Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 46
2.2.4.5. Quadratische und rechteckige Türme
ОглавлениеObwohl es im Prinzip eine beträchtliche Anzahl denkbarer Grundrissformen bei Stadtmauertürmen gibt, sind in der Realität nur zwei Formen wirklich häufig, neben denen alle weiteren seltene Ausnahmen bleiben: der quadratische oder annähernd quadratische Turm und der runde oder zumindest feldseitig runde Turm. Während der Letztere, bei aller Häufigkeit, doch zu bestimmten Zeiten weitgehend fehlte und zu anderen auffällig stark in den Vordergrund trat (vgl. 2.2.4.6.), ist der quadratische oder rechteckige Turm praktisch zu allen Zeiten und nahezu überall gebaut worden, höchstens mit einer geringeren Häufigkeit in bestimmten Regionen und Zeiten.
Gerade diese Häufigkeit des quadratischen Turmes beschränkt seine Aussagekraft sowohl für ästhetische als auch für Datierungsfragen; er war einfach „nichts Besonderes“. Im Folgenden sollen daher nur einige Notizen zu seinem frühesten Auftreten und zu jenen Regionen zusammengetragen werden, in denen die Häufigkeit später etwas schwankte.
Zur Variationsbreite des Grundrisses kann im Grunde nur gesagt werden, dass ein zentimetergenaues Quadrat hier wohl genauso selten war wie ein betontes Rechteck, ein Rechteck also, bei dem die Seitenlängen so stark voneinander abweichen, dass es nicht nur im Grundriss auffällt, sondern auch in der Realität. Unübersehbar war der quadratische Turm das Ideal, dem man sich in der Praxis mehr oder minder perfekt annäherte, während das Rechteck nur als große Ausnahme gewählt wurde. Warum das so war, ist kaum zu sagen. Der quadratische Turm, der von allen Seiten gleich aussieht, vertritt schon ein ästhetisches Ideal, während man sich bei den rechteckigen Türmen durchaus auch fortifikatorische Überlegungen vorstellen könnte. Denn die Rechtecktürme – romanische Beispiele gab es etwa in Basel, (Schwäbisch) Hall und vor allem Worms, für solche des 14. Jahrhunderts sei Mergentheim genannt – standen stets mit der breiteren Seite frontal zum Feld, was etwas mehr Standplätze für Verteidiger bedeutete und etwas mehr Deckung für die dahinterliegende Stadt, während die geringere Tiefe des Baukörpers einen Mehraufwand an Material und Mauerarbeit vermied. Der Vorteil scheint aber nur gering, wozu die Seltenheit der Turmform durchaus passt.
Bis Mitte des 13. Jahrhunderts waren die damals noch seltenen Türme fast immer quadratisch; Ausnahmen bildeten ab etwa 1220 lediglich Köln und Lübeck, beide Ausgangspunkt einer ganzen Gruppe von Mauern und vielleicht miteinander zusammenhängend (vgl. 2.2.4.6.).
Abb. 64 Straßburg, die vier Türme am Einlauf der Ill – „gedeckte Brücken“, weil sie durch überdachte Holzbrücken miteinander verbunden waren – gehörten zur Ummauerung der Stadt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Zwei heute allerdings wenig beeindruckende Beispiele kann man als Beleg anführen, dass es schon um 1100 oder gar früher quadratische Mauertürme gab. Reste des einen, mit der „Burkhardsmauer“ von Basel um 1100 als Eckturm in markanter Lage entstanden, wurde erst vor wenigen Jahren unter jüngerer Überbauung festgestellt. Sein Gegenbeispiel in Worms, gleichfalls ein Eckturm und nur noch auf älteren Plänen belegbar, könnte nach ersten Überlegungen sogar in die Zeit um 1000 zurückgehen. Beide nehmen bisher jedenfalls in unserem Kenntnisstand eine isolierte Position ein.
Rechtecktürme im 12./13. Jahrhundert
Hingegen waren ab der Zeit um 1200 – noch immer wurden nur wenige und in der Regel größere Städte ummauert – quadratische Türme bereits weitverbreitet. Im österreichischen Raum sind eine ganze Reihe vor allem von Gründungsstädten zu nennen, darunter etwa Wiener Neustadt, Hainburg, Friesach, wobei die Turmform bis mindestens Mitte des 14. Jahrhunderts vorherrschte. In der Schweiz können bis Ende des 13. Jahrhunderts vor allem Zürich und Luzern angeführt werden, wobei Türme dort sonst bis 1300 Ausnahmefälle, aber gegebenenfalls auch quadratisch waren. Im Oberrheingebiet waren mit Basel und Worms schon zwei Beispiele romanischer Rechtecktürme genannt worden, wobei vor allem Worms mit ehemals 26 ab spätestens 1196 erbauten Türmen ein eindrucksvolles Beispiel war. Ihm kann man durchaus gleichberechtigt Straßburg gegenüberstellen, mit ähnlich zahlreichen und großen, aber quadratischen Backsteintürmen, die bereits konsequent mit Scharten ausgestattet waren (Abb. 64); vom Straßburger Vorbild wurden auch etliche kleinere Städte der Umgebung angeregt, deren Mauern aber erst gegen 1300 entstanden. Speyer, mit seiner weitaus älteren Mauer, passte man gegen Mitte des 13. Jahrhunderts durch neue Tortürme und Türme dem Standard der anderen Bischofsstädte an. Auch bei kleineren Städten des pfälzischen und badischen Raumes mag es schon im mittleren 13. Jahrhundert quadratische Türme gegeben haben (etwa Weißenburg/Elsass, Annweiler, Offenburg). In Luxemburg/Stadt wird die mit quadratischen Türmen besetzte Mauer neuerdings um 1170–90 datiert.
