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1. FREIHEIT ODER FINSTERNIS

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Auf den ersten Blick sieht der Brief nicht aus, als käme er von einem verurteilten Waffenhändler: Blaue Luftblasen schmücken den Briefkopf, unten schwimmt ein Fisch mit Glubschaugen über den Meeresboden. Er will reden, schreibt er, aber er darf nicht. Sein letztes Schreiben, dem er einen Besucherschein beigelegt hatte, wurde von der Gefängnisleitung zurückgehalten. »Anscheinend befürchtet man Kritik.«

Der Verfasser des Briefes heißt Philipp K. Vier Jahre zuvor, im Mai 2016, hatte K. einem 18-Jährigen im Darknet eine Pistole verkauft, der damit neun Menschen erschoss. Die Opfer hatten alle einen Migrationshintergrund, die meisten von ihnen gingen noch zur Schule.

Das Münchner OEZ-Attentat am 22. Juli 2016 war eines der schwersten politischen Verbrechen der jüngeren deutschen Geschichte, für das jedoch nicht nur der rechte Attentäter David S. die Verantwortung trägt: Den Abzug drücken, das Schmieden seines Plans, sein Hass auf Migranten – das alles war S.’ alleiniges Tun. Doch es gab Menschen, die ihm die Tat erst ermöglichten: ein Forenbetreiber, der Waffenfreaks aus ganz Deutschland eine Plattform bot und rechte Umtriebe im Forum duldete; eine Darknet-Community, die den Handel mit Feuerwaffen mal als harmlosen Freizeitspaß abtat, mal als rebellischen Akt gegen den Überwachungsstaat feierte; und den Waffenhändler Philipp K., der von der großen Schmugglerkarriere träumte und David die Tatwaffe verkaufte.

K. schreibt, seine »Naivität« und »Scheißegal-Haltung« seien schuld, dass der Anschlag passieren konnte. Doch das erfasst nicht die Dimension des Falls. In zwei Gerichtsverfahren versuchte man, das Verbrechen zu rekonstruieren, suchte nach möglichen Komplizen des Attentäters, stritt um Anträge und geheime Akten, es flogen Stühle im Gerichtssaal, Drohungen wurden ausgesprochen. Den Hinterbliebenen blieben am Ende nur Trauer, Wut und die bis heute nicht geklärte Frage, warum K. so lange seinen Geschäften nachgehen konnte und die Behörden nicht früher einschritten.

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»Bevor ich hier reingehe, werf’ ich mich vor einen Zug«, Neil* nippt an seiner Cola und zeigt auf die dicken Mauern der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit, an der wir vorbeilaufen.

Die vier Meter hohen Gefängnismauern mit der Natodrahtkrone wirken in der Dunkelheit ein wenig Furcht einflößend, vor allem für jemanden wie Neil, der nach bestehender Rechtslage eigentlich drinnen sitzen müsste. Der junge Mann arbeitet in der wachsenden Branche Cybercrime, die in Deutschland pro Jahr rund 60 Millionen Euro Schaden verursacht.

Für den mittlerweile abgeschalteten Online-Drogenshop »Webdealer« hatte er die Seite designt und wurde prozentual am Drogengeschäft beteiligt. Für sein aktuelles Projekt, den größten deutschen Online-Schwarzmarkt Crimenetwork (CNW), zieht er als technischer Admin die Fäden im Hintergrund. CNW ist der Platzhirsch der Szene: Gehandelt werden Falschgeld, geklaute Kreditkarten, Erpressungstrojaner, Drogen, Services für SMS-Bomben und Telefonterror. Das Board ist riesig und konkurrenzlos, unterhält Dependancen im Darknet und Clearnet. Die Deals laufen seit Jahren in aller Öffentlichkeit ab, die Polizei kommt bis heute nicht an die Hintermänner heran.

Während wir die Knastmauern entlangschlendern, erzählt Neil von seiner Ex, die ihn für einen Anabolika-Dealer aus dem Fitnessclub verlassen hat, von der ganzen Kohle, die ihn nicht glücklich macht, und davon, wie er es immer allen recht machen will, seinen Eltern, uns Journalisten, seinem Boss von Crimenetwork. Neils damaliger Boss hieß »Sicario«, Auftragskiller.

