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cc) Compassionate use

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Arzneimittel, die bei seltenen lebensbedrohenden oder schwerwiegenden Erkrankungen eingesetzt werden, nennt man orphan drugs.[88]

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Soweit Zulassungsanträge gestellt sind, können bei schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankungen Arzneimittel auch schon während des Zulassungsverfahrens eingesetzt werden. Man spricht von „compassionate use“.[89] Nach europarechtlichen Vorgaben (Verordnung EG Nr. 141/2000 und EG Nr. 726/2004) wurde mit dem 14. Änderungsgesetz zum Arzneimittelgesetz (AMG) der compassionate use in das nationale Arzneimittelrecht aufgenommen und durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 modifiziert. Über § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG wird ein compassionate-use-Programm ermöglicht, um unter engen Voraussetzungen den Einsatz noch nicht zugelassener Arzneimittel zuzulassen.[90]

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Mit Wirkung zum 22. Juli 2010 ist die Verordnung über das Inverkehrbringen von Arzneimitteln ohne Genehmigung oder ohne Zulassung in Härtefällen (Arzneimittel-Härtefall-Verordnung; AMHV) in Kraft getreten.[91] Durch die Verordnung ist das Verfahren zur Anzeige eines Arzneimittel-Härtefallprogramms durch die Bundesoberbehörden eingeführt und geregelt worden. BfArM und PEI sind damit für Härtefallprogramme im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach § 77 AMG die zuständigen Bundesoberbehörden. Die AMHV gilt nur für Arzneimittel-Härtefallprogramme, d.h. Programme, die zur Behandlung von Gruppen von Patienten intendiert sind, § 2 Abs. 2 AMHV. Die Behandlung eines individuellen Einzelfalls ist nicht Gegenstand der Arzneimittel-Härtefall-Verordnung und des damit verbundenen Anzeigeverfahrens bei den Bundesoberbehörden.[92] In einem vereinfachten Verfahren sollen nicht zugelassene Arzneimittel bei seltenen und seltensten Erkrankungen gemäß der erstellten Verordnung zum Einsatz freigegeben werden. Diese Arzneimittel dürfen dann auch in der gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzt werden. Die arzneimittelrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben entsprechen den Grundsätzen der Rechtsprechung des BVerfG v. 6.12.2005[93] und des BSG vom 4.4.2006.[94] Das Urteil des BSG,[95] welches nachdrücklich nur den Einsatz qualitativ kontrollierter Arzneimittel verlangt, wird zwar im Ergebnis bestätigt, das bisherige förmliche Zulassungsverfahren wurde für derartige Substanzen aber abgeschafft. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber in der 15. AMG-Novelle[96] den Einsatz auf die kostenfreie Abgabe dieser Arzneimittel beschränkt, um der Umgehung von Zulassungsgeboten zu begegnen.

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Tipp

Es wird empfohlen, wenn es um den Einsatz nicht zugelassener Arzneimittel im weiten Sinne geht, im Einzelfall die Indikationslisten „Off-Label-Use“ nach § 35b Abs. 3 SGB V und die zu erwartenden Listen für die compassionate use nach § 21 Abs. 2 AMG und Richtlinien nach § 35c SGB V heranzuziehen und bei individuellem Einsatz von orphan drugs den Empfehlungen des BfArM zu folgen. Auf die sich dynamisch entwickelnde Einzelfallrechtsprechung sei verwiesen.

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