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1.3»Koloniale« Verwaltungsstruktur 1.3.1»Volkstumspolitik« und Himmlers Vollmachten

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Polen wurde 1939 dreigeteilt. Im Osten des Landes rückte gemäß den geheimen Zusatzvereinbarungen zum Hitler-Stalin-Pakt die Rote Armee ein. Galizien um Lemberg wurde der Ukrainischen SSR zugeschlagen. Der Westen Polens einschließlich des oberschlesischen Industriereviers wurde von Deutschland annektiert. In der Mitte lag das zentralpolnische »Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete«. Leiter der dortigen Zivilverwaltung war Hitlers Rechtsanwalt und nunmehriger Justizfunktionär Dr. Hans Frank. Von Frank stammte das Diktum, Recht sei, was dem Volke nütze. Er war der Realtypus nationalsozialistischen Rechtsdenkens und eignete sich daher gut für die Rolle eines Generalgouverneurs. Ein fanatischer Antisemit und treuer Diener seines Herrn, betrachtete sich Frank als eine Art Vizekönig nach kolonialem Vorbild. Seine Aufgabe sei es, mit harter Hand und einem Minimum an Personal das als minderwertig betrachtete »Fremdvolk« niederzuhalten, auszubeuten oder zu vernichten.16

Die Zweiteilung des deutschen Besatzungsgebietes hing aufs engste mit der Absicht Hitlers und Himmlers zusammen, die ehemals deutschen Gebiete Westpolens dauerhaft für das Reich zu sichern. Da die NS-Führung von dem Grundsatz ausging, dass territoriale Expansion nur durch Ansiedlung zu deutschem Blut und Boden veredelt werden könne, war vorgesehen, in den neuen Gebieten eine deutsche Bevölkerungsmehrheit zu schaffen, Polen und Juden hingegen nach Osten, ins Generalgouvernement, zu vertreiben. Aber auch auf diesem Politikfeld, das Himmler bald mit einem groß angelegten Mord- und Siedlungsprogramm, dem »Generalplan Ost«, überbaute, gab es anfangs keine langfristige Planung. Vielmehr reagierte die NS-Führung auf den dringenden Wunsch der Baltendeutschen, ihre der UdSSR zugeschlagenen Staaten zu verlassen und ins Reich ›zurückzukehren‹. Die sowjetische Führung hatte begreiflicherweise keine Einwände gegen die Abwanderung der Volksdeutschen. Sie wurde in Zusatzprotokollen zum deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom 28. September 1939 festgelegt.17

Himmler ergriff diese Gelegenheit beim Schopf, indem er die Rück- und Ansiedlungspolitik an sich zog. Die Baltendeutschen sollten nicht etwa in das bisherige Reichsgebiet kommen, sondern in die neu annektierten Teile Polens. In einer programmatischen Reichstagsrede bezeichnete Hitler am 6. Oktober 1939 als »wichtigste Aufgabe« deutscher Politik im Osten eine »neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse, das heißt, eine Umsiedlung der Nationalitäten so, daß sich am Abschluß der Entwicklung bessere Trennungslinien ergeben, als es heute der Fall ist.« Diese Aufgabe beschränke sich keineswegs auf Polen, sondern schließe die Umsiedlung der »nichthaltbaren Splitter des deutschen Volkstums« aus ganz Ost- und Südosteuropa ins Reich ein. Im Rahmen dieser Ethnopolitik sollte auch der »Versuch einer Ordnung und Regelung des jüdischen Problems« unternommen werden.18

Himmler erhielt tags darauf den Auftrag zur »Festigung deutschen Volkstums«. Die Rechtsform dieser Autorisation war bezeichnenderweise ein unveröffentlichter »Führererlass«. Solche Verstöße gegen das rechtsstaatliche Publizitätserfordernis waren bald an der Tagesordnung, besonders in Angelegenheiten, die ideologische Kerninhalte des NS-Staates betrafen. Himmler oblag die »Zurückführung der für die endgültige Heimkehr in das Reich in Betracht kommenden Reichs- und Volksdeutschen im Ausland«, die »Ausschaltung des schädigenden Einflusses von solchen volksfremden Bevölkerungsteilen, die eine Gefahr für das Reich und die deutsche Volksgemeinschaft bedeuten«, sowie die »Gestaltung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch Umsiedlung, im besonderen durch Seßhaftmachung der aus dem Ausland heimkehrenden Reichs- und Volksdeutschen.«19 Der SS-Chef legte sich eigenmächtig den klingenden Titel eines »Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums« zu. Er war autorisiert, allen beteiligten Behörden in den vorgenannten Angelegenheiten Weisungen zu erteilen. Auf diese Weise sollte dem SS-Apparat ein maßgeblicher Einfluss auf die Besatzungspolitik in Polen und darüber hinaus gesichert werden.

