Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 53
2.2.5.1. Der Baukörper
ОглавлениеDass gerade der Torturm zur entschieden bevorzugten Torform in Deutschland wurde, ist nicht schwer zu verstehen. Die Turmform besitzt die Vorteile, die bei den Mauertürmen bereits genannt wurden, er überblickt und beherrscht das Vorfeld besser als die Mauer selbst bzw. ein niedrigerer Bau. Zugleich wirkt er, und das ist für ein Tor wichtig, symbolhaft und repräsentativ. Dabei bleiben sein Volumen und damit seine Kosten begrenzt bzw. gestaltbar, indem zumindest die Höhe variiert werden konnte. Bei der Grundrissform gab es da enge Grenzen, denn eine gewisse Durchfahrtsbreite konnte genauso wenig wie eine statisch notwendige Mauerdicke unterschritten werden; in der Regel ist ein Torturm daher ungefähr quadratisch mit Seitenlängen um 7–10 m. In der geringen formalen Variationsmöglichkeit liegt dabei zugleich der Hauptnachteil der Bauform; die Tortürme gleichen sich recht weitgehend, eher selten gelang eine individuelle Gestaltung, die das Tor unverwechselbar werden ließ.
Was die Höhe betrifft, so ist zunächst eine frühe Form aus der ersten Hälfte bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts festzustellen, die nur ein, höchsten zwei Obergeschosse aufwies und damit eher block- als turmförmig wirkte; die Charakterisierung als „romanisch“ drängt sich auf, wenngleich kaum jemals Einzelformen einen „Stil“ im engeren Sinne erkennen lassen. Die nicht allzu häufigen Beispiele dieses frühen Typus – meist erhöht und verändert und daher heute nicht mehr direkt erkennbar – sind fast im gesamten deutschen Sprachraum verstreut. Das Lübecker „Burgtor“ (1180er Jahre) war offenbar in dieser Frühform noch Tor der Burg, nicht der Stadt, aber das „Nordertor“ in Schleswig war wohl nicht allzu viel jünger und auch die vergleichbaren Rostocker Tore („Kuhtor“ [Abb. 489], „Petritor“, „Kröpeliner Tor“) entstanden wohl um 1260. Ähnlich wird man die noch romanischen Unterbauten des „Tangermünder“ und des „Uenglinger Tores“ in Stendal datieren (Abb. 94), während die nach 1287 erbauten Tore in Prenzlau („Blindower Tor“ [Abb. 490], „Steintor“ mit Turm neben dem Tor) und etwa gleichaltrige Tore in Zerbst (Abb. 459), im Süden des Backsteingebietes, zeigen, dass diese Form im Osten Deutschlands bis gegen Ende des 13. Jahrhunderts angewendet wurde. Weiter südlich, im Mittelgebirgsraum, ist der Unterbau des Eisenacher „Nicolaitors“ auf um 1200 (oder gar, einer Sage entsprechend, schon vor 1172?) zu datieren und sogar mit einer Biforie zur Feldseite ausgestattet (Abb. 119). Schließlich scheint im Süden Deutschlands die „Block-form“ in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufzukommen, das zeigen etwa der ebenfalls später erhöhte „Weiße Turm“ in Rothenburg ob der Tauber (um/nach 1200; Abb. 371) und der entsprechende Fall des Schlettstädter „Niedertors“ (zweites Viertel des 13. Jahrhunderts; Abb. 319), Bern („Zytgloggen“ um 1220–30; Abb. 303) und Rottweil (Schwarzer Turm, 1242 +/– 2d) (Abb. 95); das „Münchener Tor“ in Mühldorf am Inn, als einziges Beispiel in Altbayern, dürfte auch noch ins 13. Jahrhundert gehören.
Frühe Tortürme bis Mitte des 13. Jahrhunderts
Abb. 94 Stendal (Sachsen-Anhalt), das „Tangermünder Tor“ war ursprünglich, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, ein niedrigerer Bau aus Granitquadern, der dann um 1440 erhöht wurde.
