Читать книгу Das Fußvolk der "Endlösung" - Thomas Sandkühler - Страница 20
3.3Globocniks Hilfspolizisten: Die Trawniki-Männer 3.3.1Gründung des Ausbildungslagers
ОглавлениеHimmler hatte zwei Tage nach dem Überfall auf die Sowjetunion eine neue Fassung des »Generalplans Ost« in Auftrag gegeben, die am 15. Juli 1941 vorlag. Dieses Dokument ist nicht erhalten geblieben, bezog sich aber wahrscheinlich auf die Germanisierung und »Entjudung« vorrangig des Generalgouvernements.57 Hitler übertrug dem Reichsführer-SS die Aufgabe, die besetzten sowjetischen Gebiete polizeilich zu sichern. Er erhielt auch weitgehende Weisungsbefugnisse gegenüber der Zivilverwaltung, die in den rückwärtigen Heeresgebieten der UdSSR am 1. August 1941 die Militärverwaltung ablösen sollte. Somit konnte Himmler in der Sowjetunion seine Siedlungspolitik durchführen. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete unter Rosenberg musste empfindliche Beschränkungen seiner Kompetenzen hinnehmen.58
Den deutschen Sieg vermeintlich dicht vor Augen, plante Himmler in gigantischen Dimensionen. Am 17. Juli ernannte der »Reichsführer« Globocnik zum »Beauftragten für die Errichtung der SS- und Polizeistützpunkte im neuen Ostraum«.59 Solche Stützpunkte waren Globocniks eigene Erfindung: Er hatte SS-Güter, eine Art Wehrbauernhöfe, als polizeilich gesicherte Vorposten germanischer Herrschaft im Generalgouvernement gegründet.60 Neu war allerdings die Dimension seiner nunmehrigen Aufgabe, die sich auf die gesamte Sowjetunion bezog.
Drei Tage später war Himmler in Lublin und wies Globocnik an, ein Konzentrationslager für bis zu 50 000 Häftlinge zu errichten. Daraus ging das Konzentrationslager Lublin-Majdanek hervor. Es firmierte allerdings offiziell als Kriegsgefangenenlager der Waffen-SS.61 Ferner sollte Globocnik das Zwangsarbeitslager an der Lipowastraße erweitern und in der Stadt Zamość – davon war bereits die Rede – das erste rein deutsche Siedlungsgebiet im Generalgouvernement schaffen.62 Die Erweiterung des Lipowa-Lagers sollte den SS-eigenen Deutschen Ausrüstungswerken unterstellt werden. Aus diesem Zweiglager sollten Facharbeiter für den Aufbau von Majdanek kommen, Inneneinrichtungen für das neue Konzentrationslager, ferner Bekleidung, Schuhe etc. für den Bedarf der SS-Einheiten in der Stadt Lublin.
Als Standort wählte man das Gelände des stillgelegten Flughafens Lublin, das in der Nähe des dortigen Ghettos lag. Wie an der Lipowastraße mussten am Alten Flughafen jüdische Häftlinge Zwangsarbeit leisten. Gemäß Himmlers Anregung entstand dort auch ein Textilwerk, das SS-Bekleidungswerk Lublin.63 Ursprünglich auf den Lubliner SS-Bedarf ausgerichtet, war das Bekleidungswerk ab Mai 1942 auch für die Sortierung und Aufarbeitung der Kleidung im Giftgas ermordeter Juden zuständig.64 Die für die Ostsiedlung aufgebaute Infrastruktur bildete nach dem Scheitern der großen Pläne zur Germanisierung der Sowjetunion das organisatorische Rückgrat der »Aktion Reinhardt«.65 Die Siedlungspläne Himmlers und Globocniks wurden damit zwar nicht hinfällig, beschränkten sich jetzt aber auf das Generalgouvernement, anfänglich vor allem auf die Distrikte Lublin und Galizien.
