Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 45
2.2.4.4. Anordnung und Gruppierung
ОглавлениеDie turmlose oder turmarme Mauer war, obwohl häufiger als meist angenommen, insgesamt doch eindeutig die Ausnahme bei den deutschen Stadtbefestigungen. Normal war vielmehr jene Art von Mauer, die in halbwegs regelmäßigen Abständen mit Türmen verstärkt war, sodass nicht die vergleichsweise niedrige und unakzentuierte Mauer allein die Außenwirkung der befestigten Stadt bestimmte, sondern eben der „Kranz“ der Türme. Dieses Bild war und ist noch immer so suggestiv, dass es in der Regel nicht nur für das häufiger auftretende Phänomen, sondern für das Bild der Stadtmauer schlechthin gehalten wird.
Unter formalen Gesichtspunkten gibt es im Prinzip zwei Typen der turmreichen Mauer, mit ganz unterschiedlicher Wirkung. Die Turmreihung kann betont regelmäßig gestaltet sein, das heißt, die Türme sind von gleicher oder fast gleicher Form, Dimension und Detailgestaltung und sind zudem in gleichbleibenden Abständen angeordnet. Dies ergibt ein Bild von betontem Gleichmaß, wie man es in der gleichzeitigen Architektur sonst nur im Sakralbau findet, in der Pfeiler- und Fensterreihung der Kirchenschiffe, Kreuzgänge oder Strebewerke. Der andere Fall besteht darin, dass zwar viele Türme mit der Mauer verbunden sind, dass ihre Abstände aber keineswegs gleich sind und dass vor allem die Türme selbst mehr oder minder unterschiedlich aussehen. Die Wirkung einer solchen Stadtmauer ist weit abwechslungsreicher oder „malerischer“, obwohl die zusammenfassende Wirkung des Turmkranzes grundsätzlich dieselbe ist.
Bevor die Begründung und Verbreitung dieser beiden unterschiedlichen Fälle untersucht werden, sei ein seltener Sonderfall der Turmgruppierung angesprochen, der im Grunde zu den schon angesprochenen Fällen turmarmer Mauern gehört, aber durch die besondere Anordnung des einzigen Mauerturmes bestimmte entwicklungsgeschichtliche Aspekte berührt. Bei einer geringen Anzahl südwestdeutscher Stadtbefestigungen der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurden Türme nämlich in einer Weise eingesetzt, die unmittelbar aus dem gleichzeitigen, in dieser Region hoch entwickelten Burgenbau abgeleitet scheint. Am deutlichsten tritt dies in (Schwäbisch) Hall entgegen, das quasi auf einem Sporn liegt und seine entsprechend ausgeprägte Angriffsseite durch die Anordnung eines Rechteckturmes in ihrer Mitte sicherte; da Mauertürme fehlten und die Tortürme tiefer standen, ergibt sich das Bild einer ungewöhnlich ausgedehnten Burg mit „Frontturm“ (Abb. 59). Noch eindrucksvoller ist der Rottweiler „Hochturm“ (Abb. 78), der nachträglich auf den die Stadt überragenden Berg gesetzt und mit ihr durch Schenkelmauern verbunden wurde; er ist nicht nur augenscheinlich der früheste Mauerturm, der in Baden-Württemberg erhalten ist, sondern er spielte auch eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Schalentürme (vgl. 2.2.4.8.). Verwandte Fronttürme in Städten findet man in Waldenburg („Lachnersturm“; Abb. 389), rechteckig wie in Hall, und in Waiblingen. Esslingen schließlich schützte sich in einer ersten, an Rottweil erinnernden Erweiterung nicht durch einen Turm auf dem überragenden Berg, sondern durch eine breite Schildmauer.
