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3.Der Krieg gegen die Sowjetunion 3.1Vernichtungskrieg gegen die Juden

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Spätestens Mitte März 1941 erfuhr Hans Frank von Hitler persönlich, dass Deutschland die Sowjetunion angreifen und die Phase der deutsch-sowjetischen Freundschaft enden würde. Der Generalgouverneur war enthusiasmiert:

»Das Generalgouvernement, wie wir es kennen und wie wir es erarbeitet haben, wird wesentlich reicher sein, glücklicher sein, wird mehr Förderung erfahren und wird vor allem entjudet werden.« Denn Hitler, so Frank im Kreis seiner Paladine, habe ihm zugesagt, das Generalgouvernement werde »als erstes Gebiet judenfrei gemacht.«1

Der am 22. Juni 1941 begonnene Feldzug Deutschlands gegen die Sowjetunion war ein historisch beispielloser Raub- und Vernichtungskrieg.2 Was in Polen begonnen hatte, wurde nun in ungleich größerem Ausmaß und ungleich radikaler durchgeführt.

Die wesentlichen Richtlinien für diesen Krieg kamen von Hitler selbst, von der Wehrmachts- und Heeresführung, der Vierjahresplanbehörde des Reichsmarschalls Hermann Göring, vom Reichsführer-SS Himmler und vom Reichssicherheitshauptamt.3 Erneut entsandte Heydrich Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD, die den deutschen Heeresgruppen in aufsteigender Buchstabenreihenfolge vom Baltikum (A) bis zur Krim (D) zugeordnet waren.

Ferner gab es zwei SS-Kavallerie-Regimenter und zwei SS-Brigaden, die durch einen besonderen Kommandostab Reichsführer-SS geführt wurden und den Höheren SS- und Polizeiführern Russland-Mitte und Russland-Süd unterstanden.4 Für die Tätigkeit der Einsatzgruppen waren, nach den Erfahrungen in Polen, genaue Absprachen mit dem Oberkommando des Heeres getroffen worden. Sie erfüllten »Sonderaufgaben im Auftrag des Führers, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme ergeben.«5

Hitler und die SS-Führung waren davon überzeugt, dass die stalinistische Sowjetunion von Juden beherrscht wurde, die sich der KPdSU bedienten, um den Nationalsozialismus zu beseitigen und die Weltherrschaft zu erringen. Gemäß dieser verqueren Weltsicht hing der erfolgreiche Blitzkrieg gegen das Riesenreich im Osten entscheidend davon ab, dass die vermeintlich jüdische Führungsschicht beseitigt, die UdSSR also gewissermaßen enthauptet wurde. Ferner sollte – dies war eine Obsesssion des baltendeutschen NS-Chefideologen und designierten Reichsministers für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg – der Hass der nichtrussischen Nationalitäten auf »Moskau« angestachelt werden, um die Sowjetunion von den Rändern her aufzulösen und in der Tradition des deutschen Ostimperialismus Vasallenstaaten des Reiches zu bilden. Besonderes Augenmerk galt hierbei, wie schon im Ersten Weltkrieg, der Ukraine.6

Die Einsatzgruppen hatten sehr wahrscheinlich keine konkreten Befehle zur Ermordung aller sowjetischen Juden, doch dürften allgemeine Weisungen zu einem solchen Massenverbrechen existiert haben.7 Da man zu Beginn des »Unternehmens Barbarossa« noch mit einem schnellen deutschen Sieg rechnete, sahen die Protagonisten der Vernichtungspolitik, allen voran Heydrich, vermutlich noch keine Notwendigkeit, die »Lösung der Judenfrage« vor der Niederlage der UdSSR im vorgesehenen großen Umfang durchzuführen.8 Vorerst sollten die Einsatzgruppen, wie überlieferten Befehlen Heydrichs zu entnehmen ist, insgeheim Pogrome einheimischer Antisemiten gegen den »jüdischen Bolschewismus« auslösen, um den Judenmord als berechtigte Racheaktion gegen bolschewistisches Unrecht erscheinen zu lassen.9 Umstandslos zu erschießen waren sodann