Weiter östlich wird der Bestand früher quadratischer Türme schon geringer; vor allen ist hier die konsequente Reihung weit seltener anzutreffen. Der deutlichste Fall im Alpenvorland ist noch Reichenhall – angeblich von 1219–28, aber erst 1275 erwähnt – mit einigen recht schlanken Türmen, während ein einzelner, außenfluchtender Turm der Backsteinmauer von Augsburg in der Datierung unsicher ist, ähnlich ein Eckturm der „Kalchvorstadt“ von Memmingen und Türme in Kempten, wobei für die erste Mauer von Nördlingen im Gegenteil gerade die Existenz der Türme belegbar ist. Im Fränkischen waren die bergfriedartigen, rechteckigen Türme von Hall, Rottweil und Waldenburg schon erwähnt worden und von mehreren quadratischen Türmen der ersten sicher belegten Mauer von Nürnberg (um 1240?) ist auch nur der „Wasserturm“ erhalten.
Im Nordosten treten dagegen im 13. Jahrhundert wieder gereihte Rechtecktürme auf, so, als habe es einen Einfluss vom Oberrhein gegeben, der Süddeutschland aussparte, aber über Thüringen letztlich auch Sachsen und Schlesien erreichte. Sicher noch in die erste Hälfte des Jahrhunderts gehörten Eisenach – vielleicht auch Erfurt –, Halberstadt, Magdeburg und Merseburg (um 1215–65), wobei zumindest in Eisenach und Halberstadt auch Schalentürme anzutreffen sind, die aber leider kaum enger datierbar sind (vgl. Bd. II, Topographischer Teil, 21. und 22.). In Sachsen ist Freiberg mit seiner 1233 erwähnten Mauer ein frühes Beispiel, als Bergwerkszentrum mit dem noch früheren Goslar vergleichbar (Abb. 65), und in Bautzen besaß die 1282 erwähnte Befestigung entweder von Anfang an Rechtecktürme, oder diese wurden erst im 14. Jahrhundert angebaut. Ähnlich stellt sich die Frage im nahen Görlitz und damit ist Niederschlesien erreicht, das ab etwa 1260 einige Mauern mit Rechtecktürmen erhielt (Löwenberg, Goldberg, um und nach 1300, dann Bunzlau, Glogau und die äußere Mauer von Liegnitz, nach 1338 begonnen). Selbst im Ordensland Preußen, wo kaum Mauern vor dem 14. Jahrhundert entstanden, lassen sich in den frühesten Mauern, jenen von Thorn/Altstadt (um 1250–62) und Kulm (um 1267), Rechteckschalen feststellen (in Kulm aber auch einige halbrunde).
Abb. 65 Freiberg (Sachsen), ein Rechteckturm der Mauer, Stadtseite. Die sehr regelmäßig mit solchen Türmen versehene Mauer wird lokal erst ins 14. Jahrhundert datiert, ist aber schon 1233 erwähnt.
Im 14. und 15. Jahrhundert verliert sich die Vorherrschaft der quadratischen Türme nahezu überall, das heißt, Rundtürme treten nun auch dort neben sie, wo diese im 13. Jahrhundert noch gefehlt hatten. Dabei fällt es, vor allem wegen der Datierungsprobleme im Einzelfall, meist schwer, den Zeitraum der Veränderung zu bestimmen; es können nur wenige etwas klarere Beispiele genannt werden. So wurde etwa die äußere Mauer von Amberg in der Oberpfalz um 1326 begonnen, und zwar im Westteil zunächst mit kleinen, quadratischen Schalentürmen mit geschlossenem Erdgeschoss, später ging man dann zu runden und halbrunden Türmen über, ergänzt durch einen turmlosen Zwinger; der Zeitpunkt des Formwechsels ist offen, denn noch 1435, 110 Jahre später, war die Mauer im Bau. Auch allgemein besaßen die Oberpfälzer Mauern bis gegen Mitte des 14. Jahrhunderts nur wenige, dann aber quadratische Türme, danach wurden ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Rundtürme und -schalen üblich. Halbwegs erkennbar ist die Abfolge auch in Thüringen, wo auf die Rechtecktürme des 13. Jahrhunderts (Eisenach, eventuell Erfurt) zunächst ab den 1320er Jahren eine deutliche Tendenz zu Rundturmmauern folgte, dann aber ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wieder rechteckige Türme dominieren. Ähnlich wie in Schlesien mit seinen klar nebeneinanderstehenden Gruppen ganz verschieden gestalteter Mauern wird man hier einander abwechselnde Einflüsse anderer Regionen vermuten dürfen, etwa des Rheinlandes oder des benachbarten Hessen bei den Rundtürmen des 14. Jahrhunderts. Anderswo mag es durchaus ähnliche Abläufe und Einflüsse gegeben haben, nur dass eine weniger glückliche Überlieferung uns das nicht mehr erkennen lässt.
