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Etwa eine Viertelstunde später rückte das Gebäude in Sichtweite. Dank seiner neuen Sonnenbrille bereitete Jem die Helligkeit keine Probleme mehr. Es befand sich auf der gegenüberliegenden Seite eines weitläufigen, dicht mit Bäumen und Buschwerk bewachsenen Geländes, das, dem Stadtplan nach zu urteilen, früher der Civic Center Park gewesen war.

Einige Hundert Meter weiter östlich stand ein weiteres Gebäude, das Jem irgendwie an Katastrophenfilme wie Independence Day oder White House Down erinnerte. Filme, in denen es ordentlich krachte und in denen am Schluss immer alles in die Luft flog. Plötzlich fiel es ihm ein: Das war das Kapitol – der Ort, an dem die Politiker getagt und Gesetze erlassen hatten. Jetzt gab es allerdings nur noch ein einziges Gesetz: überleben.

Er schwitzte wie ein Schwein. Das Atmen in der schwülen Luft fiel ihm schwer. »Ich glaube, es ist besser, an der Straße entlangzugehen«, sagte er.

Seit seinem Erlebnis vor dem Brillenladen hatte eine nervöse Unruhe von ihm Besitz ergriffen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass irgendjemand ihnen folgte. Irgendjemand oder irgendetwas. Sie wurden beobachtet, das spürte er. Doch von wem? Waren es die Bäume, die Insekten oder gar die Blumen? Merkwürdigerweise schienen ihre Kelche immer genau in ihre Richtung zu weisen.

Früher hatte es immer geheißen, der Mensch müsse zur Natur zurückfinden, er müsse lernen, im Einklang mit ihr zu leben. Die Hippies in den Sechzigern und Siebzigern hatten so gedacht, später dann die Grünen. Jem hatte die Geschichten darüber immer sehr gemocht. Inzwischen war er aber nicht mehr so sicher, ob das alles noch stimmte. Wenn er darüber nachdachte, was die Menschen in jüngerer Vergangenheit alles so verbrochen hatten, war es mehr als fraglich, ob die Natur sie überhaupt noch zurückhaben wollte.

Er schob den Gedanken zur Seite und folgte den anderen. Sie hatten beinahe eine Stunde bis hierher gebraucht. Rechnete er mit einer weiteren Stunde zurück, blieb ihnen kaum noch Zeit für ihre Erkundungen. Sie mussten sich also beeilen.

Auf der Straße wucherte das Gras längst nicht so hoch wie im Park selbst. Zoe marschierte direkt vor ihm. Sie schien ganz okay zu sein, obwohl Jem bisher keine drei Worte mit ihr gewechselt hatte. Er war einfach froh, jemanden dabeizuhaben, der eine Waffe besaß und damit umgehen konnte. Was er in diesem Baum gesehen hatte – was er zu sehen geglaubt hatte –, ließ ihn allerdings zweifeln, ob ein paar Pfeile nützen würden.

Linker Hand erhob sich ein rostfarbenes Bürogebäude, dessen spiegelnde Glasflächen das Sonnenlicht in ihre Richtung reflektierten. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er zu der Fassade empor. Irre, wie gut das Glas die lange Zeit überdauert hatte. Offensichtlich boten glatte Oberflächen weniger Angriffsfläche für Sporen, Samen und Wurzeln als Beton oder Ziegel. Das Bauwerk sah aus, als könnten dort noch immer Menschen wohnen. Warum war hier niemand mehr? M.A.R.S.’ schwerer Schritt hallte von den Fassaden wider. Jeder, der nicht gerade stocktaub war, hätte sie doch hören müssen.

Überschlug man das, so blieben zwei Möglichkeiten. Erstens: Es gab noch irgendwo Bewohner und sie wollten nichts mit ihnen zu tun haben, oder zweitens: Ihr Gefühl erwies sich als wahr und sie waren tatsächlich die letzten Menschen in dieser verfluchten Stadt. Doch wohin waren all die anderen gegangen? Gestorben waren sie jedenfalls nicht, schließlich hatten sie bisher noch kein einziges Skelett gefunden. Und warum waren sie mit ihrem Flugzeug ausgerechnet in diese Zeit verschlagen worden? War das Zufall oder gab es dafür einen tieferen Grund?

Jem schwirrte der Kopf. Er sollte besser bei der Sache bleiben und sich auf seine Umgebung konzentrieren. Er warf einen letzten Blick hinauf zur Spiegelfassade, als er plötzlich etwas bemerkte.

»Halt, wartet mal!«, rief er.

Zoe drehte sich um. Auch die anderen hatten ihn gehört. Marek wirkte sichtlich genervt. »Was ist denn jetzt schon wieder los? Hat dich wieder ein Vogel schief angeguckt?«

Jem beachtete ihn gar nicht. Er blinzelte hinauf zu den Fenstern.