Das Reichssicherheitshauptamt erhielt den Auftrag, die baltischen Neuankömmlinge mittels einer »Einwandererzentrale« zu erfassen und in den neuen Reichsgauen auf früher polnischem Staatsgebiet20 anzusiedeln, vorrangig im westpolnischen Warthegau um Posen. Diese Zentralstelle wurde in der Industriestadt Łódź – nunmehr »Litzmannstadt« genannt – eingerichtet.21

Was das Generalgouvernement anbelangt, erklärte Hitler dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Feldmarschall Keitel, dass in diesem Land »ein niedriger Lebensstandard« fortbestehen solle. Die wichtigste Beute seien Arbeitskräfte.22 Die Durchführung deutscher Besatzungspolitik

»bedingt einen harten Volkstumskampf, der keine gesetzlichen Bindungen gestattet. Die Methoden werden mit unseren sonstigen Prinzipien unvereinbar sein. […] Alle Ansätze einer Konsolidierung der Verhältnisse in Polen müssen beseitigt werden. Die ›polnische Wirtschaft‹ muß zur Blüte kommen. Die Führung des Gebietes muß es uns ermöglichen, auch das Reichsgebiet« – also nicht nur die neuen Reichsgaue – »von Juden und Polacken zu reinigen. Zusammenarbeit mit neuen Reichsgauen (Posen und Westpreußen) nur für Umsiedlungen. (Vgl. Auftrag Himmler).«23

Nach dem deutschen Sieg über Frankreich überreichte Himmler seinem Führer eine Denkschrift über die Behandlung der »Fremdvölkischen im Osten«, in der die Grundlagen des »Generalplans Ost« niedergelegt waren. Er wollte den »Völkerbrei« des Generalgouvernements in kleine Splitter zerlegen, die »rassisch Wertvollen« aussieben, die übrigen Ethnien hingegen irgendwie verschwinden lassen. Für die nichtjüdischen Polen empfahl Himmler eine primitive Schulbildung zwecks Erziehung zu Gehorsam, Fleiß und Bravheit. Lesen »halte ich nicht für erforderlich.«24 Hitler fand diese Herabsetzung polnischer Bürger zu Eingeborenen »sehr gut und richtig«.25 Himmler lehnte damals die »Ausrottung eines Volkes« noch als »ungermanisch« ab. Doch ist allein die Tatsache, dass ein solcher Genozid in seiner Denkschrift als Handlungsoption erwogen wurde, ein sicheres Zeichen für die Radikalisierung der Besatzungspolitik auf dem Höhepunkt deutscher Siegestrunkenheit.

Generalgouverneur Frank betrachtete sich als nur Hitler unterstellt und leitete hieraus eine umfassende Kompetenz für alle Belange der Besatzungsverwaltung ab.26 Unterhalb der »Regierung des Generalgouvernements«, die nach dem herkömmlichen Ressortprinzip gegliedert war, lagen die Distrikte Krakau, Warschau, Radom und Lublin. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion kam am 1. August 1941 die zuvor sowjetisch besetzte Westukraine als Distrikt Galizien hinzu.27

Die Distrikte wurden von Gouverneuren regiert, die Frank unmittelbar unterstellt waren. In den Landkreisen und kreisfreien Städten waren Kreis- und Stadthauptmänner, etwa vergleichbar den Landräten im Reich, die Träger und Repräsentanten deutscher Herrschaft.28 Viele Kreishauptmänner betrachteten ihre ausgedehnten Territorien als persönlichen Besitz und brachten den gewünschten »Herrenstandpunkt« dadurch zum Ausdruck, dass sie sich am »fremdvölkischen« Eigentum bereicherten. Die Korruption war im Generalgouvernement endemisch und rief wiederholt den Reichsrechnungshof auf den Plan.29 Die lokale Verwaltung verblieb bei polnischen bzw. (im Distrikt Galizien) mehrheitlich ukrainischen Orts- und Dorfvorstehern, die deutscher Aufsicht unterstanden. Nicht nur auf diesem Gebiet, sondern auch im Polizeiwesen war die Besatzungsverwaltung auf die landeseigene Kollaboration dringend angewiesen.30

Frank hatte keine Einwände gegen Himmlers und Hitlers Vorhaben.31 Die ›koloniale‹ Verwaltungspraxis sollte durch ein rassistisch abgestuftes Sonderrecht realisiert werden.32 Auch die Absicht der Führung, Polen und Juden zu Hunderttausenden in ›sein‹ Territorium abzuschieben, wurde von Frank zunächst begrüßt.33 Da rechtliche Einschränkungen solcher Politik nicht erwünscht waren, befand sich das Generalgouvernement in einer ungeklärten Zwitterstellung zwischen Annexion und formaler Selbstständigkeit, die in der offiziellen Bezeichnung »Nebenland des Reiches« nur notdürftig überdeckt wurde.34

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