Neben derart „blockförmigen“, nur bedingt turmartigen Toren gab es allerdings von Anfang an auch solche von größerer Höhe, die – bei einer gewissen Gedrungenheit – eindeutiger die Bezeichnung als „Turm“ verdienten. Wichtigstes Beispiel ist hier das Freiburger Martinstor, das mit einem Dendrodatum von 1200/1201 der früheste sicher datierte Torturm Deutschlands ist; es besaß zwei Geschosse über der Torfahrt (Abb. 96). Noch in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts gehören weitere süddeutsche Tortürme, von denen hier nur einige gut erhaltene Beispiele zur Veranschaulichung angeführt seien, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Als eine Art Übergangstypus kann man das Mainzer „Eisentor“ betrachten, das mit seinem reich profilierten, säulen- und löwengeschmückten Torgewände zu den aufwendigsten Toren Deutschlands gehört (Abb. 97); offen ist aber bisher, ob es ursprünglich ein oder zwei Obergeschosse besaß. Eindeutig höhere Tortürme der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Oberrheingebiet sind aber wohlerhalten die Wormser „Fischerpforte“ und das anfangs dreigeschossige, später erhöhte „Altpörtel“ in Speyer (Abb. 79). Weiter östlich entstanden noch vor der Jahrhundertmitte das Esslinger „Wolfstor“ (Abb. 337) und der „Laufer Schlagturm“ in Nürnberg.
Abb. 95 Rottweil (Baden), der „Schwarze Turm“ (das Obere Tor), dendrochronologisch datiert 1242 +/– 2, ist ein süddeutsches Beispiel für einen der niedrigen Tortürme noch spätstaufischer Zeit. Grundriss und Rekonstruktion der Stadtseite im Zustand von 1564, nach der Darstellung auf der „Pürschgerichtskarte“ (C. Meckseper).
Einzelbeispiele für die baukörperliche Gestaltung von Tortürmen ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis um 1500 zu nennen, erübrigt sich. Denn ausgehend von den „normal hohen“ Tortürmen bereits der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, etablierte sich in dieser langen Zeit eine in unzähligen Beispielen und fast im ganzen deutschen Raum vertretene Form des mehrgeschossigen Torturmes, deren Variationsbreite gering blieb. Zwei bis drei, maximal vier Obergeschosse, deren Höhe erheblich variieren konnte, über der Durchfahrt, dann die Wehrplatte, das ergab einen Turm von ausgewogener Proportion, vergleichbar etwa mit der Mehrzahl der Bergfriede vor allem des 13. Jahrhunderts. Dass viele dieser Türme Schalen waren, wie eine Großzahl der gleichzeitigen Mauertürme, änderte ihr Erscheinungsbild zumindest an der Feldseite nicht wesentlich.
Entwicklung ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
Besonders niedrige Tortürme, erinnernd an die Blockform des 13. Jahrhunderts, aber betont breit und flach, kamen später nur noch als regionale Sonderform vor. Man findet Derartiges gelegentlich im süddeutschen Raum, etwa in Luzern, an der zweiten Erweiterung von Bern und der äußeren Mauer von München, aber auch in Bietigheim, Schwäbisch Hall und als besonders späte Bauten in kleineren Städten Württembergisch Frankens; im Westen sind mehrere Tore in Luxemburg zu nennen. In mehreren Städten Pommerns entstanden im späteren 15. Jahrhundert blockhaft niedrige Torbauten, die wohl bereits eine Reaktion auf die Artillerie darstellten (Stargard [Abb. 520], Stralsund, Stolp, Usedom, Belgard).
Abb. 96 Freiburg im Breisgau, das „Martinstor“, hier in seinem Zustand vor der Aufstockung des späten 19. Jahrhunderts, um 1880, ist mit der Dendrodatierung 1200/01 der derzeit älteste exakt datierte Torturm Deutschlands.
Abb. 97 Mainz, das spätromanische „Eisentor“ (um 1200–1240) entstand als prunkvoller Empfangsbau an der Rheinlände. Ursprünglich wohl nur zweigeschossig, wurde es später zum Torturm erhöht.
