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Paul stieß einen Schrei aus.

Ein weiterer Schatten fegte heran. Jem sah ihn aus seinem Augenwinkel kommen. Im Bruchteil einer Sekunde erkannte er, dass der Angriff diesmal ihm galt. Er ließ sich instinktiv zu Boden fallen, hörte ein Rauschen und Flattern, dann spürte er einen mächtigen Windstoß, nur wenige Zentimeter über seinem Kopf. Ein Krächzen erklang. Jem blickte nach oben und sah eine mächtige Eule in einem nahe gelegenen Baum zwischen Dutzenden von Krähen landen. Jetzt wusste, er, warum Paul geschrien hatte.

»Runter mit euch!«, rief er. »Sie greifen an.«

Seine Warnung kam keinen Moment zu früh. Als hätten die Vögel einen unsichtbaren Befehl erhalten, stürzten sie sich einer nach dem anderen aus den Wipfeln der Bäume hinab auf die schutzlosen Jugendlichen. Der Himmel wurde von Federn, Schwingen und Schnäbeln verdunkelt. Krächzen, Kreischen und Flattern bildeten eine Geräuschkulisse, die Jem erschaudern ließ.

Arthur, der als Letzter immer noch stand, wurde von etwas gestreift, das wie ein Falke aussah. Olivia packte ihn und riss ihn zu Boden. Marek stieß einen Fluch aus. Mit seinem Knüppel versuchte er, die Angreifer zu vertreiben. Er erwischte eine der Krähen und schleuderte sie mit einem dumpfen Schlag und gebrochenem Genick ins nahe gelegene Unterholz.

Der Verlust ihres Artgenossen schien die anderen Tiere nur noch mehr aufzubringen. Wie wahnsinnig griffen sie wieder und wieder an. Jem spürte, wie sich etwas in seinem Haar verkrallte. Er packte den Vogel und schleuderte ihn auf die Erde. Eine gottverdammte Elster. Ihr blauschwarzes Gefieder schimmerte wie angelaufener Stahl. Ausdruckslos blickte sie zu ihm hinauf und flatterte dabei mit den Flügeln. Nur ein verletztes Tier, das aus irgendeinem unerfindlichen Grund wütend auf ihn zu sein schien. Er kroch ein Stück näher an sie heran, um sie in Sicherheit zu befördern, als sie plötzlich ihren spitzen Schnabel in seiner Hand versenkte. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn.

»Drecksvieh!« Jem schleuderte den Vogel von sich weg.

Neben ihm war die Situation völlig außer Kontrolle geraten. Paul lag schreiend auf dem Bauch, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Auf seinem Rücken hockten mindestens drei Krähen und hackten mit ihren schwarzen Schnäbeln auf ihn ein. Scheiße, Scheiße, Scheiße, dachte Jem. Was ist das hier? In dieser Situation konnte ihnen nur noch einer helfen. Einer, dem die wahnsinnig gewordenen Vögel nichts anhaben konnten.

»Hilf uns, M.A.R.S.! Verscheuch sie, tu irgendetwas!«

Der Roboter, der bislang dumpf und tatenlos in der Gegend herumgestanden hatte, setzte sich in Bewegung. Mit ungelenken Schritten tappte er um sie herum und versuchte, die Vögel mit seinen langen Armen zu verscheuchen. Doch seine Bemühungen waren nur von mäßigem Erfolg gekrönt.

Zoe ging hinter dem Blechmann in Deckung und erlegte ein paar der größeren Vögel mit ihren Pfeilen. Doch es nützte nicht viel. Die Vögel hörten nicht auf, sie anzugreifen. Und mit jeder Minute wurden es mehr.

Und plötzlich geschah etwas Seltsames.

Arthur, an dessen linkem Ohr Blut hinablief, riss seinen Laptop aus der Umhängetasche, rammte M.A.R.S. das Kabel in die Universalbuchse und hämmerte hektisch einige Befehlszeilen in die Tastatur.

