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Die Abenteuer der dicken Bertha

Bertha erinnerte sich nur noch verschwommen an die Zeit, als sie als junge Badewanne, strahlend weiß emailliert, in dieses schöne Badezimmer auf dem Bauernhof gekommen war. Bestimmt war es Jahrzehnte her – sie hatte Generationen von Kindern aufwachsen sehen, die in ihrem wuchtigen Körper geplanscht hatten.

Gerade träumte sie von den verschiedensten Entchen und Wasserfahrzeugen, mit denen die Mädchen und Jungen beim Baden gespielt hatten, als zwei Männer ins Badezimmer kamen und sich an ihr zu schaffen machten.

„Huch“, erschreckte sie sich, „die schrauben ja meinen Abfluss ab.“ Dann wurde sie hochgehoben und aus dem Zimmer getragen.

„Mann, ist die schwer“, keuchte der jüngere der beiden Männer.

„Das ist Gusseisen und mindestens 70 Jahre alt, noch beste Qualität“, entgegnete der ältere Handwerker. Bertha wäre errötet vor Stolz, wenn sie das gekonnt hätte.

„Ich bin beste Qualität“, dachte sie, „dann haben sie etwas Besonderes mit mir vor. Vielleicht stellen sie mich in ein Schloss, wo die Wasserhähne golden sind und die Böden aus Marmor.“ Sie hatte immer gelauscht, wenn die kleinen Mädchen beim Baden von Prinzen und Schlössern geschwärmt hatten.

Die Handwerker trugen Bertha ächzend eine Treppe hinunter, dann durch die Haustür ins Freie und setzten sie neben dem Hühnerhof ab.

Das neugierige Federvieh, allen voran der Hahn, kam sofort heranstolziert, um den unbekannten Gegenstand zu beäugen.

„Was ist das?“, gackerte Tusnelda.

„Das ist bestimmt unsere neue Tränke, von der der Bauer gesprochen hat“, meinte Esmeralda.

Da reckte sich Heinrich, der Hahn, empor und krähte laut: „Keine Ahnung, diese Weiber, das Ungetüm ist ein Eisbär. Seht euch die vier Beine an, richtige Eisbärbeine und dann das dicke weiße Fell!“

Doch Tusnelda musste das letzte Wort haben und gackerte schrill: „Deine Augen sind nicht mehr die besten, Heinrich, dein schöner Eisbär hat Dackelbeine. Vertraue meinen Hühneraugen, das dicke Ding ist ein Futtertrog!“

Nun war Bertha aber beleidigt: Eisbär, Futtertrog und Hühnertränke, dazu noch Dackelbeine, das ging zu weit. Sie war stets zufrieden mit ihren zierlichen geschwungenen Beinen gewesen. Die hatten ihren schweren Körper immer sicher getragen, auch als die Jungen Seeräuber gespielt und sich an ihren Rand gehängt hatten, um sie wie ein Schiff zu erobern.

„Dumme Hühner“, dachte sie und wurde gleich darauf von einem lauten Tuckern abgelenkt, das immer näher kam und schließlich mit ohrenbetäubendem Lärm vor Bertha halt machte. Stinkender blauer Qualm hüllte sie ein und dann spürte sie, wie sich vier eiserne Stangen unter ihren Bauch schoben und sie langsam hochhoben.

„Ich schwebe“, jauchzte sie, „welch ein Abenteuer!“ Immer höher wurde sie gehoben, und dann setzte sich das Gefährt langsam in Bewegung. Bertha schaute in ein gewaltiges Blau in dem riesige weiße Wattebäusche, die ständig ihre Form veränderten, vorbeizogen. „Ich fliege“, dachte Bertha begeistert, „bestimmt fliege ich nun zu einem wunderschönen Schloss.“

„Seht mal, der dicke Futtertrog wird im Frontlader des Traktors fortgebracht“, gackerte Tusnelda gehässig.

Der Flug war schnell zu Ende. Am Rande einer Wiese setzte der Bauer die dicke Bertha ab und fuhr fort. Da stand sie nun ganz allein und verlassen und wusste nicht, was mit ihr geschehen würde.

Es wurde dunkel und unheimlich, Bertha fürchtete sich. Sie vermisste die Kinder, die in ihr geplanscht und gelacht hatten. Sie dachte mit Wehmut an die Frau, die sie so liebevoll mit dem Lappen gestreichelt hatte. Sie fühlte sich schmutzig und nutzlos.

