Читать книгу Nassbert, der Wannenwichtel - Thorsten Meier - Страница 12
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Der Geist im Abflussrohr
Ich war mir sicher gewesen, dass ich ihn reden hörte, wenn ich auf der Toilette saß oder meine Zähne putzte und das Wasser aus dem Wasserhahn lief. Im Abfluss unserer Badewanne lebte ein Hausgeist. Natürlich verstand ich nicht genau, was er sagte. Er gluckerte und gluckste vor sich hin. Manchmal gurgelte er auch. Besser hören konnte ich die Geräusche, die er machte, wenn der Stöpsel neben dem Abfluss lag, doch dann stank es manchmal. Wahrscheinlich immer, wenn der Geist einen Pups gelassen hatte.
Mit acht Jahren kann man schon sehr überzeugt sein von etwas, an das man glaubt. Ich weiß es noch genau, auch wenn ich jetzt mit siebzehn darüber grinsen muss.
Das Bad und natürlich die Badewanne teilte ich mir mit meiner großen Schwester. Es hat mich damals viel Mühe gekostet, sie zu überzeugen, dass das Baden in der Wanne ab sofort verboten sei. Die Geschichte mit dem Geist im Abfluss der Wanne wollte sie nicht glauben. Deswegen erzählte ich ihr, dass sich gefährliche Gase im Bad verteilen würden, sollte man den Abfluss öffnen. Zum Glück war sie schon immer ängstlich und duschte nur noch. Da die Wanne offensichtlich nicht benutzt wurde, machte meine Mutter sie auch nicht sauber, also bestand für den Geist keine Gefahr.
Das erste Mal hörte ich ihn, als ich mir beim Waschen meines Gesichtes laut eine Frage stellte, die man mit Ja oder Nein beantworten konnte. Nachdem ich den Wasserhahn geschlossen hatte, gluckerte eindeutig ein Ja aus dem Abflusskanal der Badewanne.
Damals war die wichtigste Frage meiner Grundschulzeit, ob Marie in mich verknallt sei. Der Badewannengeist gab mir die Antwort.
Ermutigt von dem eindeutigen Ja des Geistes wich ich nicht mehr von ihrer Seite. Marie schien ziemlich genervt von mir, doch ich schob das darauf, dass sie schüchtern war. Manchmal schwieg der Geist auf meine Fragen. Dann wusch ich mich schnell und stellte die Frage noch einmal. Kurz darauf tönte eine Antwort aus dem Kanal. Ich dachte mir, dass der Geist nur mit mir sprach, wenn ich gewaschen war.
Die Antworten gab er auch nur, wenn die Frage mit Ja oder Nein zu beantworten war. Ansonsten verstand ich sein Gegrummel und Gemurmel nicht, das manchmal aus dem Rohr tönte. Geistersprache vermutete ich.
Meine Schwester hielt mich für verrückt, wenn ich am Waschbecken stand und mit der Badewanne sprach. Ich machte mir nichts draus. Ich dachte, Frauen können das nicht verstehen.
Ich freute mich über den Geist. Er war immer da, um mir zuzuhören, und gab Antwort auf meine Fragen. Natürlich erzählte ich meinen Freunden nichts von ihm. Ich hatte das Gefühl, sie hätten mir nicht geglaubt.
Bis der schlimme Tag kam, an dem der Geist aus der Badewanne vertrieben wurde. Morgens grummelte er noch vor sich hin, als ich am Waschbecken stand und meine Zähne putzte. Ich wunderte mich, wie aufgeregt die Töne an diesem Tag klangen. Wie immer verabschiedete ich mich von ihm und wünschte ihm einen schönen Tag.
Den sollte er aber wohl nicht bekommen. Als ich von der Schule heimkehrte, sah ich das Auto eines Sanitärbetriebes vor der Haustür stehen. Meine Mutter war in der Küche und kochte das Mittagessen. Über uns rumpelte und krachte es.
„Ist jemand oben Mama?“, fragte ich erstaunt.
„Ja, der Installateur“, meinte sie.
„Und was macht der?“
„Unser Abwasserrohr war verstopft. Dreckiges Wasser ist aus den Abflüssen herausgelaufen. Er reinigt die Rohre“, erklärte sie.
Erschrocken rannte ich die Treppe hinauf, nahm gleich zwei Stufen auf einmal. Die Tür zu meinem Bad stand offen.
Ein fremder Mann in grauer Latzhose kniete gerade vor meiner Badewanne.
Entsetzt schrie ich ihn an: „Nein, Halt. Das dürfen Sie nicht. Da wohnt mein Geist!“
Er hatte eine lange, graue Bürste und stocherte im Abflussrohr. Erstaunt sah er auf: „Wer wohnt wo?“
„Na in dem Rohr! Mein Geist“, rief ich und riss an seinem Arm, der wieder die Bürste in den Abfluss schob.
„Sachte, sachte Junge. Hier war niemand!“, versuchte mich der Mann zu beruhigen.
„Der spricht doch auch nur mit mir“, flüsterte ich leise, während mir dicke Tränen über die Wangen kullerten. „Bestimmt haben Sie ihn verletzt!“
Der Mann zog die graue Bürste aus dem Abfluss und sagte: „So ein Quatsch. Außerdem bin ich hier sowieso fertig.“ Er steckte das Werkzeug in einen Eimer, nahm seinen Metallkoffer und ging hinaus.
Schluchzend saß ich vor der Badewanne. Nach einer Weile erhob ich mich langsam und trat ans Waschbecken. Ich stellte die wichtigste Frage des Tages: „Geist, bist du noch da?“ Dann öffnete ich den Wasserhahn und wusch mein verweintes Gesicht. Als ich das Wasser abgestellt hatte, wartete ich gespannt auf eine Antwort.
Es kam kein Geräusch aus dem Abfluss. Nicht einmal ein Flüstern. Kein Grummeln oder Gluckern war zu hören. Ich hatte es geahnt. Dieser dumme Installateur hatte meinen Geist vertrieben. Der, der mir so viele Fragen beantwortet hatte, war nicht mehr da. Tage danach lauschte ich ins Bad hinein, hoffte, dass Töne aus dem Abfluss kamen, dass der Geist wieder eingezogen war, doch es war vergebens.
Ab diesem Tag musste ich ohne den Geist auskommen und meine Entscheidungen selber treffen.
Mich hätte nur interessiert, in welches Haus er eingezogen ist, doch das erfuhr ich nie.
Klaudia Gräfin von Rank wurde 1967 geboren und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern im Frankenland. Um ihr langjähriges Hobby zu intensivieren, absolvierte sie ein zweijähriges Fernstudium als Kinder- und Jugendbuchautorin. Etliche ihrer Werke wurden bereits publiziert.