Dass wir Neil überhaupt treffen konnten, war nicht ganz einfach. Wochenlang hatten wir das Treffen vorbereitet, Bedingungen ausgehandelt, einen Ort zum Reden (belebt, viele Fluchtwege) vereinbart und einen, wo wir unsere Handys einschließen können (öffentlich, keine Überwachungskameras). Wir bestanden auf Dokumente, die seine Rolle (und damit seine Straftaten) belegen, und mussten ihm versprechen, ihn nicht bei der Polizei zu verraten.

Auch wir wussten natürlich nicht, worauf wir uns einlassen. Hat dieser Sicario ihn auf uns angesetzt? Ist Neil nur ein Angeber, eine Luftnummer?

Als er uns wenig später am Tisch einer McDonald’s-Filiale in den Admin-Bereich von Crimenetwork.co führt, in die Schatzkammer der CNW-Bande, wo die Geschäfte, die Dealer, die illegalen Geldflüsse, im Grunde das ganze Ausmaß ihrer Straftaten verzeichnet sind, wissen wir: Wir haben den Richtigen.

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In Pulli und Jeans sitzt Mario Rönsch auf dem braunen Polster der Anklagebank, ein Waffenschmuggler im ›casual look‹, eingerahmt von zwei Anwälten, die ihn verteidigen. Im Gegensatz zu seinen Auftritten in Internetclips, wo er wie ein Getriebener den völkischen Aufstand beschwört, wirkt Rönsch im Verhandlungssaal des Berliner Landgerichts ruhig, fast friedlich. Was soll er auch machen.

Mario Rönsch sitzt hier, weil er einen illegalen Waffenshop betrieb und Hunderte Deutsche mit Gaspistolen und Langwaffen versorgte. Migrantenschreck nannte er seine Plattform, die wenig Zweifel ließ, welchen Zweck die Waffen hatten: »60 Joule Mündungsenergie strecken jeden Asylforderer nieder«, lautete der Werbetext für einen Revolver. Gegen »Ficki-Ficki-Fachkräfte und rotzfreche Antifanten«, ein anderer. Im Netz lud er martialische Videos hoch, auf denen ein Typ mit doppelläufiger Flinte einem Pappkameraden mit schwarzer Hautfarbe ein faustgroßes Loch in die Schulter schießt. An anderer Stelle feuert ein Vermummter Hartgummiprojektile auf Poster deutscher Politiker.

In einer Zeit, als der Waffenmarkt im Darknet mit Turbulenzen kämpfte, etablierte sich Migrantenschreck als bequeme Alternative für Menschen, denen das Darknet zu kompliziert war und eine echte Schusswaffe zu heikel. Die Hartgummiknarren aus Rönschs Migrantenschreck-Arsenal waren trotzdem gefährlich. Auch sie hätten ein Leben beenden können.

Bevor ich Rönsch im Gerichtssaal wiedersehe, stand ich vor seiner Wohnung in Budapest. Ein schicker Altbau im vornehmen Viertel Pasarét. Der Rechtsextreme betrieb seinen illegalen Waffenhandel von dort aus, bis ihn im März 2018 ungarische Spezialkräfte in Abstimmung mit der Berliner Staatsanwaltschaft hochnahmen. Rönsch sagte bei seiner Festnahme, das »Merkel-Regime« sei für ihn nicht zuständig. Nach Deutschland ausgeliefert wurde er trotzdem.

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Das Darknet hat die Art und Weise revolutioniert, wie Menschen an verbotene Güter kommen. Ein Gramm Speed, eine Glock 17, ein Imitat einer Breitling-Uhr, ein gefälschter Pass der Bundesrepublik Deutschland – oft genügen wenige Klicks, um den Deal einzutüten. Gezahlt wird in Bitcoin, Monero oder Zcash, pseudonyme Kryptowährungen, ohne die das kommerzielle Darknet nicht vorstellbar wäre. Nie war es so einfach und bequem, beim Shopping gegen das Gesetz zu verstoßen, nie war die Schwelle so niedrig, selbst Anbieter zu werden. Der Schwarzmarkt ist heute Mainstream.

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