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2.2.5. Der Torturm

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In Bezug auf die Türme war bereits festgestellt worden, dass die äußere Erscheinung der mittelalterlichen Stadt weniger durch die Mauer im engeren Sinne, sondern weitaus mehr durch den Ring der Mauertürme geprägt wurde. Dies galt für den noch etwas entfernten Betrachter, der die Stadt insgesamt oder zumindest größere Teil ihrer Peripherie überblicken konnte. Die Aufmerksamkeit des Besuchers, der sich der Stadt näherte und sie schließlich betrat, beanspruchte jedoch ein Einzelbauwerk noch weit stärker, nämlich das Tor.

Die mittelalterliche Stadt hatte zwar in einer Welt häufiger gewaltsamer Konflikte allen Grund, ihre Wehrhaftigkeit zu erhalten und zu betonen, aber sie lebte nun einmal von Produktion und Handel, auch auf ganz direkte Weise von ihrem Umland, also von ihren Außenbeziehungen. Das Tor als Nahtstelle zwischen Stadt und übriger Welt ermöglichte und veranschaulichte beides: Öffnung für die Verkehrsströme und wehrhafte Abschließung; damit war es das wohl beste denkbare Symbol für das Wesen der mittelalterlichen Stadt. Dass es immer wieder auf Wappen und Siegeln erschien – in Sachsen etwa galt dies für über die Hälfte der mittelalterlichen Städte –, lag folglich ausgesprochen nahe. Geeignet war das Tor für diesen besonderen Zweck natürlich nur unter der Voraussetzung, dass es selbst repräsentative Architektur war, und das heißt vor allem, dass es ein Turm war oder Türme besaß, denn repräsentative, aber im Prinzip ohne Türme auskommende Torfassaden, wie sie in der Antike und dann wieder ab der Renaissance verbreitet waren, fehlten im Mittelalter fast völlig.

Dass das Stadttor jener Teil der Stadtmauer war, der als einziger in höherem Maße formal ausgestaltet wurde, hat auch die themenbezogene Forschung geprägt. Die beiden einzigen deutschen Bücher wissenschaftlichen Charakters, die nicht nur einzelne Stadtmauern beschreiben, sondern die Ebene des regionalen Vergleichs betreten, befassen sich mit Toren und lassen den Rest der Befestigung unbehandelt. Und es ist bezeichnend, dass beide Werke von Kunsthistorikern stammen und Regionen behandeln, in denen die Tore außergewöhnlich anspruchsvolle Gestaltungen aufweisen; Heinrich Trost behandelte 1959 die besonders schmuckreichen Tore der mitteldeutschen Backsteinregion, Udo Mainzer 1973 vor allem die kölnisch-rheinischen Doppelturmtore.

Aus diesen beiden wichtigen Arbeiten auf die Tore des gesamten deutschen Raumes zu schließen, müsste allerdings in die Irre führen. Denn im deutschen Raum herrschte die Form des relativ schlicht gestalteten Torturmes – im Sinne eines Turmes, der in seinem Erdgeschoss die Durchfahrt enthielt – so entschieden vor, dass Nichtspezialisten ohne Weiteres meinen könnten, es hätte gar keine anderen Formen gegeben (vgl. 2.2.5.). Das antikisch inspirierte Doppelturmtor trat in Deutschland regional und zeitlich nur als Ausnahme auf (vgl. 2.2.6.4.) und ebenso begrenzt war eine Form, die sich bei oberflächlicher Betrachtung vom Torturm wenig unterscheidet – der Turm ohne Durchfahrt, der unmittelbar neben dem Tor stand (vgl. 2.2.6.3.). Weitere Formen, Mauertore, Torbauten, Ausfalltore usw., treten schon wegen ihrer formalen Bescheidenheit weit weniger hervor.

