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2.3Zwangsarbeit
ОглавлениеDie Heranziehung der Juden zu körperlicher Arbeit hatte bereits im September 1939 begonnen und vielfach zunächst vor allem dazu gedient, die Betroffenen durch sinnlose Verrichtungen zu ›erziehen‹. Schnell setzte sich die Praxis durch, die Judenräte Arbeiterkolonnen zusammenstellen zu lassen, die u. a. Aufräumungsarbeiten in den kriegszerstörten Städten leisten mussten.34
Mit einer der ersten Verordnungen, die Frank erließ, wurde am 26. Oktober 1939 der Arbeitszwang für Juden eingeführt. Die Durchführung oblag dem Höheren SS- und Polizeiführer.35 Umstritten war der Zugriff auf die Judenräte, die zur karteimäßigen Registrierung der Juden und zur Gestellung von Zwangsarbeiterkolonnen verpflichtet waren.36
Da im Reich wegen der Hochrüstung und des Krieges ein zunehmender Arbeitskräftemangel herrschte und die Arbeitsverwaltung die jüdischen Zwangsarbeiter als Ersatz für ins Reich ›abgeworbene‹ Polen benötigte, ging mit Wirkung vom 5. Juli 1940 die Kompetenz für die Vermittlung jüdischer Arbeitskräfte an die Zivilverwaltung über. Die Polizei war weiterhin für die Beaufsichtigung der Zwangsarbeiter verantwortlich. Der Höhere SS- und Polizeiführer hatte zunächst angestrebt, die Zwangsarbeit im geschlossenen Einsatz bzw. in Zwangsarbeitslagern durchzuführen. Nun durften Juden auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gegen geringes Entgelt eingehen, um das beträchtliche Facharbeiterpotenzial im Generalgouvernement besser für die deutsche Kriegswirtschaft ausnutzen zu können.37
Globocnik hatte im Distrikt Lublin wiederholt versucht, eine vom übrigen Generalgouvernement abweichende Politik zu betreiben. Er betrachtete die Zwangsarbeit als Schlüsselbereich der Judenverfolgungspolitik und zog diese an sich, um die »Judenpolitik« insgesamt zu monopolisieren. Gleichzeitig verfolgte er das Ziel, mithilfe jüdischer Zwangsarbeit ein persönliches Wirtschaftsimperium aufzubauen.38
Im Dezember 1939 ließ Globocnik an der Lipowastraße in der Stadt Lublin ein Arbeitslager errichten. Für die Bereitstellung von Arbeitskräften, die Ausstattung und den Unterhalt des Lagers musste der dortige Judenrat aufkommen; die Bewachung übernahm der Volksdeutsche Selbstschutz. Die Zwangsarbeiter wohnten weiterhin in ihren privaten Wohnungen – später im Lubliner Ghetto – und wurden in Kolonnen aus der Stadt ins Lager und zurück geführt.39 Ab Februar 1940 trafen Transporte mit polnisch-jüdischen Kriegsgefangenen aus den Kriegsgefangenenlagern im Reich ein, die zum Teil als Häftlinge in das neue Lager eingewiesen wurden.40
Im Lipowa-Lager waren Werkstätten für die Reparatur von Uniformen und ähnlichem militärischem Bedarf eingerichtet, aber auch Uhrmacher- und Juwelierwerkstätten.41 Letztere wurden benötigt, weil Selbstschutzleute Wertsachen aus den Wohnungen jüdischer Einwohner von Lublin raubten und teilweise ablieferten. Solche Beutestücke wanderten in das benachbarte Hauptquartier des Selbstschutz-Bataillons, wo SS-Offiziere einen schwunghaften Handel mit Wert- und Gebrauchsgegenständen aller Art aufzogen. Raub und Korruption waren feste Bestandteile des Selbstschutz-Milieus. Globocnik, der in Wien selbst Unterschleife betrieben hatte, tat wenig oder gar nichts, um solche Praktiken abzustellen.42