Die Genese des Ausbildungslagers Trawniki reicht bis zum Juli 1941 zurück, fällt also mit Heydrichs Befehl zur Rekrutierung von sowjetischen Kriegsgefangenen zusammen. In dem Ort Trawniki, 36 Kilometer südöstlich von Lublin an der Bahnstrecke nach Lemberg gelegen, befand sich in diesem Monat ein »Auffanglager für Flüchtlinge und von der Wehrmacht festgenommene verdächtige Personen«.66 Das Gelände einer ehemaligen Zuckerfabrik diente als improvisiertes Durchgangslager für Rotarmisten unter SS- und Polizeibewachung, die hier gemäß dem Kommissarbefehl von der Gestapo als »untragbar« ausgesondert wurden, sowie ein Straf- und Durchgangslager für Polen und Juden, aus dem später das Zwangsarbeitslager Trawniki hervorging.67
Damals hielten sich in Trawniki rund 680 Menschen auf, mehrheitlich »Juden, darunter russische politische Kommissare und Antreiber, für welche ein besonderer durch Stacheldraht abgegrenzter Raum abgeteilt ist.« Sie standen unter Bewachung durch einen Rotarmisten sibirischer Herkunft und machten auf einen deutschen Besucher einen »fürchterlichen[,] fast tierischen Eindruck.« Aber auch Ukrainer aus dem soeben besetzten Lemberg waren da, Polen und »Zigeuner«. Das Lager sollte in Kürze mit weiteren 1 300 Personen belegt werden, die in Zamość schon auf ihren Abtransport warteten. Die Ernährungssituation in Trawniki war bedenklich; Medikamente gegen bereits ausbrechende Seuchen gab es nicht.68
Es ist nicht bekannt, was aus diesen Gefangenen wurde. Möglicherweise musste sie Baracken auf dem Gelände bauen als das Ausbildungslager seine Pforten öffnete. Den politischen Rahmen für dessen Gründung setzten Himmlers Befehle vom 17. und 20. Juli 1941. In einem weiteren Befehl vom 25. Juli an die Höheren SS- und Polizeiführer in den neu eroberten Gebieten der Sowjetunion ordnete Himmler den Aufbau deutschfreundlicher »Schutzformationen« an, die als Verstärkung der deutschen Polizei dienen sollten. »Über die Bildung von Arbeitskommandos für die Erstellung von Unterkünften usw. im Osten wird sich der SS-Brigadeführer Globocnik mit Ihnen direkt in Verbindung setzen«, hieß es bei Himmler weiter.69
Den letzten Anstoß für die Gründung des Ausbildungslagers gab daraufhin ein Befehl des Chefs der Ordnungspolizei, SS-Obergruppenführer Kurt Daluege, an Globocnik und die Höheren SS- und Polizeiführer in der Sowjetunion vom 5. August 1941. Sie sollten beschleunigt einheimische »Schutzmannschaften« aufstellen. Dies geschah in erheblichem Umfang. Bereits am Jahresende dienten über 30 000 »Schutzmänner« in rund dreißig Bataillonen deutschen Interessen in der Sowjetunion. Ein Jahr später hatte sich diese Zahl verzehntfacht, vor allem weil die deutschen Besatzer auf »fremdvölkische« Unterstützung bei der Ermordung der sowjetischen Juden angewiesen waren.70
Für Globocniks Politik war ein anderer Aspekt der Berliner Befehlsgebung maßgeblich: Daluege hatte in seinem Befehl vom August 1941 die Aufstellung der einheimischen Polizeikräfte mit dem Erfordernis begründet, alsbald SS- und Polizeistützpunkte in der UdSSR aufzubauen, die von diesen Polizisten bewacht werden sollten. Es war die Aufgabe des Lubliner SS- und Polizeiführers, diese Stützpunkte zu errichten.71 Diese Aufgabe verlangte aus Globocniks Sicht planerischen Sachverstand. Er beauftragte seine ›Denkfabrik‹, das so genannte Mannschaftshaus, Leitlinien zu erarbeiten.
