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III. Das SGB V und die Gesundheitsreformen

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Die heutige Struktur des Vertragsarztrechtes wurde durch das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20.12.1988,[8] mit dem die gesetzliche Krankenversicherung aus der RVO ausgegliedert und das SGB V geschaffen wurde, angelegt. Mit diesem Gesetz wurde inhaltlich der „Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Versorgung“ in allen Bereichen in den Vordergrund gestellt.

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Es folgte das Gesundheitsstrukturgesetz,[9] mit dem die Ersatzkassen vollständig in das System eingegliedert und den Regionalkassen gleichgestellt wurden. Der „Kassenarzt“ wurde durch den „Vertragsarzt“ ersetzt.[10] Die Versicherten erhielten erstmals die Möglichkeit, ihre Krankenkasse selbst auszuwählen. Das machte es notwendig, dadurch eintretende Wettbewerbsverzerrungen durch einen Risikostrukturausgleich abzumildern. Ferner wurden die Grundlagen einer Budgetierung der Ausgaben geschaffen.

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Mit dem Psychotherapeutengesetz (PTG)[11] wurde zum 1.1.1999 das Berufsrecht der Psychotherapeuten kodifiziert. Approbierte Psychotherapeuten konnten erstmals die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung beantragen.

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Nach verschiedentlichen Versuchen, die Finanzierungsgrundlagen der GKV dauerhaft zu stabilisieren und einen Anstieg der Versicherungsbeiträge zu verhindern, sollte zum Jahr 2000 das GKV-Reformgesetz (GRG)[12] die Probleme durch eine umfassende Reform lösen.

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Das GRG brachte einige dauerhafte Neuerungen. Für die kollektivvertraglich zu vereinbarenden Gesamtvergütungen wurde eine jährlich festzustellende Veränderungsrate als Obergrenze eingeführt. Die hausärztliche Versorgung wurde ausgebaut und von der fachärztlichen Versorgung getrennt. Die Vorgaben für die Qualitätssicherung wurden ausgedehnt und das Instrument der integrierten Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) erstmals eingeführt.

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Auf diese Reform folgten 2001 die Reform des Risikostrukturausgleichs (RSA)[13] und das Gesetz zur Einführung des Wohnortprinzips im Einzugsbereich der GKV.[14] Im Krankenhausbereich wurden die diagnose-orientierten Fallpauschalen eingeführt.[15]

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Strukturelle Änderungen enthielt dann wieder das GMG,[16] welches zum 1.1.2004 in Kraft trat. Die derzeit geltende Rechtslage beruht noch in vielen Bereichen maßgeblich auf dem GMG. Das GMG hat erstmals eine Patientenbeteiligung in verschiedenen Selbstverwaltungsgremien im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zur Pflicht gemacht. Die gesamte Organisation der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen wurde einer Neuordnung unterzogen. Die Patienten mussten eine Praxisgebühr bei erstmaliger Inanspruchnahme eines Arztes zahlen. Die Versorgungsstrukturen wurden durch die Weiterentwicklung der integrierten Versorgung und Einführung einer hausarztzentrierten Versorgung reformiert. Ergänzend dazu wurde das Medizinische Versorgungszentrum als neuer Zulassungsstatus geschaffen. Im Bereich des Vergütungsrechts wurden die Aufgaben des Bewertungsausschusses ausgeweitet, um einheitliche Vorgaben für die Gesamtvergütungsvereinbarungen und die Honorarverteilung zu schaffen. Neben Neuordnungen bei der Arznei- und Hilfsmittelversorgung wurden im Zahnersatzbereich Festzuschüsse nach §§ 55 ff. SGB V eingeführt.

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Verschiedene Gesetze hatten in erster Linie eine Dämpfung der Arzneimittelausgaben zum Ziel, so z.B. das AABG.[17] Mit dem AABG[18] wurde § 84 SGB V grundlegend umgestaltet. Es folgte das AVWG,[19] mit dem die Festbeträge für Arzneimittel abgesenkt wurden. Für die Vertragsärzteschaft wurde eine Bonus-Malus-Regelung hinsichtlich der verordneten Arzneimittel eingeführt (§ 84 Abs. 7a SGB V), mit der die Ärzte zur Verordnung preisgünstiger Arzneimittel veranlasst werden sollten.

