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2.2.4.8. Entwicklung des Schalenturms

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Der Schalenturm – ein Turm, der nur zum Feld hin dreiseitig geschlossen ist, während die stadtseitige Wand fehlt – ist bei den Stadtmauern des deutschsprachigen Raumes ein sehr häufiges Phänomen; vermutlich waren Schalentürme sogar häufiger als (allseitig geschlossene) Volltürme. Eine statistisch gesicherte Aussage ist in diesem Punkt nicht möglich, einerseits, weil ein hoher Prozentsatz der ehemals vorhandenen Türme undokumentiert verschwunden ist, andererseits, weil selbst bei einem erhaltenen Turm nicht immer einfach zu erkennen ist, ob er ursprünglich ein Schalenturm war. Denn viele Schalentürme sind nachträglich auch an der Stadtseite geschlossen worden und dort, wo dies in Mauerwerk geschah oder gar verputzt wurde, ist der ursprüngliche Charakter des Schalenturmes meist nicht mehr abzulesen. Nur Rissbildungen machen diese Entwicklung gelegentlich erkennbar und ganz klar wird die Sache fast immer anhand eines Grundrisses, der die deutlich dünnere Wand zur Stadt zeigt; nur fehlt ein solcher Grundriss bisher in den meisten Fällen.

Neben gemauerten Rückwänden, die nach Fenster- und anderen Formen durchaus noch manchmal ins 14./15. Jahrhundert gehören dürften, gibt es bei ursprünglichen Schalentürmen auch verschiedentlich Rückwände in Fachwerk (Abb. 77), die in ihrem heutigen Zustand so gut wie nie ins Mittelalter zurückgehen. Bei der Witterungsanfälligkeit von Holzkonstruktionen, insbesondere bei hoch aufragenden, dem Regen besonders ausgesetzten Bauten, die zudem seit dem 17. Jahrhundert meist kaum noch gepflegt wurden, bedeutet dies allerdings nicht viel; die ab dem Spätmittelalter zu beobachtende Tendenz, die unangreifbare Seite des Schalenturmes mit einer dünneren, aus Holz gebauten Wand zwar nicht vor Angriffen, wohl aber gegen die Witterung zu schützen, kann dennoch weit zurückreichen, ohne dass wir dies noch belegen könnten.

In diesem Licht sind auch die Gründe für die Schalenform als solche zu reflektieren; Schriftquellen dazu fehlen, wie praktisch immer zu solch rein funktionalen Aspekten. Im 19. Jahrhundert, in dem man betont militärisch dachte, wurde gelegentlich erwogen, die offene Rückseite habe dem leichteren Transport von Kriegsmaterial in die Turmgeschosse gedient. Das ist kein unsinniger Gedanke, jedoch hätten große Luken wie etwa in Speichern dasselbe ermöglicht, ohne das eingelagerte Material der Witterung auszusetzen. Deswegen wird man auch bei den Schalentürmen an den wirtschaftlichen Aspekt denken müssen, der schon bei Material und Bautechnik, auch bei der Form der turmarmen Mauer, berührt worden war. Die Rückwand wegzulassen oder sie in billigerer Technik auszuführen, bedeutete eine erhebliche Einsparung an Material, Steinbruch- und Maurerarbeit, ohne dass ein statischer oder wehrtechnischer Nachteil damit verbunden war, denn der Angreifer konnte den Turm von hinten erst angreifen, wenn er bereits in der Stadt und damit ohnehin alles verloren war.


Abb. 77 Die Rückseite von Schalentürmen ist heute nur noch selten offen (links: Oberwesel, Rheinland-Pfalz, der restaurierte „Steingassenturm“ von 1243). Die Türme wurden meist – und wohl auch schon früh – mit einer leichten (Fachwerk-)Wand geschlossen, um die Geschosse nutzen zu können, rechts Reichenweier im Elsass, Obertor („Dolder“, um 1300, Fachwerk spätes 16. Jh.).

Schon ab der Mitte des 13. Jahrhunderts macht es keinen Sinn mehr, die Entwicklung und Verbreitung des Schalenturmes zu untersuchen, denn ab dieser Zeit war die Form enorm weit verbreitet. Sucht man nach den Anfängen, so ist zunächst einmal festzustellen, dass Schalentürme in der Antike, insbesondere in spätrömischer Zeit, offenbar unbekannt waren, archäologisch nicht ganz sichere Einzelfälle beiseitegelassen. Sie waren demnach zumindest in Europa eine mittelalterliche „Erfindung“ und als solche sind sie schon recht bald nach 1200 nachzuweisen, und zwar sowohl bei Mauertürmen als auch bei Tortürmen.

