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Kapitel 16

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Lela weiß nicht, wie sie es nach Hause geschafft hat. Nur dass sie lebt, es irgendwie aus Leons Wohnung geschafft hat und letztendlich zu Hause angekommen ist. Ihre Kleider sind zerrissen, ihr Körper mit Blut und Tränen bedeckt. Sie kann seine Finger noch immer auf ihrem Körper spüren, ihn noch immer in ihr.

Sie wankt in die Wohnung und direkt weiter in Stellas Zimmer. Es ist kurz nach zwei Uhr morgens, er hat seine Spielchen lange mit ihr getrieben, immer und immer wieder, bis sie ihm zu langweilig geworden ist, bis ihre Schreie, ihr Flehen und ihr Weinen ihn nicht mehr amüsiert haben. Dann hat er sie einfach gehen lassen.

Lela weiß, dass Stella bereits schläft, und tatsächlich kommt ihr für ein paar Sekunden der Gedanke, sie einfach weiterschlafen zu lassen. Sie möchte sie nicht wecken und belästigen. Doch sie muss mit jemanden reden. Sie muss jemanden erzählen, was geschehen ist. Andernfalls würde sie es vielleicht nicht mehr über sich bringen, wenn sie es nun aufschiebt.

Es ist dunkel in Stellas Zimmer, natürlich. Lela weiß nicht, wie sie Stella wecken und auf sich aufmerksam machen soll. Sie hat keine Kraft, um einfühlsam und behutsam zu sein. Sie hat keine Kraft, um zu sein. Ihre Hand tastet die Wand ab und als sie den Lichtschalter findet, betätigt sie ihn. Sie sieht, wie Stella zusammen zuckt und ihr Gesicht unter dem Kopfkissen versteckt. Sie ist noch nicht ganz wach, das Licht ist nur wie ein unangenehmes Rütteln an ihrem Bewusstsein.

„Stella.“ Lelas Stimme ist rau von dem ganzen Schreien. Und leise. Sie hat kaum noch Kraft. Stella gibt ein leises Stöhnen von sich. Sie will nicht aufwachen und zu sich kommen. „Stella, bitte.“ Lela fängt wieder leise an zu schluchzen, dabei hat sie gedacht, bereits alle Tränen geweint zu haben. Anscheinend haben sich ein oder zwei Tränen vorhin versteckt.

Ihr Schluchzen scheint Stella endlich aus ihrem Dämmerzustand zu holen. Sie dreht sich auf den Rücken und fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Was is`n los?“, nuschelt sie unter ihren Händen hervor. Lela antwortet ihr nicht, weint einfach nur leise weiter. Stella nimmt ihre Hände von dem Gesicht. „Lela!“ Mit einem Mal scheint sie hellwach. Sie fährt hoch und starrt sie entsetzt an. „Was ist denn mit dir passiert?“

Lela spürt, wie schwer es ihr fällt, die Worte auszusprechen. Sie führt es auf den Schock zurück. „Leon … er – er hat mich …“ Ihre Worte verlieren sich und sie starrt vor sich hin. Ihre Augen sind geweitet, ihre Lippen zu einem lautlosen O geöffnet.

Doch Stella scheint es, auch ohne dass sie es ausspricht, zu verstehen. Ihr fassungsloses Gesicht spricht Bände. Benommen schlägt sie die Decke beiseite, steigt aus dem Bett und stellt sich vor Lela. Sie sieht sie aus starren Augen an, sieht den Schmerz, die Angst und die Scham in Lelas Blick und versteht, dass sie sie richtig verstanden hat, dass es nicht anders gewesen sein kann.

Langsam beginnt sie den Kopf zu schütteln, sie will es nicht glauben, auch wenn sie weiß, dass es die Wahrheit nicht weniger real macht. Nach all den Eindrücken, die sie von ihm gesammelt, all den guten Dingen, die sie von ihm gehört hat, will sie es nicht wahrhaben. Sie will nicht verstehen, dass Leon sie vergewaltigt hat. Dennoch weiß sie, dass es der Wahrheit entspricht.

Dann nimmt sie Lela fest in den Arm. Sie will sie nie wieder los lassen.

Lela scheint beinahe apathisch, während sie neben Stella in dem Büro des Polizeibeamten sitzt, der die Ermittlungen zu dem Mord an Helen Jakobit leitet. Stella bemüht sich das Reden für Lela zu übernehmen, da sie spürt, wie verschreckt Lela noch immer ist.