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In Folge der Einführung der neuen Versorgungsformen und insbesondere des Medizinischen Versorgungszentrums durch das GMG zeigte sich die Notwendigkeit, das ärztliche Berufsrecht durch Liberalisierung wettbewerbsfähig zu machen und an die geänderten Strukturen des Vertragsarztrechts anzupassen.[20] Der 107. Deutsche Ärztetag in Bremen ist dem im Jahre 2004 gefolgt und hat eine erheblich überarbeitete Musterberufsordnung verabschiedet. Der Gesetzgeber folgte diesen Tendenzen durch das VÄndG,[21] mit dem mit Wirkung zum 1.1.2007 einige, durch die Einführung der Medizinischen Versorgungszentren aufgetretene Fragen gesetzlich klargestellt wurden. Ferner wurden die zulassungsrechtlichen Möglichkeiten um die Gründung örtlicher und überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaften einschließlich der Errichtung von Teil- und Zweigpraxen erweitert. Es wurde Vertragsärzten erstmals erlaubt, Ärzte anzustellen. Die Altersgrenze für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung bis zum 55. Lebensjahr wurde, neben anderen Maßnahmen zur Behebung möglicher Unterversorgung, abgeschafft.

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Parallel zu dem im Laufe des Jahres 2006 entworfenen VÄndG[22] wurde eine neuerliche große Gesundheitsreform vorbereitet, die mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG[23] in tiefgreifender Weise umgesetzt wurde.

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Das GKV-WSG brachte eine umfassende Umgestaltung der Finanzierungsstrukturen der gesetzlichen Krankenversicherung, die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf alle Einwohner unter Einbeziehung der privaten Krankenversicherung und eine Intensivierung des Wettbewerbs auf Seiten der Leistungserbringer durch Direktverträge mit den Krankenkassen. Neben der Schaffung eines umfassenden Gesundheitsfonds auf der Einnahmenseite der gesetzlichen Krankenkassen wurde auf der Ausgabenseite das ambulante ärztliche Vergütungssystem erheblich verändert. Auch erfolgte eine Straffung der Strukturen der Krankenkassenverbände sowie eine Reformierung des Gemeinsamen Bundesausschusses und des Bewertungsausschusses. Für Zahnärzte wurden die Zulassungssperren abgeschafft.[24]

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Reformkorrekturen und weitere Veränderungen der Organisationsstrukturen der Krankenkassen, insbesondere deren Insolvenzfähigkeit, wurden mit dem GKV-OrgWG[25] ab dem 1.1.2009 in Kraft gesetzt.[26] Von Bedeutung für die Vertragsärzte war die Aufhebung der zulassungsrechtlichen 68-Jahre-Grenze. Wichtige Änderungen im Vertragsarztrecht enthielten noch das PflegeWEG,[27] das KHRG[28] und zuletzt das AMRuaÄndG.[29] Hierauf folgte dann das AMNOG.[30] Dieses sah erhebliche Änderungen im Arzneimittelrecht vor, indem der G-BA[31] seither verpflichtet ist eine Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen und eine Kosten-Nutzen-Bewertung für Bestandsarzneimittel in der GKV vorzunehmen. Für Vertragsärzte fielen die Bonus-Malus-Regelungen wieder weg. Die Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Arzneimittelverordnungen wurden um die Möglichkeit der Prüfung der Wirkstoffauswahl erweitert. Parallel dazu beschloss der Bundestag mit dem GKV-FinG ein weiteres Ausgabenbegrenzungsgesetz für alle Leistungssektoren.[32]

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Ein Jahr später glaubte der Gesetzgeber auf die demographische Entwicklung der Bevölkerung[33] reagieren zu müssen und ordnete mit dem GKV-VStG[34] mit Wirkung zum 1.1.2012 die Neuordnung der Bedarfsplanung an. Dies führte auch zur Notwendigkeit praktisch bedeutsamer Änderungen des Zulassungsrechts. Unabhängig davon wurde auch die, mit dem GKV-WSG vorgenommene Honorarreform in weiten Teilen wieder zurückgenommen. Zusätzlich wurde der dritte Versuch unternommen, mittels § 116b SGB V eine ambulante spezialfachärztliche Versorgung zu etablieren.