Dass in Deutschland auch die Tore in aller Regel Türme waren, widersprach im Grunde ihrer besonderen symbolhaften Funktion, denn damit waren die Tore im Rahmen der gesamten Befestigung nicht einzigartig, vielmehr waren sie auf diese Weise Türme unter anderen, die nur noch durch Besonderheiten in Dimension und Gestaltung hervorgehoben werden konnten. Dementsprechend wird sich im Folgenden zeigen, dass viele Merkmale zumindest der größeren Mauertürme, die im letzten Kapitel dargestellt wurden, bei den Tortürmen ähnlich anzutreffen sind; besonders zu betonen bleiben daher jene Merkmale, die die Tortürme trotz allem hervorheben.

War bei den Mauertürmen (vgl. 2.2.4.) festgestellt worden, dass sie im Mittelalter offenbar keine Namen, sondern höchstens utilitäre Bezeichnungen trugen, die zudem häufig erst ab dem Nachmittelalter belegbar sind, so wird man bei den Toren anderes vermuten, weil sie funktionsgemäß viel stärker wahrgenommen und auch symbolhaft empfunden wurden. Und in der Tat trugen die Tore – die Tortürme und alle anderen Formen, mit Ausnahme ausgesprochener Nebentore und Pforten – praktisch immer Namen, die zumeist bis heute im Bewusstsein verankert sind, oft sogar dann, wenn das Tor als Bau längst verschwunden ist und nur eine Örtlichkeit noch daran erinnert.

Namengebung der Tore

Genauere Betrachtung zeigt allerdings, dass diese Bezeichnungen der Tore auch kaum jemals Folge eines bewussten Aktes der Bauherren waren, also keine „Namen“ in einem ideellen Sinne. Absolut vorherrschender Fall war vielmehr die Benennung des Tores nach der Siedlung, die man auf der hinausführenden Straße erreichte. Streng genommen, ist in diesen Fällen der vermeintliche Torname gar kein Name, sondern nur eine Richtungsangabe, eher etwas wie ein Wegweiser bzw. der übernommene, ebenfalls praktisch zu verstehende Name der Straße.

Dennoch mag gelegentlich selbst in solchen Bezeichnungen ein gewisser „politischer“ Bedeutungsgehalt mitschwingen, wenn nämlich nicht einfach ein wenige Kilometer vor der Stadt liegendes Dorf den Tornamen hergab, was durchaus üblich war, sondern eine weiter entfernte, aber wichtigere Stadt; dann nämlich gab die Stadt, aus der das Tor hinausführte, mit dem Tornamen quasi zu verstehen, dass sie „in einer höheren Liga“ als die kleineren Siedlungen ihres Umlandes spielte. Als besonders eindrückliches Beispiel sei das kleine Waldenburg in Hohenlohe genannt, das ein „Mainzer Tor“ besaß, obwohl Mainz keineswegs die nächste große Stadt war, sondern fast 200 km entfernt liegt. Hier wollten sich die Grafen von Hohenlohe, die Burg und Stadt um 1250 offenbar als neuen Hauptsitz gründeten, als gleichrangig mit dem ungleich mächtigeren Erzbistum in Szene setzen – und es war wohl auch eher das Territorium von Mainz, das hier angesprochen wurde, nicht die Stadt; die Nennung eines Territoriums oder einer Landschaft vor dem Tor kommt auch sonst manchmal vor (Freiburg im Breisgau, „Schwabentor“; Landsberg am Lech, „Bayertor“; Oppenheim, „Gautor“). Und eine weitere Variante desselben variablen Prinzips war die Nennung nach vorgelagerten Wasserläufen („Elbtor“, „Rheintor“, „Isartor“) oder auch bedeutenden Verkehrsbauten („Brückentor“).

