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Wie Erinnerungen unterdrückt werden

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Unterdrückte bzw. verdrängte Erinnerungen werden im Bereich der Psychologie kontrovers diskutiert. Erinnerungen werden verdrängt, wenn eine Situation mit viel Trauma oder Stress assoziiert wird; die Erinnerung an die gesamte Situation wird unbewusst blockiert, sodass die Person sich überhaupt nicht mehr daran erinnert. Die Erinnerung wirkt sich zwar auf bewusster Ebene auf die betreffende Person aus, aber sie kann sich diese bestimmte Erinnerung nicht ins Gedächtnis rufen.

Manche Psychologen halten nichts vom Konzept der verdrängten Erinnerungen, andere wiederum – und ich gehöre dazu - stehen voll und ganz dahinter. Unterdrückte Erinnerungen sind etwas sehr Reales, und ich glaube, so gut wie jeder Mensch hat das schon erlebt. Die Frage ist demnach nicht, ob jemand eine Erinnerung unterdrückt oder nicht, sondern vielmehr, wie sehr sie unterdrückt wird.

Um verdrängte Erinnerungen besser verstehen zu können, müssen wir die Wirkungsweise von Traumata verstehen. Ein Trauma ist lediglich eine Verfassung, in der wir emotional und psychisch aufgrund einer bestimmten Erfahrung unter Stress stehen, und nicht unbedingt eine Tragödie. In einem modernen Krankenhaus geboren zu werden ist beispielsweise ein traumatisches Erlebnis. Für ein Baby ist es traumatisch, von der Muttermilch entwöhnt zu werden. Für ein dreijähriges Kind ist es traumatisch, im Supermarkt die Mutter nicht mehr zu finden. Angesichts dieser breit gefächerten Trauma-Definition können selbst die besten Eltern der Welt ihr Kind nicht völlig ohne Trauma aufziehen. Dabei müssen wir uns auch klarmachen: Ein scheinbar nur kleines, unbedeutendes Trauma wie eine Enttäuschung in der Kindheit fühlt sich keineswegs klein an, wenn man es erlebt.

Wenn jemand, egal wie alt er oder sie ist, ein traumatisches emotionales Erlebnis hat, dann hat diese Person keinerlei Möglichkeit, dieses Ereignis in ihr bewusstes Leben zu integrieren. Um emotional zu überleben, wird die Erinnerung dann oft komplett unterdrückt; sie wird vom Selbst dissoziiert und fragmentiert abgespeichert.

Was verstehe ich unter fragmentiert? Eine Erinnerung geht mit Sinnesempfindungen einher, beispielsweise einem Geräusch, Geschmack, Geruch, Bild oder einer Emotion. Wenn eine Situation besonders traumatisch ist, werden die damit zusammenhängenden Sinneseindrücke oft separat abgespeichert. Der Geist verdrängt zum Beispiel die damit assoziierten Bilder stärker als die Emotionen. Deshalb werden verdrängte Erinnerungen oft in Fragmenten zurück ins Gedächtnis geholt, und deshalb ist dieses Zurückholen oft eine sehr verwirrende Angelegenheit.

Ein Beispiel: Eine Person, die als Kind sexuell missbraucht wurde, kann sich womöglich nicht an das tatsächliche Geschehen erinnern. Aber weil der Geist den mit der Erinnerung verbundenen Geruch oder den emotionalen Aspekt nicht so sehr verdrängt hat wie die damit assoziierten Bilder, kann ein Geruch für die betreffende Person (die inzwischen erwachsen ist) als Auslöser dienen. Sie geht vielleicht ganz arglos im Supermarkt einen Gang entlang und ist sich keines Missbrauchs in der Vergangenheit bewusst, und auf einmal riecht sie genau das Eau de Cologne, welches der Peiniger ihrer Kindheit benutzt hat, und sie empfindet plötzlich Übelkeit oder erlebt sogar einen Angstanfall.

Der Geruch des Eau de Cologne bringt den Schrecken (den emotionalen Aspekt) der Erinnerung zurück, aber weil der Person nicht die gesamte Erinnerung bewusst ist, erkennt sie den Auslöser nicht. Die Übelkeit bzw. Panikattacke scheint aus heiterem Himmel zu kommen, und da diese Reaktion scheinbar völlig zusammenhanglos auftritt, meint sie womöglich, sie würde verrückt werden.

Der Geist profitiert von einer solchen Dissoziation, wenn er ein Trauma erlebt. Ich möchte dieses Konzept erklären, denn es ist für das Verständnis des Completion Process wichtig. Eine Dissoziation ist eine psychische Verfassung, in der sich die Person von einer Erfahrung abspaltet; sie ist sozusagen ein Abwehr- bzw. Bewältigungsmechanismus, mit dessen Hilfe wir unangenehme Erfahrungen vermeiden können. Dissoziationen können schwach oder stark ausgeprägt sein.

Dissoziation kann sich, ähnlich wie ein Trauma, auf einer Skala abspielen. Die mildeste Form, am einen Ende der Skala, könnte sich einfach in Tagträumen zeigen, anstatt sich auf das zu konzentrieren, was man gerade macht oder erlebt. Oder es kommt zu Empfindungslosigkeit. In ihrer schlimmeren Form am anderen Ende des Dissoziationsspektrums ist die betroffene Person womöglich komplett von der Realität losgelöst und verliert zeitweise ihr Identitätsgefühl oder erschafft sich neue Identitäten. Das passiert manchmal, wenn jemand rituellen Missbrauch, sexuellen Missbrauch oder Kriegsgräuel erlebt hat.

Gehen wir von einem solchen Dissoziationsspektrum aus, verstehen wir auch, dass der eine seine Wutgefühle ablehnt, jemand anderes sich dagegen völlig von seiner Identität abtrennt, um einem schlimmen Ereignis zu entrinnen. Jede Art von Dissoziation erzeugt eine Spaltung in der Person, zwischen dem bewussten Selbst und dem unterbewussten Selbst. Treten solche Dissoziationen häufig auf, gibt es in uns viele abgespaltene Teile.

Durch das dissoziative Abspalten einer Erfahrung wird sie aus der bewussten Wahrnehmung herausgehalten, damit man die schmerzlichen oder unangenehmen Gefühle, die damit verbunden sind, nicht ertragen muss. Für den Geist ist das nützlich, weil seine Priorität das Überleben ist – nicht nur das physische Überleben, sondern auch das psychisch-mentale und emotionale Überleben. Ein kleines Kind, welches von einer Person abhängig ist, durch die es missbraucht wird, hat keine andere Wahl, als seine Bindung an diese Person beizubehalten.

Die kognitive Dissonanz, die mit dem »Zusammenleben mit dem Monster« assoziiert wird, kann so stark werden, dass man in der Atmosphäre solch großen Schreckens gar nicht mehr leben könnte. Durch die Unterdrückung der Erinnerung an den Missbrauch wird die Bindung an den Erwachsenen, der den Missbrauch begeht, aufrechterhalten und damit das Überleben gesichert.

Im Laufe des Completion Process kommen Ihnen vielleicht viele vergessene Erinnerungen hoch, ebenso wie weitere Einzelheiten zu Erinnerungen, die Ihnen bereits bewusst sind. Sie erkennen, wie traumatisch bestimmte Erfahrungen aus der Vergangenheit waren und wie sehr Sie in Ihrem derzeitigen Leben davon geprägt sind.

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