»alle Funktionäre der Komintern (wie überhaupt die kommunistischen Berufspolitiker schlechthin), die höheren, mittleren und radikalen unteren Funktionäre der Partei, der Zentralkomitees, der Gau- und Gebietskomitees, Volkskommissare, Juden in Partei- und Staatsstellungen, sonstigen radikalen Hetzer (Saboteure, Propagandeure, Heckenschützen, Attentäter, Hetzer usw.), soweit sie nicht im Einzelfall nicht oder nicht mehr benötigt werden, um Auskünfte in politischer oder wirtschaftlicher Hinsicht zu geben, die für die weiteren sicherheitspolizeilichen Maßnahmen oder für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der besetzten Gebiete besonders wichtig sind.«

Heydrich unterschied auch hier zwischen einem Nahziel deutscher Besatzungspolitik, nämlich der »politische[n], d. h. im wesentlichsten (sic!) sicherheitspolizeiliche[n] Befriedung der neu zu besetzenden Gebiete«, und einem »Endziel«, der »wirtschaftliche[n] Befriedung«, für welche die politische Befriedung die Voraussetzung darstelle.10 Die auffällige Hervorhebung der ökonomischen Kriegsziele findet ihre Erklärung zunächst in dem Plan, die Ernährung der Truppe »aus dem Lande« zu gewährleisten, damit das deutsche Millionenheer nicht durch Nachschubprobleme an dem schnellen Vormarsch gehindert werden konnte, der den Sieg innerhalb weniger Wochen bringen sollte.

Für die Zeit danach war vorgesehen, die agrarischen Überschussgebiete der Sowjetunion – hier besonders die Ukraine – als Kornkammer für Deutschland zu nutzen, um die ›Heimatfront‹ zu stabilisieren und einen Aufstand hinter dem Rücken der Truppe zu verhindern, den die NS-Führung als wesentliche Ursache der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg ausgemacht hatte. Die agrarischen Zuschussgebiete der Sowjetunion sollten hingegen nicht mehr mit Lebensmitteln beliefert werden. Auf diese Weise wollte der NS-Staat die industriellen Zentren der UdSSR systematisch von der Ernährung abschneiden.

Dies bot aus deutscher Sicht den zusätzlichen Vorteil, dass die als besonders bolschewistisch betrachtete Arbeiterschaft Moskaus und anderer Großstädte durch Hunger umkommen würden. Die an diesem »Hungerplan« beteiligten Instanzen verurteilten also Millionen sowjetischer Zivilisten kaltblütig zum Tode. Die sowjetischen Juden rangierten jedoch auf der Stufenleiter nationalsozialistischer Rassenideologie ganz unten. Zudem verhungerten in den Großghettos des benachbarten Generalgouvernements bereits zehntausende jüdische Männer, Frauen und Kinder. Auch diese ökonomischen Hintergründe sprechen dafür, dass die jüdische Zivilbevölkerung der UdSSR mit Ausnahme unentbehrlicher Arbeitskräfte ermordet werden sollte, wenngleich dazu noch keine konkreten Weisungen vorlagen.11

Die deutsche Kriegführung gegen die Sowjetunion war nach alledem grenzenlos aggressiv.12 Hitler begrüßte in der Euphorie der deutschen Anfangserfolge den von Stalin ausgerufenen Partisanenkrieg ausdrücklich, weil Deutschland nunmehr jeden, der auch nur schief schaue, totschießen könne. Die deutsche Politik in der UdSSR habe zur Aufgabe, das riesige Land zu beherrschen, auszubeuten und zu verwalten. Unerwünschte Bevölkerungsteile seien zu ermorden und/oder auszusiedeln.13 Damit bekräftigte Hitler seine Utopie, die Sowjetunion zu einer Kolonie auf »rassischer« Grundlage zu degradieren, zu einem »deutschen Indien« auf dem Kontinent.

Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD erschossen gemäß Heydrichs Rahmenbefehl zunächst Zehntausende jüdischer Männer.14 Diese Morde wurden auch auf dem Territorium des Generalgouvernements (in den Grenzen vom 1. August 1941) durchgeführt, nämlich im Gebiet um Lemberg, das gemäß den deutsch-sowjetischen Verträgen vom August/September 1939 erst nach Kriegsbeginn zur UdSSR gekommen war. 1940 wurde Ostgalizien/die Westukraine der Ukrainischen Sozialiatischen Sowjetrepublik einverleibt.15

Diese Annexion – wie auch diejenige Westpolens durch Deutschland – war völkerrechtswidrig und wurde international nicht anerkannt.16 Gegen die Sowjetisierung des neuen Territoriums leistete die im Untergrund mit verdeckter deutscher Unterstützung tätige Organisation Ukrainischer Nationalisten entschiedenen Widerstand, den die UdSSR mit Massenverhaftungen und Deportationen ahndete.17

Das Ziel der Nationalisten war die Errichtung eines formal unabhängigen ukrainischen Staates in der Tradition der deutschen Ostpolitik während des Ersten Weltkriegs. Diese selbstständige Ukraine sollte das Gebiet um Lemberg und die Ukrainische Sowjetrepublik umfassen.18 Die Organisation Ukrainischer Nationalisten war seit 1940 in zwei Flügel gespalten, die OUN-M unter Andriy Melnyk, die Hitler im Juli 1941 eine Ergebenheitsadresse und den Wunsch zur militärischen Zusammenarbeit übermittelte, und die faschistische OUN-B unter Stepan Bandera, die dem Feindbild vom »jüdischen Bolschewismus« in der sowjetischen Westukraine das Wort redete und mit der militärischen Abwehr unter Admiral Canaris eng kooperierte.19

Die Abwehr stellte für den Krieg gegen die Sowjetunion eine Legion Ukrainischer Nationalisten aus nationalukrainischen Freiwilligen auf, die aus zwei Bataillonen unter deutschem Kommando bestand, Nachtigall und Roland. Diese wurden am 22. Juni 1941 in die Westukraine in Marsch gesetzt, um die deutsche Besetzung durch Sabotage und vermutlich auch einen Aufstand gegen die sowjetischen Organe zu unterstützen, den die OUN-B am 26. Juni erfolglos in Lemberg probte.20 Die OUN berief sich ferner auf vage Zusagen des künftigen Ostministers Alfred Rosenberg, Deutschland werde eine ukrainische Eigenstaatlichkeit zulassen.21

Lemberg wurde am frühen Morgen des 30. Juni 1941 von deutschen Gebirgsjägern besetzt.22 Teile des kurz darauf eingetroffenen Bataillons Nachtigall besetzten das Lemberger Rundfunkgebäude. Entsandte Banderas, der in Krakau zurückgeblieben war, proklamierten über den Rundfunk einen selbstständigen ukrainischen Staat unter der Präsidentschaft des OUN-Politikers Jaroslav Stec'ko.23 Die Wehrmacht intervenierte nicht und auch die ihr folgende Einsatzgruppe C ließ die Regierung Stec‹ko zunächst gewähren. Bandera wurde verhaftet und später in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingewiesen.24 Stec'ko stimmte seiner Verbringung in »Ehrenhaft« zu, wurde am 9. Juli verhaftet, nach Berlin gebracht und dort kurze Zeit später auf freien Fuß gesetzt.25

Schon kurz nach Beginn des deutschen Überfalls hatte die OUN damit begonnen, eine Miliz aufzustellen. Deren erste Aufgabe sahen Bandera und Stec‹ko darin, die Bolschewisten aus der Ukraine zu entfernen und die Juden zu ermorden.26 Aus der Miliz sollte später eine ukrainische Nationalarmee hervorgehen. Sie übernahm die vormals sowjetischen Polizeikommissariate und initiierte ein Pogrom gegen die Lemberger Juden. Auslöser dieser Gewaltaktionen waren Massaker der abziehenden Roten Armee und der sowjetischen Geheimpolizei an politischen Häftlingen und deutschen Soldaten, die in den ersten Kriegstagen in sowjetische Gefangenschaft geraten waren. Es handelte sich jedoch nicht um »spontane« antisemitische Ausschreitungen, sondern offenkundig um ein mit der SS abgestimmtes Pogrom. Die sowjetischen Verbrechen lieferten eine willkommene Rechtfertigung dieses »Volkszons« im Sinne von Heydrichs Befehlen.27

