Читать книгу Der Alte vom Berge - Thomas Riedel, Susann Smith - Страница 8

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Kapitel 5

Mossul,

Hotel, Gartenhaus

A

uf der Terrasse bewegten sich Bauchtänzerinnen zur Musik des kleinen Orchesters, das verborgen hinter einer Hibiskushecke saß.

Jacob Hemsworth betrachtete mit offensichtlicher Bewunderung die junge Frau, die soeben über die Terrasse des Gartenhauses herunterkam. »Da sind Sie, Miss Mabel!«

Ein paar Stufen über ihm blieb Mabel Wrightley stehen. Sie sah bezaubernd aus. Ihr Kleid war aus einem hellen Baumwollstoff. Ihre makellosen Schultern hoben sich gebräunt aus dem Dekolleté, und das dunkle Haar glänzte im Licht der zahlreichen Lampen, die die Terrasse und einen Teil des Parks erhellten.

»Hallo, Jack! Sie langweilen sich wohl?« Sie musterte ihn, dem sie gerade einmal bis zur Nasenspitze reichte.

»Jetzt nicht mehr«, sagte er lächelnd und bekam dafür von seiner Schwester, die gerade auf sie zugekommen war und seine Bemerkung vernommen hatte, einen leichten Knuff in die Seite.

»Hallo, Mabel!«, grüßte Sally die junge Frau.

»Hallo, Sally!«, gab sie zurück, wandte sich aber direkt wieder Jack zu. »Ich habe schon gestern gewusst, dass Sie frech werden würden … Aber mein Vater bestand darauf, Sie, ihre Schwester und den Professor einzuladen.«

»Umgekehrt wird ein Schuh daraus, Mabel«, korrigierte sie William Wrightley, der unbemerkt zu ihnen getreten war.

Sally schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Sein hageres Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen und durch den langen Aufenthalt im Orient von der Sonne verbrannt. Es strahlte etwas Sympathisches aus.

Wrightley deutete mit einer Geste seiner Rechten auf die Terrasse. »Nun, Mister Hemsworth, was sagen Sie zu den Tänzerinnen? Oder ist dieses Schütteln und Zucken nichts für Sie?«

»Wenn das keinen Regen gibt, dann weiß ich nicht, welche Zaubermittel noch helfen sollen«, entgegnete er und machte deutlich, dass er dem Bauchtanz nichts abzugewinnen vermochte.

»Ich finde es himmlisch!«, gab sich Mabel backfischhaft und brachte damit Sally unweigerlich zum Schmunzeln.

»Seien Sie ein Gentleman, Mister Hemsworth und achten ein wenig auf meine Tochter, während Sie dem Bauchtanz zuschaut«, bat Wrightley. »Ich muss zum Professor, damit die lieben Gäste nicht denken, ich sei ein Banause, der nichts von Kunst im Allgemeinen und von Archäologie im Besonderen hält.« Er bot Sally seinen Arm an. »Wenn Sie mich begleiten mögen, Miss Hemsworth.«

Mit diesen Worten zog er sie mit sich.

»Wie ich sehe, haben Sie sogar den Herrn Konsul und den ›Mutasarrif‹13 als Prominenz gewinnen können, Miss Mabel«, stellte Jack nach einem Rundblick anerkennend fest.

»Sie haben sich selbst, Ihre Schwester und den Herrn Professor vergessen, Jack. Sie sind doch sonst nicht so bescheiden.«

»Sind Sie immer so frech?«, schmunzelte Jack, der nicht verhehlen konnte, dass die junge Frau sehr anziehend war.

»Das kommt auf mein Gegenüber an, Jack«, erklärte sie und sah ihm mit einem verführerischen Lächeln in die Augen.

Verwirrt nickte Jack, strich eine Falte seines weißen Abendanzugs glatt und blickte hinüber zum Springbrunnen, der gut zehn Yards hinter der Terrasse, sein Wasserspiel wie einen silbernen Strahl in die Höhe schleuderte.

