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Kap. 1 Einleitung

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Finanzmarktaktivitäten unterliegen einer aufsichtsrechtlichen Regulierung. In den Jahren seit Ausbruch der Finanzkrise ist immer wieder gefordert worden, dieses Aufsichtsrecht müsse auf Basis eines „funktionalen“ Verständnisses weiter entwickelt werden. Die Regulierung müsse z.B. dem Umstand Rechnung tragen, dass liquide Finanzmärkte für Unternehmen ähnliche Funktionen wie Banken in Hinblick auf Anlagemöglichkeiten und Liquiditätsbeschaffung erfüllen. Finanzinstrumente könnten eingesetzt werden, um Kapital zu beschaffen, aber auch, um Risiken zu transferieren oder um einen wirtschaftlichen Einfluss zu erwerben. Es genüge also nicht, wenn die Regulierung an formalen Kategorisierungen festhalte, ohne die Funktionen zu berücksichtigen, die Unternehmen und Transaktionen im jeweiligen Zusammenhang am Markt erfüllen.1

Das bestehende Aufsichtsrecht folgt bisher keiner – wie auch immer ausgestalteten – „funktionalen“ Systematik. Es enthält einerseits Regelungen für Banken, Versicherungsunternehmen und die Anbieter gemeinsamer Anlagen (Investmentfonds) usw. (institutsbezogener Ansatz) und andererseits Vorgaben für den Wertpapierhandel und andere Geld- und Kapitalmarktaktivitäten (marktbezogener Ansatz). Damit kommt es z.B. für das Eingreifen der bankaufsichtsrechtlichen Regelungen darauf an, ob ein Marktteilnehmer eine Zulassung als Bank benötigt bzw. besitzt. Eine Tätigkeit, die nicht rechtlich, sondern ausschließlich wirtschaftlich als Bankgeschäft zu qualifizieren ist, löst eine solche Zulassungspflicht nicht aus. Dass wirtschaftlich wie Banken regulierte Marktteilnehmer möglichst gleich reguliert werden, wird zwar angestrebt, dies aber nur im hergebrachten gesetzlichen Rahmen. Ähnlich ist der Befund, soweit die Regulierung direkt an Transaktionen mit Finanzinstrumenten ansetzt. So unterliegen Aktien und Anleihen völlig unterschiedlichen kapitalmarktrechtlichen Vorgaben, obwohl Emittenten sie alternativ zur Refinanzierung einsetzen können. Auch die Vorgaben in Bezug auf Derivatkontrakte einerseits und Wertpapierleih- bzw. Repogeschäfte andererseits unterscheiden sich, obwohl die jeweiligen Transaktionen teilweise zu ähnlichen Zwecken genutzt werden können.

Kritisiert wird, dass die soeben angesprochene Trennung von aufsichtsrechtlichen Regelungsbereichen dazu beiträgt, dass das Aufsichtsrecht mit der Marktentwicklung nicht immer ausreichend Schritt hält.2 Diese Marktentwicklung hat in der Vergangenheit immer wieder in Finanz- und Wirtschaftskrisen hineingeführt. Mit Blick auf das Thema dieser Arbeit ist durchaus bemerkenswert, dass in vielen der angesprochenen Fälle (massenhafte) Transaktionen mit Finanzinstrumenten zu Spekulationsblasen und anschließenden Krisen beigetragen haben. Beispiele für relevante Finanzinstrumente sind: Aktien und Immobilienpfandbriefe während des Gründerkrachs (1873), Aktien im New Yorker Börsenkrach (1929) und Hypothekenverbriefungen (ABS/MBS) und Derivate in der jüngsten Finanzkrise (2007–2012). Während diese Arbeit geschrieben wurde, wurden neue Risiken an den Anleihenmärkten und den Märkten für in Investmentfonds verbrieften Vermögenswerten diskutiert. Demgegenüber war die niederländische Tulpenmanie (1637) nicht durch Geschäfte mit Finanzinstrumenten, sondern durch die Spekulation mit Tulpenzwiebeln ausgelöst worden. Dies stellt die Beobachtung, dass Finanzinstrumente vergangene Krisen mit ausgelöst haben, zwar nicht infrage. Es zeigt aber, dass offenbar beliebige Wertträger zu Finanzkrisen beitragen können und Finanzinstrumente nur einen möglichen Anknüpfungspunkt für die Untersuchung bilden. Zentral ist vielmehr, wie aufsichtsrechtlich mit dem Risiko umzugehen ist, das mit den betreffenden Transaktionen verbunden ist und sich im Rahmen einer Krise realisiert.

