Читать книгу WorldRunner (2). Die Gejagten - Thomas Thiemeyer - Страница 15

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Tim wurde immer mulmiger zumute, je tiefer sie hinabstiegen. Oben hatte er davon nichts gespürt, doch jetzt, da sie den verschlungenen Pfad ins Tal hinabstiegen, wurde es immer deutlicher. Dies war ein besonderer Ort. Ein heiliger Ort.

Durch die Lücken der Bäume konnte er Ausschnitte erhaschen, die wie die Bruchstücke eines Traums wirkten. Wie eine Fata Morgana. Da lag eine Stadt, hineingebaut in die Steilwand. Cliff Palace, so hatten die ersten Entdecker diesen Ort genannt, und weiß Gott, das war es. Ein Palast aus Lehm und Holz.

Wer, wie Tim, geglaubt hatte, Indianer wären ausschließlich in der Prärie und in Zelten unterwegs gewesen, der sah sich nun eines Besseren belehrt.

Alles hier atmete den Geist der Geschichte. Und doch war es so anders, so fremdartig, dass Tim Mühe hatte, einen Bezug herzustellen. Am ehesten erinnerte ihn die Umgebung an Kulissen der Star Wars-Filme.

Diese Stadt war alt. Sehr alt. Sie hatte schon existiert, ehe England durch die Normannen erobert worden war. Als Christoph Kolumbus 1492 in der Neuen Welt ankam, war diese Stadt bereits verlassen gewesen. Seither lebte hier niemand mehr. Die Türme waren locker fünf bis sechs Meter hoch und schienen aus dicken Steinen aufgeschichtet worden zu sein.

»Irre«, murmelte er. »Schaut euch mal diese Formen an. Es gibt eckige Hochhäuser, dann wieder runde Türme und Palisaden, die an mittelalterliche Burgen erinnern. Jedes Gebäude ist anders und keine dieser Kanten wirklich rechtwinklig.«

»Wie ein Kind, das wahllos Bauklötze übereinandergestapelt hat«, sagte Annika.

»Und es ist nicht nur diese eine Höhle«, ergänzte Tim. »In der Onlinedatenbank steht, dass das Tal über sechshundert Klippensiedlungen beherbergt, so wie diese hier. Viertausend archäologische Stätten insgesamt. Türme, Wohnhäuser, Brunnen, Bewässerungsanlagen – der Nationalpark hat eine Größe von über zweihundert Quadratkilometern.«

Jeremy verzog das Gesicht. »Alles lieb und recht und in der Schule würdest du bestimmt eine gute Note dafür bekommen, aber wir sind doch aus anderen Gründen hier. Konzentrieren wir uns lieber auf unsere Aufgabe. Wenn wir weniger reden und mehr auf den Weg achten, könnten wir deutlich schneller vorankommen. Vergesst nicht: Die Uhr tickt. Abgesehen davon schwirrt hier noch irgendwo das zweite Team herum. Also haltet die Augen auf und die Münder geschlossen, verstanden?«

Tim presste die Lippen zusammen. Widerwillig musste er einräumen, dass Jeremy recht hatte. Sie waren hier nicht alleine.

Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sie die Höhle erreichten. Der letzte Anstieg erwies sich als schwierig. Sie mussten ein Schotterfeld aus scharfkantigem Geröll durchqueren, bei dem nicht nur die Gefahr bestand, abzurutschen und sich die Hände aufzureißen, nein, es war fast unmöglich, sich lautlos darüber zu bewegen. Zum Glück trugen sie die Handschuhe, die sie vor Verletzungen bewahrten. In unregelmäßigen Abständen wuchsen krüppelige Bäumchen aus dem Untergrund, die zäh genug waren, um sich daran emporzuziehen.

Als die sechs Abenteurer ihr Ziel erreicht hatten, waren sie völlig außer Atem.

Tim sackte zu Boden und öffnete seinen Rucksack. Ihm klebte die Zunge am Gaumen. Seit über einer Stunde hatte er nichts mehr getrunken und die Temperaturen in der Sonne waren schweißtreibend.

Nachdem er sie abgesetzt und hineingeschaut hatte, stellte er voller Schrecken fest, dass die Flasche nur noch zur Hälfte gefüllt war.

Bei Darius sah es noch schlechter aus. Tim sah, wie er den Kopf in den Nacken legte und dann die Flasche umdrehte. Er hatte sie bis auf den letzten Tropfen geleert.

»Das war’s schon?«, protestierte er. »Ich habe aber immer noch Durst.«

»Hättest du es dir besser mal eingeteilt, wie ich dir geraten habe«, tadelte ihn Jeremy. »Jetzt siehst du, wohin dich deine Disziplinlosigkeit führt.«

»Ich bin eben größer als ihr. Ich brauche von allem mehr.«

»Pfft …«

Doch Tim fand, dass Darius recht hatte. Die Flaschen waren einfach zu klein. Das Beunruhigende war nur, dass die Runner unterwegs nirgendwo Wasser gefunden hatten. Weder oben auf dem Felsplateau noch entlang ihres Weges. Der Fluss, der diese Landschaft einst geschaffen hatte, war vor langer Zeit versiegt.

