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Der geheimnisvolle Meeresrochen

„Bleib aber nicht zu lange in der Wanne, hörst du?“, rief Timons Mutter. „Das ist nicht gut für die Haut!“ Ihre Stimme klang so, als würde sie wie ein Windstoß direkt durch das Schlüsselloch ins Badezimmer dringen. „Hörst du?“

„Ja, Mama“, erwiderte Timon und verdrehte die Augen. „Alles in Ordnung in Atlantis!“

So nannte er das Badezimmer, wenn er es ganz allein für sich haben konnte. Ohne nervige Geschwister und kontrollierende Eltern. Der duftende Schaum auf dem heißen Wasser, der zum Spielen und Träumen einlud, kitzelte auf der Haut. Aus einem Schwamm, zwei Waschlappen und ein paar Wäscheklammern hatte Timon einen bunten Meeresrochen gebastelt, der mit großen Flossen das Wasser durchstreifte. Timon liebte es, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Der Junge schloss die Augen, hielt sich die Nase zu und tauchte für einen kurzen Moment in das Blau des Ozeans ... Herrlich!

Doch dann geschah es: Timon konnte sich gerade noch an dem riesigen Rochen festhalten, als dieser ihn hinab in die Tiefe zog! Schnell hatte er sich den Schwimmbewegungen des Rochens angepasst. Der kleine Junge und der große Fisch verschmolzen fast miteinander und glitten majestätisch durch die Weite des Meeres.

Plötzlich wurden sie von einer leuchtenden Luftblase eingeschlossen und rasant weiter nach unten geschleust, in Richtung Meeresboden.

Für kurze Zeit wurde Timon schwarz vor Augen, alles wirbelte durcheinander.

Als er wieder zu sich kam, schüttelte er sich. Was war passiert? Überrascht stellte er fest, dass er trockene und sehr ungewöhnliche Kleidung trug: ein schimmerndes weißes Hemd mit einem Delfin-Abzeichen und einen hellbraunen Umhang, der mit Goldfäden durchwirkt war. Dazu eine orangefarbene Hose und blaue Schuhe.

„Willkommen in Atlantis!“, sagte eine sanfte Stimme, als Timon sich in einem großen Saal inmitten von Säulen umdrehte. „Ich bin Merandia, die Tochter von König Aquas.“ Die Prinzessin hatte schulterlanges, rotes Haar und trug einen goldenen Stirnreif, auf dem ein grüner Edelstein funkelte.

Timon verschlug es fast die Sprache. „Aber ... aber ... das kann doch nicht, das kann doch nicht ... sein“, stotterte er und starrte die Prinzessin ungläubig an.

„Hab keine Angst“, entgegnete Merandia, „dein Wunsch hat dich zu uns geführt.“ Timon hob fragend die Augenbrauen. „Aber ja!“, so Merandia weiter. „Wenn ein Wunsch wirklich stark genug ist und alle Zweifel überwindet, verwandelt er sich und wird wahr! Du musst nur fest daran glauben.“

Genau in diesem Moment zerriss eine dröhnende Stimme die wunderschöne Unterwasserwelt, als wäre die leuchtende Luftblase von vorhin einfach geplatzt. „Timon! Es wird Zeit! Deine Haut ist bestimmt schon verschrumpelt!“

Mit einem Ruck schnellte Timon aus dem Wasser und saß aufrecht in der Wanne.

Die Tür ging auf. „Hier ist ein frisches Handtuch“, sagte Timons Mutter streng und legte es auf die Badewannenkante. „Wo sind denn der Schwamm und die Waschlappen geblieben? Beeil dich, es gibt gleich Abendbrot!“ Mit diesen Worten verließ die Mutter das Badezimmer, das gerade noch Atlantis gewesen war.

Der Schwamm und die Waschlappen aber blieben für immer verschwunden.

Udo Brückmann wurde 1967 geboren und lebt als Pädagoge, Dozent und Autor im ländlichen Niedersachsen, Er hat bereits etliche Veröffentlichungen vorzuweisen.

Nassbert, der Wannenwichtel

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