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Szenische Geschichtsfilme

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Betrachten wir zuerst die Dramatisierung von Vergangenheit im szenischen Spielfilm. Als Beispiel wählen wir den deutschen Fernsehfilm „Die Himmelsleiter“ aus dem Jahr 2015, der die Zuschauer in die Lebenswelt der Stadt Köln im Jahr 1947 zurückführt. Das Köln jener Tage ist schwer gezeichnet vom Bombenkrieg. Große Teile der Innenstadt liegen in Trümmern. Viele Ausgebombte leben auf engsten Raum zusammen, nicht wenige warten verzweifelt auf vermisste Familienangehörige. Kleine und große Nazis sind untergetaucht, manche von ihnen arbeiten schon wieder an einer zweiten Karriere. Die Versorgung der Bevölkerung funktioniert nur notdürftig, Tauschhandel, Schmuggel und Schwarzmarkt prägen das Alltagsleben. Viele Menschen leben von der Hand in den Mund. Es ist eine Zeit der Ungewissheit: der Krieg ist zwar vorbei, aber eine neue politische und gesellschaftliche Normalität noch nicht erreicht.

Es gibt sehr viele verschiedene Geschichten, die von diesen historischen Tatsachen erzählen. Sie finden sich in Zeitungen, Tagebüchern und Romanen. Der Film „Die Himmelsleiter“ erzählt die Kölner Nachkriegsgeschichte auf seine Weise, und er beginnt so:

DIE HIMMELSLEITER (D 2011), ANFANGSSZENE

Bild und Ton blenden auf, der Film beginnt: auf der visuellen Ebene wird bildfüllend eine Kirchenglocke sichtbar. Sie trägt die Inschrift „St. Peter bin ich genannt / schütze das deutsche Land / geboren aus deutschem Leid / ruf ich zur Einigkeit“. Die Kamera schwenkt langsam nach links, verliert die Inschrift aus dem Blick und erfasst aus der Perspektive des Glockenstuhls die Silhouette einer zerbombten Stadt. Ein breiter Fluss ist tief unten erkennbar, in dem über die gesamte Breite hinweg eine zerstörte Eisenbahnbrücke liegt. Während des Schwenks beginnt auf der auditiven Ebene ein Soundgemisch aus Windgeräuschen und einem hohem Geigenton, das nach wenigen Momenten in ein gesungenes Kirchenlied durchblendet. Auf der visuellen Ebene wird das Rätsel nach der Quelle des Gesangs durch eine Bildblende von der fernen Trümmerlandschaft in das nahe Kircheninnere geklärt. Die Trickkamera fährt durch den Glockenturm nach unten und erfasst nach einer weiteren Bildblende die Kirchengemeinde aus Richtung des Altars. Die ersten Reihen der Gemeindemitglieder werden vom rechten Seitenschiff hin zum Mittelschiff abgefahren. Alle Personen tragen Feiertagskleidung der 1940er Jahre. Die Kamera verlangsamt ihre Querfahrt und hebt aus der Gruppe zwei Frauen heraus. Auf der auditiven Ebene wird diese visuelle Fokussierung dadurch unterstützt, dass die Gesangsstimmen der Frauen aus dem Gesamtchor herausgehoben werden. Dann wechselt der Schauplatz. Auf der visuellen Ebene wird nun aus einer obersichtigen Perspektive die städtische Trümmerlandschaft in einer ‚Totalen‘ gezeigt. Auf der auditiven Ebene erklingt die Titelmusik. Der Titel des Films wird auf die Trümmerlandschaft geblendet: „Die Himmelsleiter. Sehnsucht nach Morgen“. Es folgt eine weitere Texteinblendung: „Nach einer wahren Begebenheit“. Auf der auditiven Sprachebene beginnt unmittelbar nach dem Titel eine Frauenstimme im rheinländisch eingefärbten Dialekt Voice-OverVoice-Over zu erzählen:

„Es war Sommer 1947 und der Krieg war seit zwei Jahren aus. Es war nicht so gelaufen, wie es gedacht war. Wir hatten zweihundertzweiundsechzig schwere Luftangriffe hinter uns, darunter den Tausendbomberangriff und die grausame Peter-und-Paul-Nacht. Mit den Trümmern konnten wir leben, aber wirklich schlimm war der Hunger. Unser Leben bestand aus Stehlen, Schmuggeln, Schachern und Hamstern, kurz ‚Fringsen‘. Denn unser Kölner Erzbischof, Kardinal Frings, hatte ja gepredigt, in der Not sei fast alles erlaubt, um seine Kinder durchzubringen. Aber sogar die Kinder selber mussten ran, zum ‚Rabatzen‘, sind mit Kupfer oder sonst was von Wert über die ‚Himmelsleiter‘ nach Belgien, um Kaffee einzutauschen. ‚Himmelsleiter‘, so haben sie den verminten Weg durch die Eifel genannt, weil er für viele direkt in den Himmel führte.“

Während des Voice-OverVoice-Over wird auf der visuellen Ebene ein von einem Trümmerberg heruntersteigender Junge sichtbar. Er hat ein geschminktes Karnevalsgesicht und versucht, sich eine ‚Kippe‘ anzuzünden. Beim Voice-Over-Wort „Fringsen“ erfolgt ein Umschnitt auf das Titelblatt der „Rheinischen Tageszeitung“, das ein Großfoto von Köln in Trümmern zeigt und so den Film als historische Erzählung beglaubigt. Die kleine dokumentarische Schnittfolge endet mit der Etablierung einer Szene: eine Menschenschlange steht an einem Milchgeschäft an. Die Frau, die bereits aus der Kirchengemeinde visuell und auditiv herausgehoben wurde, stellt sich mit einem kleinen Jungen dazu. Ein Dialog zwischen beiden beginnt, der sich mit dem Voice-Over mischt. Die Erzählstimme aus dem Off ist als Stimme der Frau in der Schlange zu identifizieren, offensichtlich die Protagonistin des Films. Es ist also ihre Geschichte, die aus ihrem Rückblick erzählt wird. Auf der auditiven Ebene geht das Voice-Over nun in szenische Dialoge über, entsprechend werden auf der visuellen Ebene szenische Handlungen sichtbar: das raumzeitliche Filmgeschehen nimmt seinen Lauf. Die Handlung hat längst begonnen, da gibt es noch einmal eine Texteinblendung: „Köln im Sommer 1947“. Dieser außerfilmische Hinweis stellt noch einmal heraus, dass die Erzählung sich auf Ereignisse beziehen will, die sich 1947 in Köln und Umgebung tatsächlich zugetragen haben sollen.

[22]Der Spielfilm „Die Himmelsleiter“ (D 2015) ist darum bemüht, bereits mit den ersten Bildern die Lebensbedingungen der Kölner Bevölkerung des Jahres 1947 wieder sichtbar zu machen und ‚tote‘ Geschichte in eine lebendige filmische Gegenwart zu verwandeln. Die eingeblendeten Texte und die Voice-OverVoice-Over-Erzählung zeigen schon im Vorspann an, dass der Film ein Geschichtsfilm sein und vergangene Ereignisse im Hier und Jetzt glaubwürdig darstellen will. Zu diesem [23]Zweck konstruiert er eine sicht- und hörbare historische Lebenswelt, in der Schauspieler tatsächliche, mögliche oder fiktive historische Personen darstellen und Ereignisse nachspielen, die sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen haben können.

Geschichte in Film und Fernsehen

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