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Wenn es auch letzten Endes dieses Dilemma ist, das näher zu untersuchen wäre, werde ich mich hier überwiegend seiner absolutistischen Komponente zuwenden; die utilitaristische Komponente ist im Vergleich mit ihr weniger kompliziert. Jedem, der nicht immer schon ein grundsätzlicher Skeptiker in Fragen der Ethik ist, leuchtet sie unmittelbar ein. Der Utilitarismus lehrt, man müsse stets bemüht sein, sowohl auf dem Wege geeigneter Institutionen als auch als Individuum Gutes zu maximieren und Schlechtes zu minimieren (für eine schematische Formulierung seines Standpunkts mag die genaue Definition dieser Kategorien einstweilen unterbleiben), und es sei, sobald man die Möglichkeit habe, ein erheblicheres Übel durch ein unerheblicheres zu verhindern, im entsprechenden Fall das kleinere Übel zu wählen. Es treten fraglos mancherlei Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung einer utilitaristischen Position auf, und dazu ist ja auch allerhand geschrieben worden – doch ist jedenfalls moraltheoretisch einsichtig, worauf der Utilitarismus hinaus will. Gleichwohl läßt er bis zum heutigen Tag, unbeschadet aller Zusätze und Verfeinerungen, die er erfahren hat, noch weite Gebiete der Ethik völlig unerklärt. Ich möchte damit nicht behaupten, daß irgendeine Form des Absolutismus sie alle erklären könnte, sondern lediglich, daß eine gründlichere Untersuchung der absolutistischen Gegenposition uns die Komplexität und vielleicht sogar Inkohärenz unserer eigenen moralischen Vorstellungen vor Augen führen wird.

Natürlich ist der Utilitarismus durchaus in der Lage, einige der Handlungsauflagen zu rechtfertigen, die für die Führung eines Krieges gelten. So sind beispielsweise zwingende utilitaristische Gründe gegeben, sich jenen Restriktionen zu unterwerfen, die von den meisten Menschen als seine natürlichen Grenzen angesehen werden – vor allem dann, wenn diese Beschränkungen bereits weithin als Restriktionen anerkannt sind. Eine außergewöhnliche Maßnahme, die in einem bestimmten Konflikt durch ihren Erfolg gerechtfertigt erscheinen mag, kann womöglich als Präzedenzfall auf lange Sicht absolut verheerende Auswirkungen haben.2 Ein Utilitarist mag sogar den Standpunkt vertreten, daß schlechterdings jeder Krieg immer Gewalt in einem solchen Ausmaß mit sich bringe, daß es vollkommen unmöglich sei, ihn im Rückgriff auf utilitaristische Gründe rechtfertigen zu wollen: Die Weigerung, sich an kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen, könne niemals so schlimme Folgen haben wie ein Krieg, sogar wenn es in ihm nicht zu Greueltaten käme. Ja, er kann sich selbst noch die raffiniertere Position zu eigen machen, daß eine geradlinige politische Prinzipienentscheidung, grundsätzlich nie zu dem Mittel militärischer Auseinandersetzung zu greifen, auf längere Sicht weniger Schaden anrichten würde – wenn man nur konsequent an ihr festhielte – als eine Politik, die bloß von Fall zu Fall utilitaristische Erwägungen zum Tragen kommen ließe (wenngleich zugestanden wird, daß im konkreten Einzelfall dann dieses prinzipielle Festhalten an einer pazifistischen Politik vorübergehend schlechtere Weltzustände zur Folge haben mag als eine auf genau diese Situation zugeschnittene utilitaristische Dezision). Doch werde ich diese Argumentation nicht weiter verfolgen. Mich interessieren hier ganz anders geartete Gründe, die unter Umständen selbst dann noch greifen, wenn Rechtfertigung aufgrund von Eigeninteresse und Utilität scheitert.3

In letzter Konsequenz werde ich zu dem Ergebnis gelangen, daß das Dilemma nicht immer aufgelöst werden kann. Wiewohl nicht jeder Konflikt zwischen Absolutismus und Utilitarismus in ein unlösbares Dilemma führt, und obgleich es mir fraglos richtig zu sein scheint, daß an absolutistischen Restriktionen solange festzuhalten ist, bis schließlich die Utilitätsgründe, von ihnen abzurücken, von geradezu erdrückendem Gewicht und zwingender Zuverlässigkeit sind – unangesehen all dessen gilt, daß es gleichwohl, wenn diese letzte Bedingung erfüllt ist, in der Tat einmal unmöglich werden mag, noch weiter an der absolutistischen Restriktion zu festzuhalten. Was ich also anbiete, ist eine Verteidigung der absolutistischen Position mit einer einschränkenden Kautele. Der Absolutismus gründet, wie ich meine, einen gültigen und fundamentalen Typus des moralischen Denkens, ein Werten, das sich weder auf andere Grundsätze zurückführen noch durch solche außer Kraft setzen läßt; und obwohl es weitere Prinzipien geben mag, die nicht minder fundamental sind, bleibt es von besonderer Wichtigkeit, nicht das Vertrauen auf unsere absolutistischen Intuitionen zu verlieren. Denn manchmal verfügen wir über keine anderen ethischen Prinzipien mehr, denen noch die Funktion der letzten Barriere vor dem Abgrund einer utilitaristischen Rechtfertigung des Massenmordes zukommen könnten.

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