Читать книгу Liebe ist tödlich - Tessa Koch - Страница 20
Kapitel 18
ОглавлениеStella hält Lelas Hand fest in ihrer, während sie im Wartezimmer sitzen. Sie hat Angst, sie zu fest zu drücken, da sie befürchtet, sie sonst einfach zwischen ihren Fingern zerbrechen zu können. Lela hat in den letzten Monaten stark abgenommen, ihre Haut ist blasser als sie es früher einmal war. Sie hat sich verändert. Sehr.
Natürlich kann Stella es ihr nicht vorwerfen. Es sind nun drei Monate vergangen, in denen die Polizei keine verdammte Spur zu Leon gefunden hat. Jeder einzelne Hinweis, alles, was sie hatten, ist ins Leere verlaufen. Es gibt keine Anhaltspunkte, keine Zeugen, keine Videoaufnahmen, einfach nichts, was den Aufenthaltsort von Leon preisgeben könnte. Es scheint beinahe so, als sei Leon vom Erdboden verschlungen worden.
Wären da nicht die Briefe.
Es hat in der zweiten Woche seines Verschwindens begonnen, dass Leon an Lela Briefe schreibt. Es sind keine wirklichen Drohbriefe, natürlich auch keine reinen Liebesbriefe, sondern eher eine Mischung aus beidem. Zum einen schreibt er ihr, wie sehr er sie vermisst, dass er sie liebt, und ohne sie nicht sein möchte. Und zum anderen beschreibt er detailliert, was er alles tun wird, wenn er sie nur in seinen Fängen hat, wenn sich ihm die Gelegenheit bieten sollte, sie endlich in seine Gewalt zu bekommen. Es ist widerlich. Diese Art, auf der er mit ihrer Angst spielt. Er bringt sie durch diese Briefe dazu, nicht mehr zu essen, kaum noch zu schlafen, einfach nicht mehr zu leben. Er nimmt ihr die Lebensfreude und schenkt ihr die Furcht. Und Stella kann nichts dagegen tun.
Als Leon begonnen hat diese Briefe zu schreiben, hat man Lela einen Stalking-Experten zugeteilt, der ihr helfen soll, mit seinen Briefen zu Recht zu kommen. Stella schätzt die bedingungslose Hilfe, die Lars ihr und Lela zuteilwerden lässt, da sie weiß, dass Lela ebendiese Hilfe benötigt. Und ein wichtiges Ziel hat Lars bereits erreicht: Dass Lela keine Angst mehr vor Männern empfindet.
Natürlich kann Stella nachempfinden, dass Lela, nachdem sie der Mann, dem sie wohl am meisten vertraut hat, dermaßen verletzt und zerbrochen hat, eine Scheu vor anderen Männern und ein gewisses Misstrauen entwickelt hat. Dennoch kann sie nicht leugnen, dass es anstrengend gewesen ist, Lela langsam wieder an die Normalität des Lebens – zu dem nun einmal auch die männlichen Geschöpfe dieser Erde zählen – heranzuführen. Doch mit Lars an ihrer Seite, der zu Beginn sehr behutsam und nachsichtig mit Lela hat sein müssen, hat sie es geschafft, sie langsam wieder zurückzuführen. Lela hat beinahe wieder begonnen normal zu leben.
Bis sie die Hiobsbotschaft vor zwei Wochen erreicht hat.
Weder Stella noch Lela haben sich etwas gedacht, als Lela sich in den Wochen nach ihrer Vergewaltigung zu übergeben begann und über Unterleibsschmerzen klagte. Sie haben es mit der Vergewaltigung und der psychischen Belastung erklärt, die schwer an Lelas Gesundheit gerüttelt haben. Doch als bald darauf Lelas Periode ausgeblieben ist, haben sie begonnen eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen.
Als Lela schließlich den Mut aufgebracht hat, einen Test in der Apotheke zu kaufen, hat dieser ihre Ängste bestätigt: Sie ist schwanger. Leon hat sie nicht nur geschlagen, gedemütigt, gefoltert und vergewaltigt, sondern zudem noch einen Teil von sich in ihr gelassen, der nun, jetzt, in diesem Moment, dabei ist in ihr zu wachsen und heranzureifen.
