Читать книгу Liebe ist tödlich - Tessa Koch - Страница 25
Kapitel 23
ОглавлениеEs ist Samstagabend und die Hölle ist los.
Nick weiß, dass er eigentlich zehn Arme bräuchte, um all die Bestellungen mitnehmen zu können, die auf dem Metalltisch in der Küche (dort warten die Gerichte) und auf dem Tresen (da stehen die Getränke) auf ihn warten, doch er hat nun mal keine zehn Arme. Ärgerlicher Weise.
Das Schrillen der Glocke, die verkündet, das eine weitere Mahlzeit zubereitet ist, schrillt ununterbrochen durch den Laden, doch Nick weiß, dass, wenn man auf dieses Schrillen nicht geradezu abgerichtet ist, man es so gut wie nie wahrnimmt. Genau wie die anderen, mit denen er heute die Schicht teilt, ist er nur am Rennen, Essen Holen, Bestellungen Aufnehmen und Abkassieren. Obwohl es stressig ist, kann er sich nicht beschweren. Er verdient gut, Samstagabends, vor allem wenn bereits etwas Alkohol geflossen ist, geben die Leute immer gutes Trinkgeld.
Er hat nur zwei Tische, an denen bereits seit mehr als zwei Stunden dieselben Gäste sitzen, ansonsten kommen die Leute, bestellen, essen und trinken recht eilig und bezahlen dann sofort wieder, um zu verschwinden und den Tisch für neue Gäste freizumachen. Nette Laufkundschaft.
Ein Traum für das Portemonnaie also.
Und ein Albtraum für die Füße.
Melina eilt an ihm vorbei und obwohl sie ebenso gestresst und gehetzt wirkt, wie er sich fühlt, schafft sie es dennoch, ihm im Vorbeigehen ein Lächeln zuzuwerfen. Seine Laune steigt etwas und obwohl er weiß, dass er eigentlich keine Zeit für solche Gedanken hat (er hat nicht mal Zeit, um überhaupt zu denken), fällt ihm wieder einmal auf, wie sehr er Lia mag. Doch sich darüber im Klaren zu werden, was genau das für ihn wohl bedeuten könnte, dafür reicht die Zeit nun wirklich nicht.
Er bringt die Bestellungen weg, wünscht den Leuten, eine Gruppe von jungen Studenten, wie es ihm scheint, einen guten Appetit und verschwindet sofort wieder. Er hat bereits neue Gäste ins Auge gefasst, die sich an einem gerade frei gewordenen Tisch in seinem Revier setzen. Er eilt sofort dorthin. „Schönen guten Abend“, begrüßt er die drei Frauen munter. Im Grunde sind sie noch eher Teenager als Frauen. Nick würde ihnen zumindest keinen Alkohol verkaufen, ohne vorher nicht ihre Personalausweise kontrolliert zu haben. Er wechselt das Teelicht gegen ein neues aus und zündet dieses an.
„Hallo.“ Die Mädels mustern ihn neugierig, doch es fällt ihm nicht auf. Er ist gerade dabei, die leeren Gläser der Vorgänger zusammenzuklauben und auf ein Tablett zu stellen. Dann wischt er den Tisch mit einer schnellen Bewegung einmal feucht ab.
„Darf ich euch schon was zu trinken bringen?“ Er sieht die drei Mädchen fragend nacheinander an. Das eine wird unter seinem Blick rot und er muss ein Grinsen unterdrücken. Irgendwie ist es ja niedlich.
„Drei Cola, bitte“, bestellt eine von ihnen mit einem Blick in die Runde und lächelt ihm zu. Ihm wird gar nicht bewusst, dass sie versucht mit ihm zu flirten. Zum einen sind sie ohnehin zu jung für ihn (er glaubt, mindestens acht Jahre älter zu sein als sie) und zum anderen ist er zu sehr in seine Arbeit vertieft, um die Avancen eines Teenagers jetzt zu bemerken.
„Alles klar, es kann aber leider etwas dauern, hier ist momentan die Hölle los.“ Er wirft einen schnellen Blick über die Schulter. Der Laden ist rappelvoll, die einzelnen Gespräche haben sich zu einem monotonen Summen erhoben, das den Raum erfüllt. „Ich werde aber mein Bestes geben.“ Er grinst den Mädchen zu und das eine wird wieder rot. Als er sich umdreht, um zu gehen, hört er sie hinter sich kichern.