»Der arme Professor«, setzte Jack jetzt das Gespräch fort. »Ich weiß nicht, was ich mehr bedauern soll: Dass er einmal seinen lässigen offenen Hemdkragen zu Hause lassen und mit einem anständigen Anzug vertauschen musste, oder dass er dauernd von wissbegierigen Damen in Anspruch genommen wird.«

Jetzt blickten sie beide gleichzeitig zu der Gruppe hinüber, die am Kalten Büfett den Professor einkreiste. Ein weißgekleideter Diener brachte eben Cocktails. Auch Atkins nahm ein Glas und stellte es neben sich auf den Tisch, auf dem Sandwiches unter Glasstürzen aufgehäuft waren.

»Wollen wir uns ein bisschen an die Tanzfläche setzen?«

In dem Augenblick, als sich Jack Mabel zuwenden und mit ihr die Treppe hinaufgehen wollte, sah er eine Bewegung, die ihn unwillkürlich an seinen Platz fesselte.

Einer der Gäste, die den Professor umstanden, trat hinter den Dozierenden. Jack bemerkte, wie er etwas in das unbeaufsichtigte Cocktailglas des Archäologen hineingab. Kurz darauf griff Atkins zum Glas. Für Jack stand fest, dass jede Warnung zu spät kommen würde. Vom Fuß der Terrasse aus waren es immerhin fünfzehn Yards zu der Gruppe.

Jack handelte sofort. Ohne jedes Zögern griff er unter das halb geöffnete Jackett. Seine Hand glitt zum Webley-Revolver, den er in einem Achselhalfter mit sich führte. In der Sekunde, die der Professor brauchte um das Glas zu heben, erfasste Jack bereits das Ziel. Der Schuss ging im Wirbel der eben einsetzenden ›Bendir14 unter, und mit einem verblüfften Grinsen starrte Atkins auf das zersplitterte Glas.

Jack sah, wie der Mann, der sich am Cocktail vergangen hatte, hastig hinter einer Gebüschgruppe verschwand. Er steckte den Revolver ein und setzte dem Fliehenden nach.

Kaum einer der Anwesenden ahnte, was in ihrer allernächsten Umgebung vor sich gegangen war. Nur Kommissar Dschiluwi, der auch zu den Gästen zählte, erriet sofort den Zusammenhang und gab einem der in Zivil steckenden Geheimpolizisten, die den ›Mutasarrif‹ bewachten, einen Wink, die Reste des Glases sicherzustellen. Dann rannte er – gefolgt vom Professor – hinter Jack Hemsworth her.

Jack lief trotz seiner Größe mit verblüffender Leichtigkeit. Nach zweihundert Yards durch den Park erreichte er eine Hibiskushecke und brach rücksichtslos hindurch. Das Laternenlicht aus dem Gartenrestaurant des ›Lion of Niniveh‹ reichte nicht mehr bis hierher.

Vor sich erkannte Jack die Umrisse des verwilderten Busches, der sich bis zum Tigris erstreckte. Als er kurz stehenblieb, vernahm er fünfzig Yards vor sich das Brechen von Ästen. Dort musste sich der Fliehende einen Weg durch das Gebüsch bahnen. Links in dem Bambusdickicht quakten Frösche. Der Mann lief nach Süden. Jack wusste, dass er früher oder später zum Fluss einschwenken würde. Es gab für ihn keine bessere Möglichkeit, um zu entkommen.

Jack lief am Rand des Bambusdickichts entlang weiter. Jetzt war er bemüht, keinerlei Geräusche mehr zu verursachen, die seinen Gegner warnen konnten. Nach dreihundert Yards – von seinem Gegenspieler war nichts mehr zu hören – erreichte er eine Bucht, die weit ins Land hineinragte. Von der Bucht aus lief ein Trampelpfad landeinwärts. Jack erkannte den Schatten eines Bootes an einem Landungssteg.

Ein Gedanke durchzuckte ihn. Wenn er zuerst den Fliehenden unschädlich machte, dann konnte er hierher zurückkehren und auch versuchen das Boot aufzuhalten. Er bog in den Pfad ein.

Weit brauchte er nicht mehr zu laufen. Plötzlich konnte er klar und deutlich den keuchenden Atem seines Gegners hören, der geglaubt hatte, ihn durch diesen Trick in die Irre führen zu können. Sofort tauchte Jack in dem Gebüsch unter – keine Sekunde zu früh.

