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Man benötigt keine ausgefeilte Moraltheorie, um zu erklären, was zutiefst unrecht ist an Bestialitäten wie dem Massaker von My Lai, denn weder dienten sie noch sollten sie überhaupt strategischen militärischen Zwecken dienen. Und ferner: Wenn die Beteiligung der Vereinigten Staaten am Indochinakrieg von vornherein immer schon unrecht war, dann kann dieses Engagement ohnehin nicht als Rechtfertigung für auch nur die mindeste ihm dienliche Maßnahme herhalten – geschweige denn für ›Maßnahmen‹, die sogar im gerechtesten aller Kriege nichts anderes wären als widerwärtige Greueltaten.

Doch im Vietnamkrieg gaben sich Einstellungen allgemeinerer Art zu erkennen, die bereits in der Vergangenheit die Führung von Kriegen beeinflußt haben. Und so stehen wir denn, sollte dieser Krieg eines Tages endlich hinter uns liegen, auch in der Zukunft vor dem Problem, wie denn ein Krieg grundsätzlich überhaupt geführt werden darf; und die Gesinnung, der die besondere Weise geschuldet ist, wie in Indochina Krieg geführt wurde, wird sich dann gewiß nicht in Luft aufgelöst haben. Mehr noch, weitgehend die gleichen ethischen Probleme können sich ebensogut bei Aufständen oder bei Kämpfen stellen, die aus ganz anderen Gründen und gegen ganz andere Gegner geführt werden, und es ist fürwahr nicht leicht, in seiner ethischen Überlegung an einem klaren Bild davon festzuhalten, was bei der Führung eines Krieges noch zulässig ist und was nicht. Schließlich gibt es neben all den Militäraktionen, bei denen es sich um offenkundige Verbrechen handelt, noch eine Reihe anderer Fälle, die weitaus weniger leicht einzuschätzen sind. Die allgemeinen Prinzipien, die unserem ethischen Werten zugrunde liegen, bleiben hier in ein Dunkel gehüllt, und ihre Obskurität mag uns dann dazu verleiten, Intuitionen eines durchaus gesunden Menschenverstandes zugunsten von Kriterien aufzugeben, deren Grundprinzip etwas offener zutage tritt. Will man dieser Versuchung widerstehen, bedarf man eines besseren Verständnisses der einschlägigen Restriktionen als wir es gegenwärtig besitzen.

Ich beabsichtige hier, das allgemeinste moralische Problem zu diskutieren, das sich stellt, sobald ein Krieg geführt wird: das Problem von Mittel und Zweck. Nach einer der vertretenen Auffassungen sind den Dingen, die im Krieg begangen werden dürfen, Grenzen gesetzt, und zwar gleichgültig wie erstrebenswert der erreichbare Zweck auch immer sein mag – ja, sogar gleichgültig wie teuer das Befolgen dieser Einschränkungen erkauft wird. Ein Mensch, der sich von der Evidenz solcher Restriktionen motivieren läßt, kann sich gegebenenfalls schon sehr bald in einem akuten moralischen Dilemma befinden. Er mag beispielsweise sicher sein, daß das Foltern eines Gefangenen ihm die nötigen Informationen verschaffen würde, um eine verheerende Katastrophe abzuwenden, oder daß das Flächenbombardement einer Siedlung einen terroristischen Feldzug zum Stillstand bringen wird. Ist er obendrein fest davon überzeugt, daß der Nutzen einer Maßnahme ihre Nachteile klar und deutlich überwiegt, und glaubt er dennoch, daß er die Maßnahme nicht ergreifen darf, gerät er in ein Dilemma – verursacht durch den Konflikt zweier disparater Kategorien ethischer Gründe: Wir können sie im folgenden als die beiden Kategorien der utilitaristischen und der absolutistischen moralischen Gründe bezeichnen.

Der Utilitarismus legt den Primat auf die Frage, was geschehen wird – während für den Absolutismus hingegen stets der Sorge Vorrang gebührt, was im Hier und Jetzt von uns begangen wird. Zum Konflikt zwischen den beiden Standpunkten kommt es, da die Alternativen, unter denen wir in der Regel zu wählen haben, uns nur in den seltensten Fällen lediglich eine Entscheidung abverlangen, welches von mehreren Endergebnissen erreicht werden soll: Sie fordern meist auch die Entscheidung, welcher von mehreren alternativen Wegen einzuschlagen oder welche der zu Gebote stehenden alternativen Maßnahmen zu ergreifen ist. Besteht dann eine der Wahlmöglichkeiten darin, einem anderen Menschen unsägliches Leid zuzufügen, ändert sich unser Problem ganz grundlegend. Es handelt sich von nun an nicht mehr ausschließlich darum, welches Gesamtresultat letzten Endes das schlechtere wäre.

Kaum einer von uns dürfte restlos immun sein gegen diese beiden Arten moralischer Intuition, obwohl es Menschen geben wird, bei denen die einen Intuitionen – infolge eigener Veranlagung oder aus ideologischen Gründen – dominant und die anderen eher unterdrückt oder verkümmert sind. Es kann aber auch sein, daß man beide Typen von Gründen gleich stark in sich verspürt, und dann ist in bestimmten Krisensituationen das Dilemma regelrecht vorprogrammiert. Jede nur mögliche Handlungsalternative – und sei es das pure Nichtstun – scheint in derlei Fällen aus entweder dem einen oder aber dem anderen Grunde moralisch inakzeptabel.

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