Mischung der Turmformen im 14./15. Jahrhundert
Wesentlich klarer als in diesen „Mischgebieten“ des 14./15. Jahrhunderts sind naturgemäß die Räume zu erfassen, in denen die Rechtecktürme ganz entschieden in den Hintergrund traten oder – gerade im Gegenteil – weiterhin dominierten. Das Erstere fällt bemerkenswerterweise besonders in Gebieten auf, die sich weiträumig um den Mittel- und Niederrhein gruppieren, also eben dort, wo schon ab der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, ausgehend von Köln, der quadratische Turm völlig hinter den runden zurückgetreten war. Das bleibt am Niederrhein und auch im kölnisch dominierten Westfalen letztlich bis ins 15. Jahrhundert so, auch Hessen wird man in diesem Zusammenhang sehen müssen (vgl. 2.2.4.6.). Noch interessanter ist allerdings die Formenvielfalt, die sich im 14./15. Jahrhundert im Rheinischen Schiefergebirge entwickelt, wo es im 13. Jahrhundert noch kaum Mauern gegeben hatte. Gerade die beiden größten Städte zwischen Bingen und Koblenz, Oberwesel und Bacharach, gehen hier zwar konsequent zu quadratischen Türmen über – als nördlichste Vorposten des mainzischen Bereichs –, aber die vielen Kleinstadtmauern des späteren 14. und 15. Jahrhunderts vermeiden letztlich jede einfache Form, das heißt, sowohl Rundtürme als auch Rechtecktürme kommen zwar als Einzelfälle vor, aber das Grundprinzip ist hier vielmehr die extreme Abwechslung der Turmform, bei der möglichst keine Grundform mehr als ein- oder zweimal pro Mauer vorkommen sollte, auch wenn dies zu ganz ungewöhnlichen oder gar unfunktionalen Turmformen führte. Es war schon gesagt worden, dass es das mörtelreiche Schiefermauerwerk war, das diese Variationsbreite ermöglichte und förderte (vgl. 2.2.2.1.). Aber hinter diesem technischen Aspekt dürfte besonders deutlich eben das Grundprinzip sichtbar werden, das ganz allgemein ab dem späteren 14. Jahrhundert die Stadtmauern prägte – Abwechslung wurde nun meist der strengen Reihung gleicher Formen vorgezogen.
Selten sind die Regionen, bei denen man nach dem 13. Jahrhundert noch von eindeutiger Vorherrschaft der quadratischen bzw. rechteckigen Türme sprechen kann. Im Bereich des Spessarts kann man gut ablesen, wie westlich, im mainzischen Territorium bzw. am nördlichen Oberrhein, Rechtecktürme vorherrschten, östlich davon, im Würzburgischen, aber runde; eine ähnliche Grenze war schon am Mittelrhein nördlich von Bacharach und Oberwesel beobachtet worden. Auch im Kerngebiet des heutigen Sachsen-Anhalt, soweit es nicht zum Backsteingebiet gehörte, blieben quadratische Türme, wie sie früh schon in Magdeburg und Halberstadt auftraten, bis ins 15. Jahrhundert die Normalform (Quedlinburg, Blankenburg, Aschersleben, Staßfurt). Als aufwendige Beispiele von späten Mauern mit ausschließlichen Rechtecktürmen, und zwar in sonst eher turmarmen Gegenden, seien die Luzerner „Museggmauer“ (vollendet 1408) und die Salzburger „Bürgerwehr“ (1487/88 mit älteren Teilen) genannt – und auch das Kuriosum einer „1700“ datierten Rechteckschale in Laupen (Kanton Bern).
Das eindrucksvollste Beispiel der Vorherrschaft rechteckiger Türme im Spätmittelalter war jedoch das Wiekhaussystem, das sowohl funktional wie optisch von der engen Reihung rechteckiger Schalentürme beherrscht war. Es wurde um 1300 zweifellos in Brandenburg entwickelt, ohne dass die Vorbilder oder Vorstufen eindeutig erkennbar wären (vgl. Bd. II, Topographischer Teil, 26.), und beherrschte die Region bis hinüber nach Pommern und Ostpreußen bis ins späte 15. Jahrhundert. Auch im Wiekhaussystem gab es allerdings einzelne Rundtürme, kaum mehr als zwei oder drei pro Mauer, die vielleicht auch erst in einer etwas jüngeren Entwicklungsphase aufkamen.