Читать книгу Nassbert, der Wannenwichtel - Thorsten Meier - Страница 15

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Das Schiffsunglück

„Und jetzt, lieber Angeklagter, schildern Sie doch bitte den Unfallhergang aus Ihrer Sicht“, sagte der Richter und schaute dabei Marco an.

„Also das war so, Herr Richter“, begann dieser, „ich heiße Marco und bin der Steuermann auf dem Lego-Tanker. Mein Schiff ist sehr lang, und wenn ich an meinem Steuerrad stehe, dann sehe ich zwar vorne den Bug, aber was sich dicht vor ihm im Wasser bewegt, das sehe ich nicht. Wenn also ein kleineres Schiff direkt von vorne kommt und schon dicht dran ist, dann kann ich es nicht mehr erkennen. Die Sicht war am Unglückstag zunächst recht gut, die Sonne schien und der Wellengang war gering. Wir waren ja auch schon im Hafenbecken. Links und rechts waren die Kaimauern zu erkennen. Aber dann geschah es.“

„Was geschah denn dann so Außerordentliches, dass Ihr Schiff mit dem Schiff des Zeugen kollidierte?“, unterbrach ihn ungeduldig der Richter.

„Dann gab es aus einem mir nicht erkennbaren Grund plötzlich einen fürchterlichen Wellengang. Ich konnte das Schiff nur mit Mühe auf Kurs halten, damit es nicht gegen die Kaimauer prallte. Und dann tauchten links und rechts neben meinem Schiff plötzlich Ungeheuer auf. Lange, helle Gebilde, die aussahen wie Wasserschlangen, kamen an die Wasseroberfläche und verschwanden wieder. Und dann tauchten sie wieder auf und verschwanden erneut.“

„Merkwürdig, merkwürdig, ja fast unheimlich. Wasserschlangen im Hafenbecken, das ist ja eine Ungeheuerlichkeit“, stimmte ihm der Richter zu.

„Und dann kommt noch hinzu, dass plötzlich ein starker Regenschauer auf die Scheibe meines Führerstandes prasselte, sodass ich nichts, aber auch rein gar nichts sehen konnte. Plötzlich aus dem Nichts heraus. Dann passierte es. Es rummste und mein Tanker kam ins Schlingern.“ Der Steuermann des Tankschiffes rang nach Luft und musste sich setzen.

„Ich rufe nun den Steuermann des zweiten Schiffes in den Zeugenstand und bitte ihn um seine Aussage.“

Der Steuermann des zweiten Schiffes trat nach vorn zum Richtertisch, räusperte sich kurz und begann dann seine Aussage. „Ich bin der Steuermann des Rundfahrtschiffes Playmobil-Ahoi, heiße Jan und kann nur sagen, dass der Kollege vom Lego-Tanker die Situation im Hafenbecken richtig geschildert hat. Das mit dem Wetter und dem Wellengang hat er richtig dargestellt. Ich hatte mich auch fürchterlich erschreckt, als aus dem Nichts heraus plötzlich ein enormer Wellengang einsetzte und die zwei Ungeheuer rechts und links vom Schiff auftauchten und wieder verschwanden und wieder auftauchten und wieder verschwanden. Und als dann auch noch der Starkregen einsetzte, kam ich mir vor, wie weit draußen auf dem großen, offenen Meer. Bei mir kam aber noch etwas hinzu ...“

„Und was war das?“, unterbrach ihn der Richter mit neugierigem Blick.

„Es tauchten urplötzlich große Wolken auf, Wolken die aussahen wie Schaum, der sich bildet, wenn Eltern zu viel Bademittel ins Badewasser schütten. Diese dicken Wolken patschten in unglaublicher Menge an die Scheibe meines Rundfahrtschiffes Playmobil-Ahoi. Ich konnte für längere Zeit nichts mehr sehen. Der Schaum ließ sich auch nicht durch die Scheibenwischer vom Glas wischen. Und dann erschütterte die Kollision mit dem Tanker mein Schiff. Es tut mir sehr leid. Aber was da los war, bleibt mir bis heute unerklärlich. Leider.“ Damit endete die Vernehmung der beiden Steuermänner.

Der Richter wollte gerade die Sitzung beenden, da meldete sich ein Junge aus dem Zuschauerraum. „Ich habe etwas Wichtiges zu sagen, Herr Richter.“

Der Richter blickte ihn zunächst etwas verwirrt an, bat ihn dann aber, nach vorne zu kommen und seine Mitteilung von Wichtigem zu machen.