Dass derartig burgähnliche Lösungen für Stadtbefestigungen so selten geblieben sind, dürfte seinen Hauptgrund darin haben, dass die durchschnittliche Größe mittelalterlicher Städte in aller Regel einen Bauplatz mit nur einer Angriffsseite ausschloss. Sobald aber lange Partien der Mauer in gleichem Maße angreifbar und durch mehrere Türme geschützt waren, konnte von einer Ähnlichkeit mit den weit kleineren und zumeist eintürmigen Burgen keine Rede mehr sein.
Abb. 59 Schwäbisch Hall (Württem bergisch Franken), Rekonstruktionsversuch der Stadtmauer in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die Türme 8 und 9 und der Zwinger am „Schiedgraben“ sind aber fraglos jünger. 14 ist der bergfriedartige „Folterturm“.(E. Krüger, Die Stadtbefestigung von Schwäbisch Hall, 1966).
Unter den beiden oben definierten Fällen der vieltürmigen Mauer war in Deutschland der „malerische“ Fall mit verschiedenartigen, etwas unregelmäßig verteilten Türmen eindeutig häufiger, wobei das Schwergewicht dieser Art Mauer erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert lag. Eine der einfachsten Erklärungen für diese Feststellung liegt darin, dass bis zu dieser Spätzeit schon recht viele Mauern verstärkt worden waren und dass diese Verstärkungen meist in Türmen bestanden, die mehr oder minder pragmatisch gestaltet wurden und damit das unregelmäßige Erscheinungsbild der Mauer verstärkten. Die erhebliche Anzahl anfangs turmloser oder turmarmer Mauern (vgl. 2.2.4.3.) war ein wichtiger Grund für die sekundäre Anfügung von Türmen, aber ein anderer dürfte auch in einem Wandel der ästhetischen Vorstellungen gelegen haben. Denn in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts hatte es durchaus schon Mauern mit recht regelmäßig gereihten und gleichförmigen Türmen gegeben und auch im 14./15. Jahrhundert gab es wichtige Beispiele dafür, von spätrömischen Vorbildern und solchen außerhalb Deutschlands ganz abgesehen. Auch beim Anbau einzelner Türme hätte man diesem Ideal der Regelmäßigkeit schließlich nacheifern können. Das ästhetische Ideal der Spätgotik, das zum Abwechslungsreichen und Komplexen tendierte, im Extremfall sogar zum Krausen und Skurrilen, dürfte also bei der Gestaltung der Mauern ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts durchaus eine Rolle gespielt haben (s. 2.2.11.1.).
Im 13. Jahrhundert war die formale Variationsbreite noch ebenso eng begrenzt wie die Anzahl der Fälle. Ein noch romanisches Beispiel bietet etwa Hainburg bei Wien, wo manche von den regelmäßig angeordneten quadratischen Türmen übereck stehen und ein Eckturm achteckig ist; um 45 Grad gedrehte Türme, vor allem an den Ecken, findet man auch sonst an relativ frühen Mauern Österreichs, gelegentlich sogar Fünfecktürme (Wiener Neustadt, Laa/Thaya, Leoben, Bruck/Mur). Auch etwa im Neckarland herrschte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts der rechteckige Turm vor, wobei die seltenen Türme aber nur an wichtigen Stellen und daher ziemlich unregelmäßig stehen.
Unter jenen Mauern, die ab den 1330er Jahren den Höhepunkt der „malerischen“ Turmgruppierung bildeten, zeigen aus naheliegenden Gründen die ausgedehnteren das Phänomen besonders anschaulich, in der Regel äußere Mauern um einen Kranz herangewachsener Vorstädte. Ein berühmtes Beispiel ist Rothenburg ob der Tauber, wo man um 1330/40 im Süden und Osten mit runden und quadratischen Türmen begann, aber gegen 1400 im Norden mit Rundschalen abschloss (Abb. 60); noch vielförmiger ist das nahe Dinkelsbühl (äußere Mauer, 1372 bis um 1420). Halbrunde und rechteckige Schalen zeigt die äußere Mauer von Schwäbisch Gmünd (1399–1424) und ausgesprochen abwechslungsreich war auch die leider fast völlig verschwundene äußere Mauer von Frankfurt am Main (ab 1333). In Breslau mischte die schon etwa 1290–1330 erbaute äußere Mauer rechteckige und halbrunde Türme, was deswegen besonders interessant ist, weil in Schlesien sonst zwischen den 1260er Jahren und der Mitte des 14. Jahrhunderts betont regelmäßige Turmreihungen vorherrschten, nämlich Rechtecktürme in Niederschlesien und Rundtürme in Oberschlesien. Schlesien verdeutlicht damit in besonderer Weise, was man in den anderen Fällen ausgedehnter Mauern bzw. großer Städte schon vermuten konnte: dass nämlich die besondere Länge einer Mauer ein Grund sein konnte, die Turmformen bewusst zu variieren, um Monotonie zu vermeiden.
