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a) Richtlinien- und Regelungskompetenz

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Nach § 91 Abs. 1 SGB V bilden die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpiBuKK) den Gemeinsamen Bundesausschuss. Das GKV-VStrG[10] hat die Besetzung und das Verfahren des G-BA wesentlich gestrafft. Der Einfluss des Gesundheitsministeriums und des Gesundheitsausschusses wurde gestärkt, gleichzeitig die Unabhängigkeit erhöht und die Beteiligung an den Verfahren erweitert. Der G-BA ist nach dem Gesetz rechtsfähig. Der G-BA ist weder Körperschaft des öffentlichen Rechts noch Anstalt des öffentlichen Rechts, sondern eine eigene körperschaftlich strukturierte rechtsfähige Einrichtung des öffentlichen Rechts.[11] § 91 SGB V, aufgabenbezogen aber auch § 92 SGB V, regeln die Zusammensetzung des G-BA je nach den speziellen Aufträgen im Vertragsarztrecht, im Krankenhausrecht, im Arzneimittelrecht. Dabei werden Beteiligungsrechte sowie der Kreis der beschließenden Gremien des G-BA jeweils unterschiedlich bestimmt. Nach § 91a SGB V[12] führt das Bundesministerium für Gesundheit die Aufsicht über den G-BA inklusive der Kontrolle über das Haushalts- und Rechnungswesen sowie des Vermögens.

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Das Aufgabenfeld des G-BA ist umfassend.

§ 92 Abs. 1 SGB V beauftragt den G-BA zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung, Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten zu verabschieden. Die für die vertragsärztliche Versorgung wesentlichen Richtlinienfelder sind durch das GKV-WSG erweitert in § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–15 SGB V aufgeführt. Unter dem Aspekt der Regelung der vertragsärztlichen Versorgung werden hiermit im Zusammenhang stehende Leistungsbereiche in die Richtlinienkompetenz einbezogen, nämlich ärztliche Behandlung, zahnärztliche Behandlung einschließlich Zahnersatz und kieferorthopädische Behandlung, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, ärztliche Betreuung bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, Krankenhausbehandlung, häusliche Krankenpflege und Soziotherapie sowie zur Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien, Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit, Verordnung von im Einzelfall gebotenen medizinischen Leistungen und die Beratung über die medizinischen, berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation, Bedarfsplanung, medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, Maßnahmen nach § 24a und b SGB V sowie die Kryokonservierung nach § 27a Abs. 4 SGB V und schließlich Richtlinien über die Verordnung von Maßnahmen nach den §§ 24a (Empfängnisverhütung) und 24b (Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation) SGB V, Krankentransporten, zur Qualitätssicherung, zur speziellen ambulanten Palliativversorgung und zu Schutzimpfungen.
Die Richtlinienziele werden jeweils in den Absätzen 1a bis 8 des § 92 SGB V unter Darstellung spezieller Beteiligungsverfahren konkretisiert. Der Gesetzgeber hat den Richtlinienauftrag des G-BA im Leistungsrecht selbst niedergelegt unter anderem in §§ 20i Abs. 1, 22 Abs. 5, 22a Abs. 2, 25 Abs. 4, 25a Abs. 2, 26 Abs. 2, 27a Abs. 5, 27b Abs. 2, 28 Abs. 3 S. 1, 29 Abs. 4, 32 Abs. 1a, 33 Abs. 1, 35a Abs. 3, 35b Abs. 3, 35c Abs. 2, 37 Abs. 6 und 7, 37a Abs. 2, 37b Abs. 3, 39 Abs. 1a, 56 Abs. 1, 60 Abs. 1, 62 Abs. 1, 63 Abs. 3c, SGB V. Die Befugnis umfasst auch die Einschränkung oder den Ausschluss von Leistungen sowie die ausnahmsweise Aufnahme grundsätzlich ausgeschlossener Leistungen (§§ 31 Abs. 1 S. 2, 33 Abs. 3 S. 2 SGB V).

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Tipp

Die aktuellen Veröffentlichungen des G-BA können im Anschluss an die Beschlussfassung, d.h. sogar noch vor der Genehmigung des Ministeriums, im Internet abgerufen werden unter www.g-ba.de.[13]

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Die allgemeine Richtlinienkompetenz des Gemeinsame Bundesausschusses wird durch spezielle gesetzliche Regelungskompetenzen ergänzt:

§ 101 SGB V: Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Aufgabe der Festlegung von Voraussetzungen und Verfahren der Bedarfsplanung.
§§ 135, 137 SGB V: Diese Normen erteilen dem G-BA Auftrag zur Qualitätssicherung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB V zur Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden werden durch § 135 SGB V konkretisiert und auf bereits vorhandene, bislang aber nicht überprüfte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erstreckt. Über § 135 Abs. 1 S. 2 SGB V können vorhandene Leistungen der vertragsärztlichen Versorgung überprüft und ggf. aus der Versorgung ausgeschlossen werden.
Nach § 137c SGB V hat der G-BA die Kompetenz, auf Antrag Überprüfungen von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden des Krankenhauses vorzunehmen, unabhängig davon, ob sie bereits Gegenstand der Krankenhausversorgung sind oder neu eingeführt werden sollen.
Nach § 136a–d SGB V beschließt der G-BA Maßnahmen zur umfassenden Qualitätssicherung in der vertragsärztlichen, vertragszahnärztlichen und Krankenhausversorgung. Der G-BA wird bei seiner Arbeit durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nach § 139a SGB V sowie dem Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) nach § 137a SGB V beraten.[14]