Der Roboter blieb stocksteif stehen. Sein gelbes Auge glotzte verständnislos in alle Richtungen.

»Was soll denn das?«, brüllte Marek, der inzwischen selbst aus etlichen Schnittwunden blutete. »Jetzt rührt er sich überhaupt nicht mehr.«

»An deiner Stelle würde ich ein bisschen auf Abstand gehen«, rief Arthur.

M.A.R.S. breitete die Arme aus, löste klickend einige Scharniere. Wo sich eben noch seine Unterarme befunden hatten, waren auf einmal zwei T-förmige Metallstücke, die am Gelenk zu rotieren begannen. Wie propellerartige Fortsätze drehten sie sich schneller und schneller. Ein surrendes Geräusch erklang. Die Luft wurde verwirbelt und streifte Jems verschwitztes Gesicht.

Vögel, die nicht rechtzeitig genug auswichen und in M.A.R.S.’ Propellerarme flogen, wurden als leblose Bälle zur Seite geschleudert. Federn stoben auf, vermischten sich mit Blut und Knochensplittern.

Jem starrte entsetzt auf das Gemetzel.

Wie hatte Arthur das gemacht? Die Angriffslust der Vögel schien langsam abzuebben, überall klatschten deformierte Federbälle ins Unterholz. Einen Moment lang glaubte Jem, sie hätten die Schlacht gewonnen. Doch dann änderten die Vögel ihre Strategie. Anstatt ihre Kräfte gleichmäßig auf alle zu verteilen, griffen sie nun gezielt nur einen an. Und dieser eine war ausgerechnet M.A.R.S.

Flach von der Seite heranfliegend, schossen sie auf ihn zu und warfen sich mit voller Wucht gegen seine stählerne Hülle. Vor allem die großen Vögel, Raben, Krähen und Kraniche, brachten den mechanischen Mann ins Wanken, bis er schließlich krachend auf dem Boden aufschlug. Mit einem furchtbaren Lärm wühlten sich die rotierenden Arme in die Erde. Dreck, Staub und Steine flogen Jem um die Ohren. Der Boden vibrierte einen kurzen Moment lang, dann kehrte Ruhe ein.

Jem wagte es kaum aufzublicken. Als er es doch tat, wurde ihm klar, dass die Gefahr noch längst nicht gebannt war. Der Baum über ihren Köpfen hing voller bösartig aussehender Schnabelträger. Sogar ein Weißkopfseeadler war unter ihnen. Wie es schien, nutzten die Vögel die kurze Ruhepause, um sich für den nächsten Angriff zu formieren.

Jem kniff die Augen zusammen. Es gab eine Stelle etwas weiter oben im Wipfel, die erstaunlich frei war. Während die Biester überall dicht an dicht hockten, wurde diese Zone offenbar gemieden. Nur ein einziger Vogel saß dort. Ein uralter Kolkrabe, dessen Gefieder bereits struppig zu werden begann.

Irgendetwas an diesem Vogel war seltsam. Sein Kopf zuckte hin und her, während er kehlige, krächzende Laute ausstieß. Es sah fast so aus, als würde er Befehle erteilen. Wie ein General oder so. Auf einmal hatte Jem eine Idee.

»Zoe?«

»Ja?«

»Hast du noch Pfeile übrig?«

»Nur noch drei, warum?«

»Sieh mal nach oben. Erkennst du den freien Raum zwischen den Ästen?«

»Da, wo diese fette Krähe hockt?«

»Ich glaube, das ist der Anführer. Ich habe zwar noch nie davon gehört, dass es bei Vögeln so etwas gibt, aber bei dem da bin ich mir sicher. Sieh doch mal, wie er den Kopf dreht.«

Zoe kniff ebenfalls die Augen zusammen.

»Ich glaube, du hast recht«, sagte sie.