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Weitere Änderungen des SGB V mit Auswirkungen auf das Vertragsarztrecht enthalten u.a. das PNG[35], das „Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“[36] (Klarstellung des Grundsatzes „Beratung vor Regress“ in § 106 Abs. 5e SGB V), das PsychEntG[37], das „Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetz“[38] und das PatientenrechteG[39]. Das KFRG[40] verpflichtet Krankenkassen gem. § 25a SGB V zum Angebot organisierter Krebsfrüherkennungsprogramme und den G-BA, binnen drei Jahren Durchführungs-RL auszuarbeiten. Die Bundesländer werden durch § 65c SGB V verpflichtet, klinische Krebsregister einzurichten, in denen die Daten über onkologische Erkrankungen, deren Verlauf und Therapie zentral zusammengefasst werden sollen.

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Zum 1.4.2014 trat das 14. SGB V-ÄndG[41] in Kraft, das eine Verlängerung der Arzneimittelfestbetragsregelungen anordnet, die Arzneimittel des Bestandsmarktes wieder aus der obligatorischen Nutzenbewertung durch den G-BA befreit und die, für die Verträge der hausarztzentrierten Versorgung als störend empfundene Koppelung der Honorarentwicklung an den Grundsatz der Beitragssatzstabilität aufhebt. Es wurde sogleich das GKV-FQWG nachgeschoben, das eine Veränderung der Finanzstruktur der GKV durch Änderung der paritätisch finanzierten Beitragssätze zum 1.1.2015 vorsieht, ferner den G-BA verpflichtet, ein weiteres wissenschaftliches Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen zu gründen.[42]

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Im Jahr 2015 folgte das „Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG)“[43], mit dem u.a. den Versicherten das Recht auf eine Zweitmeinung bei bestimmten Indikationen eingeräumt, die Wartezeiten bei Fachärzten verkürzt, fachgleiche MVZ zugelassen, innovative Versorgungsformen gefördert, ein Verfahren zur Bewertung neuer Methoden, bei denen Medizinprodukte angewandt werden sollen, eingeführt und die Vorgaben für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen regionalisiert wurden. Das zum 8.12.2015 in Kraft getretene Hospiz- und Palliativgesetz (HPG)[44] führte Hospizleistungen und die Palliativversorgung als Ansprüche der Versicherten der GKV ein und definierte entsprechende vertragsärztliche Leistungen. Das am 1.1.2016 in Kraft getretene Krankenhausstrukturgesetz – KHSG[45] unterzog, auch mit Auswirkung für das Vertragsarztrecht, die in §§ 135 ff. SGB V geregelte Qualitätssicherung einer umfangreichen Revision.

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Eine damals von vielen unterschätzte Bedeutung hatte das eHealth-Gesetz[46], weil damit die elektronische Gesundheitskarte und der elektronische Arztausweis als Voraussetzung der Übermittlung verschlüsselter Daten auf elektronischem Wege eingeführt wurden. Damit wurde der Grundstein für die elektronische Patientenakte einschließlich elektronischen Rezepten gelegt. Die damit einhergehenden Verpflichtungen aller Leistungserbringer zum Anschluss an die bis dahin aufzubauende Telematikinfrastruktur ab dem 1.7.2019 wurde von den Vertragsärzten erst spät wahrgenommen. Folgeregelungen für den weiteren Ausbau der Telematikinfrastruktur enthalten das „Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG“[47] und das „Digitale-Versorgung-Gesetz – DVD“.[48]

