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Kognitive Implikationen

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Jetzt, wo wir wissen, auf welche Weise die Neandertaler jagten und sammelten, können wir beginnen, uns mit dem Denken der Neandertaler zu beschäftigen. Wie haben sie ihr Wirtschaften organisiert? Wie schmiedeten sie Pläne? Wie fanden sie sich zurecht? Was und wie dachten sie über Tiere? Natürlich lassen sich Gedanken nicht überliefern, zumindest wenn es keine Schrift gibt oder eine andere Möglichkeit, Gedachtes festzuhalten. Daher ist alles, was wir hier über die Kognition der Neandertaler schreiben, das Ergebnis von Rückschlüssen und Inferenzen. Die Beweise, die wir vorgestellt haben, sind echt. Die archäologischen Strukturen und anatomischen Merkmale, die wir beschrieben haben, sind kein Produkt unserer Fantasie, sie sind tatsächliche Anhaltspunkte, die aus einer dunklen, weit zurückliegenden Vergangenheit überlebt haben. Unsere Aufgabe ist es, diese Hinweise zu einem Bild des geistigen Lebens der Neandertaler zu verdichten, mittels der Erkenntnisse der modernen Psychologie und Anthropologie. Dabei folgen wir ein paar allgemeinen Richtlinien.

Erstens können wir, weil die Neandertaler genetisch und zeitlich von allen Hominiden uns modernen Menschen am nächsten sind, davon ausgehen, dass die Ähnlichkeiten zwischen uns die Unterschiede bei Weitem überwiegen. Die Ausgangsbasis, die Nullhypothese, wenn man so will, ist dabei, dass Neandertaler und moderne Menschen sich auf kognitiver Ebene nicht unterschieden. Zweitens werden wir versuchen, uns nicht allzu weit vom archäologisch oder anatomisch Beweisbaren zu entfernen. Obgleich es auch aufschlussreich sein kann, zu versuchen, die spärlichen Befunde zu den Neandertalern mit detaillierten Szenarien auszumalen (siehe z.B. den Nebel im Falle von La Cotte), können wir ein solches Szenario nicht als tatsächlichen Beweis für die Kognition der Neandertaler verwenden. Drittens legen wir unseren Darstellungen ein etabliertes Verständnis der Kognition zugrunde, das aus der Psychologie und der Anthropologie abgeleitet ist. Wir werden versuchen, allgemeine Bezeichnungen wie Intelligenz und Kultiviertheit zu vermeiden, zugunsten besser definierbarer Begrifflichkeiten. Viertens werden wir unserer Fantasie nicht allzu freien Lauf lassen – eine ganz reale Versuchung, wenn es um Neandertaler geht. Allerdings können wir die Fantasie auch nicht ganz abstellen. Es wäre auch viel zu einfach, sich hinter einer stumpfen Wiedergabe von Fakten zu verstecken, um die unvermeidliche Kritik zu umgehen, der sich jeder aussetzt, der ein kognitives Profil bestimmter Personen zu präsentieren versucht. Wir werden gelegentlich auf Gedankenexperimente zurückgreifen, eine altehrwürdige Technik, bei der ein Wissenschaftler imaginäre Szenarien aufbaut, die dabei helfen, das Zusammenwirken komplexer Faktoren zu erklären. Unser La-Cotte-Szenario ist ein solches Gedankenexperiment auf der Basis archäologischer Beweise, ausgeschmückt durch uns bekannte allgemeine Fakten über Elefanten und über Jäger und Sammler. Wenn wir Neandertaler mit modernen Menschen vergleichen, verwenden wir dabei eine ganze Menge Beispiele, von Jägern und Sammlern der heutigen Zeit bis zurück zur Eiszeit in Europa vor 25.000 Jahren. Wir wollen archäologische Beispiele vermeiden, deren Urheberschaft oder Status unsicher oder umstritten ist. Unsere Neandertaler-Beispiele stammen ebenfalls aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Orten. Unser Ziel ist es, die Kognition der Neandertaler so gut, wie wir es vermögen, zu beschreiben und sie mit der unsrigen zu vergleichen. Was wir nicht versuchen wollen, ist, langjährige Kontroversen in der Paläoanthropologie zu schlichten.