Im Februar 1940 bestellte Globocnik SS-Sturmbannführer Hermann Dolp zum Kommandanten des Lipowa-Lagers. Dieser erwarb sich innerhalb kurzer Zeit den Ruf außerordentlicher Grausamkeit gegen die Zwangsarbeiter, wie Globocnik lobend hervorhob.43 Unter Dolps Kommando führte der Selbstschutz seit Frühjahr 1940 Massenverhaftungen in der Stadt durch, so dass die Zahl der Häftlinge bis Frühsommer stark anstieg. Aufgrund wiederholter Proteste der Zivilverwaltung gegen Dolps unberechenbare Brutalität wurde das Lipowa-Lager im Frühjahr 1941 den SS-eigenen Deutschen Ausrüstungswerken unterstellt. Hiervon versprach man sich eine wirtschaftlichere Führung des Lagers. Doch änderte dies wenig an den Zuständen.44
Ein weiterer Schwerpunkt von Globocniks Aktivitäten stand mit den Planungen für ein »Judenreservat« und parallelen Vorhaben des Oberkommandos des Heeres im Zusammenhang. Entlang der temporären Grenze zur Sowjetunion sollte nach der Vorstellung der Heeresführung ein »Ostwall« als Befestigung mit dahinter liegenden Siedlungsgebieten für Volksdeutsche geschaffen werden. Hitler stimmte diesem Vorhaben im November 1939 zu.45
Globocniks Pläne gingen weiter. Statt einen Ostwall aufzuhäufen, wollte er einen riesigen Panzergraben von jüdischen Arbeitshäftlingen ausheben lassen, die, so die Erwartung, im »Judenreservat« unbegrenzt zur Verfügung stehen würden. Himmler setzte sich für Globocniks Vorhaben ein, konnte sich aber gegenüber dem Heer nicht durchsetzen, das den Panzergraben als nutzlos erachtete. Nunmehr forderte der Höhere SS- und Polizeiführer Krüger, die Zivilverwaltung möge die Mittel für die Errichtung von vier großen Konzentrationslagern bereitstellen, aus denen jüdische Zwangsarbeiter zur Arbeit am Ostwall geführt werden sollten. Dazu war Frank nicht bereit.46 Mit dem Scheitern der »Reservats«-Pläne und vollends durch die Angriffsvorbereitungen gegen die UdSSR wurden solche Projekte für eine militärische Infrastruktur hinfällig.
Globocnik verlegte sich auf das Vorhaben eines verkleinerten Panzergrabens an der Ostgrenze des Generalgouvernements. Im April 1940 setzte er die Verwaltung des Distrikts Lublin von seiner Absicht in Kenntnis, entlang dieses »Buggrabens« im großen Stil Zwangsarbeitslager für Juden zu errichten. Die Unterhaltskosten sollten von den Judenräten aufgebracht werden; der Selbstschutz sollte die Lager bewachen.47
Im folgenden Monat errichtete ein »SS-Grenzsicherungsbaukommando« unter dem Kommando des Selbstschutzführers Dolp ein neues Zwangsarbeitslager in Bełżec. Die ersten Häftlinge waren rund tausend deutsche Sinti aus den Hansestädten Hamburg und Bremen, die das Lager gemeinsam mit Lubliner Juden aufbauen mussten. Sie wurden anschließend in ein weiteres Lager an der Ostgrenze Lublins weitertransportiert, wo sich ihre Spur verliert.48
Das »Grenzsicherungsbaukommando« errichtete vom Hauptlager Bełżec ausgehend weitere Lager. Das erwartete unerschöpfliche Arbeitskräftereservoir blieb jedoch aus, weil das »Judenreservat« nicht verwirklicht wurde. Globocnik forderte daher Häftlinge bei den Judenräten der umgebenden Städte und den deutschen Arbeitsämtern an, wobei er auch die Behörden der Nachbardistrikte Radom, Krakau und Warschau zur Mithilfe aufforderte. Nicht selten ergriffen die Angesprochenen gern diese Gelegenheit, ›ihre‹ jüdische Minderheit los zu werden, weil die Lagerhaft ihnen die Mühen der Ghettoisierung ersparte. Darüber hinaus verhafteten Dolps Untergebene jüdische Männer auf der Straße und verschleppten sie in die Grenzlager. Im September 1940 waren am Buggraben nicht weniger als 11 000 Zwangsarbeiter inhaftiert.49
Abb. 1: Jüdische Zwangsarbeiter in Bełżec. vermutlich Sommer 1940. Im Hintergrund ein Wachmann aus dem »Volksdeutschen Selbstschutz«.
