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Los Angeles, Kalifornien, 1960


Nicht ganz ein Jahr war vergangen. Kurts zehnter Geburtstag war erst wenige Wochen her und der Grad an Respekt, den ihm die Gleichaltrigen entgegenbrachten, hatte sich nicht im Geringsten verändert; bis auf die Tatsache, dass sie ein Jahr älter waren und nun auf noch grausamere Gemeinheiten kamen, die ihn in noch tieferen Zorn, Trauer und grimmige Wut zu versetzen vermochten. Doch wenigstens wurden die meisten Kinder mittlerweile zu faul für körperliche Erniedrigungen, sondern beschränkten sich auf psychologische, teilweise unbewusste Kriegsführung.

Das Leben ohne Dad kam Kurt merkwürdig vor. Er vermisste seinen Vater zwar, wusste aber nicht, was ihm eigentlich genau an Dad fehlte. Er wurde nur mehr selten geschlagen, hatte die ungeteilte, traurige und frustrierte - aber nichtsdestotrotz aufopfernde - Aufmerksamkeit seiner Mutter (wie wohl jedes Kind die seiner Mutter hatte, wenn sie nur einen Funken Liebe in ihrer Brust besaß) und keiner machte ihm irgendwelche nervenden Vorschriften, die er sowieso nicht eingehalten hätte.

Aus Vorsichtsmaßnahmen wurde Kurt für sechs Monate nach dem Tod seines Vaters und dem Verschwinden Pauls in zur langfristigen Beobachtung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Dort dröhnte man ihn mit Beruhigungsmitteln und Kinderpsychopharmaka zu und setzte ihn weit verwirrteren Leuten aus, als er selbst es war (zumindest seiner Ansicht nach).

Das war wohl auch einer der Gründe, warum er ausrastete. Kurt hielt seinen eigenen Psychostress bereits kaum aus und nun bekam er den auch noch von außen durch die restlichen Patienten.

Während einer der letzten Beobachtungssitzungen mit einem verkrampften Anfänger von Kinderpsychologen, der wirklich mit aller Gewalt cool wirken wollte, brach alles aus Kurt heraus.

Er sprang von dem mattgelben Plastiksessel auf, begann zu schreien, riss den Sessel in die Höhe und schleuderte ihn direkt in das verhasste Gesicht des Psychologen. Zu dessen Glück traf Kurt nur den übergroßen Schreibtisch aus Eichenholz, an dem sie wochenlang gesessen und leere Belanglosigkeiten besprochen hatten. Der Tisch löste sich sogleich krachend in mehrere Bestandteile auf. Die professionelle Schlussfolgerung des Psychologen bestand nun darin, dass er von dem Kerl, bei dem er diesen Tisch selbst gekauft hatte, voll und ganz aufs Kreuz gelegt worden war.

Kurt war im Vergleich dazu relativ unwichtig. Diagnose: völlig behämmert. Durchgeknallt. Natürlich in elegantem Ärzte-Latein verpackt. Sofortige Maßnahmen der Ruhigstellung und Isolation seien zu treffen, um weitere Gewaltausbrüche und Verletzungsgefahren gegenüber der Umwelt zu minimieren.


Das Blut der Auserwählten

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