Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 47
2.2.4.6. Runde und halbrunde Türme
ОглавлениеWährend der quadratische oder rechteckige Turm im 13. Jahrhundert fast überall vorherrschte und danach auf nicht allzu klar fassbare Weise seltener wurde bzw. in Konkurrenz mit anderen Formen trat, sind die Verbreitungsgebiete und -zeiten der runden Türme klarer definiert.
Einerseits gab es bereits ab dem frühen 13. Jahrhundert Gebiete, in denen die Vorherrschaft des quadratischen Turmes nicht galt. Die meisten von ihnen liegen am Westrand des deutschen Sprachgebietes und lassen sich daher recht überzeugend mit französischen Vorbildern erklären; jedoch gibt es auch andere Gebiete und in Einzelfällen andere Erklärungsansätze. Andererseits wurden Rundtürme ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts häufiger. Nun kamen weitere Regionen hinzu – meist solche, in denen es bis dahin kaum Mauern gegeben hatte –, die von Rundtürmen klar dominiert werden, und gleichzeitig waren Rundtürme ein wichtiger Teil jener Entwicklung, die bei den quadratischen Türmen schon angesprochen worden war: Immer mehr Mauern suchten eine ästhetische Wirkung, die in der Abwechslung der Turmformen liegt.
Abb. 66 Köln, ein Schalenturm. Links Innenansicht und Grundrisse 1883, vor dem Abriss, mit Umbauten des 19. Jahrhunderts (Wiethase, Kölner Thorburgen …, 1884). Rechts oben Rekonstruktionsversuch des Urzustandes (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts), Schnitt (Th. Biller), unten Ausschnitt des Stiches von Mercator, 1571.
Die früheste Mauer im deutschen Raum, die konsequent runde Mauertürme und auch Tore mit feldseitigen runden Türmen verwendete, war die äußere Mauer von Köln, die um 1210–50 entstand. Ihre halbrunden Schalen, in Abständen von 75 bis 95 m, waren über dem mit Schlitzscharten versehenen Erdgeschoss halbkuppelgewölbt und besaßen im Obergeschoss Rundbogenfenster (Abb. 66). Vor allem die Doppelturmtore, deren Türme aus demselben Modell entwickelt waren, haben in Köln früh zu der Überlegung geführt, dass es sich hier um eine eigenständige Fortentwicklung jener spätrömischen Befestigungsformen handelte, deren Reste es im Rheinland verschiedentlich gibt, vor allem auch in Köln selbst und dem gegenüberliegenden Kastell Deutz. Zwischenstufen zwischen den spätrömischen Befestigungen selbst kann man in den älteren, schlecht dokumentierten Stadterweiterungen von Köln selbst suchen, oder auch in Neuss, wo an der Ummauerung des 12. Jahrhunderts, auch an jener des Damenstiftes, Rundtürme belegt sind.
Rundtürme und -schalen des 13. Jahrhunderts in Köln und Lübeck
Das Kölner Vorbild wirkte nicht nur im Rheinland selbst – gut erhaltene oder dokumentierte Beispiele noch des 13. Jahrhunderts bieten etwa Bonn, Andernach und Ahrweiler –, sondern auch östlich davon, im kölnisch dominierten Westfalen und darüber hinaus. Noch als Bauten der ersten Hälfte bis Mitte des 13. Jahrhunderts kann man etwa die Mauern bzw. sekundär eingefügten Türme in Rüthen, Attendorn, Siegen, Hamm, Blankenberg/Sieg, Osnabrück und Soest interpretieren, um nur einige sichere Beispiele zu nennen. Wenn man den Betrachtungszeitraum bis Ende des 13. Jahrhunderts erweitert, so treten selbst einzelne Türme in Münster, Göttingen und Goslar ins Blickfeld, die diesem Einfluss zuzurechnen sind, und letztlich dürfte etwa noch die ab 1355 entstandene Mauer von Euskirchen oder auch jene von Xanten (ab 1389) in derselben Tradition stehen.
