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3.3.5Hierarchie, Status, Einkommen
ОглавлениеEbenso einzigartig wie die Organisation der Trawniki-Männer war ihre Rangordnung. Streibel erdachte sich eigens für diese Truppe eine Hierarchie, die an die Dienstränge der Ordnungspolizei angelehnt war.189 Anfänglich gab es drei Stufen vom Wachmann über den Oberwachmann zum Zugwachmann. Im Oktober 1942 modifizierte Streibel dieses System und fügte zwischen dem Oberwachmann und dem Zugwachmann den Rang eines Gruppenwachmanns ein. Alle Zugwachmänner wurden zu Gruppenwachmännern zurückgestuft. Auf diese Weise sollte möglicherweise der Personalkegel spitz gehalten und die Leistungsbereitschaft der Unterführer gesteigert werden.190
Rückwirkend zum 1. Mai 1943 änderte Globocnik die Rangordnung nochmals. Zwischen Oberwachmann und Gruppenwachmann schob sich der Rottenwachmann (häufig auch als »Rottwachmann« bezeichnet); als oberster Rang wurde der Oberzugwachmann eingeführt. Er trug einen weißen Stern auf der Schulterklappe, der dem Unterführerstern bei der Waffen-SS glich.191 Gleichzeitig führte Globocnik Laufbahnprüfungen vom Gruppenwachmann aufwärts ein: »Für die Beförderung der Wachmannschaften sind sinngemäß die Beförderungsbestimmungen der Waffen-SS anzuwenden.«192 Der höchste Rang eines Zugwachmanns (seit Mai 1943 des Oberzugwachmanns) war de facto Sowjetdeutschen vorbehalten.193
Informelle Beförderungskriterien waren »ethnische Herkunft, Sprach- und Führungsfähigkeit sowie Loyalität und Leistung im Einsatz«.194 Diese Einsätze umfassten seit März 1942 eine nahezu ununterbrochene Teilnahme an Ghettoräumungen sowie Gruppen- und Massenerschießungen195, die Ermordung von Juden in den Vernichtungslagern und letztlich die Bewachung von Zwangsarbeitslagern für jüdische Häftlinge, in denen häufig eine Willkürherrschaft über Leben und Tod entschied. Die deutsche »Endlösung« eröfnete »fremdvölkische« Aufstiegschancen.
Anfänglich hatten in Trawniki gar keine Uniformen zur Verfügung gestanden und die Rotarmisten hatten ihre sowjetische Militärkleidung behalten. Dann bekamen sie schwarz gefärbte polnische Uniformen und als Kopfbedeckung ein Schiffchen, das mit Reichsadler und Totenkopf den Mützen der SS-Uniformen nachgebildet war.196 Später wurden erdbraune Uniformen aus belgischen Beutebeständen ausgegeben. An sich sollten diese Uniformen den Unterführern vorbehalten sein.197
Einem Rundschreiben Streibels vom Oktober 1942 ist zu entnehmen, dass die Wachmänner nunmehr durchgängig schwarze Uniformen tragen sollten, auf denen silberne Rangabzeichen anzubringen waren (vgl. Abb. 2).198 Das entsprach in etwa der Uniform der allgemeinen SS. Jedoch trugen viele Trawniki-Männer noch im Sommer 1943 eine bunte Mischung aus schwarzen und braunen Uniformstücken (vgl. Abb. 3).199
Dies galt auch für das Personal der Vernichtungslager Bełżec, Sobibór und Treblinka. Im Mai dieses Jahres hatte Globocnik eine Vereinheitlichung der Trawniki-Uniformen angekündigt. Sie sollte künftig feldgrau nach dem Vorbild der Waffen-SS sein. Durchgeführt wurde diese Reform nicht.200
Statuserhöhungen, formale und vor allem informale Belohnungen gewährleisteten die Funktionsfähigkeit der Trawniki-Organisation. Globocniks Modifikation der Dienstränge diente vorrangig der Angleichung an die Ränge der Waffen-SS.201 Das monatliche Einkommen der Wachmänner war aber deutlich geringer als dasjenige von ukrainischen Polizisten.202 Die Trawniki-Männer bekamen ab Dezember 1941 auf der untersten Stufe eines Wachmanns 0,5 RM täglich in Reichsmark oder der amtlichen Zloty-Währung als »Gebührnisse« ausgezahlt, die von der Lubliner Standortverwaltung der Waffen-SS an die Dienststellen ausgezahlt wurden. Dort war der jeweilige Rechnungsführer für die Besoldung der Wachmänner zuständig. Bei kürzerer Abwesenheit vom Ausbildungslager, so bei Ghettoaktionen, zahlte man den Wachmännern ihren Lohn für die voraussichtliche Dauer des Einsatzes im Voraus aus.203 Das Jahresgehalt eines einfachen Wachmanns betrug mit etwa 180 RM etwa ein Zehntel dessen, was ein einfacher ukrainischer Hilfspolizist verdiente.