„Und Sie sind sich sicher, dass es Herr Berger war?“, hakt der Polizist genauer nach. Er hat seine Brauen leicht zusammengezogen und durch den buschigen Schnauzer wirkt er wie ein grimmiger Hund. Sein Name ist Ulf Frisch, wenn Lela sich recht erinnert.

„Wieso sollte er sonst die Fotos haben?“, entgegnet Stella leicht angriffslustig. Natürlich ist es für sie von Anfang an klar gewesen, zur Polizei zu gehen. Zum einen, um Leon wegen dem anzuzeigen, was er Lela angetan hat, und dann wegen der Fotos, die Lela bei ihm zu Hause gefunden hat. Doch sie möchte ebenso ihre Freundin schützen, die mit leerem Blick neben ihr sitzt und in einer vollkommen anderen Welt zu sein scheint.

Stella hofft, dass sie in dieser glücklicher ist. Und sicherer.

„Ein gutes Argument“, erwidert Frisch und lächelt schwach. Man sieht ihm an, wie müde er ist. Dennoch ist er über diese neue Entwicklung mehr als erleichtert. Zu lange schon haben er und sein Team im Dunkeln getappt, ohne eine brauchbare Spur. Und nun liefern diese beiden Frauen ihm nicht nur einen potenziellen Verdächtigen, sondern auch schwer belastende Beweise. Nur der Preis, den die eine Frau dafür hat zahlen müssen, Frau Foster, lässt seine Freude über diese neue Entwicklung mit einem Mal schwinden. Er braucht nur einen Blick in ihr abwesendes Gesicht zu werfen, um ihre Angst, den Schmerz, Schock und die Scham zu sehen, die sie wohl empfinden muss.

Doch der Gedanke, den Schweinehund, der ihr das einfach angetan hat, nicht nur wegen Vergewaltigung, sondern auch noch wegen Freiheitsberaubung und Mord im Fall von Helen Jakobit dranzukriegen, lässt ihn eine grimmige Befriedigung verspüren. Denn er weiß, dass der Kerl dann für eine lange, lange Zeit in den Knast gehen wird.

Denn er weiß auch, so schrecklich er selbst diese Tatsache findet, dass er für die Vergewaltigung der jungen Frau nur eine Gefängnisstrafe von zwei, drei Jahren absitzen müsste. Es ist ungerecht und falsch es Vergewaltigern dermaßen einfach zu machen, wie Frisch weiß. Die Handvoll Jahre schreckt niemanden ab. Und was es in dem Opfer auslöst, wenn sein Peiniger nach nur wenigen Jahren wieder frei gelassen wird, damit er eventuell einer weiteren Frau etwas antun kann, scheint auch niemanden zu interessieren.

Frisch hat das Gefühl, als ob die Gerichte versuchen würden es den Tätern immer angenehmer und leichter zu machen, auf ihre Rechte und Bedürfnisse einzugehen, ohne dabei zu bedenken, wie es den Opfern und deren Angehörigen dabei ergehen muss. Denn sie sind die eigentlichen Personen, denen man beistehen und helfen sollte. Die man unterstützen sollte. Ein Verbrecher hingegen gehört für seine Tat bestraft. Und am besten noch so lange und grausam, wie es geht.

Obwohl er weiß, dass er den beiden Frauen, die ihm verängstigt gegenüber sitzen, eben dies nicht versprechen kann, weiß er dennoch, dass er den Mann, der nun schon eine Frau brutal ermordet und eine weitere schwer missbraucht hat, dafür zur Rechenschaft ziehen kann. Und dass er es tun wird. Denn das ist sein Job. Seine Aufgabe. Der Teil, den er zum Wohle der Gesellschaft geben kann, und den er dem Staat schuldet, um mit zu garantieren, dass dieses Land ein freies, sicheres und gerechtes Land ist.

Doch vor allem schuldet er es den beiden Frauen, die ihm gegenüber sitzen, ihn verängstigt anblicken und Gerechtigkeit für das fordern, was man ihnen angetan hat. Für den Mord an ihrer Freundin. Für den Missbrauch. Für die Angst, die sie nun empfinden müssen. Sie wollen einfach Gerechtigkeit, weil sie wissen, dass sie sie verdient haben, nach all dem, was sie bereits haben durchmachen müssen.

Und Frisch weiß, dass er nicht eher ruhen wird, bis er ihnen diese Gerechtigkeit geben kann.

Liebe ist tödlich

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