Читать книгу WorldRunner (2). Die Gejagten - Thomas Thiemeyer - Страница 11

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Seattle

Mortimer Hansen, Gründer und CEO der Firma GlobalGames-Incorporated zupfte seine Krawatte zurecht. Er war nervös. Wie immer, wenn er seiner Chefin gegenübertrat. In ihrer Gegenwart fühlte er sich wie ein Schüler, der ins Büro der Direktorin zitiert wurde. Heute wirkte das Gebäude ziemlich einschüchternd auf ihn. Die Space Needle sah von unten betrachtet aus wie eine fliegende Untertasse, die auf einem Stahlturm gelandet war und jeden Moment abheben konnte. Vielleicht lag es aber auch an dem Fahrstuhl, der mit einem Affenzahn nach oben schoss, ohne ein einziges Mal anzuhalten. Mortimer hatte das Gefühl, von seinem eigenen Gewicht erdrückt zu werden. Ganz klein und mickrig kam er sich vor. Dabei gab es dafür gar keinen Grund, schließlich hatte er gute Nachrichten im Gepäck.

Es wurde besser, als der Aufzug abbremste, als die automatische Ansage ertönte und die Türen auseinanderglitten. Er holte tief Luft, streckte die Brust heraus und wollte gerade aussteigen, als zwei Dinge geschahen. Als Erstes ertönte ein schrilles Kläffen, dann spürte er einen nadelspitzen Schmerz in seiner rechten Wade. Vor Schreck riss er das Bein hoch und geriet dabei ins Taumeln. Ein kleiner weißer Hund hatte sich in sein Bein verbissen. Knurrend und fauchend hing er wie eine Klette an ihm.

Mortimer hüpfte auf einem Bein und fand gerade noch Halt, als sich die Türen des Fahrstuhls schlossen. Zum Glück war er selbst draußen, sein Koffer aber steckte fest. Wie ein stählerner Kiefer biss die Stahltür zu. Mit einem verzweifelten Ruck riss Mortimer den Koffer aus der quietschenden Aufzugstür.

Ein Schrei ertönte: »Posh!«

Shenmi Stevenson hatte ihre Hände in die Seiten gestemmt. Sie stand vor der Tür zu ihrem Büro und verfolgte das Schauspiel halb amüsiert und halb empört. Durch die Panoramascheibe hinter ihr war die Silhouette von Seattle zu sehen.

»Wirst du wohl den armen Morti in Ruhe lassen! Er hat dir nichts getan.«

Posh war Ms Stevensons Schoßhündchen. Ihr ständiger Begleiter und so etwas wie eine heilige Instanz. Es gab Gerüchte, dass Leute gefeuert worden waren, weil das Tier sie nicht mochte. Dabei schien es fast niemanden zu mögen. Für Mortimer war dieser Köter ein ständiges Ärgernis. Die Hundedame schien es ihm immer noch übel zu nehmen, dass er sie vor einiger Zeit ein wenig zu hart angepackt hatte. Trotz des Befehls ihrer Herrin dachte sie gar nicht daran, ihre spitzen Zähnchen aus seiner Hose zu ziehen. Wie ein Piranha, dem gerade fette Beute ins Maul geschwommen war, hing sie an ihm und zwang ihn zu diesem seltsamen Tanz.

Doch ganz so wehrlos war Mortimer nicht. Er hatte aus der Vergangenheit gelernt und sich vorbereitet. Einer Eingebung folgend, hatte er heute Morgen seine Hosenbeine mit Pfefferspray eingesprüht. Das Mittel war zwar farb- und geruchslos, aber so scharf und bitter, dass es selbst einen Rottweiler in die Flucht schlagen würde. Das bekam Posh jetzt zu spüren.

Als Poshs Speichel das Hosenbein tränkte, entfaltete das Mittel seine volle Wirkung. Poshs Augen wurden groß wie Christbaumkugeln. Ein winselnder Laut stieg aus ihrer Kehle, doch noch immer weigerte sie sich, Mortimer loszulassen. Erst als er ein wenig schüttelte, fiel sie wie ein reifer Apfel vom Baum. Sie zuckte kurz, als stünde sie unter Strom, dann raste sie wie ein geölter Blitz in Richtung Wassernapf und stürzte sich kopfüber hinein. Es gab ein lautes Platschen, dann kehrte Ruhe ein.

Mortimer sah sich verwundert um. »Sind wir alleine? Ist sonst keiner da?« Er hatte damit gerechnet, dass Shenmis halber Beraterstab anwesend sein würde.

»Nein, nur wir beide. Warum? Mache ich dich nervös?« Sie zwinkerte ihm zu.

»Äh … nein.« Er räusperte sich. Natürlich machte sie ihn nervös. Vor allem, weil sie auf ihren üblichen Begleitschutz verzichtete. Shenmi legte größten Wert auf Sicherheit. Entweder war dies ein Vertrauensbeweis oder aber sie wollte keine neugierigen Ohren dabeihaben.