Am Ende des Pfades tauchte der Verfolgte auf. Das Mondlicht, das in schrägem Fall durch das Geäst stäubte, ließ das Gesicht des Mannes grünsilbern aufleuchten. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Jack das Funkeln in den Augen seines Gegners.

Jack duckte sich, verteilte sein Körpergewicht leicht auf die Fußballen und spannte sich zum entscheidenden Sprung. Als der Mann nur noch zwei Yards von ihm entfernt war, schnellte Jack nach vorn.

Der Aufprall seiner hundertachtzig Pfund riss seinen laufenden Gegner von den Beinen. Prasselnd brachen die beiden in das Gebüsch ein. Der Fremde versuchte, sich herumzuwälzen, blieb aber an dem Wurzelgestrüpp hängen. Er stieß einen unartikulierten Fluch aus, als Jacks Rechte sein Gesicht mit voller Wucht traf.

Mit einem harten Ruck schnellte er in die Höhe. Sein massiger Schädel traf Jacks Kinn. Für eine Sekunde schien alles um Jack herum zu kreisen. Blitzende Sterne platzten in seinem Kopf auseinander.

Diese Zeit genügte seinem cleveren Gegner, sich herumzuwerfen und freizukommen. Er landete halb auf Jack, und wie ein Schmiedehammer sauste seine Rechte herunter.

Im letzten Augenblick sah Jack den Schlag kommen. Sein Kopf ruckte zur Seite, und die Rechte verfehlte ihr Ziel. Gleichzeitig stieß Jack sein rechtes Knie in die Höhe. Vor Schmerz aufheulend, löste sich die Linke des Gegners von seinem Hals. Jack bekam wieder Luft. Sofort stieß er seine aneinandergepressten Fäuste in die Höhe und schmetterte sie dem halb auf ihm liegenden Mann unter das Kinn.

Die Wucht des Schlages hob den Kerl etwas in die Höhe, und als er zurückfiel, war er schon bewusstlos.

»Hey! Olim?!«, vernahm Jack jetzt eine Stimme aus Richtung der Bucht.

Sofort tauchte er im Gebüsch unter. Gerade rechtzeitig, denn im gleichen Augenblick wurde die Nacht vor ihm vom grellem Mündungsfeuer zweier Gewehre zerrissen. Mit peitschenden Schlägen hieben die Geschosse in das Gebüsch um ihn ein.

Er presste sich dicht an den Boden. Als die beiden mehrschüssigen Gewehre verstummten, hob er den Arm mit seinem Webley-Revolver. Und in dem Moment, als eines der Gewehre abermals zu bellen begann, zog er den Abzug durch. Abrupt schwieg der Schütze. Ein Körper brach knackend in das Gebüsch, und das zweite Gewehr eröffnete das Feuer. Die Kugeln trafen in den Busch, hinter dem Jack noch kurz zuvor gelegen hatte. Er hatte sich sofort, nachdem er seinen Schuss abgegeben hatte, zur Seite weggerollt.

Als Jack jetzt wieder seinen Revolver anhob, um auch den zweiten Schützen außer Gefecht zu setzen, vernahm er unmittelbar hinter sich ein sausendes Geräusch. Er wollte sich noch herumwerfen, um der von hinten kommenden Gefahr zu entgehen – doch es blieb beim Ansatz eines Reflexes, denn in diesem Augenblick schmetterte der Kolben eines Revolvers auf seinen Kopf herunter.

»Ich habe ihn!«, hörte er noch, bevor er tiefer und tiefer in den dunklen Schacht der Bewusstlosigkeit fiel. »Hierher!«

Die Stimme des Verfolgten klang wie eine triumphierende Fanfare. Doch als der zweite Gewehrschütze über den Pfad angelaufen kam, vernahmen beide gleichzeitig die Geräusche, mit denen ein paar Männer durch das Gebüsch brachen und sich dem Schauplatz des nächtlichen Kampfes näherten.

»Schnell! Beeil dich! … Zum Boot!«

Ohne sich weiter um Jack zu kümmern, rasten sie auch schon über den Pfad zur Bucht hinunter.


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