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ОглавлениеTeil 2 | SELBSTKLÄRUNG
Fasziniert schaue ich Emily zu. Zum fünften Mal innerhalb weniger Minuten rappelt sie sich vom Boden auf. Ihr Halt ist unsicher, sie muss sich an einer Wand oder einem Stuhl festhalten. Dann steht sie auf beiden Beinen. Sie verharrt einen Moment, als wolle sie sicherstellen, dass die Beine sie auch wirklich tragen. Schließlich löst sie ihre Hand vom Stuhl, bleibt wieder einen Moment stehen. Dann ein erster Schritt. Noch einer. Emily ist nicht mehr zu bremsen. Mutig folgt Schritt auf Schritt. Mancher etwas wackelig, zögerlich, andere sicher und entschlossen. Nach ein paar Metern scheint sie über einen unsichtbaren Gegenstand zu stolpern und stürzt. „Was war das denn?“, scheint ihr irritierter Blick zu sagen. Doch sie gibt nicht auf. Sie kriecht zur nächsten Wand und zieht sich erneut an ihr hoch …
Emily ist vierzehn Monate alt und gerade dabei, laufen zu lernen. Mit welcher Beharrlichkeit sie allen Stürzen und scheinbaren Misserfolgen trotzt! Selbst dutzendfaches Umfallen bringt sie nicht davon ab, es immer wieder zu versuchen. Eines Tages wird Emily stundenlang laufen können, ohne auch nur einmal zu stolpern. Sie wird Berge besteigen können, die Schweiz durchwandern. Und doch beginnt alles hier zu Hause im Wohnzimmer: mit dem Hochziehen am Stuhlbein und den ersten wackeligen Schritten quer durch die Wohnung.
Mit dem Anfang anfangen
Auch andere Fähigkeiten lernen wir nach und nach. Tanzen zum Beispiel. Wer einen Tanzkurs besucht, bekommt als Erstes einige Grundschritte beigebracht. Alle anderen Tänze – Tango, Salsa, Walzer – bauen darauf auf. Das zügige Arbeiten am Computer beginnt mit einem Kurs in Tastaturschreiben. Lesen und Schreiben beginnen mit dem Erlernen von Buchstaben. Ein Instrument spielen baut auf einer Grundkenntnis von Noten und Musiktheorie auf. Vieles, was wir später wie von selbst beherrschen, hatte seine Anfänge, beruht auf Grundlagen und Voraussetzungen. Wir beginnen selten mittendrin, sondern vorne. Am Anfang. Von dort entwickeln wir uns weiter.
Auch sich selbst führen beginnt mit ersten Schritten. Dazu gehört die Selbstklärung, die ein Prozess ist. Dabei versuche ich zu verstehen, wer ich bin, was ich kann und was ich möchte. Als Christ stelle ich mir diese Fragen aus einer bestimmten Perspektive: Ich frage, wie Gott mich sieht. Wie er mich gewollt und gemacht hat. Was er mit mir vorhat. Welche besonderen Eigenschaften, Stärken und Grenzen mein von ihm geprägtes Leben ausmachen.
Wenn ich mich an dieser Stelle besser verstehe, wird mich das ermutigen. Es entsteht eine innere Vergewisserung; Dankbarkeit für den Reichtum an Eigenschaften und Fähigkeiten, die Gott in mich hineingelegt hat; Zuversicht, dass er mir damit genug Chancen und Möglichkeiten anvertraut hat, damit ich meinen Platz in diesem Leben finden, einnehmen und behaupten kann. Es entsteht aber auch Entlastung. Die Selbstklärung befreit mich von der Illusion, Dinge können und tun zu müssen, die gar nicht zu mir passen, weil sie nichts mit mir und meinen Gaben zu tun haben. Meine Grenzen zu kennen und zu akzeptieren, hilft mir, loszulassen, was nicht meins ist und es auch nie werden muss.
Bei Emily waren es erste, tapsige Schritte. Für uns, die wir uns selbst führen möchten, ist die Selbstklärung der Anfang, auf dem alles andere aufbaut. Die folgenden Kapitel helfen Ihnen, wichtige persönliche Lebensfragen zu klären:
• Wer bin ich? Es geht um die Frage, was und wer Ihre Identität stärkt (Kapitel 7).
• Was kann ich? Es geht um die Frage, was Ihre besonderen Fähigkeiten, Eigenschaften und Stärken sind und worin Ihre persönliche Speerspitze besteht (Kapitel 8).
• Was und wohin will ich? Es geht um die Frage, welches Ihre unverzichtbaren Leitwerte und Grundsätze sind, anhand derer Sie Ihre Aufgaben und Ihre Beziehungen gestalten wollen (Kapitel 9).