Читать книгу Absender Ost-Berlin - Thomas Pohl - Страница 15
Оглавление10. Nach der Liebesnacht
Seine Hand lag direkt vor seinem Gesicht. Der Duft ihres Schoßes haftete noch an seinen Fingern. Michael schob die Hand noch etwas näher an seine Nase und atmete tief ein. Es war der Geruch von Annas Hemmungslosigkeit. Die halbe Nacht hatten sie es miteinander getrieben. Hatten aneinandergeklebt. Waren verschmolzen. Zweimal war er explodiert. So sehr hatte sie ihn gereizt. Michael strich über ihren weichen Oberarm. Anna zeigte keine Reaktion. Er drehte sich auf den Rücken und legte seine Arme unter seinen Kopf. Sein Blick fiel auf die weißen Stuckverzierungen an der Zimmerdecke und seine Mundwinkel formten sich entspannt zu einem Lächeln. Ihre Haut berührte seinen nackten Körper. Eine tiefe Entspannung durchflutete ihn. Nicht nur sexuell. Erstmals spürte er die kompromisslose Verbindung von Liebe und Körperlichkeit. Nicht der Hauch eines Gedankens nach Flucht oder Reue. Es war der Beginn des Verweilens. Das alles fühlte sich richtig an. Michael war glücklich. Ihr ruhiges Atmen lieferte den balladenhaften Rhythmus für den Aufbruch in eine neue Epoche. Unendlich lange Minuten verblieb Michael in dieser neuen Position. Genoss den Gedanken seines Bekenntnisses für Anna. Er fühlte sich hellwach. Sanft küsste er ihre freiliegende Schulter, bevor er aus dem Bett stieg.
Mit leisen Schritten ging Michael auf das große Fenster des Schlafzimmers zu und schob den Vorhang zur Seite. Mit dem Blick auf die Straße und die gegenüberliegende Häuserzeile störte er sich nicht an seiner eigenen Nacktheit. Sollten sie ihn doch alle sehen. Er hatte nichts zu verbergen. Das was er getan hatte und vor hatte zu tun, entbehrte jedes Gedankens der Scham und Unehrenhaftigkeit. Selbst als bei der Erinnerung an die vergangene Liebesnacht wieder die Erregung in ihm aufstieg, blieb er unverändert vor dem Fenster stehen und genoss die Stille dieses Sonntagmorgens. Er blickte auf die Sonne über den Dächern von Berlin, die ihre langen Schatten über das Panorama warfen.
Es war ein ihm wohl bekanntes metallisches Geräusch, das Michael aus seiner friedvollen Gedankenwelt riss. Zunächst noch unsicher gegenüber seiner eigenen Wahrnehmung horchte er genauer hin. Jetzt drang das lautstarke Zufallen der Eingangstür ebenfalls bis in den dritten Stock. Das war zunächst nichts Ungewöhnliches. Doch die Kombination der Eingangstür mit dem metallischen Klappen des Briefkastens passte so gar nicht in diesen Moment. Michael beschlich ein bekanntes, ihm unangenehmes Gefühl. Sich auf die Zehenspitzen streckend, versuchte er einen Blick auf den Bürgersteig vor dem Haus zu erhaschen. Doch der Sichtwinkel durch die geschlossene Scheibe ließ wie immer keinen Ausblick direkt nach unten zu. Würde er die Fensterbank leerräumen und das Fenster öffnen, wäre derjenige, wären diejenigen bereits schon über alle Berge. Also drehte er sich um, griff seine Jeans und sein T-Shirt vom Stuhl und schlich sich dabei anziehend in Richtung Wohnungstür.
Er sah über das Treppengeländer. Nichts. Wenige Sekunden später erreichte Michael das Erdgeschoss. Ihn überkam das inzwischen schon gewohnte Herzklopfen, als er den Schlüssel in das Schloss seines Briefkastens steckte. Das Drehen erzeugte ein unüberhörbares Klacken. Das Fach sprang auf. Doch diesmal war es leer.
Michael hielt für einen Moment inne. Er war sich sicher, dass er das Geräusch der metallischen Briefkastenklappe gehört hatte. Zu häufig schon war es für ihn das Signal gewesen. Zusammen mit der immer gleichen Sequenz der zuschlagenden Eichentür. Er hatte sich nicht geirrt.
Ohne zu zögern, öffnete er die schwere Haustür und rannte los.