Freilich ist dabei nicht zu vergessen, dass die romanischen, spätrömisch angeregten Formen, die man in reiner Form vor allem in Köln und Bonn traf, auch im rheinländischen Flachland selbst ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts einem Wandel unterlagen, den man auf französische Einflüsse zurückführen kann, der zugleich aber auch die gewandelten Formvorstellungen der Gotik spiegelt. An die Stelle der breit gelagerten, niedrigen Schalen von Köln, die man – da anfangs offenbar kaum höher als die Mauer selbst – mit einer vor allem bei Archäologen verbreiteten Begrifflichkeit auch als „Bastionen“ bezeichnen könnte, traten bald vollrunde, deutlich höhere Türme, die die Mauer stärker akzentuierten, dabei aber nicht mehr so regelmäßig gereiht wurden. Diese Turmform beherrschte im 14./15. Jahrhundert fast den ganzen Westen und Nordwesten Deutschlands sowie – als Einzelakzent von Wiekhausmauern – auch den Nordosten.
Bevor der französische Einfluss im Westen Deutschlands näher behandelt wird, ist aber eine zweite frühe Gruppe von Rundturmmauern anzusprechen. Ihr Ausgangspunkt ist Lübeck, wo ab 1217 eine Backsteinmauer mit halbrunden Schalen entstand, die Schlitzscharten und Rundbogenfenster besaßen (Abb. 67). Das frühe Datum dieser Mauer, der mit Abstand ältesten an der gesamten deutschen Küste, erklärt sich fraglos einerseits aus der herausragenden Bedeutung Lübecks als Handelszentrum, von dem aus der gesamte Ostseeraum erschlossen wurde. Andererseits war hier die frühe Verwendung des Backsteins sowohl durch die dänischen Könige wie durch Heinrich den Löwen als Stadtgründer sicher wichtig. Vorbild für die Form der Türme dürfte jedoch Köln gewesen sein, nicht allein wegen der Ähnlichkeit der Turmform, sondern fast mehr noch wegen des Fehlens anderer oder besserer Vorbilder zu so früher Zeit.
So, wie das Vorbild der Kölner Mauer seine Wirkung vor allem im kölnisch beherrschten Rheinland und in Westfalen entfalten konnte, durchaus aber auch darüber hinaus, so prägte Lübecks Mauer ein weites Gebiet entlang der Ostseeküste und weit ins Hinterland hinein, etwa dasselbe Gebiet, in dem auch die Übernahme des lübischen Stadtrechtes der Normalfall war. Lübisch beeinflusst war etwa, um nur wichtige und halbwegs datierte Beispiele zu nennen, die Mauer von Rostock (um 1260–90), jene von Greifswald (1264 Ummauerungsrecht), die hervorragend erhaltene von Templin (um 1300? Abb. 68) und jene von Parchim (1310 im Bau). Das brandenburgische Friedland (Mauererlaubnis 1304) baute zunächst „lübische“ Rundschalen und ging dann, noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, zum Wiekhaussystem über.
Das Aufkommen von Burgen in Kastellform mit Rundtürmen und entsprechenden Stadtmauern in Frankreich unter der Regierung von König Philippe II. Auguste (1180–1224), daher „fortification philipienne“ (Jean Mesqui), gehört zu jenen Entwicklungen im europäischen Befestigungswesen, die in den letzten Jahrzehnten besondere Beachtung gefunden haben, insbesondere natürlich in der französischen Forschung. Aber auch in Deutschland bzw. im elsässisch-pfälzischen Oberrheingebiet ist der Einfluss von französischen Befestigungen des späten 12. Jahrhunderts – wie etwa des Louvre, der Ummauerung von Paris und weiterer königlicher Burgen – seit einiger Zeit konstatiert worden (Cord Meckseper, Robert Will, Stefan Ulrich).
Französisch beeinflusste Rundtürme im 13. Jahrhundert
Abb. 67 Lübeck, die besterhaltene Rundschale der Mauer, an der Ostseite der Stadt. Die ab 1217 entstandene Mauer mit solchen Türmen war die früheste an der deutschen Ostseeküste (vgl. Abb. 61).