„Malerische“ Gruppierung
Allerdings wird gleich zu zeigen sein, dass zur gleichen Zeit andere, ähnlich umfangreiche Mauern wichtiger Städte durchaus das Gegenteil anstrebten, nämlich eine betonte Regelmäßigkeit. Und in die gleiche argumentative Richtung weist die Beobachtung, dass auch bei Mauern von sehr begrenztem Umfang, bei denen also nur Bedarf und Raum für wenige Türme war, Wert auf formale Abwechslung gelegt wurde. Um wieder im süddeutschen Raum zu beginnen: Mindelheim und Kaufbeuren (um 1360–1420) mischen runde und rechteckige Türme, ebenso das fränkische Seßlach (1335–65); die Vorstadt von Öhringen in Hohenlohe (um 1334–57) ergänzte ihre Rundtürme durch zwei rechteckige, während das nahe Ingelfingen vier Rechteckschalen durch einen Rundturm ergänzt. Das besonders späte, schon in die Feuerwaffenzeit gehörende Waldkirchen (1451–79) im Bayerischen Wald besitzt neben rechteckigen und runden auch polygonale Türme.
Eben dieser erhöhte Variantenreichtum, nochmals bereichert durch Wehrerker, prägte schon im 14. Jahrhundert zahlreiche Mauern des Rheinischen Schiefergebirges; als Beispiel unter vielen ist Dausenau an der Lahn zu nennen, das neben zwei rechteckigen fünf weitere Türme in jeweils anderer Form aufweist! (Ober-)Hessen ist mit seinen fast normiert wirkenden Rundturmmauern des 14./15. Jahrhunderts das ebenso klare wie nahe Gegenbeispiel; eine Abwechslung der Turmformen zeigen hier – neben dem sekundär turmverstärkten Fritzlar – nur wenige kleine Städte. Weiter östlich wiederum findet man in Thüringen Beispiele betonter Abwechslung, etwa bei der langen und großenteils erhaltenen Mauer von (Langen-)Salza (ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts), das zwar neben zwei halbrunden Türmen und mauerhohen Rundschalen überwiegend quadratische Türme aufweist, diese aber im Detail unterschiedlich ausgestaltet. Noch größere Vielfalt findet man im spät ummauerten Tennstedt (1448–89) und in Heldburg (erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts), wo man einen polygonalen Turm, einen vollrunden und einen innen abgeflachten Rundturm findet, schließlich eine Rundschale. Ähnlich kann man die Reste in Wittenburg in Mecklenburg beschreiben (um 1400), wo drei quadratische Türme, eine Rechteckschale und ein Rundturm in reichen Schmuckformen erhalten sind – nach heutigem Eindruck ein Ausnahmefall in der Region.
Abb. 60 Rothenburg ob der Tauber (Mittelfranken), verschiedene Turmformen der äußeren Mauer des 14. Jahrhunderts. Vorn der „Weiberturm“, ein kleiner Rundturm, dann der rechteckige „Thomasturm“ – vor beiden Streichwehren des Zwingers – und der Turm des „Würzburger Tores“; ganz hinten der wieder rechteckige Turm „Kummereck“.
