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Film und Geschichtswissenschaft

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Das Medium ‚Film‘ ist von der Historiografie jahrzehntelang nicht als ‚geschichtswichtig‘ angesehen worden. Erst in den 1970er Jahren gab es in Frankreich und England Interesse von Seiten der Historiker (Marwick 1974; Ferro 1975). In den 1980er Jahren hat dann Irmgard Wilharm eine geschichtsdidaktisch orientierte Auseinandersetzung mit dem Medium ‚Film‘ in die Geschichtswissenschaft eingeführt. Sie hat Geschichtsfilme nicht nur in ihrem Bezug zur tatsächlichen Welt befragt, sondern die erzählte filmische Welt auch quellenkritisch analysiert. Im Zentrum ihrer Analysen standen mentalitätsgeschichtliche Überlegungen: die Filmbilder und die durch sie vermittelten Aussagen wurden als Quellen für Bewusstseinslagen zeitgenössischer Lebenswelten interpretiert (Wilharm 2006). Auch Anton Kaes begann in den 1980er Jahren mit der Untersuchung von Geschichtsfilmen der deutschen Nachkriegsgeschichte, beschränkte sich aber, wie andere auch, hauptsächlich auf werkimmanente Interpretationen (Kaes 1987). Ein stärkeres Historikerinteresse an Geschichtsfilmen blieb aber aus, selbst [9]dann noch, als das Fernsehen in den 1990er Jahren zum Leitmedium der populären Geschichtsdarstellung wurde. Erst nach der Jahrtausendwende begann eine breitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Geschichte in populären Medien, allerdings noch nicht grundsätzlich und systematisch, sondern bezogen auf Teilaspekte.

Untersucht wurde hauptsächlich die Darstellung der NS-Zeit im deutschen Nachkriegsfilm (so z.B. Bösch 2009; Vatter 2008), aber auch dem Mittelalter, der Antike und der Archäologie wurden Studien gewidmet (Meier/Slanička 2007a; Lochman/Späth/Stähli 2008; Gehrke/Sénécheau 2010). Der zweite Untersuchungsschwerpunkt bezog sich auf die Rolle von ZeitzeugenZeitzeugen in Geschichtsdokumentationen seit den 1980er Jahren (Keilbach 2003, 2005, 2008; Sabrow/Frei 2012). Dabei ging es einerseits um die Fragen der Glaubwürdigkeit und des Erkenntnisgewinns von Zeitzeugenaussagen, also um Zeitzeugen als Quelle, andererseits um die Zeitzeugen als Katalysatoren einer zunehmenden Personalisierung und Emotionalisierung von Geschichte im kollektiven, massenmedial gestützten Erinnerungsdiskurs der Gegenwart. Drittens nahmen sich die Historiker das Themenfeld der populären Darstellung von Geschichte in unterschiedlichen populären Medien (Zeitschrift, Comic, Film, Fernsehen, Internet) und Einrichtungen der Erinnerungskultur (Denkmäler, Museen, Ausstellungen etc.) vor. Barbara Korte und Sylvia Paletschek leisteten 2009 mit der Herausgabe des Sammelbandes „History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres“ einen wichtigen Beitrag zum Untersuchungsfeld der populären Geschichtskultur. Zeitgleich widmete sich auch die Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ in einem monothematischen Heft (3/2009) der populären Geschichtsschreibung. Wie diese populären Geschichtsmedien im Einzelnen genutzt werden und welche Wirkung sie entfalten, das ist allerdings noch ziemlich unklar. Viertens beschäftigt sich die Geschichtswissenschaft zunehmend auch mit den Fragen der historischen AuthentizitätAuthentizität, authentisch, Authentifizierung und ‚Objektivität‘ in audiovisuellen Geschichtsdarstellungen. Dabei ist man sich weitgehend darüber einig, dass es sich bei erzählter Geschichte, unabhängig davon, welches Erzählmedium genutzt wird, um Rekonstruktionen von historischen Welten handelt, die die tatsächliche historische Welt weder abbilden noch darstellen, sondern sie allenfalls repräsentieren. Je stärker die filmische Rekonstruktion dabei auf die Einarbeitung von historischen Quellen setzt (Archivbilder und -filme, Originaltöne, schriftliche Dokumente, ZeitzeugenZeitzeugen etc.), desto stärker erzeugt sie den Eindruck von AuthentizitätAuthentizität, authentisch, Authentifizierung und desto größer wird damit auch ihre dokumentarische Glaubwürdigkeit. Je weniger sie es tut und stattdessen auf Spielszenen baut, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen szenischer und dokumentarischer bzw. zwischen fiktionaler und faktualer Geschichtsdarstellung (Fischer/Wirtz 2008).