An der Kasse trifft er Lia. „Bin sofort weg“, sagt sie, ohne von dem Monitor aufzusehen.
Im Grunde haben die <Kassen> kaum noch etwas mit normalen Kassen zu tun. Es sind eher Computer, in denen sie, nachdem sie ihre Schlüssel eingesteckt haben, die Bestellungen eingeben, die dann an die Küche geschickt werden, wo die Köche diese dann zubereiten. Außerdem speichern diese <Kassen> alle Getränke und Speisen, die ein Tisch den Abend über bestellt, sodass die Rechnungen der einzelnen Tische allesamt abgespeichert sind. Möchte ein Gast zahlen, so braucht man diese nur auszudrucken.
Wunderwerk Technik.
„Lass dir Zeit“, erwidert Nick und sieht Melina beim Eingeben der Speisen und Getränke zu.
Sie schickt die Bestellung ab. „Wir haben aber keine Zeit“, grinst sie ihn dann an. „Nur falls es dir noch nicht aufgefallen ist, aber der Laden ist voll. Wenn das weiter so geht, können wir die Gäste übereinander stapeln, während sie uns die Haare vom Kopf fressen.“ Nick muss lachen, doch ihm bleibt keine Zeit, um Lia zu antworten.
Mit einem letzten Zwinkern ist sie bereits wieder in Richtung Küche verschwunden, aus der ein erneutes Schrillen dröhnt. Er sieht ihr unbewusst nach und ihm fällt wieder einmal auf, was für eine schöne Figur sie hat. Durch das enge Arbeits-T-Shirt, das sie tragen müssen, wird sie noch etwas mehr betont. Privat neigt Melina dazu, weitere Sachen zu tragen, die ihre weiblichen Vorzüge eher kaschieren als betonen, und Nick hat sich schon das ein oder andere Mal gefragt, wieso sie sich nur so verstecken will. Sie könnte Dutzenden Männern den Kopf verdrehen, wenn sie nur wollte.
Er steckt seinen eigenen Schlüssel in die Kasse und wählt schnell den Tisch aus, für den die Bestellungen gemacht werden sollen, danach gibt er die drei Colas ein und schickt die Bestellung ab. Danach zieht er seinen Schlüssel wieder aus der Kasse und hetzt ebenfalls in Richtung Küche, aus der weiteres Schrillen klingt.
Über den Abend hinweg scheint der Laden nicht leerer, sondern nun noch voller zu werden, sodass Eva, die Schichtleiterin des Abends, wertvolle Minuten damit verschwendet, Kollegen von ihnen anzurufen, um sie um Unterstützung zu bitten. Am Ende lassen sich tatsächlich zwei von ihnen, Tony und Mareike, dazu erweichen und sind binnen einer halben Stunde da, um ihnen unter die Arme zu greifen.
Von da an scheint es etwas entspannter zu werden.
Gerade als Nick die drei Mädchen abkassiert, die ihm erstaunlich viel Trinkgeld geben, knallt es hinter ihm laut. Man hört mehrere Schreie, dann das unmissverständliche Klirren von Glas, das auf dem Boden zerschellt, und im nächsten Moment das hektische Rufen und Stühle Scharren mehrerer Gäste. Als er sich umwendet, sieht er Lia am Boden liegen, das Gesicht Blut überströmt, die Hände erschrocken auf die Nase gepresst. Glasscherben liegen um sie zerstreut wie abstrakter Schnee und der Boden um sie herum ist nass und klebrig von Cola, Bier und Wein. Sie sieht überrascht aus, so als könne sie sich nicht erklären, weswegen sie auf einmal auf dem Boden liegt.
Nick lässt die drei Mädchen hinter sich sitzen und eilt auf Lia zu. Die beiden Frauen, die direkt an dem Tisch neben ihr gesessen haben, haben sich bereits neben sie gehockt und ihr geholfen sich aufrecht hinzusetzen. „Es tut mir so leid!“, hört Nick die eine geschockt sagen, als er sich ihnen nähert.
„Schon gut“, nuschelt Lia zurück, die Hände nach wie vor auf das Gesicht gepresst.
Nick kämpft sich einen Weg zu ihnen durch und kniet sich dann vor ihr nieder. Er ist zwar (noch) kein Arzt, doch er ist sich sicher ihre Verletzung dennoch behandeln zu können. Irgendwie. „Was ist passiert?“, fragt er, als er Lia, die ihn die ganze Zeit anblickt, vorsichtig die Hände von der Nase zieht.
