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6. Genosse Telemann

„Genosse Telemann?“

Karl fühlte sich in seinem neuen Ost-Berliner Büro noch wenig heimisch. Ihm war nicht klar, ob er in diesem massiven Stasi-Bau eigene Bilder an die Wände hängen durfte, geschweige denn eigenes Mobiliar mitbringen. Folglich harrte er der Dinge, bis ihn irgendein non-informeller Hinweis innerhalb des Systems diese Frage beantworten würde.

„Genosse Telemann?“

Bis dahin würde er wohl oder übel noch auf den nüchternen Einheitsrequisiten ausharren müssen. Zudem gab es in seinem Arbeitsalltag nur wenige Momente, in denen er sich tatsächlich dem undekorierten Ambiente seines kleinen Büros zuwenden konnte.

„Genosse Telemann?“

Karl blickte hoch. Er schaute auf den untersetzten Mann, der im Türrahmen seines Büros stand. Sein Haar war streng nach hinten gekämmt. Der Blick nicht minder streng. In der rechten Hand hielt er einen jener grauweißen Umschläge aus schlecht geblichenem Papier. Obwohl Karl sich der Ursache der mangelnden Papierqualität durchaus bewusst war, ließ seine westdeutsche Vergangenheit für einen kurzen Moment das Gefühl einer arroganten Missachtung in ihm aufsteigen. Und zum selben Zeitpunkt verabscheute er sich selbst für diesen primitiven Gedanken. Karl versuchte die Oberflächlichkeit dieses westlichen Gedankengutes aus seinem Gehirn zu verbannen. Doch im gleichen Moment übermannte ihn ein neues abwertendes Gefühl. Es galt der Erscheinung jenes untersetzten Mannes in Uniform, der wie eine lächerliche Imitation seines Chefs aussah. Zu offensichtlich war der Versuch, in die optischen Fußstapfen seines offenkundigen Idols zu treten. Erich Mielke. Selbst der Tonfall orientierte sich an ihm. Karl schüttelte innerlich den Kopf, gemischt mit einer gehörigen Portion Amüsiertheit. Wann nur würden diese staatsfeindlichen Gedanken endlich nicht mehr sein Denken dominieren? Er schüttelte sich, als würden damit seine politischen Zweifel zerstreut.

Der kleine dicke Eindringling unternahm einen weiteren Versuch der Kontaktaufnahme.

„Genosse Telemann?“

„Ja, bitte?“

„Hab` ich Sie gestört, Genosse Telemann?“

Das Männlein verlor in seiner Stimmlage an Schärfe. Zu groß schien der Respekt gegenüber Karl zu sein. Vielleicht beruhte die vermeintliche Hochachtung auch nur auf Anordnung seines Vorgesetzten Erich Mielke. Zumindest erschien er mit seinem imitatorischen Auftritt so, als hätte er sein Leben dem Chef der Staatssicherheit gewidmet. Selbst Mielkes Berliner Akzent schien er nachzueifern. Karl musste wieder innerlich lächeln. Nach außen machte seine Mimik jedoch das Spiel mit.

„Nein, keinesfalls. Ich war nur in Gedanken.“

„Wegen des neuen Grenzkonzepts oder haben Sie einen neuen Plan bezüglich des Nachrichtenmannes?“

Ohne die Frage zu beantworten nahm Karl den Umschlag entgegen. Das hatte er als erstes innerhalb dieses Systems gelernt. Schweigen, wenn du nicht reden willst. Eine Tugend, die nur wenige innerhalb dieses Gebäudes mit seinen unübersichtlichen Gängen beherrschten. Karl verstand es, Information pointiert und nur dann an den Mann zu bringen, wenn ihm danach verlangte. Seine Taktik: Wenig reden und damit Aufmerksamkeit erzeugen. Spannung. Und wenn er dann seinen Mund aufmachte, galt ihm die ganze Aufmerksamkeit. Damit schuf er eine Aura um sich, die selbst seine Vorgesetzten beeindruckte.

„Richten Sie Genosse Mielke aus, dass das Protokoll zwischen dem bayrischen Ministerpräsidenten und Genosse Honecker sein Ziel erreicht hat.“

„Sehr wohl.“

Der Untersetzte zog die Tür hinter sich zu. Doch Karl lag noch etwas auf der Seele.

„Und noch etwas.“

Die Tür öffnete sich erneut. Der Kopf mit der Mielke-Frisur lugte erwartungsvoll durch den Spalt.

„Ja, Genosse Telemann.“

„Nennen Sie ihn nicht Nachrichtenmann.“

Absender Ost-Berlin

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