Alle im Gerichtssaal Anwesenden schauten erwartungsvoll auf den Jungen, der aus seiner Stuhlreihe heraustrat und zögerlich den Weg zum Richtertisch antrat.

„Meine Name ist Marvin“, begann er halblaut, „ich bin der Hauptschuldige des Unglücks der beiden Schiffe.“

„Na dann lass mal hören, Marvin, was du mit dem Schiffsunglück zu tun hast“, bat der Richter ihn.

„Es war am letzten Samstag, ich war mit meinen Eltern im Garten und hatte mich dort beim Buddeln schrecklich eingesaut. Damit ich sauber ins Bett gehen konnte, hatte meine Mutter mir die Badewanne voll Wasser laufen lassen. Sie hatte auch viel vom toll riechenden Bademittel reingeschüttet.

Ich hatte aus meiner Spielzeugkiste die beiden Schiffe, das Lego-Tankschiff und das Playmobil-Rundfahrtschiff Ahoi, geholt und zu Wasser gelassen. Erst habe ich eine Weile die Schiffe hin- und hergeschoben. Die von den beiden Steuermännern gesehenen Kaimauern waren die Wände meiner Badewanne. Ich habe beide Schiffe von einer Seite der Badewanne zur anderen fahren und sie dort jeweils wenden und zurückfahren lassen. Und dann bin ich auch in die Badewanne gestiegen. Als meine Füße eintauchten, gab es den von den Steuermännern genannten starken Wellengang.“

„Du hast dich ins Wasser reingetraut? Trotz der sich darin befindenden Ungeheuer? Respekt mein Junge, Respekt!“, sagte der Richter zu Marvin und nickte bestätigend mit dem Kopf.

„Ja, ich habe mich ins Wasser getraut. Die beiden Ungeheuer, wie sie die Steuermänner nennen, waren meine Beine. Als ich mich in die Wanne setzte, streckte ich meine Beine lang aus und die beiden da“, er zeigte auf die Steuerleute Marco und Jan, „hielten sie für Ungeheuer. Und dann habe ich die Handbrause genommen und mich abgeduscht. Dabei traf ich versehentlich auch das Lego-Tankschiff und kurz danach das Playmobil-Rundfahrtschiff. Und weil ich dann die Handbrause knapp über das Wasser hielt, habe ich auch den Badeschaum erwischt und ihn auf das Playmobil-Rundfahrtschiff gesprüht. Klar, da konnte der Steuermann nichts mehr sehen. Weil er so dicht am Lego-Tankschiff schipperte, konnte er leider einen Zusammenstoß nicht mehr verhindern. Es tut mir sehr leid, für beide. Es kommt bestimmt nicht wieder vor, das verspreche ich.“

Der Richter lehnte sich in seinem Stuhl zurück und überlegte kurz, wie er das Verfahren gerecht für alle Beteiligten beenden könne. „Da beide Steuermänner kein Verschulden trifft, werden beide freigesprochen.“

Dann wandte er sich Marvin zu. „Marvin, da du deine Schuld an diesem Schiffsunglück in deiner Badewanne eingeräumt und da du versprochen hast, dass das nicht noch einmal vorkommen wird, will ich auch dich freisprechen. Du hast etwas unachtsam gehandelt und nicht auf deine Umwelt – in diesem Fall den Schiffsverkehr – geachtet, als du in die Wanne stiegst und dann mit der Handbrause hantiertest. Du wirst aber in Zukunft besonders aufpassen, deshalb will ich ein Auge zudrücken. Nein, ich drücke beide Augen zu. Auch dich spreche ich frei. So, und nun geht alle nach Hause. Euch, Steuermänner, wünsche ich, immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel und dir, Marvin, wünsche ich einen schönen Tag. Bleib sauber, Junge!“

Damit beendete der Richter die Sitzung. Er klappte den Aktendeckel zu, nahm sein Holzhämmerchen, klopfte dreimal kräftig auf die vor ihm liegende Holzplatte und freute sich, dass er heute Abend zu Hause in seine Badewanne steigen würde ... ohne Lego-Tankschiff und ohne Playmobil-Rundfahrtschiff.

Charlie Hagist wurde in Berlin geboren und lebt heute in Dallgow-Döberitz. Viele seiner Geschichten wurden bereits in mehreren Anthologien veröffentlicht.

Nassbert, der Wannenwichtel

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