Tatsächlich ist der Einfluss der formal so charakteristischen Bauten im Königreich Frankreich auch im deutschen Stadtmauerbau deutlich zu fassen, und zwar verständlicherweise vor allem entlang der Westgrenze des Sprachraumes – der hier von Süden nach Norden gefolgt wird –, aber auch weiter östlich.
Der Westteil der deutschsprachigen Schweiz grenzte an die Grafschaft Savoyen, in der es eine bedeutende Gruppe von französisch beeinflussten Kastellburgen gab, aber auch nicht kastellförmige Burgen mit gerundeten Flankentürmen (Chillon). Es wundert daher nicht, dass auch im angrenzenden deutschen Gebiet Mauern mit Rundtürmen des 13. Jahrhunderts auftreten. Zu nennen wäre Murten, dessen Befestigung 1238 privilegiert wurde und wo drei kleine Rundtürme zum Originalbestand gehören. In Kaiserstuhl gab es neben quadratischen Türmen am Rhein auch zwei auf 1260 dendrodatierte Halbrundtürme; der erhaltene besitzt eine Schlitzscharte. In der Unterstadt von Burgdorf wurde eine Halbrundschale auf 1276 dendrodatiert, in Schaffhausen zwei Rundtürme auf 1283 und 1296. Auch in Solothurn gibt es Halbrundtürme in Buckelquadern, ebenso in Basel an der inneren Mauer, die man in die zweite Hälfte bzw. an das Ende des 13. Jahrhunderts datiert; in Basel hatten sie Nachfolger an der äußeren Mauer (1361/62–98), wo sie aber zeittypisch mit anderen Formen gemischt wurden.
Abb. 68 Templin (Brandenburg), eine Rundschale aus Feldstein mit Scharten aus Backstein. Die wohl um 1300 entstandene Mauer von Templin, die fast ausnahmslos mit solchen „Türmen“ ausgestattet ist, gehörte zu vielen vergleichbaren des lübeckischen Einflussgebietes.
Im Oberrheingebiet, Elsass und Baden, blieben die Mauern im ganzen 13. Jahrhundert turmarm, aber in Einzelfällen wurden gegen Ende des Jahrhunderts die Ecken in auffälliger Weise durch Rundtürme mit Schlitzscharten betont (Zellenberg, Rappoltsweiler, Ladenburg). Den Höhepunkt im Badischen bildete die Reihung von Halbrundschalen, die wohl schon um 1250–80 die Bergseite der Vorstadt „Neuburg“ von Freiburg im Breisgau bildeten (Abb. 328); sie fanden allerdings bis weit ins 14. Jahrhundert hinein kaum Nachfolge.
Das Herzogtum Lothringen griff selbst über die Sprachgrenze hinweg; es kann nicht verwundern, dass es hier schon früh ausgesprochen „französische“ Mauern gab, mit langen Schlitzscharten und Schrägsockeln an den Türmen, die genauso gut in der Ile de France stehen könnten. Genannt seien vor allem Metz (um 1225) und Saarburg (Stadtrecht 1226; Abb. 69), auch in Diedenhofen/Thionville, Saargemünd/Sarreguemines und St. Avold gab es Derartiges. Neuleiningen in der Pfalz – vor allem die Burg (um 1238–41), aber auch die Stadtmauer – kann als östlichster Ausläufer dieser Gruppe verstanden werden; sonst treten Rundtürme in der westrheinischen Pfalz erst im 14. Jahrhundert auf, etwa in der ab 1325 entstandenen Gilgenvorstadt von Speyer, aber auch an diversen Kleinstadtmauern (St. Johann, Kusel, Meisenheim, St. Wendel und andere).