Andererseits blieben betont hohe Tortürme ebenfalls Ausnahmen und traten kaum vor dem späten 14. Jahrhundert auf. Neben dem Aspekt des besseren Überblicks über das Vorfeld betonten sie besonders wichtige Stadteingänge. Als regional gestreute Beispiele, alle aus der Zeit um 1400, seien etwa das „Bayertor“ in Landsberg am Lech (Abb. 121), das „Würzburger“ und „Rödertor“ in Rothenburg ob der Tauber und das „Kröpeliner Tor“ in Rostock (Abb. 124) genannt.
Ganz gelegentlich wurde der Baukörper des Torturmes feldseitig durch Strebepfeiler bereichert, die fraglos in erster Linie eine bessere Abstützung gegen den vorgelagerten Graben bewirken sollten, aber natürlich auch die architektonische Wirkung bereicherten. Frühe Beispiele sind in Worms und dem davon abhängigen Ladenburg erhalten, ferner das „Tübinger Tor“ in Reutlingen aus der ersten bzw. zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, ein weiteres ist in Ulm ergraben. Erst in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts gehören etwa das „Johannistor“ in Aschersleben, das Bernauer „Steintor“ (Abb. 498) und ein Türmchen neben dem Tor in Triebel (Brandenburg).
In all diesen Fällen blieben die Strebepfeiler in ihrer Höhe beschränkt und daher in ihrer praktischen Funktion noch klar erkennbar. Theoretisch, wenn man von Formen des gotischen Kirchenbaues ausgeht, wären auch Strebepfeiler möglich gewesen, die die Ecken des Turmes in voller Höhe akzentuieren oder sogar als „Ecktürmchen“ dessen Traufe überragen; etwa im französischenglischen Raum gehörte diese Form zu den wichtigen formalen Möglichkeiten, vor allem im Burgenbau. Deutsche Tortürme dieser Form waren jedoch totale Ausnahmen und kamen nur in der schmuckreichen Spätzeit vor. Genannt seien das „Äußere Sülztor“ in Lüneburg (1440) mit vier runden Ecktürmen und der Münchener „Schöne Turm“ mit vollständig hochgeführten Eckstrebepfeilern, der 1479 als „Wahrzeichenturm“ einen älteren Turm innerhalb der Stadtmauer ersetzte (vgl. 2.2.4.10. [Abb. 93]). Das „Neubrandenburger Tor“ in Friedland (Brandenburg), wohl auch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, ist das einzig erhaltene Tor dieser Art, mit achteckigen Ecktürmen (Abb. 167).
Die Schalenform trat bei den Tortürmen ebenso früh auf wie bei den Mauertürmen (vgl. 2.2.4.8.), nämlich bald nach 1200, und war in den folgenden Jahrhunderten ähnlich häufig wie bei diesen, wohl sogar häufiger als Volltürme. Eindeutig feststellbar ist die effektive Verbreitung genauso wenig wie bei den Mauertürmen, denn bei der großen Mehrzahl der Türme wurde die Stadtseite später mit Mauern oder verputzten Fachwerkwänden geschlossen, sodass die Schalenform heute selbst bei voll erhaltenen Tortürmen nicht mehr direkt zu erkennen ist.
Anfänge der Schalenform bei den Toren
Die frühesten Fälle aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zeigen in der Gestaltung der Stadtseite eine Variationsbreite, die verdeutlicht, dass man anfangs noch mit Formen experimentierte; auch dies erinnert an die gleichzeitigen Mauertürme. Bereits das Eisenacher „Nicolaitor“, eines der frühen, noch „blockförmigen“ Tore, war im einzigen Obergeschoss stadtseitig offen; dieses schlichteste aller Modelle tritt auch schon beim ebenfalls blockförmigen Berner „Zytgloggen“ auf (um 1220/30) und das sicher wenig jüngere Esslinger „Wolfstor“ ist ein früher Vertreter eines höheren Schalenturmes dieser einfachen Art, ebenso wie der „Laufer Schlagturm“ in Nürnberg. Neben diesem einfachsten aller Modelle – bei dem über der Torfahrt einfach die Wand aller weiteren Geschosse fehlt und erst das Dachwerk den Abschluss bildet – steht die „Kornpforte“ in Andernach (um 1220?) als stabilere, aber auch aufwendigere Lösung, bei der sich zwei Rundbogentonnen übereinander zur Stadt öffnen; ein ähnliches Bild bot bei den Mauertürmen der gleichzeitige „Hochturm“ in Rottweil (Abb. 78). Einzigartig ist auch die Stadtseite des Altpörtels in Speyer (gegen Mitte des 13. Jahrhunderts; Abb. 79), drei Geschosse hoch aufgelöst in doppelte Spitzbogenöffnungen, die wiederum in drei hohen Rundbogenblenden zusammengefasst sind, offenbar eine reichere Variation der in Speyer und auch anderswo üblichen Mauertürme, die sich zur Stadt in Doppelbögen öffneten.
