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3.2Die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen

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Da die Verbände von Heer und Luftwaffe schnell vorstoßen und die Rote Armee in großen Umfassungsschlachten vernichten sollten, war damit zu rechnen, dass Hunderttausende sowjetischer Soldaten bereits in den ersten Tagen und Wochen des Krieges in deutsche Gefangenschaft geraten würden.40 Die Wehrmacht traf jedoch keine Vorkehrungen für ihre angemessene Unterbringung und Ernährung. Dies war Teil des deutschen Hungerplans, den die militärische Führung des NS-Staates mit entwickelt hatte und mittrug.

Überhaupt waren Rotarmisten nach Hitlers Meinung »keine Kameraden«41 und standen nicht unter dem Schutz des Kriegsvölkerrechts. Das Heer sollte die Truppenkommissare der Roten Armee, also die Funktionäre der KPdSU im sowjetischen Militär, bereits im Operationsgebiet aussondern und erschießen: »Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für die Kriegsgefangenen völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen.«

Zivile Kommissare, also höhergestellte Funktionäre der KPdSU, waren ebenfalls in Gefangenschaft zu nehmen, sollten aber zunächst unbehelligt bleiben, »sofern sie sich keiner feindlichen Handlung schuldig machten.« Es lag im Ermessen der Offiziere, diese Zivilisten zur Erschießung an die Mordkommandos der Sicherheitspolizei und des SD abzugeben, wobei »der persönliche Eindruck von der Gesinnung und Haltung des Kommissars« höher zu gelten habe als der beweisbare Tatbestand. Kommissare, die im rückwärtigen Heeresgebiet ergriffen wurden, waren aus den Stamm- und Durchgangslagern für Rotarmisten durchweg an die Erschießungskommandos der SS abzugeben.42 Dieser berüchtigte »Kommissarbefehl« wurde von der weit überwiegenden Mehrheit der deutschen Verbände angewendet. Er forderte eine hohe vierstellige Zahl von Opfern.43

Heydrich übersandte den Einsatzgruppen am 17. Juli 1941 Richtlinien für die »Säuberung der Gefangenenlager, in denen Sowjetrussen untergebracht sind.« Diese waren mit dem für das Kriegsgefangenenwesen zuständigen Oberkommando der Wehrmacht abgestimmt. Die für die jeweiligen Lager zuständigen Abwehroffiziere des Heeres sollten eine »grobe Trennung« von Zivilpersonen und Soldaten vornehmen und »politisch untragbare Elemente« aussondern. Das Militär sollte aber auch solche Zivilisten und Soldaten heraussuchen, die »besonders vertrauenswürdig erscheinen und daher für den Einsatz zum Wiederaufbau der besetzten Gebiete verwendungsfähig sind.«

Aufgabe der SS-Kommandos war es, auf der Grundlage dieser Vorauswahl »untragbare« und kollaborationsbereite Kriegsgefangene auszusondern. Erstere waren außerhalb des Kriegsgefangenenlagers von SS-Kommandos zu erschießen. Letztere sollten zunächst bei der »Aussonderung von Verdächtigen« und sonstigen Aufgaben der Lagerverwaltung mithelfen, also als Lagerpolizisten gefangene Kameraden denunzieren. Bewährung in diesem Sinne vorausgesetzt, konnte die SS die »Freigabe« der Betreffenden von den Abwehroffizieren verlangen. In Betracht kamen vorrangig Wolgadeutsche, aber auch Ukrainer, Weißrussen, Balten, Finnen und Georgier.44 Auch die ausnahmsweise Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war an eine sowjetdeutsche oder ukrainische Herkunft gebunden.45 Diese Anordnungen bildeten den Ursprung der Trawniki-Männer: Rotarmisten, die ihre eigenen Kameraden bewachten und denunzierten, sollten für Aufgaben der SS rekrutiert werden.46

Heydrichs detaillierte Weisungen überraschen insofern, als die SS-Führung über die nationale Zusammensetzung der Roten Armee und die stalinistische Nationalitätenpolitik offenkundig gut informiert war. Die Wehrmacht, die in erster Linie solche Kenntnisse hätte haben müssen, war es nicht. Das Oberkommando der Wehrmacht verband massive Vorurteile gegen die Rote Armee mit einer bemerkenswerten Unkenntnis ihrer nationalen Zusammensetzung, der Rolle der Politkommissare etc.47 So war den militärischen Dienststellen bei der Ausarbeitung des Kommissarbefehls entgangen, dass die Institution des »Politruks« gar nicht mehr existierte, obwohl sogar der »Völkische Beobachter« über die Abschaffung dieser Institution berichtet hatte.48

Die Kommandeure der ersten Kriegsgefangenenlager für Rotarmisten waren auf die Realitäten einer multiethnischen Armee in keiner Weise vorbereitet. Sie zeigten sich besonders irritiert darüber, dass auch Frauen in der Sowjetarmee Waffen trugen. »Flintenweibern« galt der deutsche Hass in besonderem Maße. Nicht selten wurden diese Soldatinnen bereits im Kampfgebiet systematisch von deutschen Soldaten erschossen.49 Aber auch in den Kriegsgefangenenlagern erging es Rotarmistinnen besonders schlecht, sei es, weil sich die Kommandanten mit ihrer Unterbringung überfordert sahen, sei es aus ideologischen Gründen oder einer Mischung beider Motive. Überall fehlte es in den Lagern an deutschem Personal. Dies und zunächst nicht ideologische Motive war der Grund für die Heranziehung sowjetischer Soldaten zu Wachdiensten.50

Am 8. September 1941 fasste Generalleutnant Hermann Reinecke, als Chef des Allgemeinen Wehrmachtamtes im OKW für das Kriegsgefangenenwesen zuständig, zuvor gegebene Befehle in einer Anordnung zur Behandlung sowjetischer Gefangener zusammen. Diese denkbar radikale Rahmenweisung ernthielt eine Heydrichs Befehlen entsprechende Hierarchie der sowjetischen Ethnien. Volksdeutsche und Ukrainer rangierten an der Spitze, gefolgt von Weißrussen, Polen und den Angehörigen der baltischen Staaten.51

Auch im Generalgouvernement befanden sich Kriegsgefangenenlager für Rotarmisten, die meisten im Lublin Gebiet, das der Front am nächsten lag. Sie füllten sich schnell mit Gefangenen, die den anfänglich erfolgreichen deutschen Verbänden in die Hände fielen. Für die »Säuberung« der Kriegsgefangenenlager im Generalgouvernement entsandte Heydrich einen Kriminalkommissar zum zuständigen Oberbefehlshaber, Generalleutnant Herrgott.52 Einheiten der Gestapo und des SD aus dem Generalgouvernement ermordeten in den folgenden Wochen rund 16 000 vorgeblich »untragbare« Rotarmisten.53

Dann kam der Hunger. Die Sterblichkeit stieg seit Ende September 1941 steil an, als Kälte und Nässe den Gefangenen zusetzten.54 Seit November waren Entlassungen aus der Gefangenschaft grundsätzlich untersagt.55 Bis April 1942 kam laut Statistiken des Militärbefehlshabers im Generalgouvernement rund 300 000 Rotarmisten im deutschen Gewahrsam um. Das waren mehr als die Hälfte der Soldaten, die seit Sommer als Kriegsgefangene eingetroffen waren. Sie hatten also eine bestenfalls fünfzigprozentige Überlebenschance.56

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