Doch Lela hat vom ersten Augenblick an gewusst, dass sie dieses Ding nicht austragen möchte.
Als ihr Name aufgerufen wird, erhebt sie sich. Sie glaubt, dass es das erste Mal seit Wochen, wenn nicht sogar seit Monaten ist, dass sie wieder einen Hauch von Nervosität verspürt. Stella begleitet sie bis zu dem Behandlungszimmer und hält währenddessen ihre Hand. Als Lela sie loslassen muss, da sie weiß, dass Stella sie nicht begleiten darf, verspürt sie mit einem Mal das Gefühl, vollkommen schutzlos und verletzlich zu sein.
Sie mag den Kittel, den man sie anzuziehen bittet, nicht, streift dennoch widerwillig ihre Klamotten ab und schlüpft in das Ding. Sie fühlt sich lächerlich und hässlich. Auf den Wunsch der Schwester hin setzt sie sich schon einmal auf den Stuhl. Sie besieht sich die Instrumente, die auf einem silbernen Tablett neben ihrem Stuhl aufgereiht sind, und versucht gerade zu entschlüsseln, wofür die einzelnen Instrumente wohl sind, als die Ärztin das Zimmer betritt. Lela hat darauf bestanden, den Eingriff von einer Frau durchführen zu lassen. Seit der Vergewaltigung zieht sie Frauen den Herren der Schöpfung im Allgemeinen vor. Es ist ihr lieber, von einer Frau berührt zu werden (vor allem an einer so intimen Stelle) als von einem Mann. Zwar weiß ein kleiner Teil in ihr, dass diese Scheu vor den Männern geradezu lächerlich ist, da nicht jeder so ist wie Leon, dennoch fühlt sie sich in den Händen einer Frau einfach wohler.
„Frau Foster, wie geht es Ihnen heute?“ Die Ärztin lächelt freundlich, während sie sich die Gummihandschuhe überstreift.
„Den Umständen entsprechend, würde ich sagen, Dr. Martins.“ Lela versucht sich ebenfalls an einem Lächeln, scheitert jedoch kläglich.
Das Lächeln der Ärztin verblasst. „Sie wissen, dass Sie sich jederzeit anders entscheiden können, wenn Sie das nur wollen. Noch ist es nicht zu spät, Sie müssen nur etwas zu mir sagen, dann blasen wir das Ganze hier einfach ab.“
„So habe ich das nicht gemeint!“ Lelas Tonfall ist barscher, als sie es beabsichtigt hat.
Dr. Martins bemüht sich erneut um ein Lächeln. „Natürlich nicht. Können wir dann?“ Lela nickt. „Gut. Ich habe Ihnen bereits bei unserem letzten Treffen erklärt, wie ich vorgehen werde, möchten Sie trotzdem, dass ich es Ihnen noch einmal erkläre?“
„Bitte holen Sie einfach nur dieses Ding aus mir heraus, ja?“
Es fällt der Ärztin immer schwerer, ihr Lächeln aufrecht zu erhalten. „Selbstverständlich.“
Der Eingriff dauert nicht lange und als man Lela erlaubt, sich wieder aufzusetzen und ihre eigenen Klamotten anzuziehen, spürt sie nicht einmal eine großartige Veränderung. Doch das bloße Wissen, dass dieses Ding, diese widerwärtige Brut, aus ihr entfernt worden ist, scheint sie um Tausende von Kilos zu erleichtern. Denn nun weiß sie, dass sie nichts mehr von Leon in sich trägt. Dass es nichts mehr gibt, dass sie an ihn binden könnte. Von nun an ist sie wieder ihr eigener Herr, sie ist ihm nicht mehr verpflichtet, verbunden, ausgeliefert. Sie ist einfach nur noch sie selbst.
Und das Baby, sein Baby, das sie unter ihrem Herzen getragen hat, ist tot.