Gleichzeitig fanden Pogrome ukrainischer Nationalisten überall in Ostgalizien statt, auch in Städten und Orten, in denen es keine sowjetischen Verbrechen gegeben hatte. Das Militär tat wenig oder gar nichts, um die tagelangen, offenbar mit der deutschen Seite abgestimmten Ausschreitungen zu unterbinden. Solche Verbrechen durch einheimische Protagonisten beschränkten sich nicht auf die Westukraine. In der lettischen Hauptstadt Riga und im litauischen Kaunas – auch dort im Gefolge sowjetischer Rückzugsverbrechen – brachten örtliche Rechtsradikale unter den Augen deutscher Soldaten und Polizisten tausende Juden um.28

In Lemberg erschossen deutsche Formationen unmittelbar nach dem Pogrom jüdische Männer. Diese Erschießungen wurden von der Einsatzgruppe C unter SS-Brigadeführer Dr. Dr. Otto Rasch und dem ihr folgenden Einsatzkommando z. b. V. durchgeführt. Es handelte sich um eine aus dem bisherigen Generalgouvernement nachgeführte Formation, die dem dortigen Befehlshaber der Sicherheitspolizei, SS-Brigadeführer Schöngarth, unterstand. Den Morden der ersten Besatzungstage fielen bis zu 7 000 Lemberger Juden zum Opfer.29 Himmler genügte das nicht. Er besuchte Ende Juli die Stadt und drängte auf höhere Erschießungszahlen, die sofort erbracht wurden. Auf diese Weise schaltete sich der SS-Chef auch an anderen Orten des deutschen Vormarsches ein, um den Judenmord zu radikalisieren.30

Die deutsche Militärverwaltung erließ antisemitische Vorschriften, darunter der Kennzeichnungszwang und der Arbeitszwang.31 Es folgte die Registrierung der Juden durch den sog. Jüdischen Ältestenrat, der nach gehabtem Muster die Lemberger Juden registrieren und Zwangsarbeiter stellen musste.32 Der Lubliner SS- und Polizeiführer Globocnik ließ eine KfZ-Werkstatt an der Lemberger Janowskastraße errichten. Dies sollte den ersten Anfang eines SS- und Polizeistützpunkts darstellen, wie ihn Globocnik auf Befehl Himmlers in allen neu eroberten Gebieten der UdSSR errichten sollte, um die Ostraumplanung des SS-Chefs zu verwirklichen.33 Die Werkstatt wurde nach kurzer Zeit von den SS-eigenen Deutschen Ausrüstungswerken übernommen und war damit Globocniks Zugriff formal entzogen. De facto behielt er aber die Kontrolle und verteidigte diese auch gegen den SS- und Polizeiführer des Distrikts Galizien, Katzmann.34

Das Vorgehen gegen die Juden wurde nach dem Beginn der Zivilverwaltung im Distrikt Galizien ab 1. August 1941 systematisiert, indem man die bestehenden Rechtsvorschriften zur Isolierung und Beraubung der jüdischen Bevölkerung auf das neue Gebiet übertrug.35 Diese Angleichung an das bisherige Generalgouvernement war aber nicht vollständig. So verfügte die Zivilverwaltung nicht über rechtliche Kompetenzen zur Einrichtung von Ghettos. Denn Frank hatte im Juli 1941, in Erwartung bevorstehender großer Deportationen in die UdSSR, ausdrücklich die Neubildung von Ghettos untersagt.36

Ebenfalls etwa Anfang August begannen die weiter nach Osten vorgerückten Einsatzgruppen und die Himmler direkt unterstellten Einheiten der Waffen-SS, nicht mehr ›nur‹ sowjetische Männer, sondern auch Frauen und Kinder zu erschießen. Seit spätestens Oktober 1941 löschten sie ganze jüdische Gemeinden aus.37 Dasselbe geschah seit der ersten Oktoberwoche im Distrikt Galizien und, in geringerem Umfang, im Distrikt Lublin.38 Daher war es kein Zufall, dass die Massenvergasungen der »Aktion Reinhardt« von ebendiesen Gebieten ihren Ausgang nahmen: Der Übergang zur »Endlösung« war in Ostgalizien bereits vollzogen, im Lubliner Gebiet stand er dicht bevor.39 Beide Distrikte sollten zudem vorrangig ›germanisiert‹ werden. Dies setzte im Verständnis der SS zwingend voraus, dass die Juden zuvor entfernt wurden.

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