Die Helligkeit war selbst mit Sonnenbrille kaum zu ertragen. Da war etwas. Das Ding saß mitten auf dem Glas. Genau dort, wo die Helligkeit am größten war. Ein unregelmäßig geformter Fleck, der das Licht irgendwie anders zu brechen schien. Jem konnte ihn nur erkennen, wenn er sich bewegte. Er ging einen Schritt nach links, dann wieder nach rechts. Kein Zweifel: Irgendetwas hing dort in der Vertikalen.

»Dort.« Er deutete mit dem Finger darauf. »Könnt ihr das erkennen?«

Zoe stand neben ihm und beschirmte ihre Augen. Marek stapfte mit schweren Schritten auf ihn zu. »Würdest du mir bitte mal mitteilen, was los ist? Mir schrumpfen die Eier in der Hitze.«

»Da oben, siehst du das?« Jem deutete in Richtung des Gebäudes. »Da, wo das Licht am hellsten ist.«

Marek kniff die Augen zusammen.

»Es ist nicht direkt im Licht, sondern ein kleines Stück darunter. Irgendetwas hängt dort.«

»Ich kann da nichts erkennen.«

»Gib mir lieber deine Sonnenbrille«, sagte Zoe.

Sie hielt das schwarze Glas vor ihre Augen und zwinkerte ins Licht.

»Und worauf soll ich jetzt achten?«

»Schwer zu beschreiben«, gestand Jem. »Es ist irgendwie formlos und durchsichtig und hängt dort drüben an der Fassade. Beweg dich mal ein bisschen hin und her. Achte auf Verzerrungen. Es ist, als würdest du einen durchsichtigen Gegenstand in einem Wasserglas betrachten.«

Zoe tat, was er ihr sagte, schüttelte aber irgendwann den Kopf. »Beim besten Willen nicht.«

Marek verzog spöttisch den Mund. »Sieht mir nach Sonnenstich aus. Ich würde dir empfehlen, in den Schatten zu gehen.«

Jem ignorierte ihn. Er hatte das Gefühl, dass das hier wichtig war.

»Wenn ich dir die Stelle genau beschreibe, meinst du, du könntest sie mit einem Pfeil treffen?«

Zoe sah ihn an. »Machst du Witze?«

»Ich frage ja nur. Ist ganz schön weit weg.«

Sie nahm den Bogen von ihrer Schulter, zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf die Sehne. »Also los.«

Jem hielt die Hand vor die Augen, sodass er durch einen schmalen Schlitz zwischen Zeige- und Mittelfinger schauen konnte. »Die siebte Reihe von unten, das dritte Fenster von rechts. Hast du das?«

»Ja.«

»In der linken oberen Ecke dieses Fensters.« Die Helligkeit war kaum zu ertragen. Er würde sicher noch stundenlang schwarze Flecken sehen.

»Ich habe die Stelle. Jetzt sehe ich es auch … was ist denn das? Soll ich dafür wirklich einen Pfeil verschwenden? Ach, egal …« Sie legte an. Vier Wimpernschläge lang visierte sie das Ziel an, dann zog sie die Sehne bis zum Kinn und ließ den Pfeil losschnellen. Er flog und flog, bis er aus ihrem Blickfeld verschwand. Eigentlich hätte er jetzt auftreffen müssen.

Sie warteten.

Nichts geschah. Nicht mal ein Klirren war zu hören.

Jem fiel auf, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Er atmete aus und ließ die Schultern hängen. Entweder Zoe hatte danebengeschossen oder er hatte sich das wirklich nur eingebildet. Wenn Letzteres der Fall war, sollte er sich vielleicht langsam Sorgen um seinen Gesundheitszustand machen. So oder so, eine Enttäuschung. Er zuckte die Schultern.

»Na ja«, sagte er. »War zumindest einen Versuch we…«

In diesem Moment ertönte ein Schrei.

Es war ein Geräusch, das ihm trotz der Temperaturen einen Schauer über den Rücken trieb. Als würde man mit Fingernägeln über die Schultafel kratzen. Alle in der Gruppe erstarrten.

Es war mit Abstand der grässlichste Laut, den Jem jemals vernommen hatte. Er glaubte, ein kurzes Zittern auf der Gebäudefassade zu sehen, gerade lang genug, um es nicht als Einbildung abzutun. Dann wurde es still.

Das Schreien hörte auf und auch das Zittern verschwand.

»Ich glaube, du hast es getroffen«, flüsterte er.

»Das glaube ich auch«, sagte Zoe.

»Was war das?« In Mareks Augen spiegelte sich Furcht. »So etwas habe ich noch nie gehört.«

»Ich auch nicht«, flüsterte Jem. Dieser Schrei hatte fremdartig geklungen. Unheimlich. Wie etwas, das nicht in diese Welt gehörte.

»Kannst du es noch sehen?«, fragte er Zoe.

Sie kniff die Augen zusammen und schüttelte dann den Kopf. »Nö. Aber das konnte ich vorher auch nicht wirklich. Am besten, du schaust es dir selbst an.« Sie gab ihm die Sonnenbrille zurück.

Eine Weile starrte er auf die Stelle, doch da war nichts mehr. Was immer dort gehockt hatte, es war nun fort.

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