Читать книгу Johann Gabb - Thomas Pfanner - Страница 8

Оглавление

Buisdorf

Ich bin überfordert. Natürlich bin ich bestens geeignet, meinen Großvater zu versorgen und zu betreuen. Ich bin Altenpfleger und spezialisiert auf Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Aber es ist mein Großvater, Herrgott! Sein Geist erscheint im Augenblick so glasklar und präsent, wie meiner nie sein wird. Das erschüttert mich mehr, als ich sagen kann. Denn eigentlich ist er dement.

Morgens ist er ganz fit, macht Scherze, isst und trinkt und findet rechtzeitig die Toilette. Gegen Abend verdunkelt sich sein Geist, man kann es ihm regelrecht ansehen. Das Gesicht verhärtet, die Blicke schweifen ins Weite, er wird hektisch und beginnt zu suchen. Dann läuft er weg. Meist finde ich ihn hier, im Gras sitzend, über dem Flusslauf der Sieg mit bestem Überblick über die Autobahn und die unendlich hässlichen Hochspannungsmasten. Hübsch hässlich habt ihr es hier, würde Heinz Rühmann sagen.

Mein Großvater sagt nichts dergleichen. Immerhin ist mir klar, dass er im Geiste seine, unsere Umgebung verlassen hat. Er ist auf einer Zeitreise, unterwegs durch seine Vergangenheit. Er irrt umher, jeden Abend, auf der Suche nach einem Einstieg in Ereignisse und Begebenheiten von früher. Die Lichter der Autos, die bis zum Horizont diesen Perlschnur-Effekt erzeugen, sind der heutige Kristallisationspunkt, der Einstieg in eine Szene, die er damals durchlebt hat. Nunmehr durchlebt er sie aufs Neue, mit allem Drum und Dran, die Emotionen von damals flackern über sein Gesicht, der Körper ist angespannt, die Hände verkrampft. Seine sonst eher verwaschene Aussprache ist präzise und dynamisch, fast so dramatisch wie bei einem dieser Sprecher im Fernsehen, wenn sie derlei Ereignisse kommentieren.

Soweit ist mir alles klar. Nur, wie soll ich reagieren? Offenbar nimmt er mich wahr, erkennt mich als nicht zu dem gerade, also damals Erlebten gehörig. Ich bin sein Fenster zur Realität und mit ziemlicher Sicherheit braucht er mich, weil er den Zwang verspürt, seine Erlebnisse mitzuteilen. Er braucht mich aber auch, um seine Erinnerungen komplett aufzufrischen. Auch ich verdeutliche mir Dinge am besten, indem ich sie jemandem erzähle. Ich merke ganz deutlich, wie seine Erzählungen lebendig und plastisch werden, sobald er eine Weile darüber redet. Trotzdem, was soll ich tun?

Ich versuche es mit einer Doppelstrategie. Ich stelle eine Frage und ziehe ihn gleichzeitig sanft am Arm, um ihn von der feuchten Wiese wegzubekommen.

»Landverschickung? Was ist denn damit gemeint?«

Es funktioniert. Er steht auf, klopft sich unbeholfen die Hose ab, sieht mich an und erklärt es mir. Dabei beginnt er, neben mir herzugehen, ein vertrauter Spaziergang Richtung Heimat. Ich muss sehr auf den Weg achten, denn er tut es nicht. Er ist in seiner Geschichte gefangen und die erzählt er derart spannend, dass ich beinahe hineingesogen werde in die Zeit und selbst kaum noch auf den Weg achte.

Johann Gabb

Подняться наверх