»Ich möchte, dass du mir ganz ehrlich und aufrichtig sagst, wie es läuft«, sagte sie. »Die Teams dürften doch inzwischen alle unterwegs sein, oder?«

»Sind sie, ja«, erwiderte er. »Während der vergangenen zwölf Stunden wurden alle achtundvierzig Teams an ihre jeweiligen Standorte gebracht. Wenn Sie möchten, kann ich es Ihnen gerne zeigen …«

Er schloss seinen Laptop an die Multimediawand an und projizierte eine Weltkarte darauf. Über die Kontinente hinweg reichte ein Netz wirrer Striche und Linien, das an ein Schnittmuster eines besonders aufwendigen Kostüms erinnerte. Die Linien verbanden sowohl Ursprungs- als auch Zielorte.

»Hier sehen Sie, welche Teams wohin geschickt wurden«, erläuterte er. »Die Runner aus Südkorea beispielsweise in die australische Wüste. Die Neuseeländer nach Norwegen. Das Team aus Indien in die Antarktis und die Jugendlichen aus den USA in die mongolische Steppe. Es dürfte für jedes Team eine ziemliche Überraschung werden.«

Shenmi grinste. »Und die Spieler haben keine Ahnung, wohin sie gebracht werden?«

»Nein«, sagte Mortimer. »Sie wurden in einen Dornröschenschlaf versetzt, aus dem sie erst erwachen, wenn alle Spuren beseitigt sind. Ganz so, wie Sie es von mir verlangt haben, Ms Stevenson. Obwohl mir dabei nicht ganz wohl ist, aber das wissen Sie ja.«

Sie winkte seinen Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung vom Tisch. Er seufzte. »Wie auch immer – wenn sie ihre Geräte zurate ziehen, werden sie den Standort natürlich rausfinden, aber bis dahin ist es eine Überraschung.«

»Gut. Sehr gut.«

»Wir haben versucht, die Herausforderung so anspruchsvoll wie möglich zu gestalten. Zum einen wollen wir die Spreu vom Weizen trennen, aber wir wollen zum anderen auch eine möglichst dramatische Wirkung beim Zuschauer erzielen. Ich denke, die Menschen dürften begeistert sein.«

»Das hoffe ich«, sagte Shenmi. »Die Einschaltquoten müssen alles sprengen, was wir bisher hatten. Unsere Fernsehverträge bewegen sich im dreistelligen Millionenbereich. Da darf nichts schiefgehen.«

»Dessen bin ich mir bewusst«, sagte Mortimer. »Das Problem ist nur, dass es bisher nichts Vergleichbares gegeben hat. Die Zuschauer haben keine Ahnung, was sie erwartet, und dürften anfangs skeptisch sein. Ich denke aber, dass wir sie bereits mit der ersten Episode überzeugen werden.«

»Schön. Sehr schön.« Shenmi wirkte zufrieden. »Alles oder nichts, dieses Prinzip gefällt mir. Noch eine Frage zu den Liveübertragungen.«

»Was ist damit?«

»Den Spielern wurde hoffentlich erklärt, dass sie verpflichtet sind, mit dem Redaktionsteam zu kooperieren?«

»Selbstverständlich … warum?«

»Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn ihre Geschichten zu belanglos sind.«

»Ich verstehe nicht ganz …«

»Was, wenn sie uns mit Alltagsproblemen zutexten? Beispielsweise, dass sie zu wenig Taschengeld bekommen, dass sie am Abend nicht länger als bis zehn Uhr rausdürfen, dass sie schlechte Noten haben und so weiter. Vergiss nicht, es sind Teenager. Die meisten haben keine Medienerfahrung, wissen nicht, was für eine solche Show gefordert ist.«

Mortimer zuckte die Schultern. »Nun ja, das Risiko besteht natürlich«, räumte er ein. »Andererseits macht das unsere Helden doch sympathisch. Wie Sie sagten, Ms Stevenson: Es sind einfache Jugendliche mit einfachen Problemen. Ich wüsste nicht, wie wir da …«

»Meine Marketingspezialisten haben einen Vorschlag eingereicht, den ich für sehr brauchbar halte«, unterbrach ihn Shenmi. »Sympathische Helden sind ja gut und schön, nur leider neigen sie dazu, entsetzlich langweilig zu werden. Damit das nicht passiert, haben wir uns zusammengesetzt und unsere Köpfe rauchen lassen. Und ich denke, dass wir für das Problem die geeignete Lösung gefunden haben.«

Mortimer wurde mulmig zumute. »Und welche?«

Shenmi zwinkerte ihm zu. »Lass dich überraschen, Morti. Ich bin sicher, es wird dir gefallen. Und unsere Zuschauer werden hingerissen sein.«

WorldRunner (2). Die Gejagten

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