„Gibst du mir noch ein Brötchen?“
Anna hatte nur eins seiner bedruckten T-Shirts übergestreift. Das Porträt von Frank Zappa wurde von ihrer Brust leicht verformt. Selbst ungeschminkt und mit zerzaustem Haar übte Anna ihren ungebremsten Charme auf ihn aus. Mit einer langsamen Handbewegung streifte sie eine Strähne hinter ihr Ohr. Eine jener markanten Bewegungen, die sie auf ihn aufmerksam machte. Ein Detail in der Summe so liebenswerter Handlungen, die in ihm das Bedürfnis weckten, so dicht wie möglich an dieser Frau zu sein. Sie zu berühren, zu riechen und zu schmecken. In sie einzudringen und seine Gedanken zu teilen. Ihre Worte erzeugten in ihm ein süchtiges Gefühl nach mehr. Nach mehr Worten. Nach nicht enden wollender Nähe.
„Süß von dir, Brötchen zu holen.“
Michael lächelte verlegen.
„Ich war joggen.“
„Okay.“ Durch Annas Reaktion schimmerte so etwas wie Skepsis. Oder bildete er sich das nur ein?
„Wo bist du langgelaufen?“
„An der Mauer.“ Und das war noch nicht einmal gelogen. Trotzdem versuchte Michael Annas Blick auszuweichen. Zugleich ärgerte ihn diese kleine Lüge. War das eine gute Voraussetzung für ihre junge Liebe? Wo Anna doch so unverblümt offen ihm gegenüber war. Ihn einließ in ihr Paradies.
Anna schien Michaels Zurückhaltung zu spüren und legte ihre Hand auf seine. Sie schaute ihm tief in die Augen und sagte damit Dinge wie: „Es ist wunderschön mit dir.“ „Lass uns ewig zusammen sein.“ „Ich gehöre dir.“
Michael fühlte sich durchdrungen von ihrem Blick. Zugleich schämte er sich für seine Unoffenheit.
„Übrigens, es hat jemand was für dich abgegeben.“
Michael horchte auf.
„Wie?“
Anna kaute noch und sprach trotzdem:
„Keine Ahnung. So´n Umschlag. Hab` ich auf deinen Schreibtisch gelegt.“
„Wer hat ihn abgegeben?“
„Weiß ich nicht. Lag auf der Türschwelle. Du hattest ja die Tür hinter dir sperrangelweit offengelassen.“
„Ich …“ Michael versuchte sich zu erinnern. „Ich hab` die Haustür hinter mir offen gelassen?“
„Ja. Mann, hab` ich einen Hunger.“
Anna biss erneut in ihr Brötchen. Michael reckte seinen Kopf in Richtung seines Arbeitszimmers. Sein Pulsschlag wurde schneller. Durch die offene Tür konnte er den Umschlag auf dem Schreibtisch sehen. Der Einband verriet Michael sofort, um was es sich handelte. Hatte er — hatten sie das Schema geändert? Warum nicht mehr in den Briefkasten? Hoffentlich würden sie — würde er — Anna da nicht mit reinziehen.
„Hast du … ich meine … weißt du, was drinnen ist?“
„Nein! Was denkst du von mir. Schau doch selbst nach.“
Michael griff ebenfalls nach einem Brötchen.
„Das ist bestimmt von einem Kommilitonen von der Uni. Ich schau später rein.“
Anna setzte die Kaffeetasse zum Trinken an. Ihr Augenaufschlag verströmte etwas Versöhnliches. Sie legte ihre Hand auf sein Knie. Michael beruhigte sich. Die Wärme ihrer Hand durchströmte ihn bis in seine Lenden. Als wäre sich Anna der Wirkung ihrer Körperwärme bewusst, ließ sie ihre Hand weiter nach oben wandern.
„Keine Unterhose?
Michaels Entspannung zauberte ein Lächeln auf seine Lippen.
„Wozu?“
Das einladende Vorbeugen ihres Oberkörpers führte ihn dicht an ihren Mund. Annas Hand griff fester zu. Die andere knöpfte seine Hose auf, während Michael ihr langsam das T-Shirt hochzog. Für den kurzen Moment des Ausziehens unterbrachen sie ihren Kuss. Bis sich beide wieder mit ihren Mündern verschmolzen. Ihren blanken Hintern umfassend hob Michael Anna hoch und trug sie eng umschlungen in Richtung des Bettes.