Derartige Gestaltungen waren jedoch offenbar zu aufwendig, um eine Nachfolge zu finden. Die Zukunft gehörte – und auch dies entspricht wieder ganz der Entwicklung bei den Mauertürmen – neben dem Vollturm der einfachsten Form des Schalenturmes, deren Anfänge schon beschrieben worden sind. Bei den Tortürmen bedeutete das in aller Regel, dass die Torfahrt stadtseitig im Bogen geschlossen war – hinter dem aber kaum je ein Gewölbe, sondern fast immer nur eine Balkendecke lag – und dass sich darüber der gesamte Turmschaft als durchlaufender „Schlitz“ in der Höhe aller Turmgeschosse öffnete. Gelegentlich schloss die mehrgeschossige Öffnung oben mit einen zweiten (Spitz-)Bogen, was den Anblick etwas weniger nüchtern gestaltete, aber wohl nur einer besseren Aussteifung der Seitenwände und einem solideren Auflager des Daches diente. Als gut erhaltenes Beispiel für diese Form, die bei Mauertürmen auch und ähnlich selten auftrat, sei der „Klingentorturm“ in Rothenburg genannt (Abb. 98).
Ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts war der schalenförmige Torturm in der beschriebenen schlichten Form so weit verbreitet, dass sich ein weiteres Mal die Anhäufung von Beispielen nicht lohnt. Ein besonders schöner Fall ist die „Oberpforte“ in Ortenberg (Wetterau), nach ihren Knospenkapitellen wohl aus dem dritten Viertel des 13. Jahrhunderts (Abb. 125), die auch in ihrer beachtlichen Höhe schon ein voll entwickelter Vertreter des „gotischen“ Typus ist. Als Region mit einer ganzen Reihe von derartigen Tortürmen noch aus der Zeit vor 1300 wäre etwa das Neckarland zu nennen.
In streng funktionaler Sicht war bei einem Torturm der quadratische oder rechteckige Grundriss nur im Erdgeschoss notwendig, wo er durch die Breite des durchgeführten Weges mehr oder minder erzwungen war; runde Formen hätten hier eine unverhältnismäßige Vergrößerung und komplizierte Formen der Torgewände gefordert. In den oberen Geschossen fehlte dieser funktionale Zwang, daher war hier im Prinzip ein Übergang zu einer anderen, schlankeren Grundrissform möglich, insbesondere zu einer polygonalen oder runden. Dass derartige Turmformen vorkommen, war schon im Zusammenhang der Mauertürme (vgl. 2.2.4.7.) angesprochen worden, und vor allem bei den „Wahrzeichentürmen“ (vgl. 2.2.4.10.) war schon deutlich, dass solche Türme, die in aller Regel auch stark ornamentiert sind, in gewisser Weise den formalen Höhepunkt mittelalterlicher Stadtmauern in Deutschland bilden.
Tortürme mit runden oder polygonalen Aufsätzen
Abb. 98 Rothenburg ob der Tauber (Mittelfranken), die Stadtseite des „Klingentorturms“. Der Ende des 14. Jahrhunderts entstandene Turm war über der Durchfahrt anfangs ein Schalenturm, wurde aber später geschlossen und erhöht.
Abb. 99 Köln, das in seiner baukörperlichen Gestaltung ungewöhnliche (zweiphasige?) „Severinstor“, hier die Feldseite im Zustand von 1883 (Wiethase, Kölner Thorburgen …, 1884).