Lag das Gemeinsame der Mauern mit betont abwechslungsreichen Turmformen vor allem in ihrer späten Entstehung ab dem 14. Jahrhundert, wobei sie aber mehr oder minder dicht über den gesamten deutschen Raum verteilt waren, so fällt es bei dem alternativen Gestaltungsprinzip wesentlich leichter, überschaubare Gruppen zu benennen. Mauern mit gleichmäßiger Reihung prinzipiell gleich geformter Türme waren einerseits – neben den turmlosen und turmarmen Mauern – überregional typisch für die Mauern größerer Städte des 13. Jahrhunderts, andererseits gab es im 14./15. Jahrhundert klar erkennbare Gruppen derartiger Mauern.
Gleichmäßige Reihung der Türme
In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts besaßen etliche wichtige und früh ummauerte Städte des deutschen Raumes Mauern mit regelmäßig angeordneten quadratischen oder rechteckigen Türmen, meist von stattlichen Ausmaßen. Am Oberrhein kann man in Straßburg und Worms noch nachvollziehen, wie so etwas aussah, in Basel wurden zumindest einige solche Türme sekundär vorgesetzt. Zürich und die Luzerner „Kleinstadt“ waren etwas jüngere Beispiele weiter im Süden, Landau, Münstereifel und Nideggen weiter nördlich. Im Neckarland war wohl die Pliensauvorstadt von Esslingen (ab 1286) das erste Beispiel einer solchen Mauer.
Interessanterweise sind Mauern mit gereihten Rechtecktürmen aber auch sehr viel weiter östlich schon früh belegbar, so vor allem in Erfurt – womöglich schon vor 1200, mangels Resten schwer datierbar –, in Magdeburg und auch in Halberstadt. In der reichen Bergwerksstadt Freiberg, deren (dennoch bisher spät datierte) Mauer 1233 erwähnt wird, stand alle 100 m ein vorspringender quadratischer Turm, der über dem Wehrgang die Form einer Schale mit Schlitzscharten annahm. In Bautzen und Görlitz schließlich wird die Reihung rechteckiger bzw. quadratischer Türme erst ins frühe 14. Jahrhundert datiert – die Bautzener Mauer existierte schon 1282 –, wobei in beiden Fällen eine frühere Datierung nicht auszuschließen ist. In Schlesien schließlich, zu dem Görlitz schon gehörte, herrschten zwischen etwa den 1260er Jahren und der Mitte des 14. Jahrhunderts regelmäßig gereihte, gleiche Türme völlig vor, in Niederschlesien rechteckige Türme, in Oberschlesien Rundtürme und Rundschalen, die vielleicht auf böhmische Vorbilder zurückgehen.
Die Reihung runder Türme, überwiegend von Rundschalen, gab es ab dem früheren 13. Jahrhundert noch in zwei anderen Regionen Deutschlands. Einerseits war die bedeutende Mauer von Köln (um 1210–50) der Ausgangspunkt einer solchen Gruppe (Abb. 66). Die Kölner Formen wurden früh etwa in Bonn, Neuss, Siegburg, Andernach, Duisburg und anderen rheinischen Städten übernommen und weiterentwickelt; später mischten sie sich mit französischen Einflüssen und schufen eine der besonders geschlossenen Stadtmauerlandschaften Deutschlands. Die andere Gruppe, vermutlich vom Rheinland inspiriert, hatte ihren Ausgangspunkt offensichtlich in Lübeck, wo ab 1217 eine Backsteinmauer mit teilweise eng gereihten Rundschalen entstand (Abb. 61). Von Lübeck abhängig war einerseits offenbar Bremen, andererseits eine ganze Gruppe von Backsteinmauern in Mecklenburg, deren Verbreitung sich ziemlich gut mit der Verbreitung des lübischen Rechtes in den Ostseeraum hinein deckt.