Tiere zu jagen war nichts, was ausschließlich die Neandertaler taten, also verrät uns die bloße Tatsache, dass sie es taten, fast nichts über die Kognition der Neandertaler. Es gibt viele verschiedene Arten, wie man jagen kann. Denken Sie nur einmal an die Unterschiede zwischen Wölfen und Jagdhunden, Hauskatzen und Löwen, Geparden und Hyänen. Wir haben gesehen, dass die archäologischen Beweise darauf hindeuten, dass die Neandertaler an der Spitze der Nahrungskette standen, also sollten wir sie vielleicht am ehesten mit Löwen vergleichen, um einen Einblick in ihr Denken zu gewinnen. Aber das wäre keine gute Wahl. Wir (und die Neandertaler) sind nur sehr entfernt mit den Löwen verwandt, von denen uns mindestens 65 Millionen Jahre Evolution trennen, und während dieser Zeit haben sich bei den Raubkatzen ein extrem auf die Jagd ausgerichtetes Gehirn und ein Denken durchgesetzt, das ganz anders ist als unseres. Die Neandertaler waren Primaten, und es gibt durchaus einige Primatenarten, die auf die Jagd gehen. Und an diesem Punkt können wir ansetzen, wenn wir untersuchen wollen, wie und was die Neandertaler dachten, während sie auf der Jagd waren. Schimpansen jagen andere Affenarten und gelegentlich auch andere kleine Säugetiere, und die Art und Weise, wie sie dies tun, ähnelt in mehrfacher Hinsicht dem, was wir auch beim modernen Menschen als Jäger und Sammler wiederfinden. Erstens: Schimpansen jagen im Verbund; sie nutzen die Funktion einer Gruppe kooperierender Individuen, um ihre Beute zu umzingeln und zu töten – genau wie der moderne Mensch bei der Jagd. Und der Neandertaler.

Zweitens: Die männlichen Schimpansen haben den größten Anteil an der Jagd. Sie sind größer und kräftiger als die Weibchen, aber dies scheint nicht der einzige Grund zu sein; es ist auch eine soziale Komponente dabei, und ein Stück weit spielt männliche Dominanz eine Rolle.19 Dies gilt auch für moderne Jäger und Sammler und wahrscheinlich auch für die Neandertaler. Die wichtigste Erkenntnis für kognitive Zwecke, die uns die jagenden Schimpansen bieten, ist die Rolle, die die Kooperation spielt. Wie haben die Neandertaler kooperiert?

Unsere zweite Vergleichsgruppe sind die modernen Jäger und Sammler.20 Auf der Grundlage dessen, was wir über diese modernen Menschen wissen und was uns die Archäologie über die Neandertaler erzählt, können wir hier bereits eine Liste von Gemeinsamkeiten aufstellen:

• kooperatives Jagen in Gruppen

• Verwendung von Eigenarten des Geländes

• Zurücktragen von Fleisch zur Wohnstätte der Gemeinschaft

• Zerteilen von Kadavern (zum Aufteilen untereinander)

• Kochen

• unterschiedliche Taktiken für verschiedene Arten Wild

• Reisen von mehr als einem Tag, um zu jagen

Der Vergleich mit modernen Jägern und Sammlern vermittelt uns aber auch Unterschiede, von denen einige kognitive Implikationen haben können:

• Neandertaler verwendeten weniger vielfältige Ressourcen

• Neandertaler verwendeten eine gefährlichere Technik beim Töten

• Neandertaler änderten ihr Beuteschema je nach Jahreszeit, aber planten nicht innerhalb von Jahreszeiten

• Neandertaler verwendeten fast ausschließlich ein „Hin und zurück“-Muster

• Neandertaler legten kürzere Entfernungen zurück

• Bei den Neandertalern gab es keine klaren geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Nahrungssuche

Denken wie ein Neandertaler

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