Zu den französischen bzw. lothringischen Einflussgebieten gehören auch der kurtrierische Raum und die wiederum rittlings auf der Sprachgrenze sitzende Grafschaft Luxemburg. Die nicht genau datierte Mauer, die Trier selbst im (frühen?) 13. Jahrhundert erhielt, zeigt bescheidene Rundtürme mit Schlitzscharten; die 1276–91 erbaute Mauer von Koblenz war ein noch bedeutenderes Beispiel, nicht nur durch die erhaltenen Baurechnungen, ist aber leider fast restlos verschwunden. Kleinere, aber formal aufwendige Mauern verschiedener Territorien findet oder fand man außerdem in Hillesheim (vor 1306, luxemburgisch), Welschbillig (nach 1291, Reich) und Monreal (nach 1291[?], virneburgisch). Eine „französische“ Rundturmmauer besaßen aber auch Echternach (vor 1239) und die bescheideneren Städtchen Vianden, Grevenmacher und Larochette (13./14. Jahrhundert).
Abb. 69 Saarburg/Sarrebourg (Lothringen), Reste der Mauer, die den Prinzipien der im Königreich Frankreich entwickelten fortification philipienne entsprach (um 1213–40). Typisch sind die in regelmäßigen Abständen vorspringenden Rundtürme mit steilem Schrägsockel und hohen (hier nicht erkennbaren)Schlitzscharten.
Nördlich an den trierischen und luxemburgischen Raum schloss das kölnische Gebiet an, dessen besonders frühe und anfangs wohl auch noch nicht französisch bestimmte Entwicklung schon dargestellt wurde, vor allem im Laufe des späteren 13. Jahrhunderts glichen die dortigen, nun relativ schlanken und hohen Rundtürme aber den im Süden und auch im Osten davon üblichen.
Hessen – im Sinne von Oberhessen; der im Mittelalter zu anderen Territorien gehörende Teil am Rhein folgte anderen Gesetzmäßigkeiten – war im 14./15. Jahrhundert das vielleicht ausgeprägteste Rundturmgebiet Deutschlands. Wegen seiner zentralen Lage zwischen dem Rheinland einerseits und den mittel- und ostdeutschen Regionen späteren Mauerbaues andererseits ist die Frage nach der Entstehung der hessischen Turmformen natürlich besonders interessant. Eine zentrale Rolle spielte hier offensichtlich Marburg, wo die erste Mauer (um 1180/90) schon vor ihrer Erweiterung durch einen runden Turm verstärkt wurde; die Erweiterung (um 1235–50) besaß runde Tourellen, die auch ein Doppelturmtor bildeten, sowie eine größere Rundschale. Die Tourellen waren im Rheinland im 13. Jahrhundert noch nicht üblich – in Aschaffenburg wurde, wohl auch im 13. Jahrhundert, eine Mauer mit Tourellen um den Stiftsbereich gezogen –, wohl aber im Burgenbau des Grenzraumes weiter westlich und in Frankreich selbst. Man wird die Vorbilder daher eher direkt in Ostfrankreich als im benachbarten Rheinland suchen müssen. Die Marburger Rundtürme fanden im Hessen des 13. Jahrhunderts zunächst kaum Nachfolge – Fritzlar besaß an der nach 1232 erbauten Mauer nur zwei Halbrundtürme, Korbach (Mauer 1265 erweitert) drei, und erst an der 1322 erwähnten Mauer von Zierenberg erscheint eine Reihung von Türmen, die zumindest bis in Mauerhöhe massiv waren, wohl nach Marburger Vorbild.
Frühe Rundtürme findet man östlich von Hessen heute nur noch in Oberschlesien, wobei es in Thüringen und vor allem in Sachsen mit seinen weitgehend verschwundenen Mauern unerkannte Einzelfälle geben mag. Schlesien gilt nicht ohne Grund als Region, die ihre Bauformen auf vielfältigen Wegen importierte, und in der Region südlich und südöstlich von Breslau könnten diese Einflüsse über Böhmen aus Frankreich gekommen sein. So besitzt die 1282 erwähnte Mauer des vor 1224 von Ottokar I. von Böhmen gegründeten Leobschütz Stümpfe von halbrunden Türmen und von solchen mit vorgelegter Spitze (Abb. 473); die bereits 1333 reparierte Mauer von Reichenbach zeigt Halbrundschalen (Abb. 474), kaum höher als die Mauer, die keinen Wehrgang besaß(!); Ähnliches findet man in Münsterberg, dessen Mauer 1336 existierte, und im schwer datierbaren Patschkau (Abb. 475), schließlich ähnlich in Bolkenhain, Lauban, Glatz und Sprottau.