Das wichtigste Beispiel der regelmäßigen Reihung gleicher Türme im 14. Jahrhundert war zweifellos das brandenburgische Wiekhaussystem, eine Schöpfung der Zeit um 1300, die über ein Jahrhundert lang in einem sehr großen Gebiet verbindlich blieb; es reichte von Brandenburg über Pommern bis ins Ordensland Preußen (vgl. Bd. II, Topographischer Teil, 26.). Typisch war die fast immer regelmäßige, dichte Reihung von rechteckigen Schalentürmen (Wiekhäusern) genormter Form, die einzeln zugänglich waren, weil die Mauern (außer im Ordensland) keine Wehrgänge besaßen. Einzelne höhere, vollrunde Türme akzentuierten die allzu gleichmäßige Reihung und stellten zugleich verschließbare Räume zur Verfügung.
Regelmäßige Reihung im 14. Jahrhundert
Abb. 61 Lübeck, die Stadtmauer am „Burgtor“ um 1450, Rekonstruktionsversuch. Der Unterbau des Tores gehört noch zu der um 1180 in Backstein erneuerten Burg (vgl. Abb. 67, 186), die Rundschalen zur Mauer des frühen 13. Jahrhunderts (vgl. Abb. 67) (Bruns/Rathgens, Bau- und Kunstdenkmäler …Lübeck, I, 1, 1939).
Die Reihung gleicher Türme, gelegentlich durch solche anderer Form rhythmisiert, findet man im späteren 14. Jahrhundert ähnlich eindrucksvoll im herzoglich bayerischen Ingolstadt (Abb. 62); sie brachte bis ins frühe 15. Jahrhundert eine Reihe deutlich erkennbarer Nachfolger in der Region hervor. Die weit gedehnte Ingolstädter Mauer (ab 1361) reihte über siebzig normierte Rundschalen, höher und schmuckreicher als die brandenburgischen Wiekhäuser und durch einen aufwendig abgestützten Wehrgang verbunden; die gelegentlichen höheren Türme sind hier rechteckig oder fünfeckig. Die Gestaltung ist im Detail also gänzlich anders als in Brandenburg, aber das Prinzip ist dasselbe. Die typischen hohen Halbrundschalen der Ingolstädter Art findet man außerdem, manchmal nur an Partien der Mauer, in Wemding (Mauer nach 1343 begonnen, zunächst wohl mit rechteckigen Türmen!), Abenberg (1348 Ummauerungserlaubnis), Schrobenhausen (Mauer 1389–1419, neben Rundschalen auch vollrunde, quadratische und polygonale Türme), Friedberg bei Augsburg (ummauert ab 1409 von Ludwig dem Gebarteten von Bayern-Ingolstadt), Aichach (nur ein Turm dieser Form, aber eine Inschrift belegt Ludwigs Arbeiten 1418) und schließlich undatiert in einzelnen Mauerabschnitten von Donauwörth, Giengen und Pappenheim. Auch die umfangreich erhaltene äußere Mauer von Landsberg am Lech (um 1420/25) dürfte letztlich in diesen Zusammenhang gehören.
Wenn die brandenburgischen Wiekhausmauern und die „Ingolstädter Gruppe“ zwar durch dasselbe gestalterische Grundprinzip verbunden, aber dennoch im Detail ganz unterschiedlich sind, so gibt es eine weitere wichtige Gemeinsamkeit zwischen ihnen, die einiges erklärt, nämlich das Baumaterial. Backstein ist ein in seinen Maßen normiertes Material, das quasi eine logische Aufforderung enthält, mit immer wieder gleichen Mauermaßen und Formen zu planen (vgl. 2.2.2.4.). Die gesamte Backsteingotik ist durch dieses Prinzip geprägt, auch wenn die kleinteiligere Gliederung etwa der Giebel, Fenster oder Blenden auf den ersten Blick abwechslungsreicher und rhythmischer als eine turmreiche Stadtmauer erscheint. Backstein macht eine einmal gefundene Lösung besonders leicht wiederholbar, und es scheint, dass die daraus resultierende Ästhetik schnell akzeptiert wurde. Dies war in Bayern übrigens auch schon vor Ingolstadt der Fall gewesen, nämlich bei der 1315/19 begonnenen äußeren Mauer von München, die als erste des Landes Türme regelmäßig reihte, hier aber wiederum rechteckige. Noch deutlicher wird der Einfluss des Backsteins, wenn man zu den beiden großen Backsteingebieten Deutschlands – der norddeutschen Tiefebene und dem Alpenvorland – das nächste im Süden heranzieht, das hier allerdings nicht zum Thema gehört. In der Poebene findet man, etwa im Herrschaftsgebiet der Scaliger, in Venetien und vor allem auch im Herzogtum Mailand, ab dem 14. Jahrhundert Backsteinmauern mit regelmäßiger Turmreihung, zumeist mit Rechtecktürmen; als höchst sehenswertes Beispiel sei hier nur die um 1360/62 erbaute Mauer der paduanischen Stadt Montagnana genannt.