Das Einkommen der Wachmänner war anfänglich so gering, dass sie Anspruch auf Sozialleistungen für ihre meist bäuerlichen Familien hatten.204 Wachmänner konnten auch bis zu zwei Wochen Erholungsurlaub als Belohnung für eifrigen Einsatz beantragen, sofern sie nicht in einem der Vernichtungslager Dienst taten. Bisweilen ging das Ausbildungslager die Besatzungsverwaltung des Distrikts Galizien mit der Begründung um Unterstützung an, die Trawniki-Männer hätten sich um die »Aussiedlung« der Juden verdient gemacht.205 Ihre geringe Entlohnung appellierte an den Beutedrang. In den Vernichtungslagern hatten die »Trawnikis« leichten Zugriff auf das Eigentum der Ermordeten. Neben übermäßigem Alkoholgenuss, der vielfach dokumentiert ist und besonders in den Vernichtungslagern – bei der deutschen Mannschaft und den »Trawnikis« – zur Gewaltenthemmung beitrug, ist in den Akten des Ausbildungslagers regelmäßig Raub und Plünderung dokumentiert.
Abb. 2: Ein »Trawniki« Zug im Frühjahr 1943. Die Rangabzeichen der Männer sind gut zu erkennen.
Im Einzelfall wurden Wachmänner, die sich bei einem Diebstahl hatten erwischen lassen, ausgepeitscht und sogar erschossen. Auf diese Weise statuierte die SS ein Exempel. Meist nahmen die Vorgesetzten solche Unterschlagungen allerdings hin oder sahen darüber hinweg. Das Beutemachen war Teil der informalen Belohnungen, die den »Fremdvölkischen« zuteilwurden. Für diese Annahme spricht auch, dass Trawniki-Männer im Unterschied zu regulären Polizisten keine Versicherung abgeben mussten, sich nicht am Eigentum der »Umsiedler« (vulgo des deutschen Fiksus) zu bereichern.206
Abb. 3: Lager-SS und Trawniki-Unterführer aus Sobibór und Treblinka bei einem Beriebsausflug vor dem Potsdamer Schloss Sanssouci, Juli 1943.
Seit der Modifikation vom Mai 1943 erhielten die höchsten Ränge (Zugwachmann und Oberzugwachmann) einen Tagessatz von 4,50 RM, fast das Zehnfache dessen, was einfache Wachmänner ursprünglich verdient hatten. Das ergab ein Jahresgehalt von rund 1 600 RM und entsprach nun etwa dem Einkommen eines ukrainischen Hilfspolizisten. Trawnikis auf der untersten Hierarchiestufe bekamen 540 RM jährlich. Ihr Monatsgehalt wurde in drei Tranchen ausgezahlt.207 Da die Trawniki-Männer kostenlos verpflegt und medizinisch versorgt wurden sowie für Unterkunft und Kleidung nichts bezahlen mussten, handelte es sich bei ihrem Sold praktisch um »Taschengeld« zur freien Verfügung.208
Viele Vorgesetzte blickten auf ihre »Askaris« geringschätzig herab, die als undiszipliniert, trunksüchtig und plünderungswütig galten. Erich Lachmann, einer der Ausbilder in Trawniki, bezeichnete seine Untergebenen noch ein Vierteljahrhundert später als »wilde Tiere«, die vor allem unter Alkoholeinfluss unberechenbar gewesen seien.209 Scharf ging Oberscharführer Erlinger aus Trawniki Anfang 1943 mit zwei seiner Kompanien ins Gericht, die seit kurzem Wachdienst im Konzentrationslager Majdanek verrichteten:
»Die Begeisterung für den Dienst unter deutscher Kommandogewalt sei in dem Augenblick restlos verschwunden, als die Räumung der Ghettos (Warschau, Tschenstochau, Radom und vieler anderer Städte) beendet war und die Ukrainer ordnungsgemäßem Dienst zugeführt wurden. Bei den Räumungsarbeiten hätten sie im Geld geschwommen; das fehle ihnen jetzt. Wenn es ans Räubern und Totschlagen ginge, ständen sie an erster Stelle. Eine Zuverlässigkeit für anderen Dienst könne man nicht voraussetzen.«210
Ein makabrer Vorfall ereignete sich noch 1944. Auf dem Gelände des inzwischen verlassenen Vernichtungslagers Treblinka hatte die SS zur Tarnung einen Bauernhof errichtet, der im Schriftverkehr als »Gut Obermajdan (ehemalig Lager des SS-Sonderkommandos)« firmierte.211 Es wurde von zwei bei den Massenvergasungen ›bewährten‹ Trawniki-Männern bewacht, Oberwachmann Nikolaj Demedjuk und Zugwachmann Oswald Strebel. Strebel denunzierte Demedjuk. Dieser hatte »ohne Erlaubnis« eine ortsansässige Polin geheiratet und das Gelände des Vernichtungslagers mehrfach nach vergrabenen Wertgegenständen abgesucht. Seine Funde hatte er teils verkauft, teils in »Obermajdan« gehortet. Die kriminalpolizeiliche Haussuchung förderte Geld im Gegenwert von 12 000 RM sowie Goldmünzen, Ketten, Edelsteine und Uhren zutage.