[10]Die Flüchtigkeit der Filmbilder hat viele Historiker bis in die 2000er Jahre hinein davon abgehalten, adäquate Mittel und Methoden für die wissenschaftliche Analyse von Geschichtsfilmen mit explizit geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen zu entwickeln. Erst seitdem sich Geschichtsfilme problemlos von jedermann leicht aufzeichnen und speichern lassen, haben die Bemühungen zugenommen, audiovisuelle Geschichte generell und systematisch mit standardisierten Methoden zu analysieren. Dabei konnten die Historiker auf die große Erfahrung der Medienwissenschaft bei der Filmanalyse zurückgreifen, die seit langem genreübergreifend idealtypische Handlungsmuster in Drehbuch und Film sowie die typischen Rollenzuweisungen, Konfliktmuster und standardisierte Lösungen untersucht. Auf der Grundlage medienwissenschaftlicher Forschungen hat Annerose Menninger in ihrem Buch „HistorienfilmeHistorienfilme als Geschichtsvermittler“ (2010) erstmals ein ausgefeiltes und erfolgreich an zwei Kolumbus-Filmen erprobtes Analysemodell zur Verfügung gestellt. Sie untersucht dabei nicht nur Quellen und Rezeption der filmischen Geschichtserzählungen, sondern fragt auch nach den ErzählformErzählformen und -strukturen, wobei sie die verschiedenen audiovisuellen Erzählebenen genauer in den Blick nimmt: „Auf narrativer Ebene wird die Filmhandlung mit ihrer Erzählstrategie (Erzähler, chronologische Handlung oder Rahmenhandlung), ihrer Geschichte, Problematik und Aussage sowie den Akteuren (Held oder Antiheld, statische oder sich entwickelnde Charaktere) untersucht. Auf visueller Ebene werden Sequenzen und SchnittSchnitte sowie Blickpunkt, Einstellungen und Perspektiven, Wechsel und Fahrten der Kamera betrachtet. Ihr Einsatz hat entscheidende Bedeutung für das Filmerlebnis, die Filmspannung wie auch die Zeichnung handelnder Personen. […] Auf auditiver Ebene werden Sprachmittel (Monologe, Dialoge, Erzähler, Voice-OverVoice-Over), Geräusche (die erst eine natürliche Atmosphäre erzeugen) und Filmmusik (die die visuelle Ebene unterstützt) als dramaturgische Elemente ausgeleuchtet“ (Menninger 2010, 15).

‚Audiovisuelle Geschichte‘ ist ein Element des Visualisierungsschubs, der im 19. Jahrhundert mit der massenmedialen Nutzung von Fotografie, Illustration, Grafik in den Printmedien begann und sich mittels Film, Video, Computergrafik etc. immer weiter in der Gegenwart ausgebreitet hat. Als Folge dieses visual turn leben wir heute in einer Bilderwelt, die sehr viele gesellschaftlichen Erzähl- und Erinnerungsformen prägt. Die Geschichtswissenschaft beschäftigt sich seit einiger Zeit unter dem Label ‚Visual History‘ mit Bildern als historischer Quelle. Sie hat dazu neue Fragestellungen und Untersuchungsmethoden entwickelt.1 Dabei geht es allerdings in erster Linie um das Einzelbild, insbesondere um die Fotografie. Eine ‚Audio Visual History‘ als Forschungszweig der Geschichtswissenschaft steht noch in den Anfängen.

[11]Weiterführende Literatur

Erll/Wodianka Erll/Wodianka 2008a: Astrid Erll/Stephanie Wodianka (Hg.), Film und kulturelle Erinnerung: Plurimediale Konstellationen. Berlin, New York 2008.

Hickethier 2010: Knut Hickethier, Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart, Weimar 20102.

Paul 2006: Gerhard Paul, Visual History: Ein Studienbuch. Göttingen 2006.

Menninger 2010: Annerose Menninger, Historienfilme als Geschichtsvermittler: Kolumbus und Amerika im populären Spielfilm. Stuttgart 2010.

Straub 1998a: Jürgen Straub (Hg.), Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte. Frankfurt a.M. 1998.

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