Читать книгу WorldRunner (2). Die Gejagten - Thomas Thiemeyer - Страница 16

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Annika blieb im vorderen Bereich der Höhle stehen. Sie war nicht sehr tief – eigentlich nur eine riesige Auswaschung im Fels –, dafür aber sehr breit und sehr hoch. Sie hatte etwas entdeckt, was ihr nicht gefiel. Nachdem sie die Multimediabrille auf höchste Vergrößerungsstufe gestellt hatte, suchte sie das Tal ab.

»Da«, stieß sie aus. »Da drüben. Kannst du es sehen?«

»Was soll ich sehen?« Jeremy starrte angestrengt in die Ferne.

»Das andere Team. Da sind sie. Unten im Tal.« Annika deutete Richtung Norden. »Da ist ein … Moment mal, das muss noch besser gehen.« Sie fummelte an den Einstellungen für die Projektion herum. Das Bild wurde schärfer.

»Da steht ein Auto«, sagte sie. »Ein Pick-up, wenn ich das richtig sehe. Irgendetwas ist dahinten auf der Ladefläche.«

»Wovon redest du?«, stieß Jeremy aus. »Wo siehst du denn da etwas? Ich kann nichts erkennen.«

»Du musst die Vergrößerungsfunktion einschalten.«

»Das Ding hat eine Vergrößerungsfunktion?«

Annika seufzte. War sie die Einzige, die sich mit der Technik vertraut gemacht hatte? »Wie bei einem Fernglas, ja«, sagte sie. »Warte, ich zeig’s dir. Geh oben in die Menüauswahl, in den Unterpunkt Anzeige. Dort tippst du auf vergrößern. Du kannst den Bildausschnitt nach Belieben mit deinen Händen auseinanderziehen. Hast du es?«

»Ja.« Und dann, nach einer Weile: »Das ist ja unglaublich. Als würde man im Kino sitzen.«

»Jetzt wende deinen Blick mal nach links. Dorthin, wo diese beiden turmartigen Felsen stehen. Dazwischen siehst du etwas blinken. Das ist das Auto.«

»Du hast recht«, stieß er aus. »Und ich sehe auch das andere Team. Die tragen genau dieselben Rucksäcke wie wir.«

»Deswegen habe ich sie überhaupt entdeckt«, sagte Annika. »Die Dinger mögen zwar praktisch sein, leider sind sie auch ziemlich auffällig.«

»Es ist ein Pick-up, du hast recht. Was ist denn das dahinten auf der Ladefläche?«

»Sieht aus wie Proviant.«

»Wasser…« Jeremy presste die Lippen zusammen. »Wir sind zu früh zur Höhle gegangen und hätten erst mal das Tal genauer absuchen sollen. Jetzt stehen wir ohne irgendetwas da. Die werden uns nichts übrig lassen, oder?«

Annika hob eine Braue. »Würdest du?«

»Natürlich nicht.« Er beobachtete das gegnerische Team weiter. »Sieh mal, die fangen an, das Zeug abzutransportieren. Aber wohin?«

»Auf die andere Talseite«, sagte Annika. »Siehst du die Höhle gegenüber?«

»Sieht fast aus wie unsere, einschließlich der Ruinen.« Jeremys Mund war ein schmaler Strich. »Wir sollten uns den Standort gut einprägen. Wir werden ihn brauchen, wenn wir ihnen nachher einen Besuch abstatten.«

Annika glaubte, sich verhört zu haben. »Du willst sie bestehlen?«

»Ich will nur das, was uns rechtmäßig zusteht«, sagte Jeremy. »Die Hälfte von allem, was da auf dem Pick-up war.«

»Und wenn sie es uns nicht freiwillig geben?«

Ein kaltes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Überlass das ruhig mir. Darius und ich, wir haben Erfahrung mit so was.«

Annika schwieg. Sie wusste, was er sagen wollte. Sie bezweifelte allerdings, dass es so einfach werden würde.