Allerdings blieb die regelmäßige Turmreihung im 14. Jahrhundert keineswegs auf die Backsteingebiete beschränkt. Man findet etwa auch in den Natursteingebieten Franken, Hessen und Thüringen einzelne Beispiele derartiger Gestaltung, allerdings wohl nicht in der Häufigkeit und formalen Vollendung wie in den Backsteinregionen. So kann man im Fränkischen – an sich einer Hochburg „malerischer“ Turmabwechslung – durchaus Mauern mit sehr regelmäßig gereihten quadratischen oder rechteckigen Türmen finden, darunter etwa Mergentheim (um 1335–61), dessen querrechteckige, nicht vor die Mauer springende Türme weit älter wirken, vor allem aber die äußere Mauer von Nürnberg (1346–1407), eine der wichtigsten deutschen Mauern überhaupt, bei der die quadratischen Volltürme und Schalen nur durch ganz wenige halbrunde und polygonale Türme ergänzt sind; die Süderweiterung von Weißenburg (begonnen 1372/76; Abb. 377) perfektioniert diese Regelmäßigkeit noch. Bei den die Region völlig dominierenden „Rundturmmauern“ Hessens beruht der gleichmäßige Eindruck vor allem auf der sehr konsequent durchgehaltenen Grundrissform; genauere Betrachtung zeigt aber, dass Dicke und Höhe durchaus etwas variieren können, ebenso die Verteilung bei recht großen Abständen, von der nicht seltenen Verwendung runder Schalen ganz abgesehen. Eben solche Rundschalen, recht eng gesetzt, trifft man auch bei einer Gruppe thüringischer Mauern, die ab etwa 1320 entstanden (Eisfeld, Hildburghausen, Saalburg, Heringen), aber im Gesamtzusammenhang der thüringischen Mauern ähnlich isoliert waren, wie dies schon in Franken konstatiert wurde.
Abb. 62 Ingolstadt, an der äußeren, in Backstein ausgeführten Mauer (1361–1434) reihten sich halbrunde Türme (rechts, restauriert), zwischen die gelegentlich ein stärkerer Fünfeckturm gesetzt war (links, unrestauriert und mit sekundärem Durchbruch).
Abb. 63 Lauenburg (Polen), eine Gründung des Deutschen Ordens im späteren Hinterpommern, ist als nahezu quadratisches Kastell eine Ausnahme im mittelalterlichen Städtebau, wobei aber die Rechtecktendenz vieler Gründungsstädte gute Voraussetzungen bot (Die Baudenkmäler der Provinz Pommern, 3, 2, 2: Bütow und Lauenburg, 1911).