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Eine Erweiterung der staatlichen Kontrollrechte mit Beschneidung der Rechte der Selbstverwaltungskörperschaften brachte das „mehr Transparenz einfordernde“ GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz.[49]

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Aus dem Jahre 2017 sind noch zu erwähnen das „Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG“[50], das den Bezug von Hilfsmitteln nur noch bei zertifizierten Herstellern mit weitgehenden Folgen für die Hilfsmittelversorgung erlaubt, ferner die Versorgung häuslicher Krankenpflege um den Bezug von Intensivpflege erweitert (§ 132a Abs. 2–4 SGB V) und das das „GKV-Arzneimittelversorgungstärkungsgesetz“ (AMVSG) mit tiefgreifenden Änderungen im 7. Abschnitt des 4. Kap. SGB V.[51] Das 2. Halbjahr 2017 und das Jahr 2018 verschonten das SGB V mit größeren Reformvorhaben, waren aber gekennzeichnet durch zahlreiche kleinere Eingriffe, meist im Zusammenhang mit Reformen und Änderungen anderer Sozialversicherungszweige.

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Gleichzeitig begann die Diskussion um die Einführung des TSVG, das mit zahlreichen Modifizierungen am 11.5.2019 in Kraft trat. Damit wurden u.a. die Verpflichtungen der Vertragsärzte zur Abhaltung von Sprechstunden ausgeweitet, Terminservicestellen eingerichtet, zahlreiche Maßnahmen zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung in der Bedarfsplanung, durch Vergütungszuschläge und Strukturfonds eingeführt und die Beschränkungen bei der Gründung zahnärztlicher MVZ eingeführt. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz DVG[52] folgte dann der weitere Ausbau der Telematik. Sogenannte Gesundheits-Apps, legal als „digitale Gesundheitsanwendungen“ definiert, werden zu Leistungen der vertragsärztlichen Versorgung, wenn das BfArM sie auf Antrag des Herstellers nach § 139e SGB V in das Verzeichnis der erstattungsfähigen Gesundheitsanwendungen aufnimmt.[53] Die KBV wird zum Erlass einer Richtlinie über die Anforderungen an die Gewährleistung der IT-Sicherheit verpflichtet. Eingeführt werden elektronische Arznei- und Heilmittelrezepte. Eine Verpflichtung von KBV und Spitzenverband Bund, die für die Verwendung elektronischer Rezepte notwendigen Regelungen in den Bundesmantelvertrag aufzunehmen, wurde neben anderen arzneimittelbezogenen Regelungen im GSAV[54] nachgeschoben. Ferner werden die Krankenkassen zum Abschluss von Verträgen mit Hämophiliezentren verpflichtet (§ 132i SGB V).

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Gleichzeitig mit dem DVG verabschiedete der Bundestag auch das MDK-Reformgesetz,[55] mit dem die Medizinischen Dienste der Krankenkassen zu unabhängigen Organisationen ausgestaltet werden. Auch wird das Abrechnungsverfahren zwischen Kliniken und Krankenkassen reformiert. Als sog. „Omnibusgesetz“ beinhaltet das MDK-Reformgesetz auch kleinere Änderungen im Vertragsarztrecht. Das am 10.2.2020 folgende Masernschutzgesetz baut die Versorgung mit Schutzimpfungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Dem folgte schon am 22.3.2020 das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz,[56] das durch Neustrukturierung des Risikostrukturausgleichs und Änderungen im Organisationsrecht der Krankenkassen Wettbewerbsverzerrungen der Kassen untereinander abstellen soll. Die durch die Fortschreitung der Digitalisierung im Gesundheitswesen aufgeworfenen Fragen in Bezug auf IT-Sicherheit, die elektronische Patientenakte, elektronische Rezepte und damit zusammenhängende Themen wurden mittels des „Patienten-Daten-Schutzgesetzes“ (PDSG) in einem neuen 11. Kapitel des SGB V geregelt, siehe dazu auch Garbe Kap. 24 Rn. 103.[57]

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