Andere Benennungen waren noch pragmatischer, so vor allem die in kleinen Städten weitverbreiteten nach der Lage in der Stadt bzw. im Gelände („Obertor“, „Untertor“/„Niedertor“) oder, seltener, nach der Himmelsrichtung (Schleswig, „Nordertor“; Regensburg, „Ostentor“). Ausgesprochen alltagsbezogen sind schließlich Namen, meist an nicht ganz so wichtigen Toren größerer Städte, die von bestimmten Nutzungen bzw. Nutzergruppen hergeleitet wurden, etwa „Kornpforte“ von Getreidetransporten, „Fischerpforte“ gegen die Anlegestellen, oder verschiedene Namensformen, die mit Viehhaltung in der Stadt und den außerhalb liegenden Weiden zu tun hatten („Viehtor“, „Kuhtor“, „Tränktor“, „Trifttor“ und Ähnliches). Den pragmatisch bzw. ungewollt entstandenen Namen darf man schließlich die seltenen, aber aussagekräftigen Bezeichnungen zuordnen, die etwas mit der Entwicklung der Befestigung zu tun haben dürften. So dürfte etwa das verschiedentlich anzutreffende „Steintor“ an eine Holz-Erde-Befestigung erinnern, in der ein Tor aus Mauerwerk eine Ausnahme war; und das Speyerer „Altpörtel“ war offenbar unter mehreren Toren das älteste.

Nur zwei Arten von Tornamen – beide weitaus seltener als die Namen nach nahen Siedlungen oder die anderen pragmatischen Benennungen – könnten zumindest auf den ersten Blick als bewusste, bedeutungsgeladene Schöpfungen verstanden werden. Einerseits sind dies die Farbnamen, andererseits die Personen- bzw. Heiligennamen. Im Falle der seltenen Farbnamen – sie bleiben auch dann selten, wenn man die entsprechend benannten Mauertürme hinzunimmt – wird man in der Regel an die Farbe eines längst verschwundenen Anstriches („Weißer Turm“ in Nürnberg und Rothenburg ob der Tauber, „Rotes Tor“ in Augsburg) oder auch an die erst im Laufe der Jahrhunderte eingetretenen Färbung eines Steinmaterials (Rottweil, „Schwarzer Turm“) denken dürfen. Obwohl hinter dem Anstrich immerhin bewusste Gestaltung gesteckt hat, rezipierte der Name in solchen Fällen jedenfalls nur das banale Erscheinungsbild und keine tiefere Bedeutung.

Und dasselbe ergibt sich letztendlich bei der Verknüpfung von Toren mit Heiligennamen. Denn in aller Regel bezogen sich solche Namen – „Martinstor“, „Petritor“, „Nicolaitor“, „Marientor“/“Frauentor“ – nicht auf Funktionen oder Räume des Tores selbst, sondern auf Kirchen oder Kapellen, die dem Tor benachbart waren; besonders anschaulich kann man das heute noch beim Eisenacher „Nicolaitor“ nachvollziehen. Letztlich handelt es sich also auch hier wieder um eher praktische Bezeichnungen, die nicht etwa einen Weihegehalt vermitteln, sondern eher pragmatisch eine Lage bezeichnen, ähnlich dem gelegentlich auftretenden Namen „Burgtor“ (etwa Lübeck, Rothenburg, Nürnberg „Vestnertor“). Dass eine Torkapelle, wie sie in Klöstern, Domburgen, Burgen oder eben auch gelegentlich frühen Städten bestanden, den Tornamen auslieh, ist die absolute Ausnahme. Genannt sei die Goslarer „Klauskapelle“, die als romanische Kapelle direkt neben dem Tor erhalten ist – aber ebenfalls in Goslar konnte die Kapelle im „Breiten Tor“ dessen beschreibenden Namen nie vertreiben.

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass Stadttore zwar in aller Regel Namen besaßen, anders als die Masse der Mauertürme, dass diese Namen aber kaum je bewusst verliehen worden waren. Die absolute Regel waren vielmehr pragmatisch entstandene Bezeichnungen, die sich auf Wegziele, Lage, Funktion oder äußere Merkmale bezogen.

Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum

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