»Na gut«, sagte sie. »Bin dabei. Aber wir sollten warten, bis es dunkel wird. Dann können wir uns unauffällig nähern. Vielleicht können wir es ja so drehen, dass es ohne Gewalt abläuft.«

»Unwahrscheinlich«, sagte Jeremy. »Aber bis es so weit ist, bleiben uns noch ein paar Stunden. Die sollten wir ausnutzen und hier alles absuchen. Komm.«

Sie durchsuchten den rechten Höhlenabschnitt, allerdings ohne nennenswerte Erkenntnisse. Die Anlage war atemberaubend, keine Frage, aber sie wirkte auch ziemlich leer gefegt. Es gab so gut wie keine Gegenstände, die irgendwie nützlich für sie sein könnten. Weder Töpfe noch Krüge, weder Waffen noch Decken oder Matten. Sie würden die Nacht auf der harten Erde verbringen müssen.

Was sie ebenfalls vergeblich suchten, war irgendein Hinweis auf mögliche Rätsel. Wenn die Gameproduzenten etwas hinterlassen hatten, dann war es sorgfältig versteckt.

Ernüchtert kehrten sie zum Treffpunkt zurück. Darius und Malte warteten bereits auf sie. Vanessa und Tim kamen kurz nach ihnen an.

Annika schilderte in wenigen Worten, was sie gesehen hatten.

Tim riss die Augen auf. »Proviant, sagst du?«

»Etwas zu essen und Wasser, ja. Sie haben die Sachen auf die andere Talseite geschleppt. Dort gibt es eine weitere Höhle, ähnlich der unseren. Jeremy hat vorgeschlagen, dass wir ihnen heute Nacht einen Besuch abstatten. Wir wollen uns einen Teil der Lebensmittel stibitzen.«

Jeremy reckte seine Hühnerbrust. »Wenn wir überleben wollen, bleibt uns gar nichts anderes übrig. Oder hat jemand von euch Wasser gefunden?«

Darius schüttelte den Kopf. »Vollkommen ausgetrocknet.«

»Da seht ihr’s.« Jeremy presste die Lippen zusammen. »Der Plan steht also.«

»Allerdings würde ich vorschlagen, es vorsichtig angehen zu lassen«, sagte Annika. »Am besten warten wir, bis alle schlafen. Einer von uns schleicht sich ins Lager, klaut ein paar Sachen und verschwindet wie der Wind in der Nacht.«

»Und wenn sie Wachen aufgestellt haben?« Vanessa blickte skeptisch.

»Darüber können wir nachdenken, wenn Plan A scheitert. Je weniger Gewalt wir anwenden müssen, desto besser. Und ehe die Frage auftaucht: Ja, ich biete meine Dienste als Diebin an.«

»Du?« Vanessa warf Annika einen herablassenden Blick zu. »Pass nur auf, dass du dir nicht die hübschen Nägel abbrichst.«

Der Spott prallte an Annika ab. »Man sagt mir nach, dass ich ziemlich gut im Anschleichen bin«, erwiderte sie kühl. »Aber wenn du möchtest, überlasse ich dir den Job. Was, du willst nicht? Dann würde ich still sein und den Erwachsenen das Reden überlassen.«

»Miau«, sagte Darius grinsend.

Vanessa presste die Lippen zusammen.

»Dann wäre das geklärt«, sagte Jeremy. »Sobald es dunkel wird, geht’s los. Was uns noch fehlt, ist ein Rückzugsort. Ein Gebäude, das sich verteidigen lässt. Hat jemand einen Vorschlag?«

»Ja«, sagte Tim. »Vanessa und ich sind da auf etwas gestoßen. Wenn ihr mögt, zeigen wir es euch. Aber nicht erschrecken, das Bauwerk ist … nun ja, etwas merkwürdig.«

Etwas merkwürdig war die Untertreibung des Jahrhunderts, selbst gemessen an all den anderen Merkwürdigkeiten in dieser Stadt. Das Gebäude sah düster und unheilverkündend aus, beinahe wie eine Warnung.

Es war eine Pyramide. Etwa sechs Meter hoch und komplett aus Lehm errichtet. Der obere Teil wirkte wie abgesägt und statt einer Spitze befand sich dort eine Kuppel aus ineinander verflochtenen Weidenruten.