Das Aufsichtsrecht kann die zu einer Krise beitragenden Risiken zwar dann relativ gut erfassen, wenn sich die Transaktionen, in denen sich die Risiken zeigen, in bestehende Kategorien einordnen lassen. Das ist aber nicht immer der Fall. Zum Teil versuchen die Marktteilnehmer sogar, eine regulatorische Erfassung zu vermeiden und die bestehende Regulierung mittels innovativer Finanzinstrumente (oder anderer Finanzinnovationen) gezielt zu umgehen.3 Auch aktuell gibt es verschiedenerlei Marktaktivitäten, die sich in die bestehenden aufsichtsrechtlichen Kategorien nur mit Schwierigkeiten einordnen lassen. Diese Entwicklung ist eine Folge der starken Regulierung von Bankgeschäften seit der Finanzkrise, die Bankgeschäfte verteuert und Anleger von Banken zu anderen Vermögensverwaltern treibt, und der Niedrigzinsperiode in der Europäischen Union (EU) und den USA, in der Versicherungen, Investmentfonds usw. nach neuartigen und gewinnbringenden Anlagen suchen. Mit solchen aufsichtsrechtlich unvollständig erfassten Aktivitäten sind für die Marktteilnehmer häufig Gewinnchancen verbunden.4 Den Gewinnchancen entsprechen allerdings Verlustrisiken. Diese Verlustrisiken treffen nicht in jedem Fall nur die an einer Transaktion beteiligten Marktteilnehmer. Sie können sich auch zum Nachteil anderer Marktteilnehmer realisieren; insbesondere solchen, die dem Risiko ausgesetzt sind, dass ein Transaktionsbeteiligter ausfällt. Ein risikobezogener Ansatz im Aufsichtsrecht muss also darauf ausgerichtet sein, den zuständigen Behörden entweder ein frühes Eingreifen zu ermöglichen oder zumindest die nachteiligen Folgen eines Nichteingreifens zu minimieren.

Der aufsichtsrechtlich relevante Sachverhalt wird zusätzlich dadurch verkompliziert, dass das Finanzmarktgeschehen und die staatliche Geldpolitik wechselseitig beeinflussen können. Zum einen ist das dort der Fall, wo Finanzinstrumente geldpolitische Risiken abbilden (z.B. Derivate mit Kryptowährungen als Referenzwert).5 Zum anderen kann die Geldpolitik, die von den Marktteilnehmern im Finanzmarktgeschehen zugrunde gelegt wird, sich in einer Weise verändern, die neue Risiken entstehen lässt und Marktkorrekturen erforderlich werden. Dieser Gesichtspunkt war lange Zeit nur von begrenzter Bedeutung, da die Notenbanken das Ziel der Geldwertstabilität verfolgten. Seine Bedeutung nimmt zu, da globale Währungskonflikte immer mehr in den Bereich des Möglichen rücken. Dennoch handelt es sich bei der Geldpolitik als solcher um keine aufsichtsrechtliche Materie.

Die hier vorgestellte Arbeit ist aus der Perspektive des deutschen Rechts geschrieben. Sie geht davon aus, dass es sich beim Aufsichtsrecht um ein besonderes Ordnungsrecht handelt, das – wie auch das Ordnungsrecht allgemein – der Gefahrenvorsorge und -abwehr dient.6 Die aufsichtsrechtliche Gefahrenabwehr ist darauf ausgerichtet, Risiken an den Finanzmärkten entgegenzuwirken, sofern es dadurch zu einer Gefährdung von aufsichtsrechtlichen Schutzgütern kommen kann. Zunächst sollen die allgemeinen Regulierungsprinzipien herauszuarbeitet werden, die in Hinblick auf den Einsatz von Finanzinstrumenten und die damit verbundenen Risiken einschlägig sind, bevor ein Regulierungsansatz speziell für das Neuaufkommen weiterer, innovativer Finanzinstrumente entwickelt wird.

