Читать книгу Absender Ost-Berlin - Thomas Pohl - Страница 14
Оглавление9. Der Führungsoffizier
„Dir ist schon klar, dass du gegen klare Anweisungen verstoßen hast?“
„Ging nicht anders.“
Anna vermied den Blick auf ihr Gegenüber. Ihre Hand umfasste ihr gekreuztes Knie.
„Nochmal! Das Betreten des Gebietes der DDR ist für dich streng untersagt.“
„Ich sagte doch bereits. Es ging nicht anders!“ Anna konnte ihre Genervtheit nicht mehr unterdrücken.
„Genossin Blaschke. Wenn du dich nicht an die Anweisungen hältst, ziehen wir dich von dem Fall ab. Derartiges …“
Sie fiel dem hageren Mann ins Wort. „Ich hab` ihn!“
Die linientreuen Augen des Mannes entspannten sich.
„Wie weit?“
„So weit, wie ich gehen sollte.“
Anna war froh, ihr Gegenüber endlich zum Schweigen gebracht zu haben. Die magere Figur stand von dem kleinen Küchentisch auf und schritt zum Fenster. Das Gegenlicht der einfallenden Sonne ließ seine Silhouette noch schmächtiger aussehen. Die Sonnenstrahlen trafen auf die vergilbte Tapete und warfen lange Schatten des einfachen Mobiliars auf den abgewetzten Holzboden. Eine verbeulte Kanne klapperte mit kochendem Wasser über der Flamme des altertümlichen Gasherds. Anna schob ihren Stuhl zurück und ging zu der Küchenzeile hinüber.
„Kamille oder Pfefferminz?“
„Wirst du bei ihm einziehen?“
„Wahrscheinlich in drei bis vier Wochen.“
Der dürre Mann drehte sich Anna zu und hob anerkennend seine Augenbrauen.
„Kamille.“
Sie begann die beiden einzigen Tassen der Küche unter dem dünnen Wasserstrahl zu spülen, kramte zwei Teebeutel aus einer orangfarbenen Plastikdose und übergoss den Tee.
„Immer noch der Magen?“
Ihr Gegenüber nickte unmerklich. Anna wusste um die Vorgeschichte des unterernährten Mannes. Obwohl schon längst im Pensionsalter, ließ Alfred nicht von seiner Position als Führungsoffizier ab. Zu tief waren die Wunden in seiner kommunistischen Seele. So viel gab es noch zu tun, um das große Ziel zu erreichen. Das Unrechtssystem des Kapitalismus durfte einfach nicht siegen. Alfred war ihr Protegé.
„Du musst ihn nach Bonn bringen.“
„Nach Bonn? Aber wie soll ich?“
„Du sollst ihn motivieren. Der Rest ergibt sich.“
Anna begriff.
„Der Neue will es so.“
Alfred grinste. Sie atmete tief ein.
„Er ist aufgestiegen?“
„Ja. Mielke hat ihn gefressen. Seine Vollmachten haben sich verdoppelt.“
Anne stutzte.
„Ungewöhnlich für einen Überläufer.“
„Allerdings. Aber seine Pläne dienen unserer Sache. Und sie sind gut.“
Alfred verbesserte sich: „Brillant!“
Er wickelte den Faden um den Teebeutel und drückte die Flüssigkeit über der Tasse aus. Seine Hand zitterte leicht. Anna nahm ihm den Beutel ab, hielt ihre Hand darunter und warf ihn in die leere Einkaufstüte neben dem Herd. Sie schaute besorgt in Alfreds Gesicht.
„Soll ich dir noch etwas einkaufen?“
„Danke, ich habe alles. Aber du müsstest etwas anderes für mich übernehmen.“
Alfreds Blick senkte sich auf den Tisch. Es war offensichtlich, dass der alternde Agent Schwierigkeiten hatte, weiter zu reden. Anna ging einen Schritt auf den Küchentisch zu. Unsicher, ob sie bereits die notwendige Distanz unterschritt.
„Ja?“
Alfred hielt seinen Kopf gesenkt: „Du musst zukünftig die Dokumente zustellen.“
Anna war klar, dass dies ihre Tarnung gefährden würde. Zugleich wusste sie, dass ihr Führungsoffizier ihr nie eine Aufgabe geben würde, deren Tragweite er nicht kalkuliert und sorgfältig durchdacht hätte. Trotzdem verstieß dieser — wenn auch nett formulierte — Befehl gegen alle Direktiven, die sie in ihrer Ausbildung gelernt hatte.
Alfred las ihre Gedanken.
„Ich bin inzwischen eine Gefahr für die Operation. Bei der letzten Übergabe ist er mir fast auf die Spur gekommen. Nur zwei Meter weiter und er hätte mich unter der Aussichtsplattform an der Mauer entdeckt.“
Anna schwieg. Ihr ohnehin riskantes Rollenspiel sollte um ein weiteres Risiko gefährlicher werden.
„Kann nicht jemand anderes?“
„Es gibt keinen anderen. Zu viele sind in den Westen übergelaufen.“