»Kannst du ihn runterholen?«

»Werden wir gleich sehen …«

Zoe nahm Maß, spannte den Bogen und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Er zischte etwa zehn Meter weit, dann bohrte er sich mit einem harten Knall in einen Ast.

Mist, dachte Jem.

»Durch die vielen Vögel bewegen sich die Zweige dauernd hin und her«, sagte Zoe. »Na warte, diesmal erwische ich dich.«

Jem schaute besorgt auf die letzten beiden Pfeile im Köcher. Zoe zog den vorletzten raus und legte ihn auf die Sehne.

Der Rabe drehte den Kopf.

Er schien zu wissen, was sie vorhatten. Doch anstatt davonzufliegen, richtete er ein funkelndes schwarzes Auge auf sie und stieß ein dunkles Krächzen aus. Zoe nahm ihn ins Visier und zog die Sehne bis an ihr Kinn. »Sprich dein letztes Gebet, Drecksvieh.«

»Halt, warte, Zoe. Schieß noch n…«

Wieder surrte die Sehne. Pfeilgerade machte sich das Geschoss auf den Weg. Die Flugrichtung war optimal, doch Jem hatte eine Bewegung aus dem Augenwinkel erspäht. Ein Schatten verdunkelte den Himmel. Von der einen auf die andere Sekunde verschwand der Rabe und der Umriss eines gewaltigen Vogels schob sich vor ihr Sichtfeld. Ein Seeadler!

Seine Schwingen weit ausgebreitet, beschützte er den Anführer mit seinem Leben. Mit einem hässlichen Schmatzen bohrte sich der Pfeil in seinen Leib. Ein schrecklicher Schrei erklang. Es war wie das Quietschen von Autoreifen.

Der Greifvogel stürzte ab und riss dabei Zweige und Blätter mit sich. Dann krachte er zu Boden.

»Er … er hat sich geopfert«, stammelte Jem. »Er hat den richtigen Moment abgepasst und den Pfeil abgefangen. Das gibt’s doch nicht.« Fassungslos starrte er auf den toten Vogel. »Habt ihr so etwas schon einmal gesehen?«

»Niemand hat das«, sagte Olivia. »Das ist ein völlig artuntypisches Verhalten. Auch, dass die anderen alle still sitzen und uns beobachten. Irgendetwas Unheimliches geht hier vor.«

Zoe blickte misstrauisch auf den Köcher.

»Einen letzten Pfeil habe ich noch.« Sie knabberte auf ihrer Unterlippe. »Ob ich es riskieren soll …?«

»Besser nicht«, sagte Marek. »Wer weiß, wofür wir den noch brauchen. Ich finde, wir sollten lieber …«

Zoe spannte den Bogen und schoss. Mit einem harten Zong! zog der Pfeil seine Bahn. Mareks Unterkiefer klappte runter.

Jem hielt den Atem an.

Zu weit rechts, zu weit rechts, dachte er. Das kann nicht gut gehen …

Eine Windböe fegte durch die Wipfel und ließ wie von Zauberhand ein Loch zwischen den Zweigen entstehen. Gerade lang genug, um den Pfeil ungehindert passieren zu lassen. Zischend traf das Projektil die Brust des Raben.

Der alte Vogel stieß einen keuchenden Laut aus. Einen Moment hielt er sich noch an den Ast geklammert, dann fiel er. Fiel, fiel und fiel – bis er genau vor ihren Füßen landete.

Ein Meisterschuss!

Über ihren Köpfen kehrte Ruhe ein. Das wütende Keifen, das hektische Flattern und schrille Schreien hatten einfach aufgehört. Einen atemlosen Moment lang war alles still. Dann stoben die Vögel auf. Als hätten sie ein unsichtbares Signal vernommen, flatterten sie davon, stiegen als schwarze Wolke in die Höhe und verteilten sich in sämtliche Himmelsrichtungen.

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