„Ich habe sie nicht gesehen!“, sagt die Frau sofort. Sie wirkt bekümmert und erschrocken zugleich. „Und dann habe ich ausgeholt, so beim Reden, wissen Sie? Um meine Worte ein bisschen besser zu unterstreichen. Da habe ich ihr das Tablett aus der Hand geschlagen.“ Sie sieht mehr als nur schuldbewusst drein.
Nick betrachtet Lias Nase eingehend. Er tastet sie vorsichtig ab und sie zuckt mit schmerzverzerrter Miene zusammen. „Könnte gebrochen sein“, murmelt er, doch seine Worte kann man dennoch im ganzen Laden verstehen. Mit einem Mal ist es still. Das angenehme Summen ist verstummt. „Wir sollten einen Krankenwagen rufen.“ Er blickt auf zum Tresen. „Martin!“, ruft er über die Köpfe der Gäste und Kellner hinweg, „rufst du ´nen Krankenwagen?“
„Schon erledigt!“, ruft dieser zurück.
Zusammen mit Isa zieht Nick Lia auf die Beine und bringt sie aus dem Laden. Hinter ihnen beginnen sofort die Aufräumarbeiten und die Gäste setzen sich langsam auf ihre Plätze zurück. Die Frau, die Lia das Tablett aus der Hand geschlagen hat, bleibt mit bedrückter Miene neben ihrer Freundin zurück. Vor dem Laden lassen sie Lia sich auf eine der Stufen setzen. Sie ist blass, was Nick in erster Linie mit dem Schock in Verbindung bringt, doch ansonsten scheint ihr nicht viel zu fehlen. Natürlich nur, wenn man von ihrer noch immer stark blutenden Nase absieht.
„Wie geht`s dir?“, fragt Nick sie besorgt und hockt sich vor ihr hin. Isa setzt sich neben sie und legt nicht minder besorgt einen Arm um ihre Schultern. Nick weiß, dass Melina und Isabelle auch privat sehr gut miteinander auskommen. Man könnte beinahe sagen sie wären Freunde.
Lia blickt ihn an. „Tu nicht so“, sagt sie und er sieht ein vertrautes Blitzen in ihren braunen Augen. „Im Grunde wünscht du dir doch, dass es mir schlecht geht und ich sterbe, damit du meinen Magen nach meinem heutigen Frühstück untersuchen kannst.“
Nick muss ungewollt grinsen. „Wie ich sehe, kann es dir nicht allzu schlecht gehen.“
Sie erwidert sein Grinsen schwach. „Mir tut die Nase weh, aber es ist okay, denk ich.“
„Schauen wir mal, was die Sanitäter sagen“, mischt Isa sich angespannt ein.
„Wird schon.“ Nick ist sich sicher, dass Lia sie nur beruhigen will.
Er versucht die Stimmung etwas aufzulockern. „Du hattest sogar halbwegs Recht“, sagt er daher an Lia gewandt. Sie sieht ihn fragend an. „Wir können die Gäste inzwischen aufeinander stapeln – nur dass sie uns nicht die Haare vom Kopf fressen wollen, sondern anscheinend lieber dein Blut trinken möchten.“ Es klappt und Lia fängt an zu lachen.
Als die Sanitäter wenig später eintreffen, bestätigen diese sofort Nicks Verdacht, dass Lias Nase gebrochen ist. Mit einer Kühlkompresse, die sie sich vorsichtig auf die Nase drücken soll, um der unvermeidlichen Schwellung etwas entgegen zu wirken, nehmen sie sie mit ins Krankenhaus. Isa begleitet sie, damit sie nicht alleine ist.
Nick sieht dem Krankenwagen hinterher, ehe er das Restaurant wieder betritt. Ihm fällt sofort wieder die Frau ins Auge, die für den Unfall verantwortlich ist, doch als ihr Blick in seine Richtung wandert, wendet er sich schnell ab. Er sieht, dass der Tisch, an dem die drei Mädchen saßen, inzwischen verlassen ist. Nur ihre leeren Gläser zeugen von ihrem Besuch. Er geht zu dem Tisch, mechanisch, beinahe benommen, wie er findet, um die leeren Gläser abzuräumen. Dabei fällt sein Blick auf eine der Servietten, auf die hastig eine Telefonnummer gekritzelt worden ist. Ruf mich an!, steht unter der Nummer.
Nick schüttelt leicht ungläubig den Kopf, ehe er die Serviette zerknüllt.