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Die Richtlinien des G-BA werden nach § 92 Abs. 8 SGB V Teil des Bundesmantelvertrags. Dieser wiederum ist nach § 82 Abs. 1 S. 2 SGB V unmittelbar wirksamer Teil der Gesamtverträge. Die unmittelbare Wirksamkeit der Richtlinien in der vertragsärztlichen Versorgung ergibt sich auch aus § 72 Abs. 2 SGB V. Der Gesetzgeber hat in § 91 Abs. 6 SGB V die Richtlinien des G-BA gegenüber Versicherten, Krankenkassen, ambulanten und stationären Leistungserbringern grundsätzlich für verbindlich erklärt.[15]

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Die Grenzen der Richtlinien und Maßnahmenkompetenz im Leistungsrecht bestimmen die allgemeine Auftragsnorm des § 92 SGB V sowie die speziellen Auftragsnormen des Leistungsrechts und des Rechts der Qualitätssicherung im Leistungserbringungsrecht.[16] Der Richtlinienauftrag soll dem Gebot der Wirtschaftlichkeit Geltung verschaffen. Gemeinsam mit dem IQWiG werden dabei der medizinische Nutzen und die Kosten von Methoden und Mitteln festgelegt. Die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses konkretisieren das Leistungsrecht. Grenzen hat die Rechtsprechung aber bei der Interpretation des Krankheitsbegriffs oder des Arzneimittelbegriffs gesetzt.[17] Der Leistungsanspruch des Versicherten wird durch die Maßnahmen und den Richtlinienrahmen eingegrenzt. Dabei darf der Anspruch des Versicherten auf notwendige und zweckmäßige Behandlung aber nicht eingeschränkt werden.[18]

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Dies ist in der allgemeinen und abstrakten Aussage sicherlich richtig. Problem ist aber, dass die umfassende Kompetenz zur Leistungskonkretisierung gerade auch die Zulassung und den Ausschluss von Leistungen bewirken kann. Die Entscheidungen des G-BA haben bezüglich des Anerkenntniserfordernisses neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und der Eingrenzung vorhandener Methoden auch Rationierungswirkung.[19]

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Die Richtlinienkompetenz des G-BA ist in der Gesetzesentwicklung von Reform zu Reform bis hin zum GKV-Modernisierungsgesetz v. 14.11.2003[20] immer weiter gestärkt worden. Der Versuch, den gemeinsamen Bundesausschuss als Organ der Selbstverwaltung zu schwächen und die Kompetenz stärker der Exekutive zuzuordnen, ist im Gesetzgebungsverfahren des GKV-WSG gescheitert. Nach dem GKV-VStrG wurde die Unabhängigkeit des G-BA gestärkt, gleichzeitig aber der Einfluss der Exekutive, d.h. des Gesundheitsministeriums vergrößert. Dieser Einfluss sollte durch verschiedene weitere Gesetze wie HHVG, TSVG und EIRD zu Lasten des G-BA extendiert werden. Gleichwohl kann weiterhin von einer zentralen korporativen „Superorganisation“ gesprochen werden.[21] Das Mandat des G-BA ist so umfassend und seine konkrete Gestaltungsmacht so groß, dass grundsätzliche Kritik hinsichtlich deren rechtsstaatlicher Legitimation laut wurde.[22] Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat im Dezember 2016 diese Kritik zum Anlass genommen, drei unabhängig voneinander zu erstellende Rechtsgutachten zur Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation des G-BA zum Erlass von Richtlinien und anderen normativen Entscheidungen in Auftrag zu geben.[23] Selbst angesichts der gesetzlichen Verbindlichkeitsweisung für Richtlinien des G-BA in § 91 Abs. 6 SGB V ist diese Kritik nicht verhallt.

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Die Macht des G-BA zur Definition der Teilhaberrechte der gesetzlich Krankenversicherten und der Leistungsrechte und Pflichten der zugelassenen Leistungserbringer betreffen unmittelbar die Grundrechte nach Art. 1 und 2 GG sowie das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Nach kritischen Auffassungen ist der G-BA weder demokratisch legitimiert noch auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage bzw. Ermächtigung handelnd. Beschlüsse und Richtlinien greifen durch Leistungseinschränkungen gegenüber den Versicherten, durch erhöhte Anforderung an Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung und durch Eingriffe in die Zulassungsfreiheit teilweise massiv in geschützte Grundrechtspositionen dieser Adressaten ein.[24] Die Entscheidungen bedürften der verfassungsrechtlichen Legitimation. Ob diese gegeben ist, mag zweifelhaft sein und steht im Zentrum rechtlicher Auseinandersetzung. Hintergrund waren die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.11.2015 (1 BvR 2056/12)[25] und 6.10.2016 (1 BvR 292/16.)[26] enthaltenen Hinweise, die Anlass zu einer rechtswissenschaftlichen Analyse der verschiedenen gesetzlichen Grundlagen zu den Regelungsaufträgen des G-BA gegeben haben.[27] Das BVerfG war im Nikolaus-Beschluss[28] noch den Fragen ausgewichen.[29]

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