Annika ließ den Anblick einen Moment auf sich wirken, dann ging sie durch die Umfriedungsmauer und die paar Stufen hinauf zum Haupteingang. Das Portal war verschlossen und die Steintür machte einen ziemlich stabilen Eindruck. Fenster gab es keine, sodass man nur raten konnte, was im Inneren auf sie wartete.

»Sieht aus wie ein Tempel«, murmelte sie. »Habt ihr eine Ahnung, was sich dadrin befindet?«

»Keinen Schimmer«, erwiderte Tim. »Die Tür ist fest verschlossen. Bestimmt gibt es irgendwo einen Öffnungsmechanismus.«

»Dann macht euch auf die Suche«, sagte Jeremy. »Die Uhr tickt.«

»Wie wäre es denn, wenn du zur Abwechslung mal selbst nachschaust, anstatt ständig den Chef raushängen zu lassen?«, platzte Annika heraus.

Sie hatte die Nase voll von diesem arroganten Fatzke. Wie Tim dabei so ruhig bleiben konnte, war ihr ein Rätsel. Ebenso warum er sich von Vanessa an der Nase herumführen ließ. Merkte er denn nicht, dass sie ein falsches Spiel mit ihm trieb? Annika hätte ausrasten können.

Jeremy schien das ebenfalls zu bemerken und hielt mal für eine Minute die Klappe. Immerhin!

Es war Malte, der eine Art Hebel entdeckte, der aussah, als ließe sich damit der Verschlussmechanismus steuern. Er zog daran und ein tiefes Rumpeln ertönte. Jahrhundertealter Staub rieselte aus der Türfüllung. Zentimeterweise glitt die schwere Steinplatte zur Seite. Vorsichtshalber trat Annika einen Schritt zurück. Man wusste ja nie.

Kalte, abgestandene Luft schlug ihnen entgegen. Es roch nach Staub und Erde. Annika glaubte, einen leichten Geruch nach Nagellackentferner zu erhaschen. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an die seltsamen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Im fahlen Licht, das aus der Deckenöffnung herabströmte, tanzten Myriaden von Staubteilchen.

Der Saal war groß, aber leer. Keine Säulen, keine Statuen oder sonstige Verzierungen. Nicht mal Gegenstände. Kein Hinweis darauf, wozu er diente. »Nun, zumindest lässt sich das Ding gut verteidigen.« Jeremys Stimme hallte von den Wänden wider. »Niemand kommt hier rein oder raus, ohne dass wir es bemerken. Guter Fund, Tim.« Er warf Annika einen hastigen Blick zu.

Versuchte er gerade, gut Wetter zu machen?

»Hier drinnen ist noch ein zweiter Hebel«, sagte Malte und deutete auf eine Konstruktion von Gegengewichten, die die massive Steinplatte in der Schwebe hielt.

»Ausgezeichnet.« Jeremy blickte nach oben und nickte. »Ich denke, damit dürfte sich die Tür wieder verschließen lassen. Ich erkläre dieses Gebäude damit zu unserem Hauptquartier.«

Na toll! Annika schüttelte im Geiste den Kopf. Immerhin ein Gutes hatte dieses Bauwerk: Man konnte ein Feuer entzünden, ohne dass das andere Team etwas mitbekam. Und ein Feuer brauchten sie. Hier dürfte es nachts ziemlich kalt werden.

»Wir sollten Feuerholz sammeln«, sagte sie. »Ich habe eben noch mal nachgeschaut: Der Tafelberg erreicht an seiner höchsten Stelle etwa zweitausend Meter. Das bedeutet, wir werden es nachts mit Temperaturen nahe null zu tun bekommen. Und wenn wir schon mal dabei sind, könnten wir auch nach ein paar Knüppeln Ausschau halten. Irgendwas, womit wir die Typen auf Abstand halten können, falls Plan A scheitert.«

»Ihr habt die Lady gehört.« Jeremy klatschte in die Hände. »Beeilt euch. Nicht mehr lange, dann wird es hier stockfinster.«

WorldRunner (2). Die Gejagten

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