Am nächsten Morgen näherte sich das rhythmische Tuckern wieder. Bertha schöpfte Hoffnung, bestimmt gelangte sie heute zu dem Schloss. Doch der Bauer hatte ein großes Fass mit Wasser gebracht und ließ das kalte Nass in Berthas Bauch laufen.

„Will er hier baden“, dachte sie verwundert. Aber der Bauer fuhr mit dem leeren Wasserfass fort. Bertha war enttäuscht und traurig.

Da vernahm sie plötzlich ein neues Geräusch: trapp, trapp, trapp. Sie spürte ein leichtes Vibrieren unter ihren Füßen. Kurz darauf spiegelte sich ein langes braunes Gesicht in ihrem Wasser, ein Gesicht, das sie nicht kannte. Der Kopf beugte sich tiefer und beschnupperte mit riesigen Nasenlöchern die Wasseroberfläche, große runde Augen, über denen ein fransiger Pony hing, blickten hinab. Vorsichtig nahm ein samtiges Maul einen Schluck Wasser auf.

„Wer bist du?“, fragte Bertha neugierig.

„Ich heiße Almerito und bin ein berühmtes Springpferd“, war die wiehernde Antwort. „Mein Boss sagt, ich wäre jetzt zu alt für die Turniere, ich soll hier das Gnadenbrot fressen, dabei weiß ich noch nicht einmal, wie Gnadenbrot schmeckt. Bisher bekam ich immer Heu und Hafer, natürlich auch Gras, aber Gnadenbrot ist mir unbekannt. Übrigens, danke für das Wasser, wie ist dein werter Name?“

„Ich heiße Bertha, aber alle nennen mich dicke Bertha, weil ich so schön bauchig bin. Ich musste das Badezimmer verlassen, in dem ich so viele Jahre treu der Sauberkeit gedient habe.“

„Dann wurden wir ja beide ausgemustert, bekommst du auch Gnadenbrot?“ Da schüttelte sich Bertha, dass das Wasser überschwappte. Ihr gefiel die neue Bekanntschaft gut, die so höflich und gesprächig war. Außerdem waren die beiden ja nun Leidensgenossen, alt und aussortiert.

„Wollen wir Freunde sein?“, fragte Bertha mutig. Als Antwort nahm Almerito Anlauf und sprang hoch über die volle Länge seiner neuen Freundin hinweg, ohne ihren Rand zu berühren.

„Toll“, rief Bertha begeistert. Darauf vollführte Almerito sein Kunststück gleich noch einmal.

Der kleine Freddy war auf dem Weg zur Schule, als er das übermütige Treiben auf der Wiese sah. Er informierte seine Klassenkameraden und am Nachmittag stand eine Horde Kinder am Zaun und feuerte Almerito an.

„Spring“, riefen sie, „spring noch einmal über die Wanne!“ Und der Hengst ließ sich nicht lange bitten. Er machte auch allerlei lustige Sachen, hielt seinen Schweif in Berthas Wasser und spritzte die Kinder damit nass. Er tänzelte auf seinen Hinterhufen wie ein Zirkuspferd und wieherte dazu. Wenn die Kinder klatschten, dann knickte Almerito sein rechtes Vorderbein ein und verbeugte sich.

Es war ein ausgelassenes Spiel und die dicke Bertha hatte ihren Spaß dabei. Sie war so glücklich wie früher im Badezimmer, denn sie hörte die Kinder lachen.

Am Abend liefen die Kinder nach Hause, aber vorher versprachen sie, wiederzukommen.

Die dicke Bertha war nicht mehr allein. Almerito legte sich ganz nah an ihrem Körper nieder, er war müde und erschöpft von der Springerei, schließlich war er nicht mehr der Jüngste. Aber vorher stillte er seinen Durst mit dem Wasser aus dem Bauch seiner Freundin.

Bertha hatte sich mit ihrem Schicksal ausgesöhnt, denn sie stand nun nicht mehr allein und nutzlos auf der Wiese herum. Sie war zufrieden mit ihren neuen Aufgaben als Tränke und Springhindernis für Almerito, ihrem Freund. Am glücklichsten aber machte sie das Lachen der Kinder.

Maria Volkermann ist 63 Jahren alt. Sie arbeitet gerne in ihrem Garten und liebt die Natur, die sie beim Wandern und Radfahren genießt. Seit einigen Jahren schreibt sie Kurzgeschichten für Erwachsene, von denen bereits einige veröffentlicht wurden.

Nassbert, der Wannenwichtel

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