzen Leben joggen gewesen. Das rächte sich jetzt. Dazu kam seine Erkältung. Er spürte förmlich, wie seine Lungen bereits nach wenigen Metern bebten und brannten. Er wollte nicht aufgeben, aber nach etwa dreihundert Metern tat er es doch. Er brach den Lauf ab und stützte keuchend die Hände auf die Knie.

Wer immer es gewesen war, die Person war verschwunden. Keine Chance mehr, sie einzuholen.

„Es war ein Mann“, sagte Frieda Behnke zehn Minuten später überzeugt.

„Sind Sie sicher?“ Völlig erschöpft saß Tech in ihrem Wohnzimmer. In seiner Jackentasche suchte er nach einem Taschentuch und putzte sich die Nase. Dann schob er sich ein weiteres Mentholbonbon in den Mund.

„Nein. Nicht hundertprozentig. Aber seine Bewegungen und seine Größe … Es muss ein Mann gewesen sein.“

Aber war eine helle gelbe Jacke nicht viel zu auffällig für einen Mörder? Tech steckte das Taschentuch wieder weg. „Bitte beschreiben Sie mir, was sich heute Abend abgespielt hat.“

Wie auf Kommando begannen Tränen über Friedas Wangen zu rollen. „Es war fürchterlich. Ich kann es immer noch nicht glauben.“

Tech reichte ihr ein frisches Taschentuch.

Sie griff danach und tupfte die Tränen weg. „Ich bin jetzt über sechzig Jahre alt und das ist das Schlimmste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Furchtbar. Einfach nur furchtbar. Einen Menschen so … aufzufinden.“

Ein paar Sekunden vergingen.

Zwar wollte Tech so schnell wie möglich alle Informationen, aber er wollte sie nicht um jeden Preis. Schließlich sagte er: „Sagen Sie bitte, was geschehen ist.“

„Also, das war so“, setzte Frieda an, „ich bin zu Frau Strickners Haus gegangen, weil ich ihr einen selbst gebackenen Christstollen bringen wollte. Das mache ich jedes Jahr. Das Licht im Haus brannte, ich habe geklingelt, aber sie hat nicht aufgemacht, und da dachte ich: Da stimmt was nicht. Deshalb habe ich durchs Wohnzimmerfenster geschaut und habe gesehen … Ich bin sofort wieder hierher gelaufen und habe die Polizei gerufen. Da war es genau 19:56 Uhr.“

„Wie kommt es, dass Sie sich bei der Uhrzeit so sicher sind?“, wollte Tech wissen.

„Das bin ich immer, auf die Minute genau. Ich schaue ständig auf die Uhr.“ Frieda machte eine Bewegung mit der Hand. „Man kann das wohl einen Tick nennen. Ich wusste, wie spät es war, als ich mein Haus verließ – 19:45 Uhr - und ich sah wieder auf die Uhr, als ich nach dem Telefonhörer griff. 19:56 Uhr.“

„Und Sie haben sofort gesehen, dass Frau Strickner tot war?“

„Nun, da konnte es wohl keinen Zweifel geben.“ Frieda schluckte schwer. „Sie lag auf dem Rücken. Um ihren Kopf herum war Blut. Es war einfach nur schrecklich.“ Wieder tupfte sie ihre Augen ab.

„Haben Sie sonst noch etwas bemerkt, als Sie ins Wohnzimmer schauten?“

„Nein.“ Frieda schüttelte den Kopf. „Eine Kaffeetasse lag zerdeppert auf dem Boden, so als ob sie gerade daraus getrunken hätte, als sie … Mehr ist mir nicht aufgefallen. Nein.“

Tech überlegte einen Moment, dann fragte er weiter: „Waren Sie mit Frau Strickner befreundet?“

„Nein, das kann man so nicht sagen.“

„Aber Sie haben sie gut genug gekannt, um ihr einen Kuchen zu bringen.“

„Das mache ich, wie gesagt, jedes Jahr zu Weihnachten. Weil man das eben so macht. Aber mehr …“ Noch einmal schüttelte Frieda den Kopf. „Ich kannte sie nicht besser als jeder andere hier in der Nachbarschaft auch. Sie lebte sehr zurückgezogen, blieb gern für sich.“ Schnell hob sie die Hände in die Höhe. „Verstehen Sie mich nicht falsch, Frau Strickner war eine sehr nette und freundliche Frau, sie grüßte immer und wir wechselten auch stets ein paar Worte miteinander, wenn wir uns auf der Straße trafen. Mehr war aber nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch irgendeinen gesellschaftlichen Umgang pflegte, seit ihr Mann gestorben ist.“

„Wann ist er denn gestorben?“, wollte Tech wissen.

„Vor elf Jahren. Er hat sich erhängt.“

„Wirklich?“

„Ja, das war eine tragische Geschichte.“ Frieda runzelte die Stirn. „Frau Strickner hat diesen Verlust gar nicht gut verkraftet und sich danach immer weiter zurückgezogen.“

Tech überlegte wieder einen Moment, dann fragte er weiter: „Wann haben Sie sie das letzte Mal lebend gesehen?“

Frieda leckte sich über die Lippen. „Gestern Abend. Um 17:13 Uhr. Ich kam gerade vom Friseur. Da das Wetter so schlecht war, hatte ich mir ein Taxi genommen und mich nach Hause bringen lassen.“

„Heute haben Sie sie den ganzen Tag über nicht gesehen?“

„Nein.“

„Und als Sie sie gestern gesehen haben, haben Sie da mit ihr gesprochen?“

„Nur ‚Guten Abend‘, mehr nicht. Allerdings habe ich heute, am späten Nachmittag – 16:14 Uhr -, beobachtet, wie ein Mann an ihrer Tür klingelte. Ich habe es von meinem Fenster aus gesehen.“

„Was für ein Mann?“

„Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er war schon öfter bei Frau Strickner. Nicht sehr regelmäßig und nicht sehr oft, aber sein Wagen stand schon ein paar Mal vor ihrem Haus. Vermutlich fiel es mir nur deshalb auf, weil sie ja ansonsten, wie ich bereits sagte, kaum Kontakt zu anderen Menschen hatte.“

„Wissen Sie, was für einen Wagen der Mann fuhr?“

„Ich kenne mich nicht so gut aus mit Automarken.“

Schade, dachte Tech.

„Aber ich habe mir das Kennzeichen gemerkt.“

Tech sah auf und spürte, wie eine Art Rauschen durch seinen Körper ging.

„Ich konnte es mir ganz leicht merken. H wie Hannover. FB wie Frieda Behnke. 100.“ Frieda lächelte schüchtern.

„Ich danke Ihnen, Frau Behnke“, sagte Tech. „Sie haben mir wirklich sehr geholfen.“

Kranichtod - Ein Fall für Julia Wagner: Band 5

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