Der Leiter des Mannschaftshauses, SS-Hauptsturmführer Gustaf Hanelt, hielt nach einer Besprechung mit Globocnik als seine Aufgaben fest die »Gesamtplanung der SS- und Polizeistützpunkte, der Judenbereinigung, den wissenschaftlichen Einsatz im Rahmen des SS-Mannschaftshauses theoretisch zu erarbeiten.«72 Tatsächlich erstellten Hanelt und seine Untergebenen im Herbst 1941 einen nicht mehr auffindbaren Plan zur »vorläufigen Regelung der Judenfrage im G.G.«, der, so die rückblickende Darstellung Hanelts, mit der »Evakuierung der Juden seit dem 15. III. [1942] nach Osten« seinen Abschluss gefunden habe.73 Gemeint war der Beginn des Giftgasmordes in Bełżec.
Globocnik wertete das Mannschaftshaus im Frühjahr 1942 zur »Forschungsstelle für Ostunterkünfte« auf und ließ es weitere Pläne erarbeiten, die er im Juni 1942 Himmler vorlegte, um radikalere Befehle für seine »Judenarbeit« zu erwirken.74 Es gab also einen engen Zusammenhang zwischen SS-Siedlungsplänen und Judenmord im Generalgouvernement. Folglich dürften Globocniks Hilfspolizisten von vornherein auch dazu ausersehen gewesen sein, an der »Entjudung« des Generalgouvernements mitzuwirken.75
Im Vordergrund standen zunächst aber andere Aufgaben. Trawniki-Männer sollten Bautrupps für die Errichtung der Polizeistützpunkte in der UdSSR stellen.76 Aus diesem Einsatz wurde jedoch nichts, als sich wegen des Kriegsverlaufs im Osten abzeichnete, dass an SS- und Polizeistützpunkte bis hinter den Ural ebenso wenig zu denken war wie an die Deportation der europäischen Juden in die Weiten der Sowjetunion. Am 31. März 1942, als der Massenmord mit Giftgas begonnen hatte, entband Himmler Globocnik von seiner Funktion als Stützpunktbeauftragter.77 Trawniki-Männer bauten keine Polizeistützpunkte in der Sowjetunion, sondern Vernichtungslager im Generalgouvernement.
Kommandant des Ausbildungslagers war zunächst SS-Untersturmführer Richard Rokita, der aus dem Volksdeutschen Selbstschutz kam und später nach Lemberg versetzt wurde.78 Im Laufe des August 1941 bereisten Globocniks Stabsführer, SS-Hauptsturmführer Hermann Höfle, und Rokitas Nachfolger, SS-Sturmbannführer Karl Streibel, die Stammlager für sowjetische Kriegsgefangene im Distrikt Lublin (vorzugsweise das Stammlager 319 in Cholm) und sonderten gemäß Heydrichs Richtlinien »besonders vertrauenswürdige« Rotarmisten als Rekruten aus. Anfänglich wurden vor allem Sowjetdeutsche – geläufiger ist die Selbstbezeichnung als »Russlanddeutsche« – angeworben, die als Unterführer der neuen Wachmannschaften dienen sollten. Die ersten von ihnen trafen am 4. September 1941 im Lager ein.79 Im späten Oktober übernahm Streibel das Kommando in Trawniki.
Globocnik hielt viel auf Höfle und Streibel. Beide kamen, wie bereits erwähnt, aus dem Volksdeutschen Selbstschutz und hatten u. a. in den Zwangsarbeitslagern am so genannten Buggraben jüdische Häftlinge terrorisiert. Für Höfle hatte Globocnik große Pläne: Er sollte dereinst Kommandeur des SS- und Polizeistützpunkts Tiflis werden.80 Über Streibel urteilte Globocnik 1943 wie folgt:
»St.[reibel] hat in Trawniki (Distr.[ikt] Lublin) aus kleinsten Anfängen heraus ein Ausbildungslager für fremdvölkische Wachmannschaften geschaffen und leitet dasselbe mit größter Umsicht und Verständnis für die besondere Führungsweise dieser Truppe. In vielen Einsätzen zur Bandenbekämpfung haben sich diese Einheiten bestens bewährt, insbesondere aber im Rahmen der Judenumsiedlung. Streibel ist ein alter bewährter SS-Führer, der unermüdlich bestrebt ist, durch bestmögliche Ausbildung dieser Kräfte an der Lösung der Sicherungsfrage mitzuarbeiten.«81