Für die Kosten der Lager musste der Lubliner Judenrat aufkommen, der natürlich nicht über ausreichende Mittel verfügte. Die Zustände in Bełżec, wo man eine Getreidemühle als provisorische Unterkunft nutzte, und seinen Nebenlagern waren unbeschreiblich. Es fehlte an Arbeitsgerät, Arbeitskleidung und vor allem an der erforderlichen Verpflegung. Die hygienischen Bedingungen spotteten jeder Beschreibung. Diese Zustände in Verbindung mit der Brutalität der Selbstschutzmänner und harter Arbeit führten zu Epidemien und einer Vielzahl von Todesfällen durch Krankheit und offenen Mord. Der im August 1940 inhaftierte Arzt Dr. Ludwik Sztabholz beschrieb Dolps Regiment folgendermaßen:
»Wenn er zur Inspektion des Lagers aufbrach, wurden alle starr vor Angst. Es war denn klar, dass das nicht ohne Opfer stattfinden wird. […] Das Schießen auf die Häftlinge war sein Lieblingsspiel. Nach dem Schießen befahl er den Ärzten den Tod festzustellen und er zählte nach, wie viele er getroffen hat. Im Lager hing alles von Dolb [Dolp] ab.«50
In Bełżec taten eine Reihe von Selbstschutzführern Dienst, die später im Ausbildungslager Trawniki oder im Stab Globocniks die »Aktion Reinhardt« vorantrieben, darunter sein Stabsführer Hermann Höfle, sein »Judenreferent« Georg Michalsen, der Architekt Richard Thomalla und der schon erwähnte Chef des Ausbildungslagers Trawniki, Karl Streibel.51 Die Vertrautheit von Globocniks Unterführern mit den örtlichen Verhältnissen dürfte neben dem logistischen Vorzug einer nahen Eisenbahnverbindung auch dazu beigetragen haben, dass Bełżec als Standort des ersten Vernichtungslagers für Juden im Generalgouvernement ausgewählt wurde.52
Die Wehrmacht, für die Globocnik immerhin die Grenze sicherte, war über die Verhältnisse in den Lagern recht genau informiert, beklagte aber nur die schlechte Ausbildung der Selbstschutz-Männer, deren Finger zu locker am Abzug sitze.53 Erst als Globocnik das Geld ausging, konnte die Zivilverwaltung einen Befehl Krügers erwirken, mit dem im Oktober 1940 alle Lager des »Grenzsicherungsbaukommandos« aufgelöst wurden. Globocnik legte sich erwartungsgemäß quer, indem er die Kooperation mit den Arbeitsämtern verweigerte, die Schließung seiner Lager verzögerte und die Häftlinge nicht, wie ursprünglich zugesagt, an ihre Wohnorte zurücktransportieren, sondern auf andere Zwangsarbeitslager im Distrikt Lublin verteilen ließ.54
Denn Globocnik hatte der Distriktsverwaltung unter Gouervneur Zörner auch Zwangsarbeiter für Flussregulierungen und dergleichen angeboten. Davon machte die Exekutive ungeachtet der ständigen Kompetenzkonflikte mit dem eigenmächtigen SS-Potentaten Gebrauch. Ende Juli 1940 forderte Globocnik allein aus der Stadt Krakau 30 000 arbeitsfähige Juden und 1 000 Facharbeiter »dringend« an, die »hauptsächlich zu Erdarbeiten in und ausser Wasser herangezogen werden.«55
Im Sommer 1940 arbeiteten bereits tausende Juden für die Wasserwirtschaftsinspektion des Distrikts Lublin. Im Laufe des Jahres stieg diese Ziffer weiter an. Ein erheblicher Teil dieser Lager stand unter der Aufsicht der Zivilverwaltung. Aber auch die Wehrmacht forderte bei den Arbeitsämtern Zwangsarbeiter an und beschäftigte sie im Straßen- und Flugzeugbau, vor allem im Zusammenhang mit den Aufmarschvorbereitungen der ersten Jahreshälfte 1941.56
1940/41 waren bis zu 70 000 Juden in rund 75 Zwangsarbeitslagern im Distrikt Lublin inhaftiert.57 Die Zwangsarbeit der Juden hatte also einen beträchtlichen Umfang. Nutznießer waren alle Instanzen der Besatzungspolitik: SS und Polizei, Verwaltung und das Militär. Globocniks weitreichende Wirtschaftspläne waren durch Krügers Auflösungsorder vorerst gescheitert. Jedoch konnte der SS- und Polizeiführer auf die Behandlung der Juden weiter Einfluss nehmen, weil in vielen Fällen der Selbstschutz das Wachpersonal stellte. In diesen Lagern herrschten oft kaum bessere Zustände als zuvor am Buggraben.58