Abb. 4: Der T 4-Funktionär Werner Blankenburg (2. v. rechts) im Gespräch mit Zugwachmann Bienemann, Juli 1943.
Demedjuk wurde degradiert und vor das SS- und Polizeigericht Warschau gestellt. Seine Frau wurde im nahen Zwangsarbeitslager Treblinka inhaftiert. Nach einigen Wochen war Demedjuk wieder auf freiem Fuß. Schriftlich beschwerte er sich über die fortdauernde Inhaftierung seiner Frau. Sie beide seien »ganz unschuldig«, und er werde sich »bis an Hitler« wenden, falls seine Frau nicht aus der Haft entlassen würde.212 Hier gab es kein Unrechtsbewusstsein, sondern bemerkenswertes Selbstvertrauen.
Es fehlte auch nicht an weiteren Zeichen offizieller Wertschätzung; vor allem seit die Deutschen 1943 endgültig in die militärische Defensive geraten waren. Trawniki-Männer, die sich besonders ausgezeichnet hatten, durften polnische Frauen heiraten.213 Streibel schrieb den Hinterbliebenen von Wachmännern, die im Partisanenkampf umgekommen waren, persönliche Kondolenzbriefe. Bisweilen wurden »Trawnikis« sogar mit militärischen Ehren auf deutschen Soldatenfriedhöfen beigesetzt.214
Zahlreiche Trawniki-Männer wurden 1944 mit Tapferkeitsauszeichnungen und der Kriegsverdienstmedaille bedacht. Diese wurde als unterste Stufe des Kriegsverdienstkreuzes für mindestens halbjährige »Verdienste bei Durchführung von Kriegsaufgaben« verliehen, vor allem für Tapferkeit vor dem Feind.215 Jedoch war das Kriegsverdienstkreuz auch die bevorzugte Auszeichnung für Verbrechen an Juden und Polen.216 Auch Streibel betrachtete die Ermordung von Juden als Kriegsaufgabe und Verdienst. Dies geht aus seinen Verleihungsvorschlägen für Tapferkeitsauszeichnungen wörtlich hervor.
Der Zugwachmann Jakob Reimer war einer der so Bedachten.217 Reimer, ein früherer Leutnant der Roten Armee, diente als Ausbilder in Trawniki. Er ließ seine Untergebenen während der Lubliner Ghettoräumung im Frühjahr 1942 Juden zu Übungszwecken erschießen. Ferner nahm Reimer an der Deportation von Juden aus dem Ghetto Tschenstochau im Spätsommer 1942 und an der Vernichtung des Warschauer Ghettos im Frühsommer 1943 teil.218
Wie eine kürzlich aufgetauchte Fotosammlung des stellvertretenden Kommandanten von Sobibór, Johann Niemann, belegt, reisten die in Sobibór und Treblinka eingesetzten T 4-Angehörigen im Sommer dieses Jahres zu einer Besichtigungsfahrt nach Potsdam und Berlin. Dieser Betriebsausflug war eine Belohnung für geleistete Dienste in den Mordlagern. Rund zwanzig »Trawnikis« waren mit von der Partie. Die deutschen Täter betrachteten diese Männer offenbar als vollwertige Mitglieder ihrer Netzwerke.219 Eines der Fotos (vgl. Abb. 4) zeigt den »Euthanasie«-Funktionär Werner Blankenburg im angeregten Gespräch mit dem russlanddeutschen Massenmörder Franz Bienemann, der in seiner Trawniki-Uniform die preußischen Sehenswürdigkeiten bewunderte.220