»Nimm was von meinem«, sagte Malte und hielt ihm die Flasche hin. »Ich muss nicht so viel trinken.«

»Echt jetzt?« Darius sah ihn verwundert an.

»Ja klar. Da.«

Darius nahm sie und trank. Dann gab er sie Malte zurück. »Danke, Kleiner«, sagte er. »Du hast was gut bei mir.«

»Damit wäre unsere Liste von Problemen um einen Punkt länger geworden«, sagte Jeremy. »Wir müssen hier dringend vorankommen. Um Zeit zu sparen, werden wir diesen Ort in Zweiergruppen untersuchen. Eine Gruppe nimmt sich den linken Teil der Höhle vor, eine den rechten und eine die Mitte. Wir suchen nach Hinweisen auf ein Rätsel, nach potenziellen Gefahren und nach Wasser. Vor allem nach Wasser. Und passt auf euch auf. Ich kann euch nicht andauernd den Arsch retten.«

Tim stand kurz davor auszurasten, bemerkte dann aber Annikas vielsagenden Blick und hielt die Klappe. Es hatte keinen Sinn, jetzt einen Streit vom Zaun zu brechen. Darius hingegen kapierte mal wieder gar nichts. »Was denn für Gefahren?«

»Hast du denn nicht mitbekommen, wo wir hier sind?« Jeremy sah ihn streng an. »Das ist ein Naturschutzgebiet. Da könnte es Kojoten, Raubkatzen und Klapperschlangen geben. Außerdem haben die Gameproduzenten vielleicht Fallen aufgestellt. Ich rede von Stolperdrähten, Fallgruben, Fußangeln und so weiter. Also stürmt nicht einfach in irgendwelche dunklen Kammern rein, sondern benutzt eure Stirnlampen.« Als sich niemand rührte, sprang er auf. »Worauf wartet ihr? Bildet Zweierteams und dann geht’s los.«

»Ich werde mit Tim gehen.« Wie aus dem Nichts stand Vanessa neben Tim. Sie war so nah, dass ihre Schultern sich berührten. Hilfe suchend sah er hinüber zu Annika, doch die schien sich nicht für seine Probleme zu interessieren. Stattdessen fummelte sie an ihrer Brille rum.

»Einverstanden«, sagte Jeremy. »Dann gehe ich mit Annika. Darius, du kümmerst dich um Malte.«

»Was? Ich will aber bei dir bleiben.«

»Du hast dem Kleinen schon das halbe Wasser weggesoffen, da kannst du ruhig den Babysitter spielen. In einer halben Stunde treffen wir uns wieder.«

Kaum dass sie außer Hörweite waren, flüsterte Vanessa: »Wie findest du ihn?«

Tim runzelte die Stirn. »Wen, Jeremy?«

»Du kannst ihn nicht ausstehen, nicht wahr?« Sie grinste.

Tim wich ihrem Blick aus. »Ich halte ihn für einen arroganten Arsch. Doch zumindest scheint er teamfähig zu sein. Das ist mehr, als zu erwarten war. Mal sehen, wie es mit ihm weitergeht.«

Sie nickte. »Hältst du ihn für einen guten Anführer?«

Tim wiegte den Kopf. »Heute ist unser erster Tag. Mal sehen, ob Jeremy weiter so zahm bleibt oder ob er irgendwann sein wahres Gesicht zeigt. Im Moment haben wir andere Sorgen.«

»Das ist keine Antwort.«

Er zuckte die Schultern. »Mehr kann ich dazu nicht sagen. Solange er der Einzige ist, der den Job machen will, stellt sich die Frage für mich nicht.«

»Und was ist mit dir?«

»Mit mir? Was meinst du damit?«

»Ich glaube, du könntest es besser.«

»Quatsch.« Tim fühlte sich geschmeichelt, versuchte aber, sich das nicht anmerken zu lassen. »Ich bin kein Anführer. Soll Jeremy es ruhig machen, wenn er sich so sehr danach sehnt. Ich will einfach nur das Spiel spielen.«

»Geht mir genauso«, sagte Vanessa. »Ich denke, das verbindet uns.«

Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Dieser Ort ist irgendwie bedrohlich, ich kann es nicht erklären. Ich wünschte, wir wären hier nicht so verdammt alleine.«

»Ziemlich gruselige Aussicht, hier die Nacht verbringen zu müssen«, sagte Tim. »Aber ich fürchte, da müssen wir durch. Wenn die Uhr im Display stimmt, dann haben wir noch etwa vier Stunden, ehe es dunkel wird. Nutzen wir die Zeit und erkundigen das Areal. Vielleicht haben wir ja Glück und finden irgendwo Wasser.«

WorldRunner (2). Die Gejagten

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