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1.3.3Der »Volksdeutsche Selbstschutz«
ОглавлениеDer »Volksdeutsche Selbstschutz«45 war eine paramilitärische Organisation von deutschstämmigen Gewalttätern, die seit Kriegsbeginn offene Rechnungen mit Polen und Juden beglichen und eine Vielzahl von Morden begingen. Es handelte sich um eine Miliz aus Angehörigen der deutschen Minderheit, die sich durch ihre bisherige Betätigung in deutschnationalen Organisationen für diese Tätigkeit empfohlen hatten. Anstatt, wie ursprünglich vorgesehen, dem Heer als Hilfspolizei unterstellt zu werden, war der Selbstschutz seit Beginn des Krieges gegen Polen ein wichtiges Vollzugsorgan des Terrors von SS und Polizei gegen die »Fremdvölkischen«.46
Hierfür sorgten »Führerstäbe Selbstschutz und Polizei« die Himmler im September 1939 nach Polen versetzen ließ. Es handelte sich fast durchweg um radikale Nationalsozialisten und völkische Aktivisten wie Himmlers Chefadjutant, SS-Oberführer Ludolf v. Alvensleben.47 Dieser verglich Polen mit Schweinen, die geschlachtet werden sollten. Einer seiner Untergebenen klopfte beim Appell mit der Reitpeitsche auf den Tisch, fragte: »Wie viel[e] Pollacken und Juden sind bisher umgelegt?«, und forderte, diese Zahl zu erhöhen. Und das war kein Einzelfall.48
Himmler unterstellte den Selbstschutz mit einem Organisationserlass vom 7. Oktober 1939 den Höheren SS- und Polizeiführern und ihren Befehlshabern der Ordnungspolizei.49 Die Formation setzte sich aus »waffenfähigen Volksdeutschen im Alter von 17 bis 45 Jahren zusammen«, die ihren Dienst ehrenamtlich versahen und durch eine weiße Armbinde mit dem Aufdruck »Selbstschutz« gekennzeichnet waren.50 Bei der Rekrutierung der Volksdeutschen wurde Druck ausgeübt und mit mancherlei Versprechungen gearbeitet.51
Der Selbstschutz genoss in den von Deutschland annektierten Gebieten Polens eine privilegierte Stellung.52 Ein regionaler Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag in Westpolen, wo der Selbstschutz eine Vielzahl willkürlicher Tötungen, Plünderungen und Vergewaltigungen verübte.53 Nicht wenige höhere Offiziere der Wehrmacht bezeichneten diese Hilfstruppe unverblümt als »Mörderbande«. Aber auch Teilen der Sicherheitspolizei und des SD waren die ständigen Diszipinlosigkeiten des Selbstschutzes ein Dorn im Auge. Bereits in der zweiten Novemberwoche 1939 befahl Himmler die Auflösung des Selbstschutzes, die sich aber noch bis weit ins nächste Jahr hinzog.54
Im Generalgouvernement war der Anteil der Volksdeutschen deutlich geringer als in Westpolen, was den Aufbau des Selbstschutzes erschwerte. Treibende Kraft war ein Vertrauter Himmlers, von dem in diesem Buch noch oft die Rede sein wird: der SS- und Polizeiführer des Distrikts Lublin, Odilo Globocnik. Er ließ Ende November 1939 mit dem Aufbau der Selbstschutz-Miliz in seinem Befehlsbereich beginnen.55 Seit Januar 1940 stand sie unter dem Kommando von SS-Standartenführer Ludolf Jakob v. Alvensleben, einem Neffen von Himmlers Adjutanten.56 Zwang war nicht erforderlich, um ›Freiwillige‹ für den Selbstschutz zu gewinnen.57 Die Erwerbs- und Sozialstruktur der deutschen Minderheit erleichterte die Rekrutierung: Die Selbstschutzleute waren junge und sehr junge Männer vom Land, die meist nur über einen geringen Bildungsabschluss verfügten.58
Die Selbstschutzmänner wurden im Distrikt Lublin zu einem bis zu tausend Mann starken, aus fünf Kompanien bestehenden Bataillon zusammengefasst, das schwarz uniformiert und mit Karabinern bewaffnet war.59 Als Kompanieführer fungierten reichsdeutsche SS-Offiziere. Das Selbstschutz-Bataillon bezog sein Hauptquartier an der Lubliner Chopinstaße, unweit eines späteren Zwangsarbeitslagers für jüdische Häftlinge an der Lipowastraße.60 Selbstschutzmänner bewachten Zwangarbeitslager, beteiligten sich aber auch an Morden außerhalb. Im April 1940 brachte eine Selbstschutzkompanie unter v. Alvensleben mindestens 150 Polen bei einer dörflichen »Befriedungsaktion« um, setzte Bauernhöfe in Brand und zerstörte Wohnhäuser.61
Solche spektakulären Gewalttaten und die grassierende Korruption im Selbstschutz-Milieu führten im November dieses Jahres auch im Generalgouvernement zur Auflösung der Formation.62 Hans Frank ließ den nunmehr in »Sonderdienst« umbenannten Selbstschutz durch weitere volksdeutsche Rekruten verstärken und den Kreishauptmännern als Verwaltungspolizei unterstellen, um ihre Position gegenüber dem Polizeiapparat zu stärken.63 Der Höhere SS- und Polizeiführer ordnete jedoch am 10. Juli 1940 an, ein Sonderdienst-Ersatzbataillon im Distrikt Lublin und damit unter der Kontrolle Globocniks zu belassen.64 Personalreferent dieses Ersatzbataillons war SS-Sturmbannführer Karl Streibel, der später eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung der Trawniki-Männer spielte.65
Der Volksdeutsche Selbstschutz war Globocniks erste Privatpolizei im Distrikt Lublin. Aus ihm rekrutierten sich einige »Endlösungs«-Funktionäre. So avancierte SS-Oberführer Friedrich Katzmann, im September 1939 »Selbstschutz«-Führer im östlichen Oberschlesien, zum SS- und Polizeiführer des Distrikts Galizien. Er war für die Ermordung einer halben Million Juden verantwortlich. Unter dem Kommando von SS-Standartenführer Josef (»Jürgen«) Stroop, 1939 »Selbstschutz«-Führer in Posen, wurde der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto niedergeschlagen.
Beide SS-Offiziere verfassten Abschlussberichte über ihre Tätigkeiten, mit denen sie sich bei Himmler für weitere Verwendungen empfahlen.66 Katzmann brachte es bis zum Höheren SS- und Polizeiführer von Danzig; Stroop war bei Kriegsende Höherer SS- und Polizeiführer Rhein-Westmark mit Sitz in Wiesbaden. Die Massenmörder kamen aus der Mitte der deutschen Gesellschaft und kehrten wieder in sie zurück. Katzmann starb 1957 unter falschem Namen und wurde unter seinem richtigen Namen beerdigt, nachdem eine Krankenschwester ihr Wissen um die Identität des früheren SS-Generals preisgegeben hatte. Stroop hatte weniger Glück. Er geriet in amerikanische Gefangenschaft, wurde nach Polen ausgeliefert und 1952 in Warschau hingerichtet.67