Anfänge im 13. Jahrhundert

In Duisburg wird die ergrabene polygonale Schale, die später als „Koblenzer Turm“ neu errichtet wurde, schon auf um 1200 datiert (Abb. 420). Dass ein so früher Schalenturm denkbar ist, zeigen die zahlreichen Halbrundschalen der ab etwa 1210 errichteten äußeren Mauer von Köln (Abb. 66), deren Erdgeschoss in der Halbkuppel überwölbt war, und auch die vielleicht von Köln beeinflussten, ab 1217 entstandenen halbrunden Backsteinschalen von Lübeck (Abb. 67). Ob es Vergleichbares auch in Österreich dermaßen früh gab, etwa in Bruck/Leitha, müsste dagegen noch genauer erforscht werden. Im deutschen Südwesten, wo die Mauertürme ohnehin erst weit später aufkommen, ist der bergfriedartig allein stehende Rottweiler „Hochturm“ (Abb. 78) trotz dieser Isolierung ein wichtiger Vorläufer der Schalentürme, denn schon der Erstbau öffnete sich in jedem Geschoss in zwei Rundbögen zur Stadt und die bald folgende Erhöhung, noch gegen 1240, wiederholte dies mit Spitzbögen. Dass unter den sekundär an die Mauer gesetzten Schalen in Oberwesel der „Rheingassenturm“ (Abb. 77) auf 1243 dendrodatiert werden konnte, ist damit schon keiner der ältesten Fälle mehr. Und dass die Form schon bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts auch die Gebiete ganz im Osten erreicht hatte, können die ordensländischen Mauern von Thorn/Altstadt (um 1250–62) und Kulm (um 1267) belegen, die schon rechteckige Schalen aufweisen, in Kulm auch einige halbrunde.

Frühe Tortürme, die sich zumindest im Obergeschoss zur Stadt öffneten, waren etwa das Eisenacher „Nicolaitor“ (wohl um 1200) und der „Zeitglocken/Zytgloggen“, das erste Westtor von Bern (um 1220/30); beide wurden später geschlossen und erhöht. Aus wenig späterer, noch romanischer Zeit stammten beispielsweise der verschwundene „Spalenschwibbogen“ in Basel und der Nürnberger „Laufer Schlagturm“, die beide anfangs Schalen waren. Später war der Typus des Torturmes weitverbreitet, der nur das Erdgeschoss stadtseitig „schloss“, also ein Tor mit Gewände einbaute, darüber aber den Turm völlig öffnete.


Abb. 78 Rottweil (Baden-Württemberg), der „Hochturm“ von der Stadtseite mit den drei eine Art Schalenturm bildenden großen Öffnungen (zwei Bauphasen bis um 1240) sowie dem Aufsatz von 1579 (C. Meckseper).

Dass die Rückseite von Türmen sich nicht gänzlich, sondern nur geschossweise in Bögen öffnete – die manchmal ein dahinterliegendes Gewölbe spiegeln, öfter aber nur gewöhnliche Balkendecken maskieren –, ist ohnehin mehrfach zu beobachten. Am Oberrhein findet man etwa schon bei den noch romanisch wirkenden Rechtecktürmen von Worms (um 1200 bis mindestens 1230) geschossweise Doppelbögen, ähnlich, fast maßwerkartig, am eng verwandten „Altpörtel“ in Speyer (Abb. 79). Bei den Toren ist außerdem auf das noch romanische, 1228 erwähnte „Rheintor“ in Andernach zu verweisen, das in beiden Geschossen jeweils als tonnengewölbter Raum geöffnet war. Dass diese Form aber auch später nicht ausstarb, zeigen etwa – als im weitesten Sinne rheinische Beispiele – der „Tylenturm“ in Korbach, mehrere Türme in Soest mit Doppelöffnungen (um 1250), der ganz ähnliche „Bocksturm“ in Osnabrück, der das Motiv viergeschossig aufweist, und noch später der entsprechende Heidelberger „Hexenturm“. Selten waren dagegen stadtseitig geschlossene Türme, die sich nur erdgeschossig im Bogen öffneten (Münstereifel, Göttingen, beide Mitte des 13. Jahrhunderts).

Die Verbreitung früher Schalen, die sich zur Stadt nicht einfach in voller Höhe und Breite öffneten – wie es ab dem späten 13. Jahrhundert normal war –, sondern vielmehr geschossweise als Bogen oder Doppelbogen, könnte man als Indiz verstehen, dass der Schalenturm damals erst aus Volltürmen entwickelt wurde, wie sie an frühen Stadtmauern, noch mehr aber auf Burgen auftraten. Man hätte dann zunächst nicht gewagt, die bei einer Stadt besser geschützte Rückwand einfach total wegzulassen, sondern zunächst nur geschossweise Öffnungen vorgesehen, aus den schon diskutierten Gründen der Sparsamkeit und des Materialtransports. Zugleich blieb dem Turm dabei auch noch halbwegs jene Optik der Geschlossenheit und Solidität, die man in der Romanik offenbar für unabdingbar hielt. Erst nach dem Übergang zur Gotik, die ihre Konstruktion allgemein offener zeigte, und mit der Entstehung nun zahlloser Mauertürme hätte man im Sinne dieser These die Hemmungen verloren, das Mauerwerk einer Turmseite vollständig wegzulassen und damit entweder sein Inneres oder eine weitaus „billigere“ Wand zu zeigen.


Abb. 79 Speyer, das Altpörtel (Unterteil bis unter die große Uhr um 1230–50), Ansichten der Feld- und Stadtseite. Die Ausbildung der Stadtseite kann als reichere Variante eines Schalenturmes verstanden werden (J. Behles, Das Altpörtel zu Speyer, 1978).

Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum

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