Die Häufigkeit runder Türme im 15. Jahrhundert ist schon der Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufgefallen und, da man damals noch stark militärisch funktional dachte und die Schriftquellen noch kaum ausgewertet waren, brachte man das vermeintliche Aufkommen runder Türme mit der Entwicklung der Feuerwaffen in Verbindung. Richtig daran ist so viel, dass der für Feuerwaffen ausgebaute Rundturm bzw. das „Rondell“ in der frühen Feuerwaffenzeit des 15./16. Jahrhunderts eine beherrschende Rolle spielte, weil die Rundform sowohl das Schussfeld als auch die Widerstandsfähigkeit erhöhte (vgl. 2.2.11.5.). Ebenso richtig ist aber, dass die Blütezeit des Rundturmes nach den Anfängen im 13. Jahrhundert bereits im 14. Jahrhundert lag, als von einer wirklichen Verbreitung der Feuerwaffen noch keine Rede sein konnte und als auch die Türme selbst noch keinerlei Einrichtung für diese Waffen zeigten.
Rundtürme im 14. und 15. Jahrhundert
Im Laufe des 14. Jahrhunderts wurden Rundtürme in etlichen Regionen üblich, die weit über die Verbreitungsgebiete des 13. Jahrhunderts hinausgehen. Teils knüpften sie unmittelbar an diese Regionen an bzw. können als Weiterentwicklung weniger früher Rundturmmauern im Gebiet selbst gelten – vor allem am Mittelrhein, in Hessen und Westfalen –, teils traten sie nun in anderen Regionen weiter südlich und vor allem östlich auf, die aber insgesamt auch ein relativ geschlossenes Verbreitungsgebiet ergaben, das nämlich vom alemannischen Raum über Bayern, die Oberpfalz und Franken bis nach Thüringen reichte.
Die Rundturmmauern des 13. Jahrhunderts im Kölnischen und Trierischen bewirkten in beiden Gebieten bis zum Ende des Mittelalters ein Vorherrschen der Rundtürme, nun weniger in Form von Schalen, sondern mehr als hohe Volltürme, von denen die meisten Kleinstadtmauern nur jeweils wenige besaßen. Genauso sind die normalen Mauern des 14./15. Jahrhunderts in Westfalen zu beschreiben, das auch schon früh zum kölnischen Einflussraum gehört hatte, und schließlich in der Pfalz, im Sinne des südlich ans Schiefergebirge anschließenden rheinischen Raumes. Im Schiefergebirge selbst bildete sich aufgrund der besonderen Eigenschaften des Baumaterials eine der formenreichsten Stadtmauerlandschaften Deutschlands heraus, in der keine Turmform beherrschend war, sondern die bewusste Variation.
Dass Oberhessen die wohl eindrucksvollste und reichste Rundturmlandschaft Deutschlands wurde (Abb. 70), kann nicht überraschen, wenn man die Vorläufer des 13. Jahrhunderts seit Marburg und die Tatsache in Betracht zieht, dass es im 14./15. Jahrhundert fast allseitig von Regionen umgeben war, in denen gleichfalls der Rundturm herrschte. Dass man gerade die frühen hessischen Rundturmmauern, bis zur ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, als Vermittler der Form in die Regionen weiter östlich verdächtigen darf, also nach Franken, Thüringen und vielleicht Schlesien, war schon angesprochen worden. Neben der ausschließlich mit runden Volltürmen ausgestatteten Mauer gab es in Hessen auch Mauern mit Rundschalen und lediglich einzelnen Volltürmen; die Abstände waren gleichmäßig, aber relativ groß. Bei sehr wechselnden Maßen – die Durchmesser reichten von nur 3 m(!) bis über 9 m, die meisten lagen bei 5–6 m – wurden stets hohe, „gotische“ Proportionen angestrebt. Der Einstieg führte meist ins erste Obergeschoss, über einem kuppelgewölbten Untergeschoss, wobei der Wehrgang auf dieser Höhe auf Konsolen um den Turm herumgeführt wurde; im obersten Geschoss lag oft eine Wachstube mit Rechteckfenstern, darüber vermutlich recht häufig ein gemauertes Spitzdach. Insgesamt sind das Formen, die sich bei späten Rundtürmen auch außerhalb Hessens oft ähnlich finden. Als eindrucksvoller Sonderfall sei der „Graue Turm“ in Fritzlar berührt, ein monumental dimensionierter Halbrundturm des späten 13. Jahrhunderts, der 1541 nochmals umgebaut wurde. Der späteste datierte Rundturm in Oberhessen findet sich in Eschwege (1531), im später hinzugekommenen rheinischen Teil des Landes kann man dem Türme in Zwingenberg („1532“) und Flörsheim (1547/48) gegenüberstellen.
Auch in der Pfalz – etwa in Ingelheim oder Pfeddersheim – und in Baden waren Rundtürme gegen und nach 1400 normal; ein eindrucksvolles Beispiel war die Vorstadt von Heidelberg (um 1392–1600), ein stärker ausgeschmücktes Beispiel bietet noch der „Simmelturm“ in Bretten (um 1450?). Mehrere große Stadterweiterungen des 14. Jahrhunderts in der Schweiz setzten vollständig oder überwiegend auf Rundtürme, so die um 1344–46 begonnene zweite Westerweiterung von Bern, die äußere Mauer von Basel (1361/62–98) und die letzte Erweiterung von Freiburg im Üechtland (um 1370–1416); auch in kleineren Städten gibt es einzelne noch spätere Rundtürme (Bremgarten 1407–15; Murten 1470–1514).
In Bayern gewinnt die Mauer mit regelmäßig gereihten Schalen mit der schon behandelten äußeren Mauer der Herzogsresidenz Ingolstadt (ab 1361; Abb. 62) eindrucksvolle Vorbildwirkung für einen weiten Umkreis, der nach heutigen Begriffen nicht nur Niederbayern umfasst, sondern auch Randgebiete von Schwaben, Franken und der Oberpfalz. In der Oberpfalz, wo die 1326 begonnene Mauer von Amberg nach einiger Zeit zu runden Turmformen überging und in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Rundtürme bzw. -schalen der Normalfall wurden, wird man sich ohnehin fragen müssen, ob nicht die Ingolstädter Gruppe auch hierfür der Anreger war.
Abb. 70 Für Hessen sind runde Mauertürme des 14./15. Jahrhunderts charakteristisch, wie hier etwa in Fritzlar. Links der „Rosenturm“ der Altstadtmauer (auf hufeisenförmigem Sockel der Zeit vor 1232?), rechts die Rundtürme an der Westseite der Neustadt.
Freilich kommt für diese Rolle auch der fränkische Raum infrage, wo man das Aufkommen runder Turmformen schon etwas früher beobachten kann, etwa ab den 1330er Jahren – sicher nicht zufällig liegt das Gebiet mit den früheren Rundtürmen zugleich näher an der Rheinachse. Anschaulich für Franken als Mischgebiet mit runden und rechteckigen Turmformen ist etwa (Schwäbisch) Hall, wo zwei ab 1320/30 ummauerte Vorstädte ganz unterschiedlich ausgestattet wurden, die eine nur mit rechteckigen Türmen, die andere mit Rundschalen (Abb. 392). Die Mischung der Turmformen findet man auch sonst in Württembergisch Franken und in Mittelfranken im Prinzip während des ganzen 14./15. Jahrhunderts; als weitere frühe Beispiele seien Abenberg (1333–47) und Seßlach (1335–65) genannt, als Beispiel geringen Einflusses die großartige äußere Mauer Nürnbergs, die fast völlig auf quadratische Türme setzte. Die äußere Mauer von Rothenburg, ebenfalls noch um 1330/40 begonnen, mischte anfangs im Süden und Osten runde und quadratische Türme, aber die um 1400 erbaute Nordfront setzte dann völlig auf runde Schalen.