Bei kleineren Befestigungsformen – spätrömischen Kastellen und mittelalterlichen Burgen – war das Kastell eine der überzeugendsten Möglichkeiten der regelmäßigen Turmanordnung. Die Ecken eines Quadrates oder Rechteckes wurden dabei mit Türmen gleicher Form besetzt, die Kurtinen mit weiteren Türmen regelmäßig unterteilt – sicherlich eine der wirkungsvollsten Befestigungsformen der Architekturgeschichte, die Spitzenprodukte wie etwa die süditalienischen Kastelle Friedrichs II. oder bereits früher die umayyadischen Paläste des Vorderen Orients ermöglichte. Für Städte scheint das Kastell auf den ersten Blick eine weniger geeignete Form; zwar gibt es nicht wenige rechteckige Gründungsstädte, aber allein ihre vergleichsweise großen Dimensionen scheinen ein architektonisches Gesamtkonzept wie das Kastell zur Wirkungslosigkeit zu verdammen. Dennoch gibt es Beispiele kastellförmiger Städte, und zwar hauptsächlich im 14. Jahrhundert. Man muss sich dabei verdeutlichen, dass die Mehrzahl mittelalterlicher Städte recht klein war und dass gerade „auf dem Reißbrett“ geplante Städte anfangs wirklich wie ein Einzelbauwerk in einer wenig bebauten Umgebung standen, abgesehen davon, dass mancher Entwurf auf dem Papier weit besser als in der Realität wirkt.
Kastellförmige städte
Am stärksten waren solche Formen im Deutschordensland Preußen verbreitet, wo die Tendenz zur Rechteckanlage allgemein stark war und kräftige Ecktürme eine große Rolle spielten; als Höhepunkt sei hier Lauenburg genannt, ein perfektes Quadrat mit achteckigen Ecktürmen und acht sehr großen Wiekhäusern pro Seite (wohl drittes Viertel des 14. Jahrhunderts; Abb. 63). Die ordensländischen Anlagen strahlten offensichtlich auch nach Pommern und Brandenburg aus, wo sie aber nur (späte) Ausnahmen in einer Region bildeten, für die sonst die rundliche, eckturmlose Mauer typisch war; in Pommern sind Greifswald, Dramburg, Greifenberg und Stettin als mehr oder minder kastellartige Städte zu nennen, in der Neumark Arnswalde, in der Altmark schließlich Tangermünde mit quadratischen Ecktürmen zur Wasserseite und runden zum Land.
Einzelne kastellartige Ummauerungen findet man auch in Thüringen (Pößneck, Neustadt/Orla, Jena) wie in Sachsen (Marienberg, eine Idealstadt mit Ummauerung von 1541–56) und in diesem Zusammenhang darf man letztendlich wohl auch einige rheinische Städte nennen, die – obwohl nicht rechteckig – allein die Ecken mit Rundtürmen betonten, während sie sonst Rechtecktürme besaßen (Münstereifel, Nideggen, Bacharach). Dies sind aber nach Gesamtform und auch topographischer Lage bereits Grenzfälle, die zwar Turmformen für eine gewisse Akzentuierung nutzten, aber keine wirklichen Kastelle mehr waren. Insgesamt unterstreichen sie nochmals, dass das Streben nach der regelmäßigen, optisch unmittelbar wirksamen Gesamtform bei Stadtmauern die Ausnahme war.
Die bewusst abwechslungsreiche Anordnung von Türmen, so darf man zusammenfassen, ist ein Phänomen, das im deutschen Stadtmauerbau erst im 14. Jahrhundert aufkommt, nachdem bis dahin neben der turmarmen Mauer durchaus die regelmäßige Turmreihung der Normalfall war, freilich bei einer insgesamt noch weit geringeren Anzahl von Stadtmauern. Im 14. Jahrhundert aber prägte das Prinzip der abwechslungsreichen Turmanordnung die Mehrzahl der Mauern, wobei jene Mauern eine wichtige Rolle spielten, die erst durch das pragmatische Anbauen einzelner Türme im Endeffekt diese Gestalt gewannen. Daneben existierte aber weiterhin das Gestaltungsprinzip der Reihung gleicher Türme, sodass hier zwar eine gewisse Entwicklung der ästhetischen Vorstellungen greifbar wird – von regelmäßiger Strenge zu malerischer Abwechslung –, die aber die grundsätzliche Wahlfreiheit der Planer nie völlig beseitigte.