Dabei ist mit Blick auf die verwendete Begrifflichkeit hervorzuheben, dass diese Arbeit zwar aus der Perspektive des deutschen Ordnungsrechts geschrieben ist, dabei aber einen nach Möglichkeit problemorientierten Ansatz verfolgt. Deshalb nutzt sie, soweit das möglich ist, vereinfachende Begriffe mit einheitlichem Bedeutungsgehalt (z.B. „Bank“) und geht auf begriffliche Differenzierungen (siehe z.B. die spezielle Begrifflichkeit in § 1 KWG und 12 U.S.C. § 24 [Seventh]) nur dort ein, wo dies für die ordnungsrechtliche Beurteilung des behandelten Problems notwendig ist (im selben Beispiel: bei der Erörterung der Zulassungsvoraussetzungen nach §§ 32ff. KWG bzw. nach U.S.-Recht). Dieses Vorgehen bedeutet auch, dass international gebräuchliche Begriffe (z.B. Rückkaufvereinbarung/repurchase agreement) anstelle von Begriffen, die nur im Kontext des nationalen Rechts verständlich sind (im Beispiel: Pensionsgeschäft; vgl. § 340b HGB), bevorzugt werden.

Im Folgenden soll also zunächst knapp und in allgemeiner Form herausgearbeitet werden, welche Risiken mit Finanztransaktionen verbunden sind und wann solche Risiken sich zum Nachteil von nicht an der Transaktion beteiligten Marktteilnehmern auswirken können (Kap. 2). Darauf werden die an den Finanzmärkten bisher verwendeten Finanzinstrumente und ihre Risikostruktur beschrieben (Kap. 3). Dies ist eine Basis für die Untersuchung der Frage, in welchen Fällen der Einsatz von Finanzinstrumenten einen aufsichtsrechtlichen Regelungsbedarf auslösen kann (Kap. 4). Im nächsten Schritt wird dargestellt, welche aufsichtsrechtlichen Regelungen zurzeit schon bestehen (Kap. 5) und inwiefern die Selbstregulierung der Marktteilnehmer ein aufsichtsrechtliches Eingreifen verzichtbar macht (Kap. 6). Darauf aufbauend sollen die Grundsätze für einen funktionellen Regulierungsansatz herausgearbeitet werden, speziell soweit sich daraus Prinzipien für den Umgang mit innovativen Finanzinstrumenten ergeben (Kap. 7). Ein kurzes Fazit schließt die Arbeit ab (Kap. 8).

1 Siehe z.B. Armour u.a., Principles of Financial Regulation, 1. Aufl. 2016; Patz, Staatliche Aufsicht über Finanzinstrumente, 1. Aufl. 2016; in der Sache auch: Schwarcz, Regulating Shadow Banking, 31 Rev. Banking & Fin. L. 619ff. (2011/2012). Zum Teil wird auch eine marktbezogene Regulierung allerdings bereits als „funktionell“ angesehen; so etwa von Ghouri, The Law and Regulation of OTC Derivatives: An Anglo-American Comparison and Lessons for Developing Countries, 1 Nordic J. Com.L. 1, 22f. (2010). 2 Siehe z.B. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Sachverständigenrat Wirtschaft), Jahresgutachten 2008/09, Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken, veröffentlicht: 12. November 2008, Tz. 264f. 3 Aufsichtsrechtlich spricht man auch von „Schattenbankgeschäften“; dazu siehe näher unten Kap. 7.E.II (S. 1012). 4 Solche Gewinnchancen können sich z.B. schon daraus ergeben, dass die betreffenden Marktteilnehmer ein Geschäft zu geringeren Kosten durchführen können, als wenn sie unter eine bestimmte Regulierung fielen. Ein Beispiel ist die Tätigkeit von Kreditfonds, also von Investmentfonds, die geringeren Eigenmittelvorgaben als eine Bank unterliegen und aus dem Fondsvermögen – ähnlich einer Bank – Kredite vergeben. Dazu siehe z.B. Enders, ZfgK 2016, 1220ff.; Hanten/von Tiling, WM 2015, 2122; von Einem/Schlote, WM 2015, 1925. 5 Siehe hierzu noch unten Kap. 7.F und Kap. 8 (S. 1117 und 1033). 6 Vgl. Gramlich in: R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 1, 1. Aufl. 1995, S. 467f. („gewerbepolizeilicher Ursprung der Bankenaufsicht“); Pielow in: ders., Gewerbeordnung, 2. Aufl. 2016, Einl. Rz. 8 (Bank- und Versicherungsrecht als „gewerberechtliche Schwerpunkteregelungen“). Zum Charakter des Gewerberechts als besonderes Ordnungsrecht siehe nur BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1976, 2 BvL 5/73, BVerfGE 41, 344 (355).

Die Regulierung innovativer Finanzinstrumente

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