Das anschließende Thüringen, dessen heutiger Südteil („Henneberger Land“) im Grunde zu Franken gehörte, durchlief bezüglich der Rundtürme eine parallele Entwicklung. Ab den 1320er Jahren und bis nach 1350 wurden etliche Mauern mit Rundschalen errichtet (Eisfeld, Hildburghausen, beide ab 1323; Pößneck, Neustadt/Orla, Jena, Saalburg, Heringen, Sondershausen, Saalfeld; schwer datierbar ferner Heiligenstadt, Nordhausen, Remda, Wiehe?). Wernigerode nördlich des Harzes kann als besonders entfernter, aber undatierter Ausläufer dieser Gruppe gelten.
Gegen 1400 nahm die Verbreitung der Rundtürme in Franken nochmals deutlich zu. Nun sind nicht nur in Unterfranken Rundtürme absolut üblich – bis hin zu den Mauern von Zeil und Aub, zur Vorstadt von Kitzingen (ab etwa 1470) und schließlich zu den Ummauerungen Julius Echters von Mespelbrunn gegen 1600 –, sondern auch in Mittelfranken ist mehrfach der Übergang von Rechteck- zu Rundtürmen zu beobachten. So war es etwa in Neustadt/Aisch, wo um die Vorstädte zunächst eine „nürnbergische“ Mauer mit Rechtecktürmen begonnen wurde, dann ging man zu einer Bruchsteinmauer mit hohen Rundtürmen über. Ähnliches und noch sehr eindrucksvoll findet man in Merkendorf (1398 bis um 1430) und in Hersbruck (Mitte des 15. Jahrhunderts), hier schon mit Maulscharten für Feuerwaffen.
Das heutige Sachsen-Anhalt – soweit es nicht zum Flachland bzw. Backsteingebiet gehört – ist eine weitere Region, in der im 15. Jahrhundert Rundtürme absolut üblich waren.
Neben den Gegenden, wo Rundtürme ab dem 14. Jahrhundert dominant waren – oder zumindest entschieden häufiger als in Franken –, stehen jene, die bis zum Ende des Mittelalters die Vorherrschaft turmarmer Mauern oder von Rechtecktürmen bewahrten. Auch dort traten Rundtürme auf, aber nur als Ausnahmen und in der Regel auch sehr spät, kaum vor etwa 1400. Zu ihnen sind die meisten Gebiete im Südwesten zu zählen – Tirol, Österreich, Oberschwaben und Bayerisch Schwaben, das Neckarland; in Schlesien entstanden im 15. /16. Jahrhundert einige große, besonders repräsentative Rundtürme, oft auf quadratischem Sockel, die die Tore älterer Mauern sicherten.
Im brandenburgischen Wiekhausgebiet, auch in Pommern, waren Rundtürme ebenfalls Ausnahmen, gehörten aber dennoch – wenn auch wohl nicht ganz von den Anfängen des Wiekhaussystems an – zur Normalausstattung der Mauern, nämlich in dem Sinne, dass fast jede Wiekhausmauer über zwei oder drei hohe Rundtürme verfügte, die einzigen Volltürme neben den Toren. Offenbar erst im 15. Jahrhundert kamen auch „runde Wiekhäuser“ auf, also runde Schalentürme, die wie die Wiekhäuser eng gereiht waren und die Mauer nur wenig überragten, allerdings eher selten an ganzen Mauern (Wittstock, Tangermünde, Pritzwalk, Werben), sondern eher als Ausnahme an sonst „normalen“ Wiekhausmauern. Falls sie als wehrtechnischer Fortschritt zu verstehen wären, dann offenbar als einer, der sich nicht wirklich gegen die